„Am Wochenende sind wir in Hamburg“ sagte Carola strahlend nach Rückkehr aus der Stadt . „Die Reiseunterlagen werden uns zugeschickt. Das Hotel ist bereits über AMEROPA reserviert und einschließlich der Bahnfahrt bezahlt“.
Na ja, dachte ich mir, wieder mal keine Spur von Mitspracherecht, aber inzwischen von der Sinnlosigkeit überzeugt, einer Frau zu widersprechen. Sie hat ja dank der Winterferien der Schulen ebenfalls eine Woche Urlaub wie Tausende andere Menschen in Bayern. Sie werden schon nicht alle mit der Bahn nach Norden fahren wollen.
„Und was machen wir in Hamburg?“
„Zwei interessante Ausstellungen sind geboten, Degas und Matisse“.
„Hast Du auch schon Sitzplatzreservierungen?“
„Nein, wir müssen uns die gewünschten Zugverbindungen erst noch aus dem Internet holen.“
Na gut, wenigstens dazu darf ich etwas beitragen.
AMEROPA, oft gehört oder gelesen, doch noch nie die Dienste dieses 1951 als 100-prozentige Tochter der Deutschen Bahn AG gegründeten Unternehmens genutzt, hatte ja ursprünglich auch den Geschäftszweck, Kunden aus Amerika bei Reisen in Europa zu betreuen. Gehört wohl inzwischen zu den führenden Anbietern von Reisen aller Art und wird offensichtlich von fast allen deutschen Reisebüros als Hilfe benutzt. Dann lass uns mal auf die Zusendung der Reisedokumente warten.
Zwei Tage später informiert mich eine Mitarbeiterin des Reisebüros, dass die Unterlagen eingetroffen seien. Ich werde sie persönlich in der Stadt abholen, um am Bahnhof die Platzreservierungen für die inzwischen als passend ermittelten Zugverbindungen vornehmen zu lassen. Die Stadt liegt voller Schnee und Matsch und macht es mir möglich, auf dem hellen Marmorboden des Reisebüros eine ausgemachte Schweinerei zu hinterlassen. Als ich um einen Lappen bitte, meint die Chefin, es lohne sich nicht, da käme heute noch mehr zusammen.
Der Hauptbahnhof zeigt sich als eine einzige Baustelle. War ich dieses Jahr überhaupt schon mal in der Stadt? Ich glaube, nein. Verschiedene Geschäfte in Container auf dem Platz vor dem Bahnhof verlagert, alle freien Bodenflächen durch Hunderte von Menschen genutzt schlängle ich mich durch zum Reisezentrum. Auch hier bin ich, wie erwartet, nicht der Einzige, auf den die Bahnangestellten warten, doch ich lasse mir Zeit und betrachte wohlwollend die Menschen, die diszipliniert Schlange stehen, um auf einen freiwerdenden Schalter hinter der dicken Kordelbarriere zu hoffen. Ich dürfte in diesem Moment der Älteste sein, alle sind in dicke Winterkleidung verpackt, ihre Häupter in teils absonderlichen Kopfbedeckungen verborgen. Ich sehe nur Alltagsgestalten und nichts auffallend Attraktives. Dann bin ich an der Reihe.
Ein junger Mann, etwas blass und mit dunklem Lippenbärtchen, das die Blässe noch unterstreicht, erwidert meinen Gruß mit leicht sächsischem Akzent und ich äußere meine Wünsche. Er tippt und schaut in den Bildschirm, tippt wieder und schaut und tippt und schaut, keine freien Plätze nach Hamburg. Doch, da, Einzelplätze im gleichen Wagen verteilt. Ich finde das nicht lustig und frage nach dem nächsten Zug. Das gleiche Spiel mit gleichem Ergebnis. Also zurück zur ursprünglich gewählten Verbindung. Mit einer Engelsgeduld sucht der junge Mann nach einer Lösung, während hinter mir die immer länger werdende Schlange an meinem Gewissen nagt. „Ich gönnte ihnen zwei Blätze bis Fulda anbiedn und von Fulda bis Hannover im nächsten Waachen“. Ab Hannover is es dann aber zappenduster“.
