Skizze aus Serbien 08
Freitag Nachmittag. Winter. Eine Straße in Pancevo, 18. km nördlich von Belgrad, Serbien, Provinz Vojvodina. Die Straße ist fast menschenleer, da die Kälte die Serben in ihren Häusern hält. Im Sommer sind die breiten, begrünten Gehsteige ja nur so übersät von spielenden Kindern, coolen Jugendlichen und Großmüttern, die neben ihren sich kurz ausruhenden Schwiegersöhnen auf den Holzbänken sitzen, weil die Freude der Armut eine bescheidene ist.
Doch jetzt sind die Bäume kahl, die auch sonst grauen Straßen wintergrau, und selbst der Pferdewagen, der vorbeiholpert, zieht sich zusammen. Gefolgt wird er übrigens von einem Autobus aus Rostock, produziert in der ehemaligen DDR, der tapfer fährt und fährt, durch die Jahrzehnte hindurch, auch wenn sich die Türen längst nicht mehr schließen lassen.
Die Stimmung ist eher gedrückt an diesem kalten Winternachmittag und das liegt nicht nur an den Temperaturen.
Das Land ist tief gespalten. Das zeigten die kürzlich abgehaltenen Präsidentschaftswahlen, in denen sich die beiden Kontrahenten Tomilsav Nicolitsch und Boris Taditsch ein Kopf- an Kopfrennen lieferten. Wieder einmal. Boris Taditsch gewann gottlob, wie vor vier Jahren, er,der Garant für den Europakurs. Die Wahlbeteiligung war, im Gegensatz zu 2004 ungewöhnlich hoch. Die damalige Politikverdrossenheit kann man sich heuer nicht leisen: zu viel steht auf dem Spiel.
Im Westen kann man sich natürlich verständnislos fragen, warum es so viele Ultranationalisten in Serbien gibt – noch immer – und es ist auch nicht ganz leicht, Antworten zu finden.
Doch eines ist klar: die wirklich Klugen haben sich längst aus dem Staub gemacht, so wie damals, bei uns, im Dritten Reich.
Und wenn die Landbevölkerung verarmt ist, reicht es schon mal, wenn eine Partei mit Gratisbier und Gegrilltem angefahren kommt, ein bisschen über Gott redet, ein bisschen den Opfermythos bedient, der im Balkan ebenso verbreitet ist wie der Nationalismus, gerade so, als bedinge das eine das andere... und dann schimpft man, leutseelig angeheitert, über den korupten Westen (so wie der immer über den korrupten Osten lästert), erklärt, wo man bei der nächsten Wahl das Hackerl machen soll, verabschiedet sich, längst verbrüdert, um im nächsten Dorf sein Gratisbier zu teilen. Da ist es eigentlich gar nicht mehr verwunderlich, dass Leute wie der Strache so gut mit den serbischen Ultrarechten können.
Prost! Bzw: Schiweli!
Es stinkt. Die Luft ist schlecht, die Gewässer verseucht, die Atomlager undicht., die meisten Häuser nicht renoviert und die Straßen sind ein Paradies für Abenteurer: Man fährt durchaus ohne Spiegel oder Handbremse, mit einer Ventilation, die ständig Benzingeruch hereinsaugt und dass es keine Gurte gibt, ist nationale Selbstverständlichkeit. Die gemittelte Lebzeit der abgestandenen EU-Autos und Jugoslawienfossilien beträgt ja auch 20 Jahre. Klar, es gibt Verkehrsregeln, es gibt aber auch jede Menge Schlaglöcher, die umschifft werden müssen und das berühmt berüchtigte Temperament der Südslawen tut ihr Übriges. Ich fahre hier gerne mit dem Auto: da braucht man kein Red Bull mehr: man ist kostenlos hellwach.
Vor vier Jahren tanzten die Studenten auf Belgrads Straßen als Taditsch gewann, heute demonstrieren sie. Darin haben sie Übung: die Proteste gegen Milosevitsch waren damals so etwas wie ein Ganztagsjob. Auch wenn der serbische Widerstand in den westlichen Medien nicht so echt wahrgenommen wurde. Heute wollen sie sich vom Kosovo lösen.
„Was interessiert mich der Kosovo?“ Ljubica macht eine energische Handbewegung und trinkt dann einen Schluck türkischen Kaffee: „Jahrelang haben wir den Süden finanziert, haben nur ein Kind bekommen um arbeiten zu gehen, denn Kindergeld, so wie bei euch, gab es ja nicht und die Albaner bekommen ein Kind nach dem anderen und die Frauen bleiben daheim. Sollen sie doch selber sehen, wie sie zu Geld kommen. Schade ist es nur um die vielen orthodoxen Klöster, die unten gebaut wurden, aber wegen denen fange ich doch keinen Krieg an. Gott gebe, dass es keinen Krieg gibt!“ Ljubica bekreuzigt sich, steht auf, wirft Holz in den Ofen, setzt sich wieder an den Jugendstilholztisch mit der kunstvoll bestickten Tischdecke, streift sich die ergrauten Haare aus dem müden Gesicht und fährt fort:
„Die Albaner haben eine starke Lobby in Amerika, die ist so stark, dass man auf der Amerikanischen Botschaft in Belgrad keinen Job kriegt, wenn man nicht Albanisch spricht, die Amerikaner lieben Bodenschätze, der Kosovo ist voll davon, warum durchschaut das bei euch niemand?“
Ich zucke mit den Achseln.
