Artur Hüttemann

Der Junge mit der Zaubergeige

Es ist noch gar nicht lange her, da lebte in einem kleinen Dorf der Oberzent ein Waldarbeiter mit seiner Frau, und sie hatten alle Not, sich und ihren Sohn Eberhard redlich zu ernähren.
Wenngleich der Mann von früh bis spät zur Arbeit in den Wald ging, reichte das spärliche Einkommen weder hinten noch vorne. Zwar schaffte die Frau es immer wieder, eine gute Kartoffelsuppe, einen Eintopf oder einen Streuselkuchen auf den Tisch zu bringen, aber die Sorge um das Nötigste ließen früh ihre Haare ergrauen.
Eberhard half, so gut es ging, indem er mit dem kleinen Leiterwagen Holz am Heuberg sammelte und für ein geringes Entgelt in der benachbarten Stadt verkaufte. Etwas mehr konnte Eberhard mit nach Haus bringen, wenn er von seinen Abnehmern beauftragt wurde, die abgelieferten, armstarken Äste mit der Hand zu sägen und klein zu hacken. Die Mutter war sehr dankbar für diese Unterstützung ihrer Haushaltskasse.
Oft kam der Vater nach schwerer Waldarbeit erst zu später Stunde nach Hause oder manchmal noch später, wenn er erst mit Freunden bei Kartenspiel und Umtrunk beim Adlerwirt den Heimweg fand. Dann wollte die Mutter ihn auch nicht mehr mit ihren Problemen belasten, und so trug sie ihre Sorgen ganz allein aus. Eberhard bekam die wirtschaftliche Not auch nicht bis ins Letzte mit, denn, da er selbst keine großen Ansprüche ans Leben stellte, war er mit dem Wenigen, das Mutter ihm bieten konnte, zufrieden.

Freude am Dasein verschaffte sich der Junge durch seine Streifzüge in der Natur. Tiere zu beobachten war seine größte Freude. Hier fand er ein Lehrbuch des Lebens, dem er vieles abgewinnen konnte. Und noch etwas machte ihm große Freude. Er liebte es, auf seiner Geige zu spielen, und er beherrschte dieses Instrument mit einer solchen Perfektion, dass es die Vögel sogar vorzogen, seinem Spiel zu lauschen, anstatt selbst zu zwitschern und zu jubilieren.
Noch etwas zeichnete den Jungen besonders aus.
Er konnte die Sprache der Waldtiere verstehen. Ein wundersame Begabung, doch als er der Mutter von dieser Erfahrung berichtete, lachte diese ihn lauthals aus und erklärte ihn für einen phantasievollen Spinner. Von da an hatte Eberhard niemandem mehr von dieser Fähigkeit erzählt, und somit blieb diese Besonderheit sein Geheimnis.

Die Witterung des Jahres hatte es mit der Feldfrucht nicht allzu gut gemeint.
Ein zu heißes Frühjahr ließ die Keimlinge in ihrem Garten hinterm Haus verdorren, und ein total verregneter Sommer sorgte dafür, dass die Kartoffeln bereits in der Erde zu faulen begannen, bevor sie geerntet werden konnten.
Als die wirtschaftlichen Sorgen der Frau infolge dessen bald über den Kopf gewachsen waren, sah sie keinen Ausweg, als ihre Sorgen und Nöte mit dem Mann zu besprechen.

Auf der Wanderung nach Darmstadt

„Rolf“, so begann sie eines abends das Gespräch, „Rolf, glaubst du nicht, du könntest unseren Eberhard in der Stadt verdingen? Ich meine, er ist alt genug, um bei einem Handwerker brauchbare Dienste zu tun. Ich weiß sonst nicht, wie ich uns über die Runden bringen soll, und der Winter steht vor der Tür.“
„Ja, du hast recht“, antwortete der Mann, „ich werde mich noch morgen mit ihm aufmachen und nach Darmstadt gehen. Ich kenne dort einen guten Schreiner, der uns bestimmt helfen wird.“
Am nächsten Morgen hatte die Mutter einige Kleinigkeiten im Ranzen des Jungen verstaut, und mit Tränen in den Augen nahm sie Abschied von ihm, als ahnte sie, dass sie ihn für lange Zeit nicht mehr zu Gesicht bekommen würde. Vater und Sohn machten sich auf den Weg. Doch wie sie auf ihrer Wanderung oben auf der Höhe des Otzbergs angekommen waren und kaum noch eine Brotkrume im Ranzen übrig geblieben war, quälte sie der Hunger.
So sehr sie sich auch bemühten, was Essbares aufzutreiben oder zu erjagen, fand sich nichts, womit sie ihre leeren Mägen füllen konnten. Da half es auch nicht, dass Eberhard immer wieder herrliche Melodien auf seiner Geige spielte, abgesehen von dem Vorteil, dass Eberhard wenigstens beim Spielen keinen Hunger verspürte.