Ein Spatz in der Hand ist besser als... und ich schlage ein. Die Rückfahrt über Ingolstadt klappt dann aber auf Anhieb. „Muss ich, wie im Internet angegeben, in Harburg in die S-Bahn umsteigen, um zum Hauptbahnhof zu kommen?“ Er schaut nochmals in den Bildschirm und meint, da seien zwar Einschränkungen im Zugverkehr durch umfangreiche Brückenbausstellen, aber der Zug fährt auf jeden Fall durch bis Altona. Ich zahle bar und nehme meine Biletteln. Nun kann er kommen, der vorletzte Samstag im Februar und ein leichtes Unbehagen beschleicht mich für den Rest der Woche. Was machen wir sonst noch in Hamburg? Die Zehn-Tages- Wettervorhersage verspricht inzwischen Schneeregen um den Gefrierpunkt, nicht gerade lustig für einen Stadtbummel in dieser durchaus schönen und interessanten Millionenstadt, die als zweitgrößte Stadt Deutschlands einschließlich Überseehafen so ziemlich alles bietet, was den Tag abwechslungsreich und interessant machen könnte. Und da ich seit 1948 immer wieder beruflich und privat viele Tage hier verbracht habe, ist sie mir bekannt und vertraut.
Dreimal Schlafengehen und schon ist es Samstagmorgen. Als wir kurz nach Halbsieben das Haus verlassen, hat sich am Gleis 19 des Münchner Hauptbahnhofes bereits ein kleines Malheur mit weitreichenden Folgen abgespielt, nur wissen wir natürlich nichts davon, bekommen es aber bald zu lesen und auch zu spüren.
Der verschneite und kaum geräumte Parkplatz am Bahnhof unserer Kleinstadt bietet so viele freie Plätze an, dass es nicht ganz einfach ist, sich für ein optimales Angebot zu entscheiden. Kaum auf dem Bahnsteig ertönt die Durchsage „Der Regionalzug nach Ingolstadt wird wegen einer Weichenstörung voraussichtlich 10 Minuten später eintreffen“. Lautes Schimpfen über den Saftladen Bahn wird vernehmbar, doch unser Triebwagen aus der Gegenrichtung fährt auf die Minute pünktlich ein, da meckert keiner und wir erreichen ebenso pünktlich um Siebenuhrzwölf den Hauptbahnhof, wo am gleichen Bahnsteig unser Intercityexpress abfahren wird. Ein Blick auf die Zugfolgetafel zeigt Abschnitt B für den letzten Wagen des vorderen Teiles dieses Doppelzuges, der in Hannover geteilt nach Hamburg weiterfahren wird, während der hintere Teil Bremen als Ziel ausweist. Am blaugetönten Display über dem Bahnsteig wird die gleiche Auskunft wiederholt, dann bekommen wir auf einem Laufband plötzlich zu lesen: „Der Zug hat voraussichtlich vierzig Minuten Verspätung“. Also zurück in die Bahnhofshalle, denn draußen ist es kalt und vor allem recht windig.
Nach zwanzig Minuten ändert sich das Bild im Display und zeigt jetzt nur noch den halben, nach Hamburg vorgesehenen Zugteil, der jetzt aber an anderer Stelle des Bahnsteiges halten wird. „Na, ich sehe mich noch nicht in Hamburg“ sage ich zu Carola, eingedenk der Tatsache, dass bereits der ganze Zug ausgebucht war und jetzt nur noch sieben Wagen umfassen wird, die zudem praktisch keine Stehplätze bieten. Wer weiß, wozu das gut ist, denke ich mir und bleibe eigentlich optimistisch. Beim nächsten Blick auf die Anzeigetafel hat sich die Verspätung auf nunmehr cirka fünfzig Minuten erhöht, dafür wird aber ein vierzehn Wagen umfassender ICE 1 angezeigt, allerdings mit völlig anderen Wagen- und Platznummern. Das heißt nichts anderes als dass Platzreservierungen hinfällig und acht Euro ans Bein geschmiert sind. Aber immerhin hat da jemand einen komplexen Denkvorgang zu Ende gebracht und eine brauchbare Entscheidung getroffen.. Betrachte ich mir die über die Bahnsteiglänge verteilte Zahl von Reisenden, dürfte auch dieser Zug bereits ab hier ziemlich voll werden.
