Meike Schrut

Ein vages Gefühl der Sehnsucht

 

1.Teil

Die Nacht hatte sie schon überlegt, welches Projekt sie als erstes in Angriff nehmen sollte. Würde “Flug der Pharao”, “Romantisches Allerlei mit Hindernissen” “Stadt im Filmwahn” ,“Mord in der Filmstadt” entstehen? Würde sie irgendwann die Regisseurin sein, die das große imaginäre Zepter schwingen könnte, um zu entscheiden, welche Filmszenen zusammengeschnitten werden würden, welche nicht?

Ihre alte Leidenschaft, das Bedürfnis, aus dem Hintergrund beobachten und doch der Dirigent sein, erwachte! Sie erinnerte sich, wie jemand sie am gestrigen Abend sie ansprach. Wie hatte sie heiter erwidert? “Muss alles aus der Entfernung betrachten..” Und es war etwas so Simples gewesen wie das Treiben auf einer Bowlingbahn. Menschen, die sich heiter unterhielten, sich Tipps gaben, wie man es besser machen könnte oder gar müsse  als ob es immer Verlierer und Gewinner zu geben hätte. Die sich aber auch anschwiegen. In diesem gefährlich-kalten Anschweigen erkannte sie unter anderem eine unterschwellige Verachtung, aus welchen Gründen auch immer. Ihr war Verachtung zwar zuwider, aber war nicht Verachtung oder besser Missachtung sehr viel besser als Hass?

Und es war selbst hier ihre Absicht: helfend dirigieren, fast unauffällig alle Abläufe bestimmen, Minenspiele korrigieren dürfen, “Stop” sagen , egal, wer als Star vor ihr stand. Kopfmäßig war sie Regie, Kamera und Drehbuch zugleich. All die Wünsche aus frühen, sehr frühen Tagen als erwachsener Mensch konnten nur an die Oberfläche kommen, weil sie sich langweilte.

Vor ihr stapelten sich Zettel und Schnipsel aus Zeitungen, die sie schon für zukünftige Dialoge verwenden wollte. Momentaufnahmen und auch schon Notizen wie “nah” “halbnah” Farbe lila für ein Zimmer, rosa für die romantische Traumsequenz. Alles zunächst sehr verschwommen, weil nicht eindeutig zu zuordnen. Momente, in denen sie festhielt, wenn neue Eindrücke ihr andere Bilder vermittelten, Bilder, die in ihren Gedanken für den Film - egal welchen - Verwendung finden mussten. Gesichter in Maske tauchten auf, bekannte, unbekannte, riesige Menschen als Bodyguards, kleinere Männer als fast unbedeutende Politiker. Politik wünschte sie sich in ihren Filmen der Zukunft Null!

Sie flüchtete sich gedanklich in die unreale Filmwelt, weil sie mit Gedanken nicht so klarkam, wie sie es sich wünschte. Trägheit anderer Menschen regte sie nur noch auf. Selbst wenn Trägheit später begründet wurde, der Dispatcher in ihr hatte dafür andere Bezeichnungen: schlechte Arbeitsorganisation! 

War ihr Leben (oder das Leben drumherum) zwischendurch tatsächlich langweilig, zu gradlinig , nur eintönig zu nennen? Leben in zu eingefahrenen Bahnen, Sicherheiten, die jeder Mensch mittlerweile herbeisehnte, ohne zu bedenken, daß man auch aus Träumen etwas entstehen lassen könnte? Und was war überhaupt aus dem Gefühl Liebe? Was war denn mittlerweile Liebe für sie geworden..

Ein sehr vages Sehnen, vermischt aus Anwandlungen von Sarkasmus, dann tiefe Traurigkeit, Wutausbrüchen, wenn es nicht nach ihrem Willen ging. Depressionen hatte sie mehr und mehr in den Griff bekommen, nahm nun aber Schlaftabletten, wenn die Fülle an immer wieder neuen Ideen sie nicht zur Ruhe kommen ließ. Eine gewaltige Stadt, die eigentlich aus mehreren Städten bestand und sich ständig vergrößerte tauchte aus ihren Fantasiegebilden auf..

 

 

Eine rosa-rote Blümchenwolke fusselte langsam aber sicher auseinander und ein ihr bekanntes Gesicht erschien aus dem Dunst, nur sehr langsam tauchte der ganze Mann auf.

