13.August 1961
Ich
bin in Ostberlin geboren. Meine Cousine H. in Westberlin. Am 13. August 1961.
Am Tag des Mauerbaus. Es fällt mir nicht schwer zu ermessen, mit welchen
Gefühlen und Gedanken meine Tante T. im Kreißsaal lag und sich abquälte, um H. aus
ihrem Bauch herauszuquetschen. Ihre ältere Tochter, D., war bei den Großeltern
mütterlicherseits in Berlin Friedrichshain, in Ostberlin. Entgegen dem Anraten
der Ärzte, sprang meine Tante T. vom „Kreißsaalbett“ auf, erklärte lautstark
warum sie unbedingt in den Osten müsse und ließ ihr gerade geborenes Kind in der Obhut einer Kinderschwester. Sie
versprach ihr natürlich, das Baby sofort abzuholen, nachdem sie aus Ostberlin
zurück sei und rannte los. Ihre älteste Schwester D., die sie sonst immer
unterstützte, konnte ihr dieses Mal nicht helfen- sie bereitete ihre eigene Flucht aus Ostberlin vor. Künftig würde unsere
Familie vor und hinter der Mauer leben. Bis zur Wende.
Erster Besuch im Westen
In
den 80-igern lockerte sich, dank Gorbatschow, die „Familien – Besuchsrechtregelung“
in der DDR. Wenn ein Familienmitglied, ein geliebter Bruder, die Mutter oder
die Tante in Westberlin oder der BRD verstorben waren, war es unter bestimmten
Bedingungen möglich, in den „Westen“ zu reisen. Anlässe wie „runde“ Geburtstage
waren ebenfalls als Besuchsbegründung denkbar, obwohl, mindestens 60 Jahre
mussten der oder die zu Besuchende schon werden. Das heißt, als meine Cousine
D. ,30 und ihr Mann 40 Jahre alt wurden, hatte ich aus Sicht der DDR Obrigkeit
nicht den geringsten Anlass einen Besuchswunsch zu hegen…
Wenn
man wie ich in seiner frühen Jugend mit
der Stasi zu tun hatte - ich beging das „Verbrechen“, dass ich einen ehemaligen
und inzwischen nach München ausgereisten Schulfreund in Prag treffen wollte - konnte man sich den Wunsch, ein „Visum“ zu beantragen,
das genehmigt werden würde, gleich ganz
abschminken. Damals, als ich meinen Schul- und Sportfreund, wir waren beide
gute Sprinter, in Prag wiedersehen wollte, wurde ich daran gehindert, in dem
ich einen sogenannten P12 erhielt, einen Ersatzausweis, mit dem ich das Land
nicht verlassen konnte. Außerdem musste ich mich wöchentlich beim ABZ,
Abschnittsbevollmächtigten, melden. Der war so eine Art „Polizeilicher
Blockwart“, zuständig für einen bestimmten Bezirk. Ich war 14 Jahre alt. Ich hatte meinen Ausweis gerade erst
bekommen, als er mir wieder abgenommen wurde.
Trotz
dieser Verbindung zum „imperialistischen Feind“ und obwohl ich mit der „Kirche
von unten“ und dem Neuen Forum
sympathisierte, in der Apotheke, in der ich arbeitete, eher als renitent galt und
nicht staatstreu war, „durfte“ ich Mitte der 80-iger Jahre das erste mal in den
Westen reisen. Ich hatte einen Leumund,
den Leiter der Apotheke, in der ich arbeitete, Herr M., er war in der CDU und tat nach außen, ich sage
mal „einen auf kooperativ“ und konnte im Gegenzug, das ein oder andere
erreichen. Man musste im Osten immer so tun als ob, sonst ging es ab
nach Bautzen. Außerdem ließ ich, um in den Westen reisen zu können, meinen Sohn Maxim bei seinem Vater in
Ostberlin zurück. Als Faustpfand. Als Geisel, sozusagen. Diese erste Reise in
den Westen wurde von den DDR Behörden wegen des 60-igsten Geburtstags meiner Tante D. in München genehmigt.
