Petra D.

Von Kräutern, Russen und der Liebe...

Da sitze ich nun in dem schäbigen kleinen Aufenthaltsraum, in den man uns Raucher in den Pausen sitzen lässt, und grübele. Meine Zigarette qualmt, mein Kopf raucht und mir will so gar nicht in denselben, dass ich nicht gemerkt hatte, dass dieser Tag, über den ich nachdenke, das Potential hatte, mein bisher so angenehmes Leben zu zerstören. Angefangen hatte das Ganze im August und ich überlege, was da so schief gelaufen war, dass ich nun gezwungen war, darüber nachzudenken. Mein Nachbar der Juri war eindeutig Schuld, oder war es meine etwas blonde Naivität, wie mein Chef immer sagt? – Eines schönen Spätsommerabends jedenfalls, stand er (der Juri) mit einer kleinen Tüte in der Hand vor mir an der Tür – braun gebrannt und unheimlich gut aussehend. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin nicht der Typ Frau, der nach dem Aussehen geht, aber als er vor mir stand und ich in seine tiefbraunen Glutaugen sah, da wurde mir irgendwie so mulmig im Bauch und meine Knie fühlten sich an, als wären sie aus Pudding. Schon längere Zeit hatte ich ihn heimlich beobachtet und freute mich über jeden warmen Tag, wenn er in seinem Garten den Rasen mähen musste – ja, ich hatte schon überlegt, ob ich ihm heimlich Dünger auf das Gras streuen sollte, damit der Rasen noch öfter gemäht werden musste. Je wärmer, desto besser, denn wenn er anfing zu schwitzen, riss er sich ungeduldig sein T-Shirt über den Kopf und mähte mit freiem Oberkörper – und was für ein Oberkörper! V-förmig, muskulös und ein kleines Sixpack an der richtigen Stelle, fast so, wie der Mann in dieser Coka-Cola Werbung, die mich immer so anmacht.

 

Wenn ich das Fernglas richtig einstellte, konnte ich sogar die Schweißtropfen sehen, die sich ganz langsam ihren Weg über diesen unglaublichen Körper bahnten und in mir den Wunsch weckten, sie ganz langsam, jeden einzelnen mit der Zunge…doch ich schweife ab. Nicht, dass Sie jetzt denken, ich wäre ein Spanner (merkwürdig, das Wort „Spannerin“ gibt es scheinbar nicht, es muss wohl typisch männlich sein zu spannen), aber ich muss zugeben, sein Anblick erregte mich irgendwie und ließ mich ganze Nächte von ihm träumen, und obwohl ich doch kein einziges Wort mit ihm gewechselt hatte, wenn wir uns sahen, dachte ich mir unglaublich erotische Dialoge zwischen uns aus – Nun verstehen Sie sicher, warum ich so aufgeregt war, als er plötzlich vor mir stand und wie froh ich war, dass ich an diesem Tag mein luftiges Sommerkleid noch nicht in die alten bequemen Leggins eingetauscht hatte, mit denen ich es mir abends so oft vor dem Fernseher (oder dem Fenster) gemütlich machte. So bat ich ihn herein und als er im vorbeigehen meinen Arm versehentlich berührte, beschloss ich, diese Stelle nie mehr zu waschen. Er nahm in meinem Fernsehsessel Platz, öffnete die Tüte und holte eine Wodkaflasche und 2 Wassergläser heraus, die er vor uns auf den Tisch stellte.

 

Vielleicht muss ich noch erwähnen, dass er zusammen mit seiner Großfamilie vor Jahren aus Kasachstan nach Deutschland gekommen war und in der Nachbarschaft mehrere Häuser gekauft hatte. – Als ich dort in die Straße zog, war meine Mutter entsetzt: “Kind, da wohnen so viele Russen, die sind doch alle gefährlich!!“ hatte sie mit besorgtem Gesicht gesagt und es folgte, trotz meines Einwandes, dass sie deutsche Staatsbürger und sehr nett seien, ein Vortrag über die Russenmafia, den sie am Vorabend in „Brisant“ gesehen hatte – Nun saß also einer der „Russen“ in meinem Sessel und ich hoffte, sein umwerfender männlicher Geruch, diese Mischung aus After-Shave und Schweiß, würde noch lange im Polster haften bleiben. Als er die Wassergläser halb voll mit Wodka füllte, erstarb mir jeder Protest auf den Lippen, während ich das Spiel seiner Muskeln unter dem dünnen Hemd betrachtete (ich hoffe, mein Mund stand dabei nicht offen, so was wirkt doch etwas debil bei einer Blondine). Wir prosteten uns zu und er leerte das Glas in einem Zug. Natürlich wollte ich nicht wie eine Mimose dastehen und so tat ich es ihm gleich. Bisher hatte er noch nicht viel gesagt, doch als er die Gläser wieder füllte, sah er mir tief in die Augen und begann zu sprechen. Er habe mich schon so oft beobachtet und ich würde auf ihn einen so vertrauenswürdigen Eindruck machen, dass er eine große und sicher ungewöhnliche Bitte an mich habe. Er schwieg einen Augenblick und nippte an seinem Glas. Ich konnte nicht anders, als in nur anzustarren. Seine leicht angeraute Stimme und dieser kräftige russische Akzent hypnotisierten mich, und versetzten mich in eine hoffentlich nur vorübergehende Lähmung. Seine Mutter sei sehr krank, fuhr er fort und sie weigere sich, irgendwelche Medikamente zu nehmen und alle seine Versuche, sie wegen ihrer starken Schmerzen zu einem Arztbesuch zu überreden, seien bisher erfolglos geblieben. Nun habe er erfahren, dass ich in einem Krankenhaus arbeiten würde und so ja sicher wisse, dass man mit „gewissen Pflanzen“ bei Schmerzpatienten gute Erfolge erziele. Ich nickte vorsichtshalber mit dem Kopf, wollte ich mich doch nicht als unwissend präsentieren und ihn so vielleicht so schnell, wie er gekommen war, wieder aus den Augen verlieren. Da seine Mutter auch von deutschen Kräutern nichts wissen wollte, bat er mich, in der kleinen Ecke meines Gartens, die an sein Grundstück grenzte, ein paar Heilkräuter einsetzen zu dürfen. Es würde mein Schaden nicht sein, sagte er und legte seine Hand auf meine, was mir sogar unter den Fußnägeln eine Gänsehaut verursachte. Außerdem würde ein zuverlässiger Freund von ihm demnächst bei mir klingeln und ein russisches Medikament in einem kleinen Päckchen bei mir abliefern, damit seine Mamuschka nichts merkte. Er würde sich dann die Lieferung bei mir abholen und ihr eben heimlich die Sachen verabreichen, damit sie wieder gesund werden würde.

 

Als er so erzählte, meinte ich einen Blick in seine russische Seele zu tun und nach dem dritten Wasserglas randvoll mit Wodka, zog er mich in seine Arme und sang mir ganz leise „Kalinka“ ins Ohr – ich dachte noch, dass sei ein Liebeslied aus seiner Heimat (später las ich, dass es sich um einen Birnbaum handelte, den er besang) – Längst war ich nicht mehr in der Lage, abzulehnen und so brachte ich mühsam ein Kopfnicken zustande, wobei ich krampfhaft darauf achtete, den Kopf nicht zu weit nach unten zu halten, da ich befürchtete, dass mein Magen es sonst als Einladung zu einer spontanen Entleerung des Wodkas auf seine glänzenden schwarzen Lackschuhe ansehen würde. Irgendwann war er gegangen, was wir noch miteinander redeten, oder ob wir überhaupt redeten, wusste ich nicht mehr – Ich wollte sterben, einfach nur sterben, damit dieser verfluchte Raum aufhörte sich zu drehen. Trotzdem musste ich eingeschlafen sein, und ich erwachte mit steifen Gliedern und dickem Kopf in meinem Sessel, der immer noch seinen Duft verströmte. Verwirrt, verkatert und verschlafen schaute ich auf die Uhr und stellte fest, dass es 3 Uhr in der Nacht war und wankte zum Fenster um die kühle Nachtluft auszusperren, die mir die Füße empfindlich kalt werden ließ, als ich einen Schatten in meinem Garten sah – Da stand er und pflanzte Setzlinge! Vorsichtig zog ich mich vom Fenster zurück. Dieser Mann musste seine Mutter sehr lieben, wenn er um diese Zeit für sie Kräuter pflanzte! Mein Gefühl für ihn wurde immer wärmer und ich wollte schon in den Garten gehen, um ihm zu helfen, als mich mein Magen an einen anderen Ort des Hauses zwang. Danach war ich nur noch in der Lage zu schlafen und hätte wohl den ganzen folgenden Tag im Bett zugebracht, wenn mich nicht ein durchdringendes Klingeln an der Haustür aus dem Schlaf geholt hätte.

