Klaus-D. Heid

Scheintot



Oscar Wilde sagte einmal, dass ‚manche Männer, von denen man denkt, dass sie schon lange tot seien, bloß verheiratet sind’. Natürlich habe ich, als Mann, der ein Vierteljahrhundert verheiratet ist, überlegt, ob ich wie ein ‚Leichnam’ neben unverheirateten Männern wirke. Als Konsequenz meiner Überlegungen habe ich dann begonnen, aufmerksam Männer zu beobachten, die quicklebendig sein mussten, da ihnen die Leichenstarre der Verheirateten bislang erspart geblieben war.

An mir selbst konnte ich noch keinerlei Verwesungsgerüche ausmachen – und so konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit auf Männer, die ich in meinem Bekanntenkreis fand und die in etwa meinem Alter von mittlerweile 45 Jahren entsprachen. Es kam mir darauf an, festzustellen, ob sie irgendwie und irgendwo Anzeichen aufwiesen, die einen geistigen oder/und körperlichen Tod erkennen ließen.

So beschäftigte ich mich ein wenig mit Johannes, mit dem ich ein Büro in der Firma teilte, die uns Arbeit und Brot sicherte. Als Sachbearbeiter völlig unwichtiger Versicherungsvorgänge konnten wir reichlich Zeit erübrigen, uns über alle möglichen Dinge des täglichen Lebens zu unterhalten.
Bislang war ich zwar immer der Meinung, dass Johannes ‚lebendig’ wirkte – aber nach Oscar Wildes Zitat erschien mir eine genauere Überprüfung durchaus ratsam.

Allmorgendlich begann Johannes den Arbeitstag mit Berichten über diverse Abenteuer, mit denen er sein Eheleben zu erleichtern suchte. Mal hieß das Abenteuer Anna, mal Hilde, mal Lola, mal Kim und mal Peggy. Jedes mal war es allerdings so, dass Johannes voller Stolz berichtete, dass die jeweils Auserwählte irrsinnig vollbrüstig, gertenschlank und total hemmungslos sei. Mir kam es fast so vor, als würde Johannes jede Frau der Stadt vernaschen, die nur deswegen keine Model-Karriere eingeschlagen hatte, weil sie dann nicht mehr für Johannes’ Eskapaden zur Verfügung stand.

Oscars Zitat im Hinterkopf, stellte ich Johannes eines Morgens die Frage, wie seine Ehefrau aussieht. Es folgte ein beschämtes Schweigen. Dem Schweigen folgte ein seltsam missmutiger Blick in meine Richtung. Dem missmutigen Blick folgte Johannes’ Antwort:

„Wir müssen heute noch die Vorgänge 2.118 bis 2.281 durcharbeiten. Der Chef will, dass sie Morgen auf seinem Tisch liegen...!“

Keine Antwort ist auch eine Antwort, Johannes. Ich ersparte mit und ihm die Frage, ob ich einen kurzen Blick auf ein Bild seiner Frau werfen dürfe. Johannes wirkte irgendwie fahl. Blass. Tatsächlich schien es, als sei er plötzlich an einer schweren Krankheit verstorben. Fortan verschonte er mich mit seinen Abenteuern. Fortan war er der lebende Beweis dafür, dass er tatsächlich tot war.

Mein zweites Beobachtungsobjekt hieß Karl. Karl war Stammgast in der Kneipe, in der ich dreimal wöchentlich einkehrte, um ein (EIN!) gepflegtes Bier zu trinken. Karl war verheiratet. Karl war seit über dreißig Jahren verheiratet – und kehrte uns gegenüber stets den typischen Macho heraus, wenn er sein zweites Bierchen intus hatte. Ständig wiederkehrender Spruch von Karl:

„Meine Alte hat gefälligst das essen zu machen, wenn ich hier mit meinen Freunden ein paar nette Stunden verbringe. Wenn ich nach Hause komme, küsst sie mir die Füße. Ich hab meine Alte gut im Griff, Jungs...!“

Auf den ersten Blick schien Karl mir immer jemand zu sein, der ‚die Hosen anhatte’. Er ließ keine Gelegenheit aus, uns zu demonstrieren, wie glücklich seine Frau sein musste, ihn an ihrer Seite zu haben. Eben aus diesem Grunde entschloss ich mich, seine Frau anzurufen, um sie zu bitten, ‚ihren’ Karl aus der Kneipe abzuholen. Ich erzählte ihr, dass er ‚wohl etwas über den Durst’ getrunken hatte und nun dringend die Hilfe seiner Frau bräuchte. Natürlich meldete ich mich unter falschem Namen bei ihr. Schon an ihrer ersten Reaktion am Telefon erkannte ich unzweideutig, wie’s wirklich um Karls Lebendigkeit bestellt war.

Karls Ehefrau betrat die Kneipe in dem Moment, als Karl gerade wieder posaunte, wie saugut er seine ‚Alte’ im Griff hätte. Der Schlag seiner ‚Alten’ traf ihn unvorbereitet am Hinterkopf und ließ ihn, wie einen nassen Sack, vom Barhocker plumpsen.

Karl kam nie wieder in die Kneipe.

Nach diesen beiden Beobachtungen brach ich mein Experiment ab. Zum ersten mal nach 25 Ehejahren brachte ich meiner Frau einen Strauß Blumen mit, der mehr als dreißig Euro kostete. Ich lud sie zu einem – furchtbar teuren – Essen ein, dem ich einen berauschenden Tanzabend folgen ließ. Dem Tanzabend folgte eine Nacht, die Blumen, essen und Tanzen in den Schatten stellte.

Am nächsten Morgen wurde ich von der zärtlichen Hand meiner Frau geweckt, die – was sie sonst nie tat! – liebevoll jenes meiner Körperteile streichelte, das fast schon abgestorben war.

„Guten Morgen, Liebling...!“ säuselte sie mir ins Ohr. „Sag mal, Schatz... täusche ich mich – oder wirkst Du irgendwie lebendiger als sonst...?“

„Ich war nur ein bisschen scheintot, Mäuschen...!“ antwortete ich genießend, während ich im Stillen Oscar Wilde dafür dankte, mich ‚erweckt’ zu haben.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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