Petra Virbinskis

Bügel-Bild

„Ausgerechnet mir muss das passieren! Wir haben ´86 und ich altes Trottelgesicht hab mich verliebt. Ich sitz hier vor deinem dummen Foto…“

Clowns und Helden dröhnen über den Kopfhörer in mein Ohr.

Nein, wir haben nicht ´86, sondern 2009 und ich bügel gerade eines deiner alten Hemden. Es ist noch sehr gut erhalten und ich sehe dich plötzlich vor mir, wie du in dem zu großen Hemd vor mir stehst. Die Ärmel offen und lang. Du hast die Ärmel nie geschlossen. Es war eine deiner Eigenarten. Oben drüber die Hosenträger und dazu eine Jeans, die dir ebenfalls viel zu weit gewesen ist. Aber du hast es geliebt, dich so anzuziehen. Das warst eben du. Irgendwann musst du einen Knopf abgerissen haben aber ich habe ihn in der rechten Brusttasche des Hemdes gefunden. Du hast immer die abgerissenen Knöpfe in den Taschen des jeweiligen Kleidungsstückes aufbewahrt. „Damit er nicht verlorengeht!“ hast du gesagt. Und überhaupt hast du immer sehr darauf geachtet, dass alles seine Ordnung hat und beieinander ist. Ein Erbe deines Vaters. Er ist ebenso gewesen. Ich habe ihn ja nie kennengelernt, denn er ist zwei Jahre, bevor wir uns trafen, gestorben. Für dich ein sehr schlimmer Verlust, der dich all die Jahre begleitete.

Damals, als das Jahr 1986 geschrieben wurde, war unsere Tochter bereits ein Jahr alt. Oder war sie erst ein Jahr alt? Es war eine glückliche Zeit. Ich habe dich geliebt. So sehr, dass ich es nicht beschreiben kann. Wir waren eine kleine glückliche Familie und ahnten da noch nicht, dass alles irgendwann anders kommt, als man es sich erträumt.

Heute ist deine Tochter zum zweiten Mal schwanger. Ja, sie erwartet ihr zweites Kind und du wirst es niemals sehen. Du wirst auch nicht sehen, wie sie bald als strahlende Braut dem Mann, den sie liebt, ihr Jawort geben wird und wie glücklich sie mit ihm ist. Du siehst auch nicht, wie verzweifelt sie ist, weil du an allen Ecken und Kanten fehlst. Gerade jetzt, weil sie umzieht und sie überfordert ist.

„Mama“; sagte sie gerade vor zwei Tagen zu mir, „sonst hat Papa immer alles gemacht. Er hat nicht lange geredet, er hat es einfach gemacht. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich brauchte mich noch nie darum zu kümmern und jetzt…?“

„Stell dir einfach vor, wie Papa es gemacht hat, wie er die Dinge reihum anpackte und erledigte, ohne großartig Worte zu verlieren und dann versuch es auch so zu machen.“ Versuchte ich sie hilflos zu trösten.

„Das ist nicht das Selbe. Ich kann so vieles nicht, was Papa konnte“, gab sie mir zur Antwort!

„Ich weiß mein Kind, ich weiß… mir fehlt er auch. Sehr sogar, auch wenn wir schon lange geschieden waren…“

 Jetzt trägt dein Sohn Joshua dein Hemd und er liebt es. Es hat seine Lieblingsfarbe. Grün.

„Mama, nähst du mir den Knopf an und nähst du auch gleich die beiden oberen Knöpfe noch mal fest? Sie lösen sich langsam!“

„Ja, das mache ich…“

Er sagt nie viel, genau wie du und er jammert nicht aber ich merke, dass du auch ihm fehlst. Er hängt an deinen Sachen und auch die Krawattennadeln, die Schere und den Puma, trägt er ständig. Er liebt diese Dinge und hält sie im Andenken an dich in Ehren. Du wärst stolz auf ihn. Er ist gut in der Schule und er trägt deinen Beinamen. Den, den deine Geschwister dir in jungen Jahren gaben: Professor!

Joshua ist ebenfalls ein kleiner Professor. Er weiß sehr viel und lässt keine Gelegenheit aus, um Dinge zu erklären… selbst wenn es keiner wissen will.

 

Phillip ist dir so ähnlich. In seiner ganzen Mimik und Gestik ist er dein Ebenbild. Es ist manchmal erschreckend. Er geht wie du, er lacht wie du und er kleidet sich wie du. Alles muss groß und weit sein. Sogar eine Bauchtasche hat er jetzt, wenn auch aus einem weniger schönen Grund, als du sie hattest. Nie bist du ohne sie aus dem Haus gegangen. Du hast immer etwas zu essen darin gehabt. Eine Stulle und Bonbons, deinen Tabak, das Portemonnaie und ein Feuerzeug… aber auch Kugelschreiber, Fasenprüfer und Zollstock. Man konnte ja nie wissen.

Phillip hat die Bauchtasche für sein Insulin. Er muss jetzt regelmäßig zum Essen spritzen. Eine Folge seiner Mukoviszidose. Leider war es ja absehbar. Manchmal denke ich so im Nachhinein, ob du wohl auch eine leichte Form der Diabetes gehabt hast? Phillip hat übrigens deine ganzen Feuerzeuge und Taschenmesser gerettet. Die, die noch aus deiner Selbstständigkeit stammen…

In seiner Arbeitsweise ist Phillip dir ebenfalls sehr ähnlich. Ich weiß noch, wenn du Möbel gebaut hast, dann hast du so lange gefummelt, bis alles akkurat zusammen war. Selbst wenn du es zehnmal auseinander und wieder zusammensetzen musstest. Das hat mich manchmal wahnsinnig gemacht aber das Ergebnis war hervorragend. Phillip hat auch Geduld in dem Punkt…

 

Die kleine Alina. Sie hatte am wenigsten von dir. Du gingst, als sie 9 Monate alt war. Für sie habe ich den Tisch aufbewahrt, den du damals bei einem Kunden abgeschwatzt hattest. Sie lernte das Laufen daran, bevor du ausgezogen bist. Vielleicht hat sie sich deshalb so mit dem Laufen beeilt und konnte es schon, bevor sie 9 Monate alt wurde, weil sie ahnte, dass du den Tisch mitnehmen würdest. Nun, wir haben ihn jetzt eingelagert und sie wird ihn bekommen, wenn sie irgendwann einmal eine eigene Wohnung hat. Sie ist bildhübsch geworden. Sie hat deine langen Augenwimpern. Schwarz, lang und voll. Ich war immer neidisch auf deine Wimpern.

Sie steht immer noch oftmals nachts an meinem Bett und weint. Dann frage ich sie, was sie hat und sie kommt unter meine Decke gekrochen und sagt: „Ich vermisse Papa!“

Wir liegen dann ganz still im Bett und uns laufen gemeinsam die Tränen über das Gesicht.

 

Seit mehr als zwei Jahren bist du nun schon tot, aber vergessen werden wir dich nie.

Ich bügel immer noch das Hemd, in dem ich dich so oft sah… mit Tränen in den Augen.

 

 

by Petra Virbinskis 18.08.2009

 

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