Dann rollt er heran, der ICE 1, mit exakt siebenundfünfzig Minuten Verspätung und bringt Bewegung in die Menschenmenge auf dem Bahnsteig. Ein Blick durch die vorbeiziehenden Fenster zeigt die Wagen bereits gut besetzt. Die Türen öffnen sich, kaum jemand steigt aus und alles drängt hinein, die Gänge sind im Nu dicht. Zwei Einzelplätze neben jungen Männern, direkt hintereinander gelegen, bleiben frei. Wir nehmen sie. Wird schon irgendwann einer von ihnen aussteigen.
Noch vor Donauwörth erfolgt die erste Fahrkartenkontrolle und mein Nachbar zur Linken fragt nach dem Grund der Verspätung, wo der Zug doch erst ab München eingesetzt werde. Ich höre, wie der Zugbegleiter erzählt, dass an unserem ursprünglichen Zug noch die Feuerwehr zugange sei. Ein Elektrokarrenfahrer, der Zeitungen anliefern sollte, sei durch immer noch reichlich Schnee auf den Münchner Bahnsteigen in den Zug gerutscht und hätte sich zwischen Bahnsteigkante und Wagentüre verkeilt und dabei den Wagon ernsthaft beschädigt. In Anbetracht der hohen Auslastung habe man dann von einem Halbzug Abstand genommen und einen kompletten neuen Zug aus dem Bahnbetriebswerk bekommen. Es gebe durch die verschärften Achskontrollen an den ICE 3 praktisch keine Reserve. Selten ein Schaden ohne Nutzen. Wir hatten jedenfalls Sitzplätze durchgehend bis Hamburg und werden sicher irgendwann auch nebeneinander sitzen können.
Links neben mir werden zwei nebeneinander liegende Plätze frei, nachdem eine junge Frau mit einem Dackel in einer knallroten Tragetasche von einem älteren Begleiter zu irgend welchen anderen Plätzen abgeholt wurde. Carola lehnt einen Platzwechsel ab, da links nur Wand und kein Fenster. Ein nach Platznummern suchendes Paar fragte mich nach der Nummer dieses Wagens, doch ich kann ihnen nur antworten, für diesen Ersatzzug gebe es keine Platzreservierungen, die beiden Plätze neben mir scheinen aber gerade frei geworden zu sein. Sie nehmen das Angebot dankend an. Meine Aussage wird kurz darauf durch eine Lautsprecherdurchsage bestätigt.
Wir rollen dröhnend über die Donaubrücke, da kommt leichte Nervosität auf. Ein Herr möchte in Donauwörth aussteigen, aber der Zugbegleiter ist sich nicht ganz sicher, ob der Zug hier hält. Er hält und es steigen sogar einzelne Fahrgäste zu.
Weiter geht es über Gunzenhausen, Ansbach nach Würzburg. Der Bahnsteig dort ist proppenvoll und im Nu sind wiederum die Gänge zugestellt. Ein Zugbegleiter quält sich durch die Wagen und verkündet reichlich freie Plätze in den ersten drei Waggons. Darauf bewegt sich alles nach vorn und die Lage wird wieder übersichtlich. Es folgen Fulda, Göttingen, Kassel. Der junge Mann neben mir steigt aus und die Meine setzt sich neben mich. Dann kommt Hannover und die Reisenden werden über Lautsprecher informiert, welcher ICE sie in Kürze nach Bremen bringen wird und von einem außerplanmäßigem Zwischenhalt in Celle und Lüneburg ist die Rede. Kurz vor Celle erfolgt ein Hinweis auf den nächsten Stopp und als das Gleiche in Englisch wiederholt werden soll, stockt der Sprecher und ich meine, er sucht nach der englischen Aussprache für Celle, da braust der Zug durch den Bahnhof ohne anzuhalten. Mit kaum unterdrückbaren Lachen werden wir über Lautsprecher informiert, dass dies so nicht geplant gewesen sei, aber nach Celle gäbe es von Lüneburg aus folgende Fahrmöglichkeiten. Die Ansage wird noch zweimal wiederholt und jedes Mal spürt man förmlich die Mühe des Zugbegleiters, bei dieser Durchsage nicht doch noch laut zu lachen.