Ein Gnom, der von den zauberhaften Klängen des Geigenspiels angelockt worden war, verfolgte die beiden Männer schon seit geraumer Zeit.
Der Berggeist hielt vorsichtshalber etwas Abstand zu den Wanderern, beobachtete sie aber gut.
„Mann“, klagte nun der Vater, „wenn ich doch nur etwas zu essen hätte! Mein Leben würde ich geben, wenn uns jetzt etwas Essbares in die Quere käme!“

Der Berggeist des Otzbergs

Diesen Seufzer hatte der Berggeist deutlich vernommen, und so erschien er nun plötzlich wie aus dem Boden gewachsen vor den beiden und sagte mit krächzender Stimme zum Vater:
„So, dein Leben würdest du geben, wenn euch jemand etwas zu essen geben würde?“ Eberhard erschrak nicht wenig. Vor Ihnen stand ein hässlicher Berggeist mit buckliger Figur, um dessen Hals eine schwere goldene Münzkette hing.
„Wer bist du, und woher kommst du so plötzlich?“ fragte der Vater überrascht.
„Ich bin Gulak, der Berggeist des Otzbergs. So, so, dein Leben willst du verschenken. Nun denn, ich habe so viel zu essen für euch, mehr als ihr jemals verschlingen könnt. Ich will es euch vielleicht geben, doch sagt mir zuerst, was ihr hier im Odenwald sucht.“
Der Vater nahm den Gnom ein wenig zur Seite und berichtete ihm von den Sorgen seiner Familie und der Notwendigkeit, den Sohn ins Verdienen zu bringen.
Der Gnom, oder sagen wir zutreffender, der Bergkönig, wiegte sein großes Haupt hin und her und sagte dann zu dem Mann:
„Ich kann euch helfen, wenn du mir deinen Sohn für die Dauer eines Jahres zu Diensten lässt. Wenn es deinem Sohn gefällt, kann er zum Ende des nächsten Jahres wieder bei euch sein.“
Der Vater überlegte kurz. Nachdem der Bergkönig dem besorgten Vater den vereinbarten Lohn für zwölf Monate im voraus in die Hand legte, war der Vertrag schon bald beschlossene Sache.
Der Vater ging nun zu seinem Sohn, der sich bislang nicht in das Gespräch einmischen wollte und erzählte ihm von seinem Abkommen mit dem Berggeist.
“Wie soll das gehen?“ fragte Eberhard voller Unbehagen, „was wird mit mir in den nächsten Monaten geschehen?“
Noch bevor der Vater die Antwort geben konnte, hörte er den Gnom sagen: „Du sollst mir nur dienen und mich mit deinem schönen Geigenspiel erfreuen, das ist alles.“
„Ja, wenn es nicht mehr ist, dann will ich dem Handel gerne zustimmen.“
Der Gnom streckte dem Vater und Eberhard seine Hand zum Zeichen des Einverständnisses entgegen.
Als Eberhard einschlug, hatte er das Gefühl, einen dürren Ast in der Hand zu halten.
Kaum war der Handel besiegelt, sahen sie einen voll gedeckten Tisch mit allerlei schmackhaften, deftigen Speisen und einem Brot so frisch und knusprig, dass mir selbst heute beim Erzählen dieser seltsamen Begebenheit noch das Wasser im Mund zusammenläuft.
Die Männer schlugen sich die Bäuche voll, rülpsten recht unflätig und legten sich danach mit dem Kopf auf das noch grüne und von der Sonne leicht erwärmte Moos.

In der Halle des Bergkönigs

Als Eberhard seine Augen wieder aufschlug, blickte er gegen eine mit Efeu bedeckte feuchte Wand einer Berghöhle. Noch im Sitzen überlegte er, wo sein Vater sein könnte und wo er selbst hier wohl sei, als der Gnom wieder vor ihm stand und sprach:
„Auf mein Freund, lass dein Geigenspiel erklingen!“
„Ach so, ja,“, kam es Eberhard in den Sinn, „ich habe mich ja für die nächste Zeit bei ihm als Musikant verdungen. Na ja, dann spiele ich ihm eben auf.“
Eberhard ließ die Saiten seiner Zaubergeige erklingen, und die seltsam schönen Töne brachen sich an der Felswand und tönten weiter in das weite Innere des Höhlenganges.
An den Wänden der Höhle waren viele Fackeln entzündet und erleuchteten ein Felsplateau, auf dem sich nach und nach immer mehr Berggeister zum Tanz aufreihten.
„Spiel, mein Junge, spiele deine Geige! Spiel noch schneller und schneller, wir wollen fröhlich sein!“ so rief der Berggeist, und mit ihm tanzten Erdgeister und Feen.
Draußen wurde es Tag, und mit dem ersten Sonnenstrahl verschwanden die Geister und Eberhard saß allein mit seiner Geige vor reich gedecktem Tische.
So ging das viele Tage und Monate.
Der Bergkönig hatte sein anfängliches Misstrauen gegen Eberhards Neugier verloren, Oft ließ er ihn tagelang allein, bis er wieder einmal von der Lust gepackt wurde, nach den Klängen der Geige wie wild zu tanzen.

Die Gefangenen des Bergkönigs

Eines Tages, als Eberhard das Innere der Höhle etwas näher erkundete, hielt er verwundert inne.
„Hörte ich da eben nicht Hundegebell?“ fragte er sich, „höre ich nicht ein leises Weinen?“ Er blieb stehen blickte sich im Kreis um und sah, dass er ganz alleine war. Wieder ertönte Hundegewinsel aus dem Inneren der Berghöhle. Eberhard ging näher und hörte zu seinem Erstaunen, wie ein Hund winselnd sein Leid klagte:

„Auf ewig bin ich hier gefangen und kann den Himmel nie mehr sehn,
könnt ich ans Tageslicht gelangen, ich wollt´ zu meiner Liebsten gehen.
Könnt´ mich doch einer hier erretten, ich will ihm ewig Dank erweisen,
und ihn auf güldne Daunen betten, würd´ er die Ketten mir zerreißen.“

