Auf dem Rathausplatz einer mittelgroßen, nordhessischen Kreisstadt müht sich eine junge Frau an einem warmen Sommernachmittag der späten 1950er Jahre damit ab, das Autofahren zu erlernen. Marianne ist es geraden eben zum soundsovielten Male gründlich mißlungen, den VW-Käfer der Fahrschule nach einem Halt sauber wieder anzufahren und während der Heckmotor noch laut röhrend qualmige Abgasschwaden in die warme Sommerluft hinausbläst, erklärt sie dem Fahrlehrer (vor Enttäuschung beinahe schon Tränen vergießend), daß sie das Autofahren wohl niemals richtig lernen werde.
Hinter dem stehendgebliebenen Fahrschulauto mit der völlig entmutigten Marianne am Steuer stehen bald mehrere Pkw und auch ein Hanomag-Lastwagen – das einsetzende Hupkonzert bringt Marianne noch mehr durcheinander, als sie es ohnehin schon gewesen ist, weshalb sie schließlich sogar aussteigt und sich standhaft weigert, auch nur einen einzigen Meter weiterzufahren. Während sich der Fahrlehrer noch erfolglos damit abmüht, Marianne zum wieder Einsteigen und Weiterfahren zu bewegen, kommt auch schon der Polizist dazu, der auf einem überdachten, kleinen Podest in der Mitte Platzes soeben noch den Verkehr geregelt hat.
Vor dem Hintergrund eines schon recht großen 50er-Jahre Bürohauses – mit der zeittypischen Rasterfassade, hohen Mosaiken an den Schmalseiten und geschwungenen Neonwerbeschriften über den Schaufenstern der Ladenzeile im Erdgeschoß – steht also immer noch der VW-Käfer mit der zutiefst verdrossenen Marianne, dem verzweifelt die eigenen Haare raufenden Fahrlehrer und dem Verkehrspolizist, wobei der letztere beschwichtigend und direkt schon väterlich auf die enttäuschte Fahrschülerin einredet.
Hinter dem Fahrschulauto stehen inzwischen noch mehr Pkw und ein weiterer Lkw – und alle hupen! Am Straßenrand sind jetzt auch schon mehrere Schulkinder zu sehen, die sich über die verdrossen auf der Straße stehende Marianne, den verzweifelten Fahrlehrer, den auf beide einredenden Polizisten und die immer länger werdende, hupende Schlange weiterer Autos und Lastwagen amüsieren – nicht weniger munter sind auch einige herumstreunende Hunde, die ihre Meinung zu Alldem ebenfalls lautstark zum Besten geben.
Irgendwo in der wachsenden Schlange wartender Kraftfahrzeuge steht auch schickes weißes Sportcabriolet mit roten Sitzpolstern – in diesem Cabrio sitzt eine nicht weniger schick herausgeputzte junge Frau mit einer großen, modischen Sonnebrille, einer aufwendigen Frisur und einem ebenfalls teuer frisierten, wuschligen und recht munteren kleinen Hund. Corinna – wie sie sich von Freunden und, nach recht kurzer Zeit, auch von noch eher Unbekannten gerne nennen läßt – gibt sich bei jeder geeigneten Gelegenheit gerne als angehende Schauspielerin mit zukünftigen Welterfolgen aus.
Im Moment ist Corinna zuerst einmal damit beschäftigt, sich gegenüber jedem, der in ihre Nähe kommt, wortreich darüber zu beschweren, daß sie sich so eine Schlangesteherei nicht gefallen läßt, daß sie den Bürgermeister persönlich kennt und daß man schon sehen wird, was bei der ganzen Geschichte noch herauskommt! Nachdem einige weitere Minuten vergangen sind, setzt sich die ganze Fahrzeugschlange allmählich wieder in Bewegung und Corinna fährt in ihrem schicken weißen Sportcabriolet mit den roten Sitzpolstern nach Hause, wobei in ihrem Autoradio weithin hörbar davon gesungen wird, daß an Alldem nur der Bossa Nova schuld sei!
In ihrer ebenfalls sehr schick und farbenfroh eingerichteten, kleinen Wohnung nimmt Corinna – die tatsächlich Gabriele Mühlenberg heißt und aus Dinslaken in nordwestlichem Ruhrgebiet stammt – zunächst einmal ihr in Wirklichkeit gründlich verabscheutes, aufwendiges Haarteil (Das wird mich irgendwann noch mal umbringen!) vom Kopf, um sich danach auch weiterhin Schritt für Schritt von der umschwärmten und so sehr umtriebigen Corinna in die liebe und eher bodenständige Gabriele zurückzuverwandeln. Am Ende ihrer Verwandlung macht es sich „Corinna-Gabriele“ dann schließlich auf einer bequemen, kleinen Couch vor ihrem Fernsehgerät gemütlich und ruft ihren kleinen Hund herbei, in dem sie auf ihren Schoß klopft und „Mutzelchen (also nicht etwa „Chéri“, oder etwas ähnlich Anspruchsvolles), komm bei Mama!“ ruft.
Und das ist das Ende dieser Geschichte!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.08.2009.
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