Dann sind wir in Harburg und man informiert uns, dass wegen umfangreicher Brückensanierungen der Hamburger Hauptbahnhof nur auf Umwegen erreichbar sei. Wir sollten aber keine Angst haben, dass der Zug nach Hannover zurückfährt, wenn er dann irgendwann in entgegengesetzter Fahrtrichtung den Hauptbahnhof erreichen würde und wir halten bald darauf im Grünen zwischen Rothenburgsort und Tiefstack auf einem Abstellgleis und irgendwann erreichen wir unser Ziel mit exakt 57 Minuten Verspätung. Bei mehr als einer Stunde gibt es angeblich irgendwelche Gutscheine. Mir ist das ziemlich Wurscht, wir sind auf jeden Fall mal in Hamburg.
Die Wegbeschreibung zum Hotel ist unmissverständlich. Wir lösen uns eine 9-Uhr-Gruppenkarte, da wir heute noch öfter den HVV, den Hamburger Verkehrsverbund benutzen werden, fahren mit der S21 bis Billwerder-Moorfleet, steigen die Treppe hoch, überqueren die Bahnbrücke, laufen hinunter Richtung IKEA bis zur Kreuzung, dann rechts und gleich wieder links in die Halskestrasse und sehen in zweihundert Meter Entfernung den weißen Kasten des Hotels, einsam inmitten Schrebergärten und Lagerhallen gelegen. Es regnet leise vor sich hin. Für Bus- und Autofahrer ist die Lage sicher recht praktisch, da reichlich Parkplätze vorhanden, für Bahnfahrer, zumal Ältere oder Gehbehinderte aber etwas zu abseits gelegen und nicht unbedingt zu empfehlen.
Es ist ein Dreisternehotel, laut Webseite im Internet frisch renoviert und erst seit Februar wieder geöffnet und es scheint gut besucht. Wir warten geduldig an der Rezeption, bezahlt wird im voraus, wir haben Gutscheine, Vouchers genannt. Zwei freundliche junge Damen begrüßen uns, nehmen die für zwei Nächte gültigen Zimmerquittungen entgegen, nennen uns die Zimmernummer und schreiben uns auf einen Zettel den sechsstelligen Zahlencode, der uns die Türe öffnen wird. „Sind sie sicher, dass das auch funktioniert?“ frage ich. „Warum, waren sie schon mal bei uns?“ „Nein“ sage ich wahrheitsgemäß, „aber in Hotels ohne Schlüssel haben wir eigentlich des öfteren Probleme.“
Ein Fahrstuhl bringt uns in den dritten Stock, der andere ist außer Betrieb. Die Zimmertüre lässt sich nach einem leisen Klack öffnen und uns empfängt ein Chaos, die Betten hochgestellt und der Boden voll Konfetti und Papierschlangen. Wir lachen uns eins. Wäre ja auch seltsam, wenn heute nicht noch mehr daneben geht. Carola kümmert sich um eine Putzfrau, die Rezeption entschuldigt sich, aber Einchecken sei erst ab 15:00 vorgesehen, es ist drei Minuten vor Drei. „Lassen sie sich Zeit, wir wollen nur unser Gepäck abstellen“ trösten wir die kleine Dicke, die mit ihrem Wagen voller Hilfsmitteln vor der Türe steht
.
Wir laufen zurück zur S-Bahn-Station, unter uns fährt die S 21 gerade ab, als wir die Treppen hinuntersteigen. Doch sie fährt im Zehnminutentakt, wir können es erwarten.
Zwei kurzgeschorene, nicht all zu sympathische Jugendliche fragen uns, wie man zur Reeperbahn kommt und ich zeige den Beiden auf dem HVV-Streckennetzplan, wie sie mit der S21 bis Knotenpunkt Schlump fahren und von dort mit der U 3 nach St. Pauli kommen.
Gemeinsam steigen wir in den nächsten Zug und fahren bis Berliner Tor. Dort bleibt er stehen, der Zug, länger als normal und dann verkündet unser Fahrzeugführer, dass wegen Personen im Gleisbereich der Strom auf unbestimmte Zeit abgeschaltet sei. Ein Umsteigen auf die S 1 oder U-Bahn wird empfohlen. Na, dann eben mal was Neues. Wir verlassen den Wagen und die Station, überqueren die Strasse, entscheiden uns statt U-Bahn für die S 1 und erreichen schließlich den Hauptbahnhof, um den Glockengießerwall entlang zur vor uns liegenden Kunsthalle zu laufen. Die Degas-Ausstellung ist bis Neunzehn Uhr geöffnet, wir haben reichlich Zeit, um uns mit dem Leben und Wirken dieses Künstlers zu befassen. Es nieselt leise vor sich hin und ist recht kalt.
