Dagmar Senff

Seelenwanderung

Seelenwanderung

 

Ich erinnere den Tag, an dem meine Mutter mich anrief und mir unter Tränen mitteilte, wie schlecht es meinem Vater ginge. Die Ärzte hatten eine Krebserkrankung im letzten Stadium bei ihm fest gestellt.

Traumatisiert und geschockt von der Mitteilung legte ich das Telefon zur Seite. Den Kopf in beide Hände gestützt saß ich am Küchentisch und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Wie ein Blitz zuckte die Frage durch mein Gehirn, nach dem „ Warum“?  Es war nicht die erste Hiobsbotschaft die ich dieser Tage erhielt. Zum ersten Mal in meinem Dasein hatte ich das Gefühl am Ende meiner Belastbarkeit angekommen zu sein.

Ich – die immer so stark war und für jedes Problem eine Lösung parat hatte, fühlte mich leer und kraftlos. Ohne Perspektive.

Wenige Minuten später kam meine Freundin die Tür herein, mit traurigem Blick. Sie war auf meine Bitte hin mit meinem kranken Terrier zum Tierarzt gefahren und kam nun ohne ihn wieder zurück. Bevor sie etwas sagen konnte, brach ich in Tränen aus, weil ich ahnte was sie sagen würde. Behutsam nahm sie mich in ihre Arme, weil ich laut zu schreien begonnen hatte. Immer wieder die Frage: „Warum“?

Es war einfach zu viel, was geschehen war. Den Besuch beim Tierarzt konnte ich selber schon nicht antreten durch die vorhergegangene Mitteilung meines Mannes. Unverblümt und eiskalt teilte er mir an diesem Samstagmorgen mit, dass er sich neu verliebt hätte und sich in absehbarer Zeit von mir trennen würde.

Alles an diesem einen Samstag, den ich wohl nie vergessen werde.

Aber es ging doch weiter, das Leben. Es ist schon erstaunlich, was der Mensch alles weg stecken kann.

Ich entschloss mich zur sofortigen Trennung von meinem Mann und verließ ihn in Richtung meiner Eltern. Sie würden mich jetzt brauchen, dass wusste ich und ich würde Abstand vom ehelichen Desaster bekommen.

 Meine Mutter war sichtlich erleichtert, dass ich ihr bei der Pflege des Vaters behilflich sein wollte. Beide hatten sich dazu entschlossen, keinen Krankenhausaufenthalten mit aufwändiger und quälender Chemotherapie zu zustimmen. Ein guter Entschluss.

Die Zeit der Pflege und die, des intensiven Kontaktes zu meinem Vater während dieser Phase hat uns drei sehr zusammen geschweißt. Nach vielen Jahren der Sprachlosigkeit zwischen meinen Eltern und mir hatte sich wieder ein intensiver, emotionaler Bezug aufbauen lassen. Zum ersten Mal in meinem Leben erkannte ich ein mildes und dankbares Lächeln in den Augen meines Vaters. Er, den ich in meiner Erinnerung als streng und jähzornig behalten hatte, vermittelte mir das Gefühl von Liebe. Mir wurde damals bewusst, dass ich instinktiv den richten Weg beschritten hatte, in dem ich für ihn da sein konnte. Dieser außerordentliche Zustand ließ Jahrzehnte vergessen und verzeihen und brachte die Liebe und das Verständnis für einander zurück.

Als mein Vater gehen musste, wusste ich, dass wir uns alles gesagt und einen Abschied für immer genommen hatten. Es war alles gut. Wir konnten in Frieden von einander gehen.

Am Tag als der Bestatter den Sarg zum Aufbahren in die Kirche brachte, war die gesamte Familie schon versammelt. Wir folgten dem Sarg durch die weit geöffnete Kirchentüre.

Ganz leise und fasst unbemerkt, huschte ein junges schwarzes Kätzchen mit uns hinein und setzte sich neben den gerade abgestellten Sarg. Erstaunt sahen wir uns alle an. Meine Mutter war entsetzt und stieß ein lautes: „Was macht das Katzenvieh hier, scheucht sie raus“, aus.

