Klaus Lutz

Arztbesuche 11 (zwei Texte)

Der Arztbesuch 42
(Ähnlichkeiten sind Zufall!)

Es ist Abend. Ich sitze bei einem Tee. Sehe durch
dieses Zellenfenster. Sehe wie die Sonne ver-
schwindet. Und denke an dieses alte Haus. Das nun
nicht mehr da ist. Die Bewohner, die ich nicht
mehr sehe. Und diese 5-6 Leute, die auch in dieser
Anstalt waren. Zerfressen, Ausbebrannt und Ver-
loren. Dem Wahnsinn verfallen. Verseucht von
Krankheiten. Das war diese Wahrheit, hinter all
diesem Theater. All dieser Normalität. All das
war nur Wahnsinn. 15 Jahre habe ich nur Wahnsinn und
Theater erlebt. Von kaputten Gehirnen. Von leblosen,
kranken Geistern. Lügen und Demütigungen. Verbre-
chen und Kriminelles und Gaunereien. Von Menschen
die in all ihrer Krankheit nur noch Neid und Haß
waren. Wut und Agression. 5-6 Leute die mich
infiziert haben. Mit denen ich ein Teil dieser
wahnsinnigen Welt geworden bin. 5-6 Leute die
die ganze Welt infizieren. Mit denen alles wahn-
sinnig wird. Die 5-6 Leute, die es überall gibt. In
jedem Haus. Die der Beginn von Krieg, Verwüstung
und Sinnlosigkeit sind. Mit all ihrer Leere. Mit all
ihrer Blindheit. Mit all ihrer Falschheit. 5-6 Leute,