Christiane Mielck-Retzdorff

Socken

 

 

Socken

 

Socken, lauter einzelne Socken hängen im Neonlicht dicht an dicht über die Wäscheleine geworfen im Kellerraum. Sie haben sich im Laufe der Jahre sogar eine eigene Wäscheleine erobert, und manche warten seit Jahren auf ihren Partner. In ihren Farben unterscheiden sie sich gar nicht so großartig, irgendwo zwischen schwarz, grau und braun. Bunte Socken oder solche in grellen Farben haben wohl eher das Bestreben zusammenzubleiben. Bei den Solisten ist es eigentlich auch egal wie man sie kombiniert. Vermutlich würde keinem Betrachter auffallen, daß die beiden ehemals schwarzen, nun ins Anthrazit verblichenen, Socken nicht zusammengehören. Aber ich sehe immer ganz genau hin, bevor ich ein Sockenpaar wieder miteinander verbinde. Breite und Feinheit des Bündchens werden dabei genauso verglichen wie Material und Abnutzung. In einer Zeit, in der Socken im Dutzendpack gekauft werden, kann es leicht passieren, daß eine bereits mehrmals getragene mit einer neuen zu einem Paar verkneuelt wird. Da sind Sorgfalt und gute Beobachtungsgabe gefragt.

Das Geheimnis, wohin die zweiten Socken verschwinden, wird wohl eines der letzten der Menschheit bleiben. Doch ein Einzelstück einfach zu entsorgen, widerstrebt mir, denn das Pendant könnte ja irgendwann wieder auftauchen und wäre dann seinerseits völlig sinnlos. Ich würde also mit meinem Handeln der verlorenen Socke ihre Existenzberechtigung nehmen.

Es muß ja sowieso auch an mir liegen, denn würde ich den Zusammenhalt der Socken besser überwachen, könnten sie auch schwerer getrennt werden. Vom Kauf über die Lagerung im Schrank und das Tragen und auf dem Boden landen bis zum Wäschesack und schließlich der Waschmaschine könnte ich ihren Weg genau verfolgen, vielleicht sogar Buch führen. Aber mein Mann legt die Socken oft heimlich am Morgen an und später finde ich sie zufällig unter dem Sofa wieder.

Wieso tragen wir überhaupt Socken, wenn sie häufig als störend empfunden in irgendeiner Ecke landen? Im Winter mögen sie die Füße wärmen, die im Sommer in ihnen schwitzen. Als modisches Accessoire sind sie höchst umstritten. Natürlich polstern sie unbequeme Schuhe und können Blasen verhindern. Als Hort üblicher Gerüche sind sie unbeliebt und Opfer manches Spotts. Eigentlich hätte der Wissenschaft längst etwas besseres einfallen können.

Früher hatten Socken mehr Bedeutung, was auch an dem unbequemen Schuhmaterial gelegen haben kann. Jedenfalls wurden sie liebe- und kunstvoll gestopft, während heute ein Loch ihr Untergang ist. Da wirft sich die Frage auf, ob der Sockenträger vielleicht das Exemplar mit dem Loch einfach heimlich wegwirft und den intakten Partner zum Waschen schickt. Eine Folge des Einflusses der Wegwerfgesellschaft kombiniert mit Sparsamkeit ausgerichtet auf den Erfolg durch die Neukombination mit einer ebenfalls vereinsamten Socke. Dann würde ich ja genau dieser durchaus cleveren Strategie mit meinem geduldigen Warten auf die Rückkehr der Verlorenen entgegenwirken. Wohlmöglich traut sich  mein Mann nicht, mir die Illusion von dem perfekt zueinander passenden Paar zu rauben. Vielleicht schleicht er sich heimlich in den Keller und betrachtet voller Unverständnis meine Ein-Socken-Sammlung, und denkt sich dabei, ich würde an veralteten Strukturen festhalten und mich nicht auf Veränderungen einstellen können. Vielleicht verschont er mich bewußt mit der Tatsache der durchlöcherten Socke, die auch ich nicht gestopft sondern weggeworfen hätte, um in mir die Kreativität für eine neue Kombination zu wecken. Oder will er mir damit sagen, daß es viel mehr Sockenpaare gäbe, wenn ich mir die Mühe machen würde, ein kleines Löchlein mal zu stopfen.

Während ich die Wäsche aufhänge, betrachte ich versonnen die Sockengalerie, als mir eine weitere aus einem Hemdsärmel entgegenfällt. Aufgeregt mache ich mich daran, sie mit den anderen zu vergleichen. Sie stammt aus der dünnen, eleganteren schwarzen Baumwollserie und scheint schon einige Fußmärsche hinter sich zu haben. Die Ähnlichkeit mit einer noch etwas dunkleren ist nicht zu verkennen, aber der Neuling hat bereits etwas an schwarzer Farbe eingebüßt. Mit leisem Bedauern, aber nicht hoffnungslos, hänge ich sie zu den anderen.           

 

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