„Stop! Den ganzen Mist noch einmal, Ihr habt doch echt den falschen Nebel genommen: der war für die Traumsequenz gedacht und nicht jetzt, wo gleich ein Toter entdeckt werden soll, würde doch albern aussehen oder?“

Die Scherzkekse von der Technik suchten also fix neuen Nebel raus, als es sich herumgesprochen hatte, dass er nun doch mitspielen wollte, hatte man sich bemüht, besonders präzise zu arbeiten und gerade deshalb geschahen immer wieder neue Fehler und kleine und große Ungenauigkeiten. Was hatte ein berühmter Star in einer Nebenrolle zu suchen?
Der Star, der mit widerwärtiger Wiederholung die Betitelung Star ablehnte, wollte unbedingt den Mann spielen, der einen Todesfall vertuschen muß, damit seine eigene Rolle im Spiel um Mord, große Leidenschaften und verhängnisvolle Verehrungszwischenfälle nicht zutage tritt. Tod eines Kindes auch noch..! Wieder einen Miesling? Seine Besessenheit trieb auch diese Regisseurin langsam zur Verzweiflung. Sie wurde immer öfter unsicherer, sah ihn fragend an und ließ ihm mehr Freiheiten bei der Gestaltung der Rolle, als sie sie je einem von ihr bevorzugten Schauspieler gegeben hatte.

Man drehte verschiedene Einstellungen an einer wieder arbeitenden Güterabfertigung in G. Endlich wallte der richtige Herbstnebel über die Gleise, ein Wagendienstmitarbeiter zückte seinen winzigen Labtop um die Transportpolizei zu benachrichtigen, die diesmal den Toten zuerst in Augenschein nehmen sollte.

Er hatte sich angewöhnt nervös vor sich hin zu qualmen, denn natürlich wollte man ihn nicht unbedingt in der Nebenrolle als scheinbar netter Typ von nebenan dabei haben,der den Tod eines unschuldigen Kindes verursacht. Aber diese Nebenrolle war deshalb so schwierig und dennoch reizvoll, da er gezwungen wurde, mehr deutsch zu sprechen, als er es je in seinem Leben getan hatte. Und das gebrochene Deutsch aus dem Munde eines lernbegierigen Engländers war ihr mehr wert als das perfekte Deutsch eines Absolventen der hiesigen Hochschule. Schweren Herzens hatte sie damals eben die Ausnahme gemacht...