Willkürlich
wurde der Ausreiseantrag, auch bei Besuchsreisen hieß es so, bei meiner Cousine
B. abgelehnt, aus reiner Schikane. Sie hatte weder Mann noch Kind. Aber auch
meine Schwester K. durfte nach München fahren, obwohl auch sie „unbemannt“ und
kinderlos durch den Orbit sauste. Außerdem fuhren meine Tante C. und meine Mutter mit. Meine Tante C. weinte
ständig und konnte sich nicht damit abfinden, dass die Töchter ihrer Schwester beide in den Westen fahren durften und ihre Tochter nicht. Sie war untröstlich. Ein Drama.
Vorher.
Zwei
Tage bevor ich nach München reisen sollte, erhielt ich in der Apotheke M.,
einen Anruf, in dem mir mein alter Kumpel S. mitteilte: Rate mal wo ich jetzt bin? Ich erwiderte: Du blödes Huhn,
wenn du soo fragst, bist du sicher nicht mehr im Knast, sondern auf dem Kudamm
und frisst Weintrauben… So war es in der Tat. S. war freigekauft worden und lebte
jetzt in Westberlin. Außerdem säuselte ich ihm schelmisch ins Ohr: Und du weißt
nicht, wo ich nächste Woche sein werde, haha. Ich erzählte ihm von meinem „Münchenvisum“
und wir verabredeten uns Bahnhof Friedrichstrasse, auf Westseite natürlich.
Eine Nacht bevor mein Visum eigentlich
galt. Wir dachten, ich dachte, mehr als zurückschicken werden sie dich schon
nicht, wenn du dem Grenzer deinen Pass und dein Visum zeigst. Ich wollte mit S.
unbedingt zu einem Neil Young Konzert und dann, tags darauf in den Zug nach München zu meiner Familie zusteigen. Ich war jung und ich wollte es erzwingen. Und
es war meine einzige Chance. Natürlich
monierte der Grenzer meinen Versuch aus der Genehmigung, eine Woche nach
München fahren zu „dürfen“, noch einen 1 Tag „extra“ herauszuschinden, und ich wurde
zurückgeschickt. Ich sagte leise, mehr zu mir, Neil Young spielt heute. Der
Grenzer sah mich an und ich meinte in seinen Augen ein „verständnisvolles Umdenken“
zu sehen. Ich ging wieder zu ihm, bekam einen Stempel in meinen “DDR Reisepass“
und ging durch den Tränenpalast, durch die eiserne Tür. Ich war in Trance, ich
konnte es nicht begreifen und wagte nicht mich umzudrehen. Da ich nur ein Visum für München bekommen
hatte, durfte ich eigentlich nicht in
Westberlin bleiben. Aber ich blieb, traf S. und erlebte das wohl sensationellste
Konzert meines Lebens. Ich geriet vollständig außer mir, sang und trank. In
dieser Nacht schlief ich nicht eine Minute. Ich sah mir mit S. die Mauer von der anderen Seite aus an. Er erklärte
mir, wie er geflohen war und wie er geschnappt wurde. -Ich besuchte auch meine „Westcousinen“ und
besprach mich mit D. - wir hatten
gleichaltrige Kinder und sie kam regelmäßig in den Osten zu mir. Sie versprach,
mich aus München aus- und wieder einfliegen zu lassen, falls es mir dort nicht
gefiele. Damit ich in Westberlin sein konnte. Damit es keinen Ärger gebe. Die
liebe D.! Ich verstand nicht wirklich,
wollte aber im Geheimen um jeden Preis in Westberlin bleiben und es so richtig
aufmischen. Ich hatte nur sehr wenig Zeit. Das ich im Westen bliebe und Maxim
im Osten zurücklassen würde, war für mich undenkbar. D. wusste von dem „Besuchsprogramm“
meiner Tante D. in München und konnte sich vorstellen, dass ein Trip durch Münchens
Schlösser nicht so mein Ding wäre…
Im Zug
Das
Weinen meiner Tante C. wegen ihrer Tochter B., die nicht mitfahren durfte,
hörte auch in München nicht auf. Dieses Drama wollte ich nicht ertragen. Ich
verstand natürlich meine Tante C., wollte aber meinen Westbesuch nicht heulend
und schon gar nicht mit schlechtem Gewissen verbringen. Ich konnte doch auch nichts
dafür, dass B. im Osten bleiben musste. So besprach ich mich mit meiner Tante
D., derentwegen ich in den Westen "durfte", dass ich unbedingt nach
Westberlin zurückwolle, sie möge doch Verständnis haben, ich wolle S. sehen und
D. und ihre Familie… Heute denke ich, dass ein jeder von uns überfordert war. Mein
noch jugendlicher Egoismus trieb mich jedenfalls ans Telefon, ich rief D. und
S. in Westberlin an, teilte mit, dass man mich nicht ausfliegen lasse müsse, sondern
das ich in den Zug steigen würde und dann und dann Bahnhof Zoo ankommen würde.
