Hella Schümann

Ich, Aschenputtel

 

Schon früh glaubte ich, die Geschichte von Aschenputtel sei aus meinem Leben gegriffen. Aschenputtel, das verstoßene ungeliebte verachtete Kind, das den Dreck wegmachen musste während die anderen sich amüsierten. Heute weiß ich, ich war Aschenputtel. Lieber wäre ich Schneewittchen gewesen, die von den Zwergen so liebevoll umsorgt wurde.

Anscheinend waren meine Schwester Anna und ich versessen auf Süßigkeiten, die es in diesen schlechten Zeiten, nach dm zweiten Weltkrieg, selten gab. Mit fünf Jahren angelte ich mir vom Küchenbüffet (ganz oben, keiner konnte sich erklären, wie ich daran gekommen bin), eine Streichholzschachtel mit ganz leckeren roten, süßen Weizenkörnern. Sie sind mir gut bekommen, es war altes Rattengift. Anna hat dafür einmal das Milchgeld vom Wohnzimmertisch gestohlen, das immer für den Milchmann dort bereit lag. Mit ihrem Cousin lief sie zu  einem Tante - Emma -Laden und kaufte eine Tüte Bonbons. Sie war etwa 5 Jahre alt  und so wunderte sie sich, dass sie mehr Geld zurückbekam, als sie hergegeben hatte. Damals kostete eine Tüte Bonbons nur Pfennige. Dreimal haben sie versucht, das Geld loszuwerden. So viele Bonbons konnten sie gar nicht essen. Schließlich warfen sie die restlichen Pfennige aus lauter Verzweiflung ins Gebüsch.

Meine Mutter hatte Gerechtigkeit studiert. Während wir ein ungleiches Frühstück erhielten, Anna bekam kleine Häppchen geschnitten, war alles andere gleich: Ich musste genauso früh ins Bett, wie sie, obwohl sie 6 Jahre jünger war als ich und ich bekam das gleiche Taschengeld.   

Wir wurden sonntags immer zum Abwaschen eingeteilt, doch wenn meine Schwester an der Reihe war, hatte sie immer eine Verabredung und dann jammerte meine Mutter: „Soll ich etwa abwaschen?“ Mir blieb also nichts anderes übrig, als Annas Arbeit zu übernehmen. Wenn meine Schwester beim Essen sagte: „ Ich brauche Zucker.“ sprang meine Mutter sofort auf und holt ihn. Sagte ich: „Ich brauche Zucker“, dann hieß es: „Den kannst du dir selber holen“, obwohl ich so saß, dass immer jemand aufstehen musste, um mich vorbeizulassen. Allerdings habe ich mich nur einmal getraut, den Satz: „Ich brauche Zucker“, so  auszusprechen. Mir wurde eingeprügelt zu sagen: „Kann ich mal bitte den Zucker haben.“

Dieses sofortige Aufspringen meiner Mutter, wenn meine Schwester etwas brauchte, hat sich nie gegeben. Als Anna und ich schon selbst  Kind er hatten, kann ich mich noch an folgende sehr typische Situation erinnern: Ich wohnte damals ein paar Häuser um die Ecke meines Elternhauses und eines Tages ging ich zu ihnen, um im Garten ein wenig in der Sonne zu sitzen, da merkte ich, dass die Terrassentür sperrangelweit aufstand, ein Spaten steckte im Gemüsebeet und weit und breit war niemand zu sehen, auch nicht im Haus. Mein Vater geht immer sehr sorgsam mit den Gartengeräten um, er würde nie einen Spaten länger als nötig in der Erde stecken lassen. Es musste also etwas passiert sein. Das Ende der Geschichte war, Anna hatte angerufen weil sie einen Babysitter brauchte, und meine Eltern fuhren stehenden Fußes zu ihr. Ein anderes Mal brannte überall im Haus noch das Licht, wieder war Anna der Grund.

Brauchte ich mal einen Babysitter, dann hieß es: „Schon wieder????“

Ja, Aschenputtel hatte es nicht leicht.

 

 

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