Paul Rudolf Uhl

Tod eines Kletterers

 

Im August hatte ich mit meinem Kletterkameraden Werner eine attraktive Tour geplant: Wir wollten auf die Laliderer-Spitze im Karwendel. Alles war bestens: Unsere Kondition konnte nicht besser sein, das Wetter zeigte sich langfristig schön und wir waren bereits zur Falkenhütte aufgestiegen. Unsere Absicht war, am nächsten Tag frühzeitig loszugehen. Frühzeitig deshalb, weil unser Abstieg nach Scharnitz hinunter gehen musste und sich die Tour deshalb schon etwas lange hinziehen würde.

 

          

Der Hüttenabend verlief harmonisch und beglückend; wir standen abends noch vor der Hütte uns schauten zum Gipfel hinauf, bewunderten die fast senkrechten, schroffen Wände und die schräge „Herzogkante“, an der entlang wir aufsteigen würden. Drinnen wurden Lieder gesungen, einer hatte die Klampfe dazu geschlagen. Werner hatte seine Marianne mitgenommen und wir hatten eine nette Unterhaltung...

 

Leider kamen wir nicht rechtzeitig aus den Federn und so waren wir die letzten, die nach dem kurzen Frühstück in die Herzogkante einstiegen. Die Letzten beißen bekanntlich die Hunde – beim Klettern deswegen, weil viele Voraussteigende auch viel Steinschlag verursachen können. Und so war es dann auch: Ständig kamen kleinere und größere Steine herunter.

Die kleinen sirrten mit hoher Frequenz, wenn sie vorbei zischten, größere summten dumpf wie ein Flugzeug… Jedes Mal mussten wir uns in Deckung werfen, den Rucksack über dem Kopf ziehen… Steinschlaghelme waren damals (1963) so wenig im Gebrauch wie Sicherheitsgurte im Auto.

Um die  Geschoße rechtzeitig zu hören, stiegen wir schweigend, ohne Unterhaltung mit „geschärften Ohrspitzen“. Dieser Steinschlag war ein lästiges, ja - gefährliches Manko, verursacht durch unser Verschlafen. Es nervte ganz schön.

 

   

Wir kamen dennoch recht gut und rasch voran und hatten – nach dem Passieren des steilen Kars – nun schon fast die Hälfte der Kante gemeistert () als wieder ein dumpfes Brummen ankündigte, dass ein dicker Brocken herunter kam.

Beide suchten wir wieder Deckung unter Felsen, warfen die Rucksäcker über den Kopf. Ich lugte unter meinem Rucksack heraus und sah, dass es diesmal wohl ein Rucksack war, der herabstürzte. Als er in unmittelbarer Nähe aufschlug, spritzte es rot und ich dachte noch: Komisch – ein Rucksack voller Marmelade?

 

Dann wurde mir klar, dass es gar kein Rucksack war sondern der Rumpf eines Menschen… und da kamen auch noch weitere Teile daher: Arme, Beine, andere Fetzen! Der Torso stürzte weiter hinab, bei jedem Aufschlag sich weiter zerlegend!

Wir waren vor Entsetzen fast gelähmt und Werner rief mir zu: „Rudi, da steigen wir nicht weiter, das ist ja furchtbar!“

 

Tatsächlich war es unzumutbar, weiter zu klettern: Überall am Fels waren Blut, Hautteile und Fleisch. Nicht weit vom mit lag ein Schuh. Ich nahm ihn auf und schauderte: der Fuß steckte noch darin! Ich schleuderte ihn  geschockt weg…

 

Wir schlugen einen Haken, nahmen unsere beiden 40-Meter-Seile und seilten uns ab ins Kar. Dort lagen überall blutige Teile herum. Das größte, das von dem Bergkameraden übrig blieb, war ein Oberschenkel…

 

Die Klettertour war uns durch diese Unglück schlimm verdorben worden und noch Tage nach dem schrecklichen Ereignis konnte ich nicht gut schlafen. Immer, wenn ich etwas fallen sah, musste ich an den fremden Kletterer und seinen Todessturz denken…

 

                                                                                  Paul R. Uhl

 

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