Wilhelm Westerkamp

Dombesteigung

An sonnigen Tagen wie dem heutigen, bei blauem Himmel und Temperaturen

die einem das Schwitzen beibringen, ragte der Kölner Dom hoch hinaus, fast bis

zu den Sternen, so könnte man meinen.

Unten auf der Domplatte stehe ich, groß von Gestalt, aber dennoch winzig klein

vor Gottes Gnaden aus Stein. Im Poloshirt und blauer Jeans, den Kopf in den Na-

cken verrenkt, blinzle ich durch die Sonne, zum strahlenden Gipfelkreuz. Schwärme

blauer Tauben, die hastig jeden noch so kleinen Krümel picken und gurrend da-

von fliegen, locken meistens kleine Kinder, auch Mädchen mit langen, blonden

Haaren. Sie spielen mit den Tauben, im frischen Wind. Füttern und verscheuchen,

wann immer sie können, mit dem süßen Lächeln des Kindes. Die Mütter stehen

nicht weit entfernt, wachen mit scharfen Augen und strenger Miene. Dennoch:

Mein Blick fällt wieder auf den Dom. Der Wind bläst mit hundert achtzig und meine

Haare wirbeln durcheinander und stehen hoch wie die Flut. „Turmbesteigung“ steht

da irgendwo auf einem Schild. Drei Euro Eintrittspreis, für eine sportliche Bestei-

gung ohne Garantieschein. Dreißig Zigaretten am Tag dürften das Ende aller Gi-

pfelträume sein, aber die Lust packt mich von hinten und greift um sich wie eine

Tellermiene. Ich glühe vor Begeisterung, wie ein Soldat kurz vor einem Angriff

und marschiere los, mit großen Schritten. Im Dom angelangt, schallen Stimmen aus

allen Richtungen, als wären sie von Gott persönlich. Angenehme Kühle erfasst mich

erfrischend an den Ohren, ehe ich die enge Treppe sehe, die sich drehend im Kreise

empor rankt. Der Kassierer an der Kasse, wünscht mir noch schadenfroh“Alles Gu-

te“ und ich höre schon das Keuchen herabsteigender, die wie aus verbeulten Lungen

sprechen. Noch einmal holte ich tief Luft, so als würde ich auf einem drei Meter

Sprungbrett stehen. Ein kurzes Stoßgebet an Gott und die Reise kann beginnen.

Hastig steige ich Stufe um Stufe, fresse sie mit Haut und Haaren und vernehme

dann fremde Worte. Junge Französinnen, bestimmt zehn Jahre jünger als ich, ja-

gen an mir vorbei, das einem nur so schwindlig wird. Ein Dröhnen pfiff durch

meinen Schädel, als würde ich tausend Tode sterben. Nach zehn Minuten geht mir

die Puste aus. Ich denke nach und dabei an den ehemaligen Bayern-Trainer Tra-

pattoni. Wie sagte er noch „Alle Flaschen leer“! Aber wie die Bayern Spieler will

ich nicht sein. Kämpfen, Kämpfen,Kämpfen, so lautet die richtige Losung.Die an-

deren kochen auch nur mit Wasser, denke ich bei mir -, denn mein Wille war nicht

gebrochen, hatte nur einen leichten Knacks erlitten. Fünf Minuten später bin ich

wieder auf den Beinen, - voller Tatendrang und Zuversicht. Der Dombrobst würde

mir jetzt sicherlich Mut zu sprechen und die Hände zum Gebet falten. Den Mann

kann man nicht enttäuschen, weiter geht es, auch wenn nicht im Sauseschritt.