„Dafür haben die Russen kürzlich unser Erdgas gekauft, zu einem Schleuderpreis. Sie wollen neue Pipelines bauen.“
Das ist schon dumm: Unter Tito war Jugoslawien blockfrei und damit eine Europäische Einzigartigkeit, heute wird es von den alten Garden hübsch aufgeteilt. Und die Menschen?
„Wir dürfen bald ausreisen.“ sagt Ljubica und mit einem Mal bekommen ihre Augen einen heiteren Glanz.
„Tatsächlich?“ ich bin fassungslos.
„Ja, bald brauchen wir kein Visum mehr. Schengenabkommen.“
Visum: das bedeutet eine schikanöse Bürorennerei, viel Geld und endlosen Warten in der Nacht vor der Österreichischen Botschaft. Und dann ist es fraglich, ob man es bekommt. Man muss Familienmitglieder im Haushalt nachweisen können und ein geregelte Einkommen. Für Studenten hoffnungslos. 95% der jungen Menschen hier waren noch nie in der EU.
Man hat eben Pech, wenn man als Serbe geboren wurde: zwei Weltkriege, Kommunismus und als die Sowjetmacht zerfiel: wieder Kriege und Sanktionen und ein unschmeichelhaftes Image. So berechtigt dieses auch erscheinen mag: was ist mit all den Opositionellen? Den Unpolitischen? Denn die gibt es auch-
Ich weiß nicht, wie es den Deutschen und Österreichern nach dem Dritten Reich ging, aber ich sehe hier, dass sich viele Serben dafür schämen, Serben zu sein.
Über die Kriege spricht man übrigens nicht. Die kollektive Verdrängung ist beinahe unheimlich.
„Warum hasst uns die Welt so?“ fragte mich Ljubica vor vielen Jahren.
Ljubica, „die Liebe“, sie trägt ,wie so viele Menschen am Balkan, einen sinnvollen Namen: Duschan, „die Seele“, Bojana, „ die Farbige“, Mira, „die Friedliche“, Ruscha, „die Rose“.
Ljubicas Mann, der im Alten Jugoslawien Großverdiener war, verlor unter Milosevic seinen Job, weil er die Opposition unterstützte, ihr einziger Sohn ging in die Schweiz weil er keinen Bock auf Kriegsspiele hatte und die Enkelkinder, für die sie eigenhändig zwei Häuser baute, sieht sie alle heiligen Zeiten.
„Was kostet das Benzin bei euch?“ fragt sie mich und rückt den Apfelstrudlteller näher zu mir. Ich greife zu, alles andere wäre unhöflich.
„1,3 €.“
„Bei uns auch.“
„Was verdient ihr im Schnitt?“
„350 €.“
„Der Apfelstrudl schmeckt herrlich.“
Ja, und das tun auch die Knödl und Schnitzl, denn die Küche der Vojvodina, geprägt von der
K+K Zeit ist sehr österreichisch, also böhmisch.
400 Jahre lang herrschten die Habsburger über diese Provinz, die bis Belgrad reichte. Südlich der „Weißen Stadt“ begann das Türkenreich. Die Prägung spürt man bis heute, in der Küche, der Sprache, der Architektur. Wirklich alte Häuser gibt es hier allerdings kaum. Es gab zu viel Kriege , Aufstände und politische Umbrüche. Trotzdem sind sie fröhlich, die Serben, verschmitzt und sie sind unübertroffene Meister im Improvisieren: nichts geht und alles funktioniert, das Land ist bettelarm und die Tische biegen sich und sie sind ihrer Zeit voraus, zumindest die Jungen: Zwei Monate bevor „Mr. und Mrs. Smith“ in Österreichs Kinos gefeiert wurde, kaufte ich mir eine Kopie am Schwarzmarkt. Nein, von Gestern sind sie nicht. Auch wenn es hier noch Dörfer ohne Strom gibt und vom Elektrosmog kaum etwas zu spüren ist, es erst seit drei Jahren Mistkübeln auf den Straßen gibt und seit zwei Jahren Bankomaten. Die Handyverbindung ins Ausland ist allerdings bis heute ein Problem und wenn man nach Postkarten sucht, wird man im Moment nicht fündig werden.
Die Sprache ist selbstverständlich keine, die man lernen sollte: es gibt 12 Fälle, viele Ausnahmen und überhaupt eine zungenbrecherische Ansammlung von Konsonanten: Brso heißt schnell ( Betonung auf dem r), Prst heißt Daumen ( Betonung, der Einfachheit halber, auch auf dem r).
Serbien hat einen maximalen Erholungsfaktor, es entschleunigt. Weil der Kampf ums Überleben sich immer auf das Wesentliche konzentriert, weil es nur langsame Autos gibt und Busse aus dem früheren Ostblock. Ljubicas Telefon hat, tatsächlich, eine Wählscheibe.
Und weil die Dörfer voll sind mit frei herumlaufenden Gänsen und Eseln und Auktionen und Hochzeiten, auf denen ausgiebig geprügelt wird und alle Menschen alle Strophen aller Volkslieder kennen und Fischer (Langzeitarbeitslose) sich den täglichen Fisch selbst fangen, sodass man sich zurückversetzt fühlt wie in Astrid Lindgrens Zeiten. Allerdings mit kommunistischem Touch, am Puls der Zeit, südlich umflairt, liebreizend chaotisch, seit jeher ein Pulverfass: Serbien ist immer eine Reise wert.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Maria Stern).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.07.2009.
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