In ihren verdrehten Träumen, in denen sich eine Vergangenheit die Klinke gab mit einer Zukunft, die es so nie geben würde (weil die Voraussetzungen weggenommen worden waren) wirkte Transportpolizei mit einer Polizei zusammen, die eben vorwiegend dem Schutz der Filmstadt diente. Die Extra-Polizei, die auch den Straßenverkehr regelte, war in den Hintergrund gedrängt worden, denn Mordfälle gab es schon lange nicht mehr, nun, wo Tag und Nacht in irgendeinem Stadtteil gedreht wurde? 
Und also gingen ihre Träume weiter: Die 3 modernen Güterabfertigungen in den 2 zueinandergehörenden Filmstadtteilen hatten 20 neue Mitarbeiter von Außerhalb einstellen können: diese mußten auf modernere Art Fernschreiben absetzen, Fehlermeldungen abgeben, den Kraftverkehr teilweise mit kontrollieren und was der vielen Aufgaben mehr wurde. Ohne den Kraftverkehr, den man ebenfalls in diesen Stadtteilen wieder eingesetzt hatte wanderten gewisse Waren eben nicht mehr bequem  und unkompliziert von Ort zu Ort . Vergessene Berufe erwachten zum Leben wenn auch unter anderen Vorzeichen. Aber was waren das für Güter: Requisiten wanderten von Stadt zu Stadt, selbst in ferne Dörfer, wo sich kleine Filmteams etabliert hatten. Tiere wurden verladen, die nur mal kurz durchs Bild geführt wurden, Autos, die man unter einigem Aufwand wieder reparierte, weil die Reparaturen auch Teil jenes Projektes wurden, das sich “Austausch” nannte. Selbst bestimmte Institutionen gewöhnten sich sehr an operative Tätigkeiten , Beruf Dispatcher erfuhr eine Wandlung, wie man es sich nicht vorstellen konnte, denn Regieassistent schien eher zu passen! Ämter stellten mittlerweile Arbeitsgutscheine aus, da jeder irgendwas tun WOLLTE und wenn es nur die Arbeit in der Nacht war: Regale einräumen in Supermärkten, jene neue Stadt würde so schnell keine Ruhe finden. Denn Menschen filmten am laufenden Band (aber ernsthafter als je zuvor!) ihr eigenes Leben mit den primitivsten Mitteln, Filmstudios kamen bald mit der Nachfrage um Unterstützung nicht mehr hinterher, viele Menschen wollten nur noch beim Film sein, Filmarbeit bestimmte das Leben der vorher öden Stadt. In diesem Zusammenhang entstanden an PC `s , immer neue virtuelle Welten für andere und harmlose Spiele, wie sie für Kinder (nicht nur ganz kleine) die richtigen waren. Innerhalb der Filmteams wechselten die Berufe schnell, denn jeder wollte mal Regie führen oder mal der Böse sein. Dann regulierte die entstandene Organisationseinheit für Film und Theater, die beratend einsprang und den Begeisterten erklärte, welche Schritte nötig wären, um auch erfolgreiche Kurzfilme zu drehen, denn es wurden zunächst sehr, sehr kurze oft sehr unscharfe Filme. Nicht nur Gutscheine wechselten in dieser Stadt schneller den Besitzer als Geld, sondern auch Vermittlungen für billigste Quartiere, Zeltbelegungen, denn auf vielen Rasenflächen standen bereits die Zelte, in denen ebenfalls Kameras liefen. Es wurde gedreht, was immer den Amateuren vor die Linse kam, wurde zusammengeschnitten, wieder getrennt, vertont und die Polizei bekam jede Woche neue Bitten, was abgesperrt werden möge. Damit nicht etwa aus einem falschen Überfall ein echter wurde: die Polizei stellte Schüler der Polizeischule ab, die mitwirken sollten. Aber als Statisten  besondere Aufgaben bekamen und fast unbemerkt benutzte die Polizei eigene Kameras für Überwachungen, die nicht weiter auffielen, denn irgendwie und irgendwann auch irgendwo beobachtete jeder jeden Menschen. Eine riesige Filmstadt entstand, in der Tag für Tag Komparsen gesucht wurden, bis in fernen Ländern Gerüchte kursierten, es würde ein anderes Hollywood entstehen.

Drehbücher wechselten schneller den Besitzer als man a sagen konnte. Filmstudios stellten ausrangierte Bücher zu Übungszwecken zur Verfügung, fast jeder dichtete sich ein eigenes Skript zusammen, Kinder, Jugendliche und Erwachsene suchten gar Alterswohnheime auf um sich mit den ganz Alten zu unterhalten, denn jene konnten nicht Uninteressantes beisteuern. Natürlich bewegte es berühmte Menschen, auf welche Weise da Kunst hinzukam, die Menschen (ganz gewöhnliche!) begeisterte. Viele Arten von Kunstwerken gab es nun und immer neue Szenerien . Und da bekannt wurde, das Darsteller zuerst im eigenen Lande vorrangig Arbeit fanden, besuchten berühmte Stars von außerhalb inkognito die Schauplätze von Verfolgungsfahrten innerhalb des laufenden Verkehrs, da wurde fast zu wenig abgesperrt. Da aber jeder Mensch irgendwie mit Film zu tun hatte, fuhr regelmäßig ein Polizeiwagen mit Warnsignal vorweg und für wenige Minuten wurden ganz gewöhnliche Straßen zum Tummelplatz vom Filmteam. Nein: nie kam diese Stadt zum totalen Erliegen! Das Wenige was jeden Tag geschaffen wurde, verbreitete genügend Begeisterung. Abenteuerliche Verkleidungen entstanden in jeder noch so kleinen Werkstatt, die man aus dem Boden gestampft hatte, Kinder und Jugendliche bekamen das neue Fach: ”Filmkunst” dazu, um rechtzeitig Fuß fassen zu können, wenn es heißen könnte: “Action!”

 

 

 

 

Tatsächlich aus einer Laune heraus entstanden. Mich hatte mal als Statist Folgendes aufgeregt: da jeder Mensch anders fühlt und auch anders mitdenkt -als Statist wie auch als großer Star! -wie kann man da ein einheitliches Bild wollen? Im allgemeinen Leben gibt es nur sehr selten Einheitliches, denn dieses kann man getrost sehr sehr langweilig nennen, so als wäre jeder Mensch gleichaussehend..Meike Schrut, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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