Auf Details zur Kunstausstellung sei hier verzichtet. Auch dass wir dann am Abend noch bei Daniel Wischer in der Spitaler Strasse jeder einen etwas zu umfangreichen Bratfischteller traditionsbewusst gemeistert haben und schon kurz nach Zwanzig Uhr ziemlich nass geregnet wieder das Hotel erreichten, sei nur nebenbei erwähnt, denn der Titel der Geschichte heißt ja „Abenteuer Bahn, eine Reise nach Hamburg“.
Der letzte Sonntag dieses Februars 2009 gehört der Matisse-Ausstellung „Menschen, Masken, Modelle“ im Bucerius Kunstforum. Die S-Bahn bringt uns zuverlässig zum Hauptbahnhof, die U-Bahn zum Rathausplatz, es nieselt wie versprochen so vor sich hin und als wir kurz nach Zehn vor dem Eingang des Kunstforums stehen, sind wir zwar nicht die Einzigen, aber die Türen sind noch verschlossen und werden erst um Elf Uhr geöffnet, wie ich einem Blick auf unsere Reiseunterlagen entnehme. Degas hätte uns schon um Zehn herein gelassen.
Also gehen wir in der Nachbarschaft erst noch einen Cappuccino trinken.
Obwohl wir in dieser Ausstellung nun wirklich nicht alleine sind, kann man die liebevoll präsentierten und umfangreich beschrifteten Kunstobjekte mit Genuss erleben. Nach einem Film über Leben und Wirken dieses ursprünglich wohl recht umstrittenen französischen, 1958 verstorbenen Impressionisten und längerem Blättern und Lesen in bereitliegenden Katalogen war das Thema erschöpft und wir verlassen am vorgerückten Nachmittag das Ausstellungsgebäude, um den Rest des Tages in der Hamburger Innenstadt, vielleicht sogar mit einem Kinobesuch, zu verbringen. Es gäbe zwar genug weitere Museen, aber das setzt wohl eine überdurchschnittliche Aufnahmefähigkeit voraus und das Wetter ist alles Andere als einladend.
Wir bummeln die Alsterarkaden entlang zum Jungfernstieg in Richtung Hanseviertel, um in den überdachten Hansepassagen dem Nieselregen zu entgehen, holen uns beim Blick auf die diverse Gastronomie langsam Appetit, schlendern weiter zum Gänsemarkt und in die dortigen Passagen und kehren schließlich bei „Engelchen“ ein. Wieder werden wir preiswert mehr als satt und lassen uns von der Bedienung das Cinemaxx am Dammtorbahnhof empfehlen. Nach Effie Briest oder dem Vorleser steht Carolas Sinn und der Omnibus bringt uns die zwei Haltestellen weiter. Der Kinokomplex mit Menschenmassen gefüllt und die Filme erst ab Sechsundzwanzigsten im Programm ziehen wir uns zurück Richtung Planten und Bloomen und in die Wallanlagen. Noch ist es richtig Winter, doch die gelben Winterlinge leuchten schon durch den teilweise weggetauten Schnee und die Zaubernuss steht in voller Blüte. Das Wetter lässt keine rechte Freude aufkommen und wir kehren zum Dammtortbahnhof zurück. Lass uns Hamburg aus der S-Bahn anschauen, fahren wir doch einfach nach Blankenese. Aber ab Dammtor fährt die Bahn dorthin nur montags bis freitags. Wir hätten mehrfach umsteigen müssen, doch inzwischen ist es für sightseeing zu dunkel geworden. Dann eben nach Bergedorf und wieder zurück bis Moorfleet, sonst sind wir ja wieder vor Zwanzig Uhr im Hotel und so gemütlich ist es dort auch nicht. Gesagt, getan und gegen Halbneun öffnet unser Zahlencode die Zimmertüre.
Es ist Montagmorgen. Unser Zug fährt ab Hauptbahnhof um zehn Uhr, um Neun wollen wir uns auf den Weg machen und so trödeln wir vor uns hin und gehen reichlich zeitig frühstücken.