Die letzten Stufen sind wieder die Hölle. Mein Herz droht zu zerspringen und pocht

wie eine Nähmaschine. Rheinhold Messner der Gipfelstürmer kennt das nur zu gut,

das aufregende Gefühl, dem Gipfel so nahe zu sein. Eine Minute später geht der

Traum in Erfüllung.Geschafft! Ich fühle mich wie auf dem Mount Everest – dem

höchsten Berg der Welt. Ich schwanke, aber falle nicht. Den Ausblick auf die Stadt

Köln von hier oben, sollte man gesehen haben – einfach einzigartig. Nur ein längerer

Blick nach unten, auf die Domplatte erzeugt einen Drehschwindel, als würde ich

im Zentrum eines Orkans stehen. Ich könnte mir die Lunge aus dem Leib kotzen,

als es mir plötzlich mit einem Male wieder besser geht: so wie eine schwangere

Frau, die zwischen Erbrechen und Glückseligkeit wandelt. Eines jedoch hatte ich

vergessen und das war der unvermeidbare Abstieg. Der Aufstieg folgt dem Abstieg

in logischer Folge, wie der reife Apfel von einem Baum fällt. Der Fall in die Tiefe,

kann tödlich sein -doch wenigstens geht es schnell und sollte schmerzlos sein. Zum

Abgewöhnen in jedem Fall, aber unumgänglich. Der Abstieg würde kürzer sein, das

beruhigte mich wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Am liebsten wäre ich die

Treppen herunter gesprungen, in der Manier eines australischen Kängurus, will

sagen: Ich war kurz davor über zuschnappen! Das gelang mir aber nicht, stattdessen

schnappte ich nach Luft, wie ein zappelnder kleiner Fisch, in den Fängen eines

Fischers. Einen Zungenbrecher wiederholte ich einige Male um mich abzulenken

und sagte vor mich hin: „Fischer's Fritze fischt frische Fische, frische Fische fischt

Fischer's Fritz“. Das Ablenkmanöver war aber nicht von Erfolg gekrönt. Ich rutschte

aus und kugelte die Treppe herunter, das selbst der Besuch auf dem „Ranger“, ei-

nem Überschlagskarussell, dagegen ein glatter Witz gewesen wäre. Sei es drum!

Nachdem ich friedlich gelandet war und ausgesehen haben muss wie jemand von

einem anderen Stern, kam es mir vor, als sei ein ausgewachsenes Pferd über mich

hinweg galoppierend. Dann musste ich lachen. Ein Lachen, das durch die Mauern des

Domes donnerte wie ein greller Blitz, der einen ganzen Baum umgehauen hätte.

Zum Glück jedoch, hatte ich mir nichts gebrochen und außer ein paar blauen Fle-

cken und einer Schürfwunde, war alles heil geblieben. Ich dankte dem Herrn für

sein gnädiges Urteil, und setzte mich wieder in Bewegung. Der Abstieg verlief nun

planmäßig, ohne weitere Vorkommnisse, so als würde der heilige Geist mir den

Weg ebnen. Die Erlösung folgte eine Weile später. Die letzte Stufe war erreicht,

ich küsste sie aus Dankbarkeit als die Letzte zu betretende. Das letzte Kapitel der

Turmbesteigung war vollendet und mit großer Erleichterung verließ ich den Dom

und trat hinaus zurück in die Freiheit.

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Wilhelm Westerkamp).
Der Beitrag wurde von Wilhelm Westerkamp auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.07.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Wilhelm Westerkamp als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Invulatus von Beate Puls



Anna, ein Findelkind, das mit viel Liebe von ihren Eltern aufgezogen wurde, wusste immer, dass sie anders war. Hunde und Katzen nahmen reißaus, wenn sie in der Nähe war. Sie erfreute sich nicht sonderlich vieler Freunde. Ihr ganzes Leben war sie auf der Suche nach sich selbst. Sie meinte die Bösen als Sanitäterin im Strafvollzug zu kennen. Frederick, ein neuer geheimnisvoller Vollzugsteilnehmer zeigt der jungen Frau, was sie für ein Wesen ist. Ein jagendes Wesen der Nacht, dazu da, um Vampiren und Werwölfen das Handwerk zu legen. Den bösen und abartigen Dämonen der Nacht Einhalt zu gebieten. Doch sollte sie das Wagnis eingehen?

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Gesellschaftskritisches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Wilhelm Westerkamp

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Unkultur der Devoten von Wilhelm Westerkamp (Glossen)
irgend etwas ist anders, als sonst ! von Egbert Schmitt (Gesellschaftskritisches)
RENT-A-COMPLIMENT von Andrea Koßmann (Humor)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen