Yvonne Wacker

Saitenträume

Deine Augen... Sie schauen mich so traurig an. Ich habe mich wieder mit Mutter gestritten und alles was ich mir wünsche ist, dass du es nicht gehört hättest. Jetzt muss ich dir die Wahrheit sagen. Verzeih mir etwas, das sich nicht verzeihen lässt. Niemals Verstehe mich, aber du bist erst 9, wie sollst du das begreifen, was in mir vorgeht.

Ich stand vor der Bühne. Der Bass ist durch meine Körper gegangen. Die Drums waren mein Herzschlag und die Gitarre meine Seele. Einer von ihnen zu sein, das war schon immer mein Traum. Gitarre spielen, singen. Freiheit.

Ich möchte es dir so gerne erklären. Aber ich weiß nicht, ob du es verstehst oder mich danach hassen wirst. Doch ich habe keine andere Wahl... Ich will es nicht vor dir verheimlichen.

Ich werde gehen. In zwei Jahren. Zu ihnen.

Du legst den Kopf auf die Seite. Mein kleiner Bruder... Verdammt! Wenn du mich so anschaust, dann schwanke ich. Du brauchst mich. Das weiß ich genau. Es war schon immer so! Unser Vater ist nie da. Also ersetze ich ihn dir, so gut es geht. Mit unserer Mutter kann man nicht reden, sie hat nur unsere Zensuren im Kopf. Leistung bringen ist wichtig. Ich höre dir zu. An ihrer Stelle. Freunde hast du keine. Dank ihr. Du bist ihr ganzer Stolz. Intelligent. Ruhig. Brav. Noch ist es so. Aber wenn du mit mir sprichst, dann höre ich, dass sich das ändern wird, mit jedem Jahr, das du älter wirst. Ewig kannst du dir diese Isolation nicht mehr gefallen lassen. Kein spielen, kein Kind sein, keinen Spaß haben. Immer nur lernen. Das ist im Moment deine Welt. Du sollst das Abitur machen, mit Bestnoten natürlich! Von mir erwartet sie das auch. Aber ich kann die Leistungen, die sie erwartet, nicht bringen. Ich bin nicht so intelligent wie du. Ich kann nicht immer nur Einsen schreiben. Ich möchte auch gar kein Abitur, der Realschulabschluss reicht mir voll und ganz. Ich will Musik machen, sie leben und nicht an einem OP-Tisch stehen, so wie Mutter es fordert.

Wohin ich gehe, willst du wissen. Zu dieser Band. Ihr Gitarrist wird in zwei Jahren aufhören, um im Ausland zu studieren und sie suchen jetzt schon einen Ersatz. Aber volljährig soll er sein. Noch bin ich 16, doch wenn es so weit ist, bin ich alt genug. Ich habe mich bei ihnen gemeldet. Gleich nach dem Konzert, hinter der Bühne. Erst waren sie skeptisch, aber dann wollten sie, dass ich sofort vorspiele. Sie hatten mich total überrumpelt. Ich wusste zuerst gar nicht, was ich machen sollte, dann dachte ich an dich und wählte dein geliebtes Ballroom Blitz. Es war schwierig auf einer fremden Gitarre zu spielen. Trotzdem sagte einer von ihnen, dass ich Talent hätte.

Du lächelst mich an, ich sehe diesen Glanz in deinen Augen, den du auch immer hast, wenn ich dir etwas vorspiele. Du freust dich, dass sie mich gut fanden? Ich weiß, wie ehrlich du bist. Ich danke dir. Aber weißt du auch, was das für dich bedeutet? Dein Blick fordert mich auf weiter zu erzählen. Du bist so neugierig!

Ich spielte noch eines von meinen eigenen Lieder, die schon so lange in der Schublade liegen. Damit war alles entschieden. Sie wollten mich. Mit 18 ziehe ich zu ihnen, breche die Schule ab. Sie wohnen in dem alten Funkhaus, nahe der ehemaligen Grenze und haben sogar einen eigenen Proberaum. Dabei sind sie nur eine Underground Band. Bis es so weit ist, gehe ich nach der Schule zu ihnen und komme dann erst Abends nach Hause. Die nächste Zeit wird hart, denn Mutter weiß schon davon und sie wird alles versuchen, um es mir zu verbieten. Sie hasst die Musik, weil sie glaubt, dass sie nutzlos ist und ganz besonders der Stil, den ich so liebe.

Es tut mir so leid... Die kommenden zwei Jahre, werden die Härtesten in deinem Leben. Ich sehe, wie du immer leidest, wenn ich mich mit Mutter streite. Und ich weiß auch, dass du weinst, weil dein Herz dir dann immer so schmerzt. Ich belaste dich mit meiner Entscheidung nur noch mehr... Bin ich ein schlechter Bruder? Ich lasse zu, dass du noch mehr leidest, nur weil ich meinen Traum wahr machen will. Aber ich weiß auch, dass ich mich selbst zerstöre, wenn ich länger hier bleibe als ich muss. Hier kann ich meinen Traum nicht leben, Mutter tötet meine Seele mit ihrer Erziehung. Ich kann einfach nicht ihren Weg gehen und ich möchte für dich stark bleiben. Du bist doch auch so wichtig für mich. Deswegen, bitte verzeih mir.

Du lächelst mich immer noch an. Deine Augen leuchten. Du kommst näher zu mir heran und willst mir etwas ins Ohr flüstern. Ich knie mich zu dir. „Wenn ich ganz brav bin, holst du mich dann nach sobald ich 18 werde? Ich lerne auch ein Instrument und dann spiele ich mit euch“, fragst du mich. Ich kann darauf nur nicken. Und was machst du? Hüpfst vor Freude durch das ganze Zimmer, fällst mir in den Arm.

Hast du wieder einmal mehr gewusst, als ich dir zutraue? Weißt du wie viel mir die Musik bedeutet? Verstehst du mich? Verzeihst du mir? Deine Augen... Ich glaube sie haben mir gerade einen Antwort gegeben. Lieber Sammy... Ich danke dir. Ich werde dich nicht allein lassen und dich zu uns holen, sobald du alt genug bist. Das verspreche ich dir.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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