„Seltsam, äußerst seltsam“, dachte Eberhard „ein verzauberter Mensch“, und er nahm sich vor, den kleinen Hund schon recht bald von seinen Ketten zu befreien, denn ihm war klar, dass es sich hier nicht um einen normalen Hund handeln würde. Aber was ihn im Moment noch mehr interessierte, war das Schluchzen und Weinen aus der hinteren Halle des Bergkönigs. Nun war das Weinen deutlich vor seinen Ohren, als er seitwärts in eine kleine Höhlennische blickte.
In einem goldenen Käfig saß ein wunderschöner Papagei, der Eberhard sofort sein Leid klagte:
„Wir sind Gefangene des Bergkönigs, gefangen wie du. Du aber darfst dich frei bewegen, während mein Geliebter und ich hier hinter Gittern und an der Kette gehalten werden. Sieh dort hinten, weit hinten in der Berghöhle wirst du hinter das Geheimnis des Bergkönigs kommen. Aber gib acht, wenn der Gnom erkennt, dass du sein Geheimnis gelüftet hast, wird er dich ebenfalls verwandeln, dich in Ketten legen und für immer einsperren. Bist du aber der Retter, auf den ich gewartet habe, dann befreie uns schnell von unserer Knechtschaft und der Willkür des Bergkönigs.“
„Ich komme wieder“, versprach Eberhard, der nun doch reichlich irritiert war nach dem, was er hier zu hören bekam.
Vorsichtig tastete er sich weiter und weiter in das Innere der Höhle.
Von weitem hörte er scharrende Geräusche und dann das vielstimmige Wimmern und Kreischen vieler Tierstimmen. Durch einen Felsspalt drang ein müdes Licht. Was Eberhard durch diesen Spalt erkennen konnte, verschlug ihm fast den Atem. Tausende von Ratten waren hier bei Fackelschein damit beschäftigt, die lehmige Erde über einer Goldader abzutragen, die hier im Erdinneren ihren Verlauf nahm. Affenähnliche Wesen schlugen Brocken des Goldes aus der Ader, und wiederum andere erhitzten das Gold in großen Kübeln und Kesseln, unter denen ein Feuer mit großen Blasebälgen zu grimmiger Hitze entfesselt wurde. Eine Gruppe von Erdhörnchen goss das flüssige Gold in bereitgestellte Formen.
Das also war das Geheimnis der Bergkönigs, von dem der Papagei gesprochen hatte.
Nachdem Eberhard dem vielseitigen Stimmengewirr bislang nichts Verständliches entnehmen konnte, näherte er sich jetzt vorsichtig einer kleinen Randgruppe, die sich um einen Bergquell geschart hatte.
„Wie lange müssen wir das hier noch ertragen?“, hörte Eberhard eine der Ratten fragen.
„Gib Ruh“, so antwortete eine andere, „oder willst du ein Opfer der gefräßigen Bussarde werden, die über dem Otzberg nur darauf warten, dass einer von uns aufmüpfig wird! Glaubt mir, keiner von uns wird je die Heimat wieder sehen. Macht euch das klar, dann erträgt sich vieles leichter.“
Wie gerne hätte Eberhard sich in diesem Moment an die Verzweifelten gewandt, aber das Knarren einer großen Eisentür machte deutlich, dass in diesem Moment der Bergkönig wieder in die Halle zurückgekommen war. Also schlich sich Eberhard wieder nach vorne und saß bereits gemütlich auf seinem Fell, als der Gnom ins Licht trat.

