Marina Braun

Moderatorenjob bei "Supermarkt"

Letzte Woche war ich beim Arbeitsamt, um für meine Nachbarin ein Formular abzugeben. Der etwas überarbeitete freundliche Herr am Schreibtisch war überglücklich, „mich“ zu sehen. Wahrscheinlich hatte er eine Menge neue Arbeitsstellen, die es galt, an den Mann, bzw. an die Frau zu bringen. „Welche Tätigkeit möchten Sie ausführen?“ „Ich bin eine hervorragende Moderatorin.“ 

„Sie können sofort in einem Supermarkt als Moderatorin anfangen, bekommen einen Lautsprecher und geben die Preise der Angebote durch.“

„Ach ... wirklich?“ 

Einen Tag später befand ich mich mit meinem neuen Arbeitgeber in dem 4 Quadratmetern riesigen „Aufnahmestudio“ des Supermarktes. 

„Hier haben Sie alles, was sie brauchen, Mikrofon, Preislisten, Angebotslisten und eine kleine Flasche Mineralwasser pro Tag. Wenn Sie mehr trinken möchten, müssen Sie das bezahlen. Machen Sie mindestens 12 Durchsagen pro Stunde. Und machen Sie ja keine Dummheiten!“ 

Und schwupp, weg war er. Verschwunden mit der Meyerschen von der Käsetheke in sein Büro. 

„Test ... “

„Eins, zwei … Test.“

„Eins, zwei drei, Test ... eins, zwei, drei … Verpoorten … Verpoorten aller Orten.“ 

Ja, das machte Spaß! Meine Stimme war wie geölt und da dieser Job kilometerweit unter meinen sonstigen Herausforderungen lag, versuchte ich, noch so viel Spaß wie möglich zu haben, bevor man mich als Hochstaplerin, bzw. Tiefstaplerin enttarnen würde.  

„Heute frische Deichschafe im Angebot, das Kilo für nur schlappe 5 Euro 27. Eine Durchsage an den Herrn an der Kühltheke! Ihre Frau hat soeben hier angerufen und gesagt, Sie möchten bitte einem großen Deichschafs-Braten mitbringen.“ 

Der fette Kerl, der sich bis eben noch über Fischstäbchen und Pommes beugte, sah verdutzt auf und fasste sich mit dem Zeigefinger an seine Stirn. Wahrscheinlich war er Witwer oder Single.  Keine Zeit, ihn weiter zu beobachten.  

„1 A Toilettenpapier, fest und dennoch flauschig. Ich frage mich selbst immer wieder, wie die das herstellen. Sie da mit dem hellen Rock und der gelben Bluse in der dritten Reihe! Brauchen Sie kein Toilettenpapier? Wieso schütteln Sie mit dem Kopf und zeigen auf das billige Recycle Produkt? Ist Ihr Hintern nichts Besseres wert?“ 

Und schon steuerte die Dame mit dem Schmirgelpapier in der Hand die Kasse an und verließ anschließend mit hochrotem Kopf unseren werten Supermarkt.

„SUPERMARKT, ihr freundlicher Produktanbieter schenkt Ihnen beim Einkauf von mehr als 100,- Euro eine formschöne und äußerst stabile Plastiktüte im Wert von ganzen 15 Cent. Greifen Sie zu! Lassen Sie sich dieses Geschenk nicht entgehen! Erst gestern habe ich selbst meine Nichte Eva damit überrascht. Glauben Sie mir, sie war völlig sprachlos.“ 

Ich nahm vorsichtig einen winzigen Schluck aus der kleinen Flasche Mineralwasser und einen großen Schluck aus der selbst mitgebrachten Flasche Framboise, einem köstlichen, französischen Himbeergeist. Jetzt mussten größere Geschütze aufgefahren werden. Kann ja wohl nicht angehen, dass mein Betrug nicht auffällt! 

