Torsten Macht

Tausend Tage

Tausend Tage, waren es, tausend, nicht tausendundeins oder neunhundertneunundneunzig, nein es waren tausend. Tausend, immer wieder tausend. Eine Zahl so unscheinbar,
Tausend.

Tausend Tage hatte ich gekämpft tausend Tage und neunhundertneunundneunzig Nächte. Es waren kalte Nächte und warme Nächte, blutige Nächte, stille Nächte und laute. Es gab auch lauwarme Nächte und die Nächte, wo nur wenig geschossen wurde. Dann schien kein Mond.
„Zu dunkel“, der Befehl. Munition sparen.
Natürlich, denn die musste ja auch reichen.
Zumindest für die nächsten tausend Jahre  
Die Tage vergingen, mal schnell, mal langsam und mit den Tagen gingen die Freunde. Erst einer dann zehn, später zwanzig. Bald waren die alle fort. Später sollte man sagen „Sie waren geblieben“ oder man witzelte „Gefallen? Warum sind sie nicht wieder aufgestanden?“

Warum, ja warum? Mit tausend Löchern im Bein steht es sich schlecht. Auch schlecht mit dem Gleichgewicht schaut es aus, wenn der eigene Kopf tausend Zentimeter vom restlichen Körper entfernt liegt, tausend Granatsplitter im Herz stecken und tausend Tropfen Blut pro Sekunde aus der Halsschlagader spritzen.

Aus der Halsschlagader. Nicht aus dem Arm, nein dies wäre ja vielleicht zu flicken, immer wieder die Halsschlagader, die Halsschlagader.
Tausend Tropfen pro Sekunde aus der Halsschlagader.

Tausend Tage sah ich dies, bei Freunden bei Feinden, bei Feinden? Ja so hießen die anderen, Feinde. Und neunhundertneunundneunzig Nächte. Kalte Nächte waren das. Meist kalte und laute. Es gab aber auch lauwarme Nächte und die Nächte wo nur wenig geschossen wurde. Dann schien kein Mond.

Die tausendste Nacht war kalt, wie fast immer, sie war kalt aber dunkel. Doch sie war nicht leise,
nicht leise wie die anderen Mondlosen Nächte.

Die Offensive begann. Urplötzlich.
Eine blutige Nacht, diese dunkle tausendste mondlose Nacht.

Ich legte an wieder und wieder, die Geschosse fanden ihr Ziel, wieder und wieder, welch Zahl, tausend mal in der tausendsten Nacht. Es waren nicht neunhundertneunundneunzig oder tausendundein Körper, welche meine Kugeln kreuzten, nein es waren tausend.

Tausend.
Tausend.

Hinterher dauerte es lang, sehr lang, verdammt lang, ehe ich nachts wieder ein Auge zumachen konnte. Immer wieder legte ich an und immer wieder waren es genau tausend Kugeln, die in dieser tausendsten mondlosen Nacht meines Krieges durch tausend Körper schlugen.

Es war eine kalte Nacht.

Die Kugeln durchschlugen die Schlanken, die Jungen, die Glänzenden und Hochdekorierten, keine  Weiblichen.
Es waren die Väter, die Söhne, die Onkel, es waren die Kinder von tausend Müttern, die von meinen tausend Kugeln durchbohrt wurden.

Tausend in tausend Minuten in der tausendsten Nacht.
Einer kalten, mondlosen Nacht.

Durchbohrt, einfach so, Chancenlos,
Ich und Sie.
Tausend Befehle war ich machtlos?
Ich hatte Angst, Angst vor dem, den ich selber brachte. Dem Tod.
Gerade siebenmal tausend Tage alt, schien mir dies keine Option.
Machtlos, in tausend Tagen nicht rebelliert. Nicht lautstark, nur innerlich. Innerlich. In Gedanken, denn die sind frei.

Tausendmal habe ich überlegt zu handeln. Was sollte ich tun. Sollte ich rebellieren, desertieren oder den Befehl verweigern? Dafür stand Lager, Tausende ereilte dieses Schicksal oder der Tod.
Tausendmal im Monat, raste die Klinge auf jene, die einen von tausend Befehlen nicht folgten. Die jenen einen Befehl verweigerten.

