Germaine Adelt

Aber eines Tages …

 

Das gesamte Zimmer war mit Blumen geschmückt und es sah fast so aus, als probe man schon für deine Beerdigung. Vor lauter Vasen und Gestecken, konnte man dich kaum sehen, in deinem weißen, sterilen Krankenbett.
Im Hintergrund piepte ein Überwachungsapparat, der jedoch von einem Strauß weißer Lilien verdeckt war. Es war wie eine Drohung. Vielleicht aber war ich die Einzige, die sich daran erinnerte, dass du seit jeher weiße Lilien gehasst hast. Ja gefürchtet sogar. Waren sie für dich doch das Symbol des Todes. So wie du dich zeitlebens vor dem Sterben gefürchtet hattest.

Ich hatte keine Sekunde daran geglaubt, dass du den Wunsch geäußert hattest, mich sehen zu wollen. Schon gar nicht, dass du diesen Wunsch über dritte an mich weitergeben lässt. Hatte ich dir doch versprechen müssen, ein Wiedersehen mit mir findet erst dann statt, wenn du das Schlimmste überstanden hattest. Du wolltest es so. Als Ziel, als Lob, als Ansporn deinen starken Willen nicht zu verlieren.
Dein fragender Blick bestätigte mir meine Vermutung. Aber ich hatte weder dir Kraft noch den Willen zu streiten.
„Was machst du hier?“ fragtest du tonlos und in deiner Stimme war Angst. Für dich war ich der Bote, dem immer alle schlechten Nachrichten aufgebürdet wurden, um sie dann zu überbringen. Seit dem Tag, als mir am Telefon gesagt wurde, dass dein Vater unerwartet gestorben war und du dann nichts ahnend und voller Lebensfreude eine halbe Stunde später aus der Firma kamst.
„Ich wollte einfach mal so vorbei sehen“, log ich.
„Auch gut“, murmeltest du mit leiser Stimme, „ich wollte dich sowieso anrufen.“
Dir fehlte die Kraft zu sprechen und wie zufällig ging ich zum Fenster um mir ungelenk meine Tränen abzuwischen. Als ich mich wieder zu dir umdrehte, sah ich im Augenwinkel, wie mein Bruder sich auf dem Flur angeregt mit einem Arzt unterhielt. Vermutlich planten sie deinen weiteren Weg, ohne dich zu fragen.
„Die wollen mich verlegen“, erklärtest du trotzig. „Muss wohl sein.“
„Wohin?“
„Keine Ahnung. Irgendetwas mit Pla… ich habe es vergessen.“
Dann holtest du einen zerknüllten Notizzettel aus deiner Schlafanzugtasche und befahlst mir:
„Schreib auf!“

‚Schreib auf’, wie oft hatte ich in meinem Leben für sich aufschreiben sollen. Du warst Legastheniker, so wie ich auch. Allerdings hattest du dir das niemals eingestanden, da du es als Schwäche bewertet hast. Eine Schwäche, die man bekämpfen konnte. Und so kämpfte ich auch, bis mir mit fast dreißig, andere Leute erklärten, dass eben jenen Erbfehler auch in mir trug.
„Zeig mir doch einfach den Zettel!“, sagte ich, doch du murmeltest nur leise.
„Ach du, das kann ich selber kaum entziffern. Ist doch nur eine Notiz.“
Ich nickte nur. Dieses ‚ach du’ bedeutete für mich, dass du es einfach nicht wolltest.
„Nun gut, dann diktiere es einfach!“ lenkte ich ein.
„P – a – r – r – a …“
Fragend sahst du mich an, als wüsste ich bereits die Lösung.
„Du meinst para?“
„Kann sein. Was heißt das?“
„Kommt auf den Zusammenhang an, Vater. Ist so was wie eine Vorsilbe.“
„Na gut“ brummtest du. „Also weiter T – h – i – e – f .“
„Das kann nicht sein.“ murmelte ich. „Wenn dann nur irgendwas mit t – i – v“
„Die haben es aber so gesagt! Also was soll das jetzt?“
„Vater, bitte“, stöhnte ich leise. „Ich will nicht streiten. Vergiss einfach den Zettel und versuche dich zu erinnern, was gesagt wurde. Vielleicht irgendetwas im Zusammenhang.“
„Irgendwas mit, dass ich entlassen werden soll und irgendwas mit einer anderen Behandlung wollen sie versuchen. Pallativ oder so.“
„Du meinst Palliativ?“ verbesserte ich noch gedankenlos, um mir plötzlich über die Dimensionen klar zu werden, die sich vor mir auftaten.

„Genau!“ deine Augen leuchteten. „Palliativ, das war das Wort!“
Ich war unfähig zu antworten, getragen von der Hoffnung, dass du dich geirrt hattest.
„Du weißt es also auch nicht! Vielleicht so eine neue Behandlungsmethode. Der Arzt hatte keine Zeit es mir zu erklären und dein Bruder wusste es nicht. Er meinte ich solle dich fragen.“
„Matthias?“ fragte ich und plötzlich wurde mir klar, dass ich dein Todesengel sein sollte.
„Vater“, begann ich leise „Palliativ heißt …“
„Nun sag schon!“
Ich brachte es nicht übers Herz das Wort: hoffnungslos zu benutzen und rang nach einer plausiblen Erklärung. „Heißt … ein Abbruch der Behandlung hier, ein … dir die Schmerzen zu nehmen, aber erst einmal… ich meine kurzzeitig… bis dein Körper sich wieder …“
„Verstehe“, murmeltest du leise.
Ich wollte noch erklären aber meine Tränen waren schneller, so dass ich nur noch schluchzen konnte.