Die Macht der Münze

„Warum schweigt deine Geige? Spiel mir ein Lied zu meiner Freude, junger Freund!“
„Was ich euch schon lange fragen wollte“, sagte nun Eberhard zu dem Berggeist, „was habt ihr da für eine wunderbare Kette um euren Hals hängen? Ist die nicht viel zu schwer für euch?“
„Du willst wissen, was das für eine Kette ist? Das ist die Kette meiner Macht und Herrlichkeit, ein Kleinod, an dem ich hänge, nicht etwa umgekehrt.“
Eberhard verstand diese Worte nicht. Da er aber den Bergkönig nicht verärgern wollte, nahm er den Bogen zur Hand und spielte mit viel Hingabe.
Eberhard spielte Melodien voller Melancholie, die auf den Gnom eine solche beruhigende Wirkung hatten, dass dieser laut schnarchend in einen tiefen Schlaf versank.
Noch während Eberhard leise weiter spielte, näherte er sich behutsam der schlafenden Gestalt und nahm die Kette gründlich in Augenschein.
Das schwere Stück bestand aus lauter einzelnen Münzen mit seltsamen Gravierungen, deren Bedeutung Eberhard aber nicht verstand. Er legte die Geige behutsam zu seinen Füßen und löste die Kette vorsichtig vom Hals des Bergkönigs. Zu seinem Erstaunen empfand Eberhard ein seltsam kribbliges Gefühl, als er sich die Kette um den Hals legte.
„Hu, was war das?“ fragte er sich, als er spürte, dass die Kette magische Kräfte in ihm auszulösen im Begriff war.
Der Bergkönig zu seinen Füßen verwandelte sich augenblicklich zu einer großen Ratte, die mit grellem Pfiff vor Eberhard zurückwich.
„Gib mir meine Kette wieder, du Schuft!“, hörte Eberhard die Ratte pfeifen.
„Es ist meine Kette, gib sie mir wieder!“
„Erst, wenn du mir verrätst, was es hier mit den Tieren auf sich hat, die du in deinem Bergwerk so elend gefangen hältst!“ „Geheimnis, geheimnisvolle Zauberkraft, die dem Entdecker Ärger schafft!“ pfiff die Ratte und sprang im Kreise.
Eberhard war an und für sich ein friedfertiger Geselle und zeigte sich bereit, dem Gnom in Gestalt der Ratte die Kette wiederzugeben, wenn dieser ihm sein Wort gäbe, ihn nicht wie die anderen zu verwünschen. Der Gnom versprach ewige Freundschaft.
Als Eberhard die Kette wieder von seinem Hals nahm, um sie der Ratte umzulegen, fiel ihm zufällig eine der Münzen der Kette in die Hand.
„Ein schönes Andenken an mein verrücktes Abenteuer“, dachte Eberhard und verwahrte die Münze schnell in seiner Hosentasche. Dann legte er die Kette über die Ratte.
Mit einemmal wandelte sich die Ratte wieder zurück in die bucklige Gestalt des Berggeistes, der nun ärgerlich auf Eberhard zukam.
„Was fällt dir ein, mein Geheimnis lüften zu wollen, du einfältiger und dummer Erdling?“
Und der Gnom brach sein Wort und rief im vollen Zorn: „Auch du sollst verflucht sein und mir als Ratte ewige Sklavendienste tun!“
Er sprach eine Zauberformel, die Eberhard mit grauen Rauchschwaden umhüllte. Doch der Zauber des Bergkönigs verfehlte seine Wirkung, und der Gnom stampfte mit den Füßen wütend auf den harten Höhlenboden, dass der ganze Otzberg erbebte.
Wieder und wieder versuchte es der Gnom mit neuen Zauberformeln, aber Eberhard blieb wie er war. Sein Schutz lag darin begründet, dass er eine Münze aus der Zauberkette behalten hatte, ein Umstand, der dem Bergkönig verborgen blieb.
„Verfluchte Tat“, brüllte der Gnom, „warum tust du mir das an? Habe ich dich nicht mit allem versorgt, was du brauchtest?“
Mit diesen Worten drehte sich der Gnom wütend auf einem Bein herum und huschte in den hinteren Teil der Berghöhle.
Eberhard musste sich erst einmal hinsetzen.
„Was für ein Zauber?“ dachte er und zog vorsichtig die goldene Münze aus seiner Hosentasche. Kaum aber hatte er die Münze in der Hand, erglänzte sie wie ein Spiegel. Doch, anstatt sein eigenes Gesicht sehen zu können, sah Eberhard den Gnom, wie dieser sich mit wütenden Attacken gegen die Ratten im Bergwerk wandte, um an ihnen seine ganze Wut auszulassen.
Jetzt dachte Eberhard an die Worte des Papageien und siehe da, das Bildnis des Papageien erschien auf der Münze.
„Seltsam, dieser Zauber!“ wiederholte sich Eberhard, als die Stimme des Papageien zu hören war.
„Wann befreist du uns? Jetzt ist die Zeit gekommen, vergiss uns nicht!“
Als Eberhard bemerkte, dass jemand wieder die Berghöhle entlanggeschlürft kam, verbarg er schnell seine Münze in der Hosentasche, nahm seine Geige und spielte eine lustige Melodie.
„Brav, mein Junge, brav!“ rief der Bergkönig, der beim Klang der Zaubergeige offensichtlich alles vergessen hatte, was noch vor wenigen Augenblicken hier geschehen war. Eberhard erkannte mit einemmal, dass er selbst imstande war, den Berggeist mit seinem Spiel zu verzaubern.
Jetzt war Eberhard bewusst geworden, dass für ihn keine Gefahr drohte, solange er auf seiner Geige spielte, wenn der Gnom in der Nähe war. Nachdem die Zeit seines Dienstes beim Bergkönig so langsam zur Neige ging, gab Eberhard dem Gnom zu verstehen, dass er nach Ablauf seiner Zeit nach Hause zurückkehren wolle.
„Ja, geh, wenn du kannst, wann immer du willst!“ erwiderte der Gnom.
Als Eberhard am Morgen des nächsten Tages erwachte, seinen Ranzen packte und die Höhle verlassen wollte, fand er den Ausgang nicht. Wo gestern noch Lichteinfall zu sehen war, herrschte heute tiefe Dunkelheit. Der Höhlenzugang war total verschüttet.
„Aha, daher weht der Wind“, murmelte Eberhard, „jetzt verstehe ich, was der Gnom meinte, wenn er sagte: Geh, wenn du kannst!“

Die Flucht aus der Halle des Bergkönigs

Verstört blickte sich der junge Mann in der Höhle um, aber er konnte nicht einen Lichtblick erkennen, und nur die Fackeln an den Wänden spendeten mit ihrem Züngeln ein geisterhaftes Licht. Zum Glück fiel Eberhard die Wunderkraft seiner Münze ein, die er ja immer noch in seiner Hosentasche hatte. Er nahm die Münze in die Hand und dachte an einen Ausweg aus der Höhle des Bergkönigs. Da zeigte sich wieder die glänzend spiegelnde Oberfläche der Münze, auf der Eberhard nun einen Felsspalt sah, aus dem ein klarer Bergbach ins Freie austrat.
Jetzt erinnerte er sich an jenen Quell, aus dem die Ratten im Bergwerk getrunken hatten, und er machte sich auf den Weg ins Berginnere.
Am Käfig des Papageien angekommen, stemmte er das goldene Schloss auf und entließ den Vogel aus seinem Gefängnis.
Kaum war der Papagei befreit, verwandelte er sich in eine schöne Maid, die Eberhard nach dem Verbleib ihres Liebsten befragte.
„Ach ja, der Hund“, fiel es nun Eberhard wieder ein, „ihn wollte ich ja auch noch befreien,“ und er führte das Mädchen zu dem Zwinger, in dem sich ihr Liebster befand. Kaum sah dieser das Mädchen befreit, hob er ein glückliches Jaulen und Bellen an, sprang an der Vergitterung hoch und bedrängte nun Eberhard, ihn sogleich auch aus seinem bösen Zauber zu befreien.
Diesmal benötigte Eberhard all seine Kräfte, um das schwere Schloss aufzubrechen, das den Zwinger versperrt hielt. Doch mit dem Krachen des Verschlusses verwandelte sich der Hund in einen jungen Grafen, der nach inniger Umarmung mit dem Mädchen nun gemeinsam mit Eberhard nach einer Fluchtmöglichkeit aus der Höhle suchte.