In Westberlin lebte ich bei D. und ihrer Familie. Ihr Mann war so rührend und warf mir mit den Worten, hau dir die Nacht um die Ohren und sei leise
wenn du nach Hause kommst, die Zeitschrift Zitty und 100DM in den Schoß. Es
folgte die schönste Woche meines Lebens. Ich schlief kaum und wenn, erschöpft
unter den drei Katzen meiner Verwandtschaft.
Zweite Reise in den
Westen
Nach
meinem ersten Westberlinbesuch wollte ich am liebsten gleich wieder hin. Ich
war wie im Rausch. Ich hörte nur noch die Platte von Tom Waits, die J. mir zum
Abschied geschenkt hatte. Raindogs. Ich hatte mir einen Stapel LPs und
Klamotten gekauft und kam einfach nicht an…
Alle
meine Cousinen und ihre Eltern waren noch zu jung und „zu lebendig“, um mich
einladen zu können, um mich einladen zu dürfen- DDR Jargon. D. wollte dies
nicht hinnehmen und lud mich Weihnachten nach Berlin Charlottenburg ein. Ich
lief sogleich mit ihren geposteten Papieren zur Meldestelle und wollte meinen
Besuchsantrag abgeben. Der Mensch hinter dem Tresen, warf nur einen Blick auf
meinen Antrag und seiner „Begründung“ und lehnte ihn ab. Er warf mir meine
Papiere entgegen und fragte mich, ob ich nicht wüsste, welche
Besuchsbegründungen erlaubt seien und welche nicht. Ich sagte, schon, aber was
ist eigentlich wirklich dabei, Weihnachten seine Verwandtschaft sehen zu
wollen? Maxim bliebe wieder „hier“, schmiss ich noch einen Knochen hinterher.
Es war schon Ende 1988. Ich sah, wie es im Hirn des Beamten arbeitete. Er sah
mich lange an, ich war jung und schön, und sagte verlegen wie mir schien, er
könne nichts für die Bestimmungen. Ich schaute vehement zurück und fragte, die
Höflichkeit in Person, aber was ist wirklich
dabei, wenn ich Weihnachten den und die sehen wolle? Meine gesamte Westberlin -
Verwandtschaft ist einfach zu jung, um…Der Anzug unterbrach mich und fragte,
beschämt bildete ich mir ein: Haben Sie denn keine anderen, brauchbaren
Besuchsbegründungen vorzuweisen? Ich: Nicht für Westberlin und für München in 5
Jahren, es sei denn, es stirbt jemand… Mein Neffe J. käme zur Schule aber das
sei wohl auch nicht Grund genug…Wieder unterbrach mich der verschwitzte Anzug,
der sich als Mensch erwies: Doch, natürlich, das geht, das wird sicher
genehmigt. Beantragen Sie drei Wochen, dann bekommen Sie mindestens eine „durch“.
Gesagt getan. Ich „durfte“ das zweite Mal in
den Westen und erlebte meine Zeit dort mit aufgerissenen Sinnesorganen, ich
schnappte nach Erlebnissen sämtlicher Art und kaufte bergeweise Lego Bausteine
und Süßigkeiten für Maxim.
Fortsetzung
folgt.
Gewidmet
den liebsten Menschen, Ditte, Jürgen und Janosch, die mir damals unkompliziert
halfen, mir einfach Geld zusteckten, damit ich mich vergnügen konnte und ohne,
dass ich mich „abhängig“ fühlen musste, was ich natürlich war. Mein Staat gab
mir nicht die Möglichkeit, Geld für meine genehmigte Reise umzutauschen.
Sozusagen nackt und bloß, und ohne Kind, ließ man mich in den Westen reisen.
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Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Kerstin Köppel).
Der Beitrag wurde von Kerstin Köppel auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.07.2009.
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Nickname Sonnenschein
von Feli März
Kurz vor der Hochzeit mit Tom muss sich Henriette den schmerzhaften Tatsachen stellen: Ihr Fast-Ehemann geht mit ihrer besten Freundin ins Bett!
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