Beschwichtigend wollten wir bewirken, dass das Kätzchen bleiben kann, weil uns klar wurde, dass es einen Grund für die Anwesenheit dieses Tieres gab. Aber Mutter ließ sich nicht beirren. Für sie gehörten Tiere weder ins Haus noch in eine Kirche, schon mal gar nicht zu einem Toten an den Sarg. Meine drei erwachsenen Töchter und ich waren da ganz anderer Meinung. Wir waren sicher, dass dies ein Zeichen war. Ein Zeichen, für eine Seelenwanderung. Mein Vater war sehr emotional und es hätte zu ihm gepasst, wenn seine Seele sich zum Abschied von uns noch einmal lebendig gezeigt hätte. In der Tat ließ das Kätzchen sich nicht vertreiben.

Als wir nach einigen Minuten des Abschieds die Kirche wieder verließen, begleitete uns die Katze freiwillig bis ins Haus. Wir ließen es zu und sorgten dafür, dass Mutter nichts davon mit bekam. Sie erhielt ihren Platz im Wintergarten zu gewiesen. Immer mal wieder ging eine von uns hinaus und beschäftigte sich mit dem Tier oder gab ihr Futter. Sie blieb uns drei volle Tage treu, bis zum Tag der Beisetzung. Zur Trauerfeier ließen wir die Kirchentüre wieder einen Spalt weit auf, damit die Katze, wenn sie denn wollte wieder mit hineinschlüpfen konnte. Aber sie ging nicht mit uns, als wir den kurzen Fußmarsch zur Kirche antraten. Auch als wir nach einigen Stunden wieder nach Hause zurückkehrten war sie nicht da. Sie würde wieder kommen, dachten wir. Aber sie kam nicht mehr. Auch die Suche im kleinen Dorf nach ihr, blieb ohne Erfolg. Niemand hatte ein solches Kätzchen gesehen.                 

Aus dem Nachlass des Vaters erhielt ich seinen Wagen, den er gehegt und gepflegt hatte. Ich war stolz und glücklich darüber, zumal ich zu diesem Zeitpunkt dringend ein neues Fahrzeug brauchte.

Für mich war es Ehrensache, dieses Erbe ebenfalls mit besonderer Pflege zu versehen. In den ersten Wochen des Fahrens hatte ich stets den Eindruck mein Vater würde mit im Auto sitzen. Oft sprach ich dann mit ihm und ich hatte das Gefühl, dass  er mich hören würde. Im Verlauf der Zeit verlor sich dieser Eindruck jedoch mehr und mehr. Irgendwann führte ich das Fahrzeug alleine.

An einem 26. August, ein Jahr nach dem Tod meines Vaters, war ich mit meiner jüngsten Tochter auf der Heimfahrt, als uns ein furchtbares Geschehen erreichen sollte. Durch einen groben Fahrfehler eines anderen Fahrzeuglenkers, erlitten wir einen schweren Frontalzusammenstoß mit diesem Auto bei hoher Geschwindigkeit. Beide Fahrzeuge wurden restlos zerstört und der Fahrer des anderen Fahrzeuges war schwer verletzt. Wie durch ein Wunder aber, blieben meine Tochter und ich völlig unversehrt. Niemand der Zeugen oder der Rettungsmannschaft, auch wir nicht, fanden für dieses Wunder eine Erklärung.  Später dann, als meine Tochter und ich uns darüber unterhielten, sagte sie zu mir, dass sie kurz vor dem Zusammenprall eine schwarze Katze am Straßenrand hat sitzen sehen.

Auch der 26. August sollte dann nach dem Tod meiner Mutter  noch an Bedeutung gewinnen. Jeweils am 26. August sind meine Großeltern, die Eltern meiner Mutter,  sie selber und ihr Bruder verstorben.

Konnte mein Vater durch eine Seelenwanderung in eine schwarze Katze die Fortsetzung dieser Serie verhindern?

Meine Tochter jedenfalls meinte, dass sie ihren Großvater im Auto gespürt hätte.

Viele Dinge werden wir uns nie erklären können, vielleicht ist das gut so. Dennoch bleibt ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken an jeden wiederkehrenden 26. August.

       

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.07.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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