Vorsichtig und darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, begaben sich die drei nun in den Bereich des Bergwerks, wo Eberhard auch bald den kleinen Bergquell entdeckte, der sie in die Freiheit bringen sollte. Zum Glück führte der Lauf des Wassers aus dem abgeschlossenen Bereich in die große Halle des Bergkönigs zurück, so dass sie dem Bach weiter folgen konnten. Bald wurde das Wasser tiefer und tiefer, bis es sich schließlich gurgelnd im roten Gestein verlor.
Eberhard schaute noch einmal auf seine Zaubermünze und erkannte, dass sie genau an jene Stelle gelangt waren, wo das Wasser sie in die Freiheit führen konnte. Nun hieß es, in das Wasser zu gehen und im Tauchen den Fels zu überwinden.
Der junge Graf ging als Erster, um sicherzustellen, dass draußen in der Freiheit auch keine Gefahr auf sie lauern würde. Er holte tief Luft und ließ sich dann in den Strom des Baches gleiten. Über ein, zwei Ecken führte der Bachlauf, um dann mit Gefälle in einen flachen See zu stürzen.
Als der junge Mann festen Boden unter den Füßen verspürte, sah er sich nach allen Seiten um und erkannte zu seiner Erleichterung, dass von keiner Seite Gefahr drohte. Jetzt konnte er auch sein Mädchen sehen, das ebenfalls wohlbehalten im See gelandet war.
„Wo bleibt Eberhard?“ rief der junge Graf, von ihrem Retter blieb lange nichts zu sehen.
Eberhard war noch einmal ins Bergwerk zurückgegangen, hatte den Felsspalt mit sehr viel Mühe so weit erweitert, dass jedes der hier eingesperrten Tieren jetzt entkommen konnte.
Mehrmals musste er sehr laut rufen, bis die Tiere seinen Ruf endlich wahrnahmen.
„Eilt euch!“ so rief Eberhard den Affen, Ratten und Erdhörnchen zu, „springt in den Bach, er wird euch in die Freiheit bringen. Aber macht euch auf die Beine, seht zu, dass ihr Land gewinnt!“
Draußen im flachen See trauten die beiden Geretteten ihren Augen nicht. Immer wieder purzelten Kinder in den See, erst eines, dann gleich drei auf einmal und so weiter.
Wie sich bald herausstellte, handelte es sich hierbei um Jugendliche, die seit langem einer nach dem andern im Wald verschwunden waren. So sehr ihre Eltern auch nach ihnen gesucht hatten, sie wurden niemals gefunden. Kein Wunder, der Gnom hatte sie gefangen genommen, sobald er nur eines von ihnen im Wald erwischen konnte, hatte er sie zu jenen Sklaven in Tiergestalt verzaubert, die Eberhard jetzt befreit hatte.
Endlich kam auch er die Felsrutsche herunter und riet nun den wild daher schwatzenden Kindern, eilig nach Hause zu ihren Eltern zu laufen.
Auch Eberhard und seine glücklichen Begleiter machten sich auf den Heimweg. Zuvor hatte Eberhard ein kleines Feuer angefacht, damit sie sich schnell die nassen Kleider am Leib trocknen konnten.
Nun erzählte der junge Graf Eberhard auf dessen Frage, wie sie, das Mädchen und er, in die Hände des Bergkönigs gefallen waren.

Die Gefangennahme

„Es war an einem lauen Sommerabend, als Johanna und ich am Otzberg ausgeritten waren. Wir stiegen an einem beschaulichen Plätzchen ab und hängten die Zügel der Pferde lose um einen Strauch. Nach einer kleinen Weile hörten wir ein scharfes zischendes Geräusch, das unsere Pferde zum Scheuen brachte, so dass sie in wildem Galopp davon jagten. Auf der Suche nach den Pferden bemerkten wir, dass wir weit vom Weg abgekommen waren. Ehrlich gesagt, wir hatten uns bald verlaufen.
Inzwischen war es draußen so dunkel geworden und das Mondlicht hinter dichtem Gewölk versteckt, dass wir uns ständig nur im Kreis bewegten. Ich weiß noch genau, wie ich damals mit den Worten zum Himmel um Hilfe gerufen hatte: Ich gebe alles darum, könnten wir wieder aus diesem finsteren Wald herausfinden!
Kaum hatte ich diese Bitte ausgesprochen, war uns der Bergkönig in der Gestalt eines Gnom erschienen und versprach Rettung, wenn wir ihm für kurze Zeit als Gesellschaft dienen würden. In unserer Not willigten wir damals ein und kamen so in die Welt des Bergkönigs. Schon bald kamen wir hinter sein Geheimnis und wollten die dort gefangenen Seelen retten, als wir von diesem Gnom überrascht wurden und er uns zur Strafe in jene Tiere verwandelte, die du nun heute befreien konntest.
Das werden wir dir reich lohnen, wenn wir zurück im gräflichen Schloss in Erbach sind.“
Nun erzählte auch Eberhard seine Geschichte, doch das Geheimnis seiner Zaubermünze behielt er wohlweislich für sich.

