Celine Radau

Medaillon

 

Sie saß in ihrem, von Kerzenlicht, erhellten Schlafzimmer. Während es in ihrem Zimmer durch den alten Kamin, kuschelig warm war, herrschte draußen Eiseskälte. In flauschigen Flocken fiel der Schnee und verwandelte das öde Land in eine herrliche Winterlandschaft. Sie selbst saß in einem alten Schaukelstuhl, mit den leicht hin-und her schaukelte. Dabei starrte sie hinaus in den Schnee. Immer wieder fuhr sie mit ihrer schlanken Hand über das kühle Glas, an dem sich schon kleine Eisblumen gebildet hatten. Ihre porzellanfarbende Hand war trotz des Kaminfeuers recht kühl. Das einzige Geräusch war das Knatschen des Stuhles und das leise Knistern des Feuers. Sie löste den Blick vom Fenster, danach legte sie die Pelzdecke beiseite, die sie sich über den Schoß gelegt hatte und erhob sich. Das schwarze, perlenbesetzte, Kleid floss perfekt an ihrem zarten Körper herab. Nachdem sie ein paar unsichtbare Falten aus dem seidenen Stoff gestrichen hatte, ging sie zu dem großen Kamin um noch ein paar Holzscheite nachzulegen. Zwar gab der Kamin Wärme, jedoch nicht genug Licht, deshalb beschloss sie noch ein paar Kerzen anzuzünden. Auf dem Weg zu ihrer antiken Kommode, kam sie an ihrem goldenen Spiegel vorbei. Sie blieb stehen und betrachtete sich. Ihre porzellanfarbende Haut gab den perfekten Kontrast zu ihrem schwarzen Seidenkleid und ihrem ebenfalls nachtschwarzem, hüftlangen Haar. Ihre perfekt geformten Lippen waren voll und blutrot. Eine weitere Auffälligkeit in ihrem schönen Gesicht waren ihre Augen. Sie waren tiefbraun fast schwarz. Lange Wimpern ließen sie geheimnisvoll und groß wirken. Unter ihren Augen lagen violette Schatten, fast wie Blutergüsse. Sie strich sanft über ihre Kette mit den Familienwappen. Ein kurzes Lächeln huschte über ihre roten Lippen. Dann wandte sie sich ab und bewegte sich mit langen, aber eleganten Schritten der Kommode zu. Mit diesen Bewegungen hätte sie das Herz jeder Ballerina gebrochen. Sie streckte ihre zierliche Hand aus und umfasste einen silbernen Schubladengriff. Ihre Bewegungen waren elfenhaft. Sie öffnete die Schublade, kramte wenige Sekunden darin herum und holte dann drei rote Kerzen heraus. Kurz bevor sie das Fach wieder schloss, fiel ihr eine Kette mit einem Medaillon ins Auge. Sie nahm die Kette mit spitzen Fingern heraus, danach schloss sie die Schublade wieder. Sie lies die Kette auf dem dunklen Holz liegen, während sie die Kerzen in einen metallischen Kerzenständer steckte. Danach entfachte sie ein Streichholz, da das Feuer im Kamin nur noch eine schimmernde Glut war. Beim Anzünden gab es ein zischendes Geräusch und für einen kurzen Moment wurde ihr engelsgleiches Gesicht gespenstisch erhellt. Als die Kerzen brannten, wartete sie. Einen kleinen Moment bevor das Feuer an ihren Finger fressen konnte, blies sie es mit einem eisig kalten Lufthauch aus. Sie kehrte zurück zur Kommode, verstaute das abgebrannte Streichholz in einer Schachtel und ergriff das Schmuckstück. Sie setzte sie wieder in ihren alten Stuhl und zog sich die Decke über die Beine. Der silberne Anhänger glitzerte leicht, als sie ihn vorsichtig hin und her drehte. Plötzlich erfühlte sie eine Unebenheit an der Rückseite. Sie drehte es um und erkannte eine kleine eingravierte Fleur-de-Lis. Nichts Ungewöhnliches zu dieser Zeit. Danach öffnete sie, mit ihren rot bemalten Fingernägeln, das Medaillon. Darin befanden sich zwei Bilder. Ihre braunen Augen weiteten sich vor Überraschung, als sie auf dem einen Bild ihre längst verstorbenen Eltern erkannte. Solange sie denken konnte, war sie schon in diesem Haus, bei dieser Familie, obwohl sie davor ein anderes Leben gehabt hatte. Sie wusste das ihre Eltern bei einem Experiment ums Leben gekommen waren, dass hatte man ihr jedenfalls erzählt. Auf dem anderen Bild sah sie ein vertrautes Gesicht. Wie als würde es vor ihr sein, erinnerte sie sich an die zarten, aber kräftigen Züge, die hohen Wangenknochen, die roten Lippen, die tief grünen Augen und die fast antrazit farbenden Haare. Woran sie sich auch genau erinnerte, war der Name des Jungen. „Kevin“ murmelte sie. Auf dem Foto musste er achtzehn oder neunzehn Jahre alt sein, da er seine Haare in diesem Alter noch kurz und struppig getragen hatte. Jetzt fielen sie in langen Locken auf die muskulösen Schultern. Er war jetzt einundzwanzig Jahre alt, nur drei Jahre älter als sie. Das Bild von ihm endete an der Hüfte. Kevin trug einen elfenbeinfarbenen Pulli mit V-Ausschnitt. Die Ärmel waren hochgekrempelt und er hatte die Arme vor der Brust verschenkt. Unter dem dünnen Pulli zeichneten die Muskeln deutlich ab. Er lehnte mit dem Rücken an einer Tür, seine Haltung war selbstbewusste und gleichzeitig auch verführerisch. Auf seinen roten Lippen lag ein verschmitztes Lächeln. In seinen Augen jedoch lag Distanz und Angst. Sie hob eine wohl geformte Augenbraue hoch. Seine Haltung passte gar nicht zu seinem Ausdruck in den Augen. Auf einmal ging die Tür auf  und wie ertappt schloss sie das Medaillon. Sie drehte den Kopf und als sie Kevin erkannte lächelte sie. Kevin schaltete das Licht ein und der Raum wurde urplötzlich von dem starken Licht des Kronleuchters an der Decke erhellt. Vor der plötzlichen Helligkeiten zurückschreckend, schloss sie die Augen. Als sie ein paar Sekunden die Augen wieder öffnete, spürte sie schon Kevins Hände auf ihren Schultern. Sie ließ das Medaillon in der Pelzdecke verschwinden und stand auf. Kevin ging ein paar Schritte zurück und betrachtete sie wie ein Gemälde. Dann lächelte er dieses verlegende Lächeln, was sie so sehr an ihm liebte. Sie nahm seine Hand und zog ihn zum Fenster. Kevin schlang seine muskulösen Arme um ihren zarten Körper und sie kuschelte sich an seine starke Brust. Zusammen schaute sie hinaus in den Schnee. Jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Irgendwann küsste Kevin ihr leicht aufs Haar und sagte:“ Komm Lisa. Wir gehen!“. Er nahm Lisas Hand in seine und führte sie raus. Er löschte das Licht und schloss die Tür. Das Medaillon blieb in der Pelzdecke und sollte bald in Vergessenheit geraten, denn in dieser Nacht brannte das große Anwesen ab. Kevin und Lisa starben zusammen in den Flammen. Und niemand erinnerte sich an das Medaillon und an seine Bedeutung!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.07.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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