Vielleicht waren es auch zwei.

Als mich der Brief erreichte, fühlte ich mich in ein riesiges Loch gezogen.
Post, von da, stand auf dem Absender.
Den Namen kannte ich nicht, ich kannte niemanden von dort mit Namen.

Aber auf dem Umschlag, stand der Absender

Post von da.

Wieso ich? Wer kennt mich, was will er, dieser Mann von dort? Es gibt an diesem Ort keine Freunde.

Keine lebenden Freunde.

Es gab welche, aber dies ist ewig her, es scheint mir wie gestern, doch schau ich in den Kalender.

Zwanzig mal tausend Tage.
Zwanzig.

Jung und unerfahren, idealistisch und tapfer, so sah ich mich selbst.
Ich wollte Abenteuer erleben,

Abenteuer.

Abenteuer, aber nicht die Hölle auf Erden.
Ich war freiwillig dort, ein freiwilliges Abenteuer.
Bezahlt mit nicht mal tausend Dollar.

Vielen tausend Mitstreitern ging es ähnlich.
Sie waren jung, unerfahren, idealistisch und tapfer, zumindest sahen sie sich so selbst.

Jung und unerfahren.

Sie wollten die sicherere Welt. Die bessere Welt. Für sich, ihre Eltern und die Familie.
Die Familie, welche sie besaßen und besitzen wollten.
Diese jungen Kerle.
Ohne eigene Familie und Freundin.
Noch halbe Kinder.
Halbe Kinder wie ich damals,

Jung und unerfahren, idealistisch und tapfer und
so verdammt naiv.
Dachten es wäre ein Abenteuer.
Bezahlt mit nicht mal tausend Dollar.

Die Grundausbildung war kurz, für viele aber immer noch zu lang.
Es schien wie im Spiel,
wie im Spiel der kleinen, naiven, jungen und unerfahrenen Kinder,
Als wir mit dem Boot ausschifften.

Die Eltern weinten. Die Mama, tausend Tränen und der Papa.
Bei wenigen auch die Freundin oder das Kind.

Wir waren so jung.
So verdammt jung.

Da ist er nun der Brief. „Von da“
Ich kenne dort niemanden.
Kenne keinen mit diesem Namen.
Was soll ich tun, ihn öffnen oder gar lesen?

Dies ist die Post aus Feindesland. Aus damaligen Feindesland.
Heute ist dies anders, heute.

Natürlich.

Aber damals vor zwanzig mal tausend Tagen, da war alles anders.

Anders.

Da öffneten wir nicht den Brief der Menschen „Von da“,
nein, da öffneten wir ihre Körper.

Ihre Körper mit unseren Kugeln.
Oder sie unsere.

Wir öffneten ihre Körper.
Ich kann sie sehen,
heute noch.

Abenteuer? Was für ein Abenteuer!
Bezahlt mit nicht mal tausend Dollar.


Ich habe ihn abgeschickt. Geschrieben auf Papier zehn Blatt á hundert Gramm
Mit der Hand. Zittrig. Tausend Minuten habe ich für die tausend Wörter gebraucht.
Tausend Wörter.

Viel zu wenig, um das auszudrücken was ich fühle.
Aber ich konnte ihn nicht,
ich wollte ihn nicht überrumpeln.
Ich kenne ihn nicht.
Er war mein Feind.
Dies sagte mein vorgesetzter Offizier immer und immer wieder, ehe er aus tausend Löchern, triefend verröchelt hatte.
Mein Feind.

Er hatte mir nichts getan. Er sprach nicht meine Sprache

Vielleicht.

Er wurde in einem anderen Land geboren

Vielleicht.

Ich verstand, er ist,
er war,
mein Feind.

Tausend Worte in tausend Minuten geschrieben auf hundert Gramm schweres Papier.
Auf zehn Seiten.

Auf zehn Seiten,
mit dem Füllfederhalter.

Mit jenen alten Füllfederhalter.
Aus der Zeit der tausend Tage und tausend Nächte.
Es waren kalte Nächte und laute. Manchmal waren sie auch leise,
dann war es meist dunkel und es schien kein Mond.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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