Inzwischen waren die drei an einer Weggabelung der Spreng angelangt, wo Eberhard sich mit dem Versprechen verabschiedete, schon bald einmal Gast im Schloss der Grafen zu Erbach zu sein. Wenngleich der junge Graf darauf gedrängt hatte, dass Eberhard sogleich den Dank seiner Familie im Schloss entgegennehmen sollte, bestand Eberhard darauf, erst einmal eigene Wege gehen zu dürfen. Ihm war nämlich eine Idee gekommen, der er erst nachgehen wollte, bevor er wieder nach Hause gehen würde.

Blick ins Elternhaus

Wieder alleine, hockte er sich auf einen warmen Baumstumpf, nahm seine goldene Münze heraus und befragte sie nach seinem Zuhause.
Der Blick fiel auf das Bild der kleinen Wohnküche, in der die Mutter gerade zum Vater sagte:
„Schade, dass unser Eberhard wohl erst zum Ende des Jahres aus den Diensten der Schreinerlehre entlassen wird. Weißt du, Mann, was mich wundert? Dass er nicht ein Lebenszeichen von sich gegeben hat. Hätte er uns nicht einmal über die Marktfrauen, die Woche für Woche aus den Dörfern des Odenwalds zum Darmstädter Obst- und Gemüsemarkt gehen, eine Nachricht zukommen lassen können? Na ja, dann werden wir dieses Weihnachten noch einmal ohne ihn begehen. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen!“
Der Vater, der ja wusste, dass sein Sohn in den Diensten des Berggeistes weilte, tröstete sie.
„Nun gut“, sagte darauf die Mutter, „dann werde ich jetzt gleich einmal auf den Michelstädter Weihnachtsmarkt gehen, um meine selbstgemachten Adventskränze zu verkaufen. Vielleicht finde ich ja auch eine Kleinigkeit im Tausch für uns, damit wir auch eine Überraschung am Heiligen Abend haben.“
Eberhard sah, wie die Mutter das Haus verließ.

Schatzsuche

Jetzt schaute er wieder auf seine spiegelnde Münze und dachte an einen verborgenen Schatz in der Nähe.
Kaum hatten diese Gedanken seinen Kopf verlassen, wies das Bild der Münze auf eine in einem kleinen Hügel vergrabene Schatulle. Eberhard glaubte, den Ort am Ebertsgraben zu kennen, den der Spiegel zeigte und ging sogleich los.
Im Graben, etwas unterhalb von Momart fand sich die Stelle, die der Spiegel gezeigt hatte, und mit einem flachen Stein war die Schatulle schnell ausgegraben. Der Verschluss war leicht zu öffnen.
In dem kostbaren Behältnis fand Eberhard viele kleine Goldmünzen, die er in seinen weiten Hosentaschen verwahrte. Gut, dass er gewohnt war, Hosenträger zu tragen, sonst wäre ihm die schwer gewordene Hose sicher vom Hintern gerutscht.
Eberhard machte sich gleich auf den Weg, um über den Kreuzgraben und Heuberg schnurstracks nach Michelstadt auf den Weihnachtsmarkt zu gelangen. Dort auf dem Markt angekommen, kaufte er sich einen langen schwarzen Mantel, der ihn gegen die winterliche Kälte des Abends schützen sollte und einen schwarzen Hut, den er sich tief in die Stirne zog. So eingekleidet konnte ihn selbst die Mutter nicht erkennen, von der er hoffte, sie hier auf dem Weihnachtsmarkt zu treffen. Heute wollte sich Eberhard noch nicht zu erkennen geben, die Überraschung seiner Rückkehr sollte tatsächlich erst am Heiligen Abend erfolgen, und bis dahin waren noch einige Tage Zeit, die er noch zum Vorteil der Familie voll ausnutzen wollte.
Plötzlich blieb Eberhard wie angewurzelt stehen.
„Steht da nicht Mutter?“ murmelte er und ging leise von hinten an die Frau heran, die nun, ohne Kränze in der Hand an einer Bude mit mundgeblasenem Christbaumschmuck stand.
„Wie sie handeln kann“, dachte Eberhard, als er mitbekam, wie die Mutter um den Erwerb einiger Kugeln und einer gläsernen Christbaumspitze feilschte.
„Mein Gott“, sagte sie gerade, „was glauben Sie, wir haben schließlich keinen Goldesel, der güldene Münzen speit. Nein, zehn Kupferstücke, mehr ist nicht drin!“
„Gut, aber ohne die Spitze, dann wird es gehen!“
Eberhard hatte dicht hinter der Mutter das Gedränge der Leute ausgenutzt und sich unbemerkt der schmalen Geldbörse bemächtigt, die seine Mutter leichtsinniger Weise oben auf ihrem Korb liegen hatte.
Noch während die Mutter mit dem Handel beschäftigt war, hatte er ihre Kupferpfennige gegen die gleiche Anzahl gleichgroßer Goldmünzen ausgetauscht. Vorsichtig legte er den Geldbeutel wieder zurück, als die Mutter auch schon in den Korb griff. Mit einem Seufzer öffnete sie den Beutel, um sich schweren Herzens von ihrem mühsam erarbeiteten Geld zu trennen und legte die Münzen in die Hand des Händlers aus dem Erzgebirge.
Gerade wollte der Mann das Geld nachzählen, als er erschrocken innehielt.
„Eh, gnädige Frau“, stammelte er, „Gräfin, Hochwohlgeboren, das ist zuviel.
Zehn Kupferpfennige waren der Preis, den wir ausgemacht haben.
Für diese Münzen kann ich Ihnen den ganzen Baumschmuck hier mitgeben!“
Eberhards Mutter glaubte, nicht recht verstanden zu haben und fragte:
„Wie viel gab ich ihnen?“
„Diese zehn Goldmünzen, gnädige Herrin! Doch meine Kasseneinnahme des heutigen Tages erlaubt es mir nicht, ihnen auf eine ihrer Goldmünzen passend heraus zu geben.“
Die Frau verstand die Welt nicht mehr.
Erst nahm sie zögerlich die Goldmünzen wieder an sich, dann schaute sie verwundert in ihre nun leere Geldbörse und sagte zu dem Händler:
„Nun, dann geben sie mir eben auch die Christbaumspitze, die ich noch haben wollte und dazu ein paar Glaskugeln. Behalten sie den Rest einer Münze. Auch sie sollen Anteil am Wunder dieses Tages haben.“
Der alte Mann packte eilfertig den Christbaumschmuck zusammen, legte noch drei gläserne Engelsfiguren hinzu und bedankte sich vielmals für die Großzügigkeit der feinen Dame, die sich sicher inkognito hinter armen Kleidern verborgen hielt.
Eberhard wandte der Mutter den Rücken zu, als er bemerkte, dass sie sich zum Gehen umdrehte. Der Händler aber besah sich das kleine Goldstück immer und immer wieder und murmelte aufgeregt:
„Es war bestimmt die Gräfin, die mich heute so reichlich beschenkt hat. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.“
Eberhards Mutter aber kaufte noch allerlei Brauchbares für sich und ihren Mann und kehrte reich beladen am späten Abend nach Hause zurück.
Gut, dass ihr Mann zu dieser Stunde im Wirtshaus saß, so konnte sie all die Geschenke und ebenso den schönen Christbaumschmuck sicher verstecken, damit ihr die Weihnachtsüberraschung am Heiligen Abend auch gelingen konnte.