„Heute in unserer Spezialabteilung: Original GUCCI Schuhe! Beim Kauf von 10 Paar Schuhen erhalten Sie kostenlos eine passende Handtasche dazu!“ 

Die Menschen rasten mit ihren Einkaufswagen durch die Gänge und suchten die „Spezialabteilung“. Handys wurden gezückt und eifrig telefoniert. Ja, so gefällt mir das, so wird unser Supermarkt berühmt. Obwohl der GUCCI Schwindel aufgeflogen war, füllte sich langsam der Laden. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich jemals so viele Kunden hier gesehen hatte. Mir sollte es Recht sein. Lauwarmes Mineralwasser schmeckt äußerst ekelhaft, also trank ich den Framboise pur. 

„Achtung! An alle, die gerne Käse essen! Kaufen Sie Leerdamer! Der Leerdamer muss weg. Nicht, weil er etwa alt ist, sondern weil wir Platz für den neuen brauchen, der übrigens ab nächste Woche 20% teurer wird.“ 

Nach zwanzig Minuten war der Leerdamer ausverkauft. Ebenso die Salami und der gekochte Schinken. Die längst überfälligen Tomaten pries ich als vollreif an und gab dazu noch ein „Geheimrezept meiner italienischen Großmutter“ bekannt. Ein weiterer Schluck Framboise erinnerte mich daran, dass die Flaschen mit alkoholischen  Produkten hier allesamt schon Staub angesetzt hatten.  

„Liebe Kunden, wussten Sie schon, dass Früchte, die in Alkohol eingelegt werden, nicht nur die Anzahl ihrer Vitamine verdreifachen, sondern auch die Wirkung von Viagra ersetzen? Das muss man sich mal vorstellen! Und noch ein kleiner Tipp dazu, wer sich nicht als Schnapsdrossel oder Schlappschwanz outen will, kauft gleich eine Rolle Geschenkpapier dazu.“ 

Ein mir völlig unbekanntes Phänomen trat auf. Die Kunden redeten miteinander. Ich konnte sie hinter der dicken Glasscheibe natürlich nicht verstehen, aber sie deuteten auf die Flaschen, lachten, suchten in den Schnapsregalen, in den Obstreihen und auch nach vergilbten Geschenkpapierrollen.  Nach zwei Stunden war der halbe Laden ausverkauft.  Gerade als ich anfing, die Nichtraucher als potentielle Steuerhinterzieher zu beschimpfen, kam der Chef mit hochrotem Kopf herein gestürmt. Ich erkundigte mich sofort bei ihm, ob das „Gespräch“ mit der Meyerschen erfolgreich verlaufen war.

Die beiden herein stürmenden Verkäufer konnten ihn gerade noch rechtzeitig davon abhalten, mich zu erwürgen. Anscheinend hatte er nur meinen letzten Satz „Wollen Sie wirklich, dass Deutschland vor die Hunde geht, nur weil Sie Nichtraucher sind?“ mitbekommen. 

„Chef! Wir sind ausverkauft! Sie müssen sofort alles nachbestellen! Der Laden ist brechend voll! Die Menschen prügeln sich schon fast um die Lebensmittel. Unsere neue Kollegin ist einfach Spitze, sie könnte eine Moderatorin werden.“ 

„Ja“, röchelte ich unschuldig dreinblickend und krampfhaft bemüht, die knöchrigen und nach der Meyerschen stinkenden Finger von meinem Hals zu lösen, „ich könnte Moderatorin werden.“ 

Zwei Tage später saß meine nette Nachbarin statt meiner vor dem Mikrofon und leierte die Angebote des Supermarktes herunter wie die Alten das Ave Maria in der Kirche. Den riesigen Präsent-Korb mit Salami, Schinken, Sekt und Bananen gab ich natürlich ihr, denn immerhin hatte sie durch meinen Scherz zwei Arbeitstage verloren.  

Vielleicht sollte ich für einen Tag lang in einem Altenheim jobben. Oder in einem Tierheim. Oder in einer Kirche ...

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.07.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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