„Engelchen, warum weinst du denn?“ fragtest du erschrocken.
„Aus Kummer, aus Wut, um Dich!“ sagte ich ungewollt laut. „Niemand wagt es, es dir zu sagen. Niemand traut sich dich aufzuklären. Nur ich bin mal wieder gut genug dafür.“
„Du musst nicht traurig sein. Warum denn? Trauere nicht um mich, es ist gut so, wie es ist.“
„Nichts ist gut! Es gibt Fälle, bei denen sich die Menschen wieder erholen, bei denen eine unerwartete Besserung eintrat.“
„Engelchen“, wiederholtest du leise. „Wozu denn? Ich will nicht mehr. Ich habe alles gemacht, was die Ärzte verlangt haben. Was hat es gebracht? Dass du jetzt weinst. Mein Leben lang habe ich gesund gelebt. Wofür? Dass ich jetzt hier seit einem halben Jahr im Krankenhaus liege.“
„Es gibt Fälle, in denen die Leute vor Kummer krank geworden sind.“ erwiderte ich trotzig und im selben Moment tat es mir fast leid.
Doch du sahst mich nur erstaunt an.
„Ehrlich? Na ja, in der Zeit hier, hat mich der Kummer so manches Mal wirklich regelrecht zerfressen.“
„Krank werden, Vater. Nicht krank sein!“ korrigierte ich und schämte mich fast für mein Verhalten. Es war nicht der Zeitpunkt, dich zu belehren oder alte Wunden aufzureißen.
„Wie meinst du das?“
„Dein Leben, Vater. Sieh es dir doch an. Arbeiten und immer nur arbeiten. Wofür denn? Das du alleine in deinem Haus sitzt und darüber nachdenkst, wie du noch mehr arbeiten kannst. Ohne jemals einen Gedanken daran zu verschwenden, das Leben zu genießen. Ohne dich jemals, auf den Steg am See vor deinem Haus zu setzen, um mit einem Glas Wein dir den Sonnenaufgang anzusehen. Geh in die andere Klinik, und wenn es dir besser geht, komme ich und wir sehen uns den Sonnenaufgang gemeinsam an.“
„Nein!“ antwortetest du barsch.„Ich will nicht mehr! Verstehst du. Ich will nach Hause. Mit dir und du sollst meinetwegen auch deinen Sonnenaufgang haben.“
„Okay“, murmelte ich. Deine Entschlossenheit duldete keinen Widerspruch, zumal ich deinen Wunsch respektierte.
„Geht das?“ fragtest du leise.
Ich hatte meine Entschlossenheit wieder und sagte nur: „Und ob!“

Matthias und er Arzt standen noch immer auf dem Flur. Aber an dem arroganten Blick meines Bruders konnte ich sehen, dass er seine Ziele erreicht hatte.
„Na Schwesterchen?“ fragte er schnippisch. „Hast du es ihm erklärt oder nicht?“
Doch ich nahm ihn gar nicht zur Kenntnis und wandte mich an den Mediziner.
„Mein Vater will nach Hause!“
„Das kann ich so nicht befürworten, ohne dass …“
Ich sah ihn nur herausfordernd an und er beendete den Satz nicht.
„Das geht nicht!“ stotterte Matthias entsetzt. „Wie stellst du dir das vor?“
Seine Gesichtszüge waren entglitten und hilflos sah er zu dem Arzt, der nur resignierend die Schultern hob.
„Wer auch immer inzwischen in seinem Haus wohnt“, sagte ich leise aber bestimmt. „was auch immer du in der Zwischenzeit hinter seinem Rücken eingefädelt hast. Mach es eben rückgängig bis morgen …“
Mein Blick ging wieder zu dem Arzt.
„ … um zehn?“
„Nun ja, ich muss aber darauf verweisen …“
„Ich unterschreibe, was Sie wollen“, unterbrach ich ihn, „Und mein Vater wird auch unterschreiben, was Sie wollen. Ich denke damit ist alles geklärt.“
Der Arzt nickte nur und ließ, wie auch ich, meinen Bruder wortlos stehen.

Ich hatte uns auf dem schmalen Steg ein Bett bereitet. Mit Daunendecken und Kopfkissen, so viele wie da waren. Deine Idee, dafür extra einen Schlafsack anzuschaffen, verwarf ich als unromantisch und du hattest mir unerwartet Recht gegeben.
Schweigend sahen wir zu den Sternen, die über uns funkelten. Und obwohl wir sicher noch so vieles zu besprechen gehabt hätten, war es in Ordnung so, wie es war.
Hin und wieder war ich in deinen Armen eingeschlafen, so wie früher als Kind, wenn ich mit dir auf dem großen Sofa lag und unbedingt noch fernsehen wollte. Doch du hieltest Wache und endlich war es wieder da, dieses lebendige Funkeln in deinen Augen. Wie das Funkeln der Sterne, dort über uns.
Ich hatte schon viele Sonnenaufgänge gesehen. Aber dieser war so einmalig schön. Es war, als ließe sich die Sonne diesmal besonders viel Zeit, so dass du es in vollen Zügen genießen konntest. Und dein leises Seufzen verriet mir, dass es dir gefallen hatte.

Den Sonnenuntergang wolltest du nicht mehr sehen. Du hattest ihn nie gemocht. Bedeutete er für dich schon immer nicht nur das Ende des Tages, sondern auch jeder Hoffnung.
Noch bevor es wieder dämmerte, bist du in meinen Armen gestorben. Bis zuletzt hast du mich angesehen. Solange bis dein Blick jegliches Funkeln, jedes Leben verloren hatte.
Ich werde nicht traurig sein. Habe ich es dir doch versprochen. Aber eines Tages werde ich dich fragen, ob es wirklich so schlimm war, das Sterben. Hattest du dich doch so sehr davor gefürchtet.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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