Eberhard schlenderte noch ein wenig über den Markt und gönnte sich die eine oder andere Leckerei, von denen er in seinen Kindertagen immer nur träumen konnte.



Der Schatz am Eselspfad

Im Gasthaus zu den drei Hasen fand er für die Nacht eine Bleibe, um dann am nächsten Morgen noch einmal in den nahen Wald zu gehen.
Am Abend zuvor hatte er sich den Ort eines vergrabenen Schatzes vorgestellt, und sogleich hatte sein Münzspiegel eine Stelle preisgegeben, an der fahrende Kaufleute in Not ihre Truhe vor angreifenden Räubern vergraben hatten. Sicher hatte keiner von ihnen den Überfall überlebt, nachdem sie wohl nicht gewillt waren, das Versteck ihres Schatzes zu verraten. Seitwärts vom Eselspfad musste Eberhard tief im steinigen Boden graben, bis er schließlich auf die Reste einer inzwischen verrotteten Holztruhe stieß.
Was sein Graben hier an den Tag beförderte, verschlug ihm erneut den Atem.
Perlenketten, Goldreifen, farbenprächtige Edelsteine und Juwelen lagen zwischen Goldmünzen und reich geschmückten Ringen der verschiedensten Kunstfertigkeit.
„Mein Gott“, sagte Eberhard voller Überraschung, „soviel Gold und Silber hat wohl lange kein Mensch in unserem Land zu sehen bekommen! Jetzt habe ich alle Mittel und Möglichkeiten, mich und die Eltern endlich von Armut, Not und Sorgen zu befreien.“
Er packte den gesamten Fund sorgsam in lederne Taschen, die er einem Wallach auflegte, den er zuvor von einem Rosshändler in Erbach erworben hatte und ritt in Richtung Kuniche zurück.
Unterwegs befragte er wieder seine Zaubermünze nach einer stattlichen Villa, die in diesen Tagen zum Verkauf anstand.
Ein prächtiges Anwesen wurde tatsächlich gerade an diesem Tag am Stadtrand von Kuniche zum Verkauf angeboten.
Das Bildnis der Münze führte ihn geradewegs zu einer Auktion, in deren Verlauf wertvolles Mobiliar und ein herrschaftliches Haus selbst versteigert werden sollte. Was immer die Bieter auch boten, Eberhard überbot sie und war am Nachmittag stolzer Besitzer einer schönen Villa unweit des kleinen Dorfes mit der armen Hütte seiner Eltern.