 

Vor mir standen zwei Männer mit dunklen Sonnenbrillen und einen Moment wünschte ich mir auch solch ein dunkles Monstrum vor meinen merkwürdig lichtempfindlichen Augen. „Die Lieferung!“ sagte der eine Mann mit leiser Stimme und drückte mir ein großes Paket in die Hand. „Solch ein riesiges Paket!“, wunderte ich mich, doch ich wusste ja, dass es einen weiten Weg zurückgelegt hatte und man sicher nicht jede Woche ein Medikament von Russland bis hierher schicken konnte. „Er hat bestimmt einen ganzen Vorrat bestellt“, dachte ich mir und nahm das Paket an und stellte es in meiner Küche auf den Tisch. Nachdem ich mir einen Kaffee gemacht hatte, wurde es schon Zeit, zum Dienst zu fahren.

 

Auf der Station angekommen, erzählte mein Chef mir, wir würden demnächst ein neues Medikament einsetzen können, dass im Rahmen einer Studie an Schmerzpatienten getestet werden solle. Die Reinsubstanz läge für Testzwecke  schon mal vor, und es würde doppelt so stark gegen Schmerzen helfen, wie Morphium. Nun hatte ich etwas, mit dem ich meinen Juri beeindrucken konnte, das spürte ich sofort und ich füllte mir heimlich ein großes Reagenzröhrchen von dem weißen Pulver ab. Niemand würde merken, das etwas fehlte, dazu war der Behälter mit dem Medikament zu reichlich gefüllt.

 

Kaum war ich zu Hause, klingelte es an der Tür und ich lief schnell hin, in der Erwartung, Juri zu sehen und ihm meine Idee mit dem Medikament zu erzählen, doch es war seine Mutter die dort stand und mich anlächelte. Etwas irritiert ließ ich sie eintreten und mit einem Ächzen setzte sie sich langsam in meinen geliebten Sessel. Sie musste starke Schmerzen haben. Plötzlich kam mir eine Idee – ich könnte ihr doch schon mal etwas von dem Medikament verabreichen. Heimlich. - Wie Juri es ja auch vorhatte. Und so bot ich ihr einen Wodka an. Ich ging in die Küche, füllte zwei Gläser und schüttete etwas in ihr Glas. Nun weiß ich ja, dass man in Kasachstan immer halbvolle Wassergläser mit Wodka füllt, weshalb ich auch gleich die Hälfte des Röhrchens in die Flüssigkeit gab, etwas umrührte und ihr dann das Glas in die Hand drückte – Juri würde sich bestimmt freuen, wenn seine Mutter endlich einmal ohne Schmerzen war. Wir prosteten uns zu und sie nahm gleich einen großen Schluck. Immer noch lächelnd deutete sie auf das Paket, das man durch die geöffnete Küchentür sehen konnte. „Ich komme, um die Lieferung abzuholen.“ sagte sie und ich war erstaunt. Hatte er ihr nun doch davon erzählt? Als ich sie eben danach fragen wollte, griff sie sich an den Hals, sackte plötzlich zusammen und fiel vornüber. – Erschrocken fühlte ich ihren Puls. Die Frau war tot! Und auch nach mehreren Reanimationsversuchen, die ich durchführte, wollte sie einfach nicht ins Leben zurück kehren.

 

Nun bin ich durch meinen Beruf ja doch gewohnt, Tote zu sehen und so war ich nicht irgendwie in Panik, wenn sie verstehen, doch meine Gedanken begannen zu rasen. Wie sollte ich das nur Juri beibringen? Mein Kopf schwirrte, als es schon wieder klingelte. Nun stand Juri vor der Tür und bevor ich etwas sagen konnte, ging er ins Wohnzimmer. Noch in der Tür erstarrte er, als er seine tote Mutter erblickte, rannte dann auf sie zu, warf sich vor ihr auf die Knie und schrie verzweifelt. Fassungslos stand ich in der Tür. Wieder einmal fehlten mir die Worte. Ich hatte es doch nur gut gemeint und nun sah ich, wie er einen hasserfüllten Blick in meine Richtung schickte. Ich begann zu zittern – der Mann meiner Träume - für immer verloren! Mit weit aufgerissenen Augen sah ich, wie er nach dem Wodkaglas seiner Mutter griff und dessen Inhalt auf einmal herunterstürzte…

 

Genauso ist es gewesen und mehr kann ich nicht sagen. Ich habe es alles so aufgeschrieben, wie es war. Warum ich die beiden Leichen ein paar Wochen in meiner Tiefkühltruhe verschwinden ließ, muss der Staatsanwalt doch verstehen. (außerdem konnte ich so jeden Abend einen Blick auf meinen Juri werfen) Ich bin doch unschuldig und wollte nur helfen, aber da nun alles schon so schief gelaufen ist, und bei meinem Pech in der letzten Zeit, befürchte ich, dass man mir nicht glaubt, genauso wenig, wie man mir die Erklärung für die Existenz der Cannabis-Pflanzen in meinem Garten abgenommen hat.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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