Pünktlich machen wir uns auf den Weg zum Hauptbahnhof, besorgen uns noch etwas Reiseproviant und verlassen fahrplanmäßig Hamburg. Mit unseren reservierten Plätzen sitzen wir mitten in einer Schulklasse pubertierender Hauptschüler aus Schleswig Holstein, die sichtlich aufgeregt zum ersten Male in die Berge fahren, nach Benediktbeuren, wie uns später die beiden sympathischen, neben uns sitzenden Lehrer bereitwillig erzählen, ein Er und eine Sie, die ihre Bande doch recht gut im Griff haben, darunter acht Muslims, davon zwei Mädchen, die man durchaus als vollreife Frauen betrachten konnte. Ihre Eltern hätten es völlig überraschend erlaubt, dass sie mitfahren dürfen, aber der besonderen Obhut der Lehrkräfte anvertraut.
Es wäre verwunderlich gewesen, wenn die Heimfahrt reibungslos geklappt hätte. Im „Palast der Winde“, wie die düsteren Hallen des Bahnhofes Kassel-Wilhelmshöhe im Volksmund genannt werden, standen alle Gleise voll ICEs, wir auch, länger als sonst. Dann kam eine Zugdurchsage, dass sich die Abfahrt wegen Personenschadens auf der Strecke nach Göttingen und Einsatzes von Rettungskräften und Polizei auf noch unbestimmt verzögern würde. Nach einer halben Stunde kam Bewegung auf und ICE auf ICE verließ den Bahnhof, schließlich auch wir. Allerdings kam es zu mehrmaligem Halt auf freier Strecke, mitunter auch in den zahlreichen langen Tunnels dieser Schnellfahrstrecke und die Zugbegleitung erklärte, dass wegen Überlastung immer wieder auf die vorausfahrenden Züge geachtet werden müsse. Und so läppert sich bis Ingolstadt wieder fast eine Stunde Verspätung zusammen. Uns ist das egal. Die Regionalzüge von Ingolstadt nach Hause verkehren im Stundentakt und so nehmen wir eben den Zug eine Stunde später. Wer allerdings glaubt, dass es jetzt reibungslos oder ohne besondere Umstände weiter geht, wird enttäuscht. Unser Zug fährt eben nicht von
Gleis 1 in Ingolstadt weg sondern von Gleis 31. Wir folgen den kritikerhabenen, gut beschilderten Hinweisen, laufen einige hundert Meter außerhalb am Bahnhof entlang bis zu einem Güterschuppen im Vorfeld und erreichen einen provisorischen Bahnsteig. Für uns angenehm ist, dass der Triebwagenführer nach seiner Ankunft auf Gleis zwei den Triebwagen umgehend zurück zu eben diesem Gleis 31 bringt, sodass wir die Viertelstunde bis zur Abfahrt wenigstens im Warmen sitzen können. Zu Haus kommen wir fahrplanmäßig an, allerdings eine Stunde später, aber unser Auto steht noch am gleichen Platz und irgendwann hat eben jede Reise auch ein Ende.
Manchmal ist eben der Wurm drin. Dann nützt selbst eine perfekte Planung wenig. Dann wird es zu einem kleinen Abenteuer, die Fahrt mit der Bahn. Wenn wir es nicht selbst zigmal erlebt hätten, könnte man sagen: „Es soll mal eine Zeit gegeben haben, lange vor Mehdorn, dem Erfolgreichen, da fuhren die Züge noch pünktlich und zuverlässig“. Aber es war trotzdem schön, mal wieder draußen gewesen zu sein und nebenbei eine Menge schöner Dinge gesehen zu haben, die es wert waren, auf die Bequemlichkeit der eigenen vier Wände für eine Weile zu verzichten.
Gerechterweise sollte berücksichtig werden, dass die Bahn nun wirklich nicht haftbar gemacht werden kann, wenn ein Dussel mit seinem Elektrokarren in einen Wagen fährt oder wenn irgendwelche Menschen keine Lust am Leben mehr verspüren und sich einem Zug in den Weg stellen. Zur Ehre sei gesagt, wir waren im Juni erneut in Hamburg und beide Richtungen wurden fast auf die Minute genau bedient und das scheint ja wohl immer noch normal zu sein.
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Der Beitrag wurde von Werner Wadepuhl auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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