Die Heimkehr des Sohnes

Am Heiligen Abend, als die Mutter noch damit beschäftigt war, ein Stück Ochsenbrust in der Pfanne zu schmoren, klopfte es an ihrer Haustür.
„Papa, kannst du mal nachsehen, wer draußen ist?“ rief sie ihrem Mann zu, der gerade damit beschäftigt war, seine zerbrochene Pfeife zu reparieren.
Fast ein wenig ärgerlich erhob sich der Mann, fühlte er sich doch bei seinem Klebevorhaben gestört.
„Mein Gott“, entfuhr es ihm aber, als er seinen Sohn, früher als erwartet, vor sich stehen sah. „Mein Gott, du bist zurück und hast alles gut überstanden“, sagte der Vater und nahm seinen Sohn in beide Arme.
„Sieh, Mutter“, rief er in die Stube, „sieh, wer heute am Heiligen Abend zurückgekommen ist.“
Eberhards Mutter band sich schnell die Schürze ab und kam neugierig zur Haustür.
„Eberhard, mein Sohn“, rief sie überglücklich und umarmte ihn herzlich. Komm, setz dich und erzähl uns, wie es dir in Darmstadt ergangen ist. Warum hast du dich nicht einmal gemeldet?“
Aber, bevor Eberhard nach einer glaubhaften Entschuldigung suchen konnte, sprach die Mutter weiter und hätte fast das Fleisch auf dem Herd anbrennen lassen, hätte nicht ein scharfer Geruch sie an ihre Küchenarbeit erinnert.
Bald war das Essen aufgetragen, das verständlicherweise für jeden von ihnen etwas knapp ausfiel, da es ja eigentlich auch nur für zwei Mäuler gedacht war, und Mutter erzählte von ihrem Wunder, das ihr am Abend auf dem Michelstädter Weihnachtsmarkt begegnet war.
Dann musste Eberhard erzählen. Er erfand eine glaubhafte Geschichte, von der nur der Vater und er selbst wussten, dass sie zum Großteil erfunden war, um die Mutter nicht zu erschrecken.
Bald kam die Stunde der Bescherung.
Die Mutter bat ihre Männer, doch mal für wenige Minuten hinaus in den frisch gefallenen Schnee zu gehen.
„Ihr habt euch sicher noch viel zu erzählen“, sagte sie, bevor sie die Haustür ins Schloss fallen ließ.
„Du, Eberhard, was ich dich noch fragen wollte“, sagte der Vater, als sie sich unbelauscht wussten, „wie war das damals, als der Gnom dich mit in sein Reich nahm? Als ich an jenem Tag zu mir kam, war keiner von euch mehr zu sehen und ich allein auf dem Moos. Ich war damals sehr in Sorge, als ich mich wieder auf den Heimweg machte.“
Eberhard erzählte, was er im Erwachen in der Berghöhle erlebt hatte.

Die Mutter rief ihre Männer wieder ins Haus.
Den Weihnachtsbaum hatte sie schon am Nachmittag im Schlafzimmer geschmückt, nun hatte sie ihn behutsam in die Wohnküche getragen und die Geschenke, die sie auf dem Weihnachtsmarkt gekauft hatte, liebevoll unter den Baum gelegt.
Noch im Flur bat nun Eberhard seine Eltern, gemeinsam im Schlafzimmer zu warten, bis auch er einige Kleinigkeiten unter den Baum gelegt habe.

Ihr glaubt es nicht, wie aufgeregt Vater und Mutter waren und mit wie viel Liebe sie sich unter dem flackernden Licht des Tannenbaums in die Arme fielen.
Eberhard fand einen von der Mutter selbst gestrickten Schal, Vater Socken und einen warmen Pullover und einen Lederkasten, in dem vier wertvolle Pfeifen unterschiedlicher Ausführung und Form, eine sogar aus weißem Meerschaum, auf rotem Samt gebettet lagen.
Die Mutter fand einen Rock, eine weiße Bluse und jene Halskette mit Perlen besetzt, die ihr schon auf dem Weihnachtsmarkt so sehr gefallen hatte, die sie sich aber aus Kostengründen dann schließlich doch nicht gekauft hatte.
„Mein Gott, ist das eine gesegnete Weihnacht“, schluchzte sie und weinte Tränen des Glücks und der Dankbarkeit.
„Das schönste Weihnachtsfest, das ich je erlebt habe“, sagte der Vater und umarmte seine Frau und den Sohn voller Glückseligkeit. Auch er schämte sich seiner Tränen nicht.

Noch lange saßen sie an diesem Abend beisammen, bis sie die Glocke der kleinen Kapelle am Kirchweg zur Heiligen Messe rief.

Ende gut, alles gut

Bleibt noch zu sagen, dass Eberhard bald die Eltern in seine schöne Villa aufnahm, dass kurze Zeit darauf eine hübsche Schwiegertochter ins Haus kam und bald drei kleine Enkel.
Nun gab es neue Aufgaben für die Großeltern.
Die finanzielle Unabhängigkeit der Familie machte es möglich, dass auch der Vater nicht mehr in die beschwerliche Waldarbeit gehen musste, und so konnte er sich ganz dem Spiel und der Erziehung der Enkel widmen, die Eltern wie Großeltern noch viel Freude bringen sollten.

Wann immer aber die Kinder nicht einschlafen wollten oder sich stritten, was manchmal ja sogar in den besten Familien vorkommen soll, dann holte Eberhard seine Geige hervor und spielte wunderbare Melodien, die bald Harmonie, Eintracht und Frieden in die Gemüter der kleinen Streithähne brachten.

Wann immer die Mittel des inzwischen wohlhabenden Haushalts zur Neige gingen, fragte Eberhard seine sorgsam gehütete Zaubermünze nach weiteren vergrabenen Schätzen und blieb so ein reicher Mann über alle Jahre seines Lebens.
Vom Bergkönig hat er nie in seinem Leben wieder gehört, ja man erzählte sich im Ort, dass ein Teil des Otzbergs eingestürzt sei, nachdem dort unter dem Berg nicht mehr gearbeitet wurde. Die hölzernen Grubenstützen faulten in sich zusammen, und keiner war da, der sie hätte erneuern können.
Dem Bergkönig wollte es trotz seiner Bemühungen nicht mehr gelingen, Kinder zu fangen oder gar zu Sklaven seiner Goldmine zu verzaubern.
Wen kann es wundern, hatte doch der Gnom mit dem Verlust der einen Münze die Zauberkraft seiner ganzen Kette verloren.

Die Familie Eberhards lebte viele Jahre glücklich miteinander.
Sie blieben in inniger Freundschaft mit dem jungen Grafengeschlecht zu Erbach, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Die Zaubermünze hat Eberhard wohl mit ins Grab genommen, ich jedenfalls konnte sie bis heute nicht finden, wo immer ich auch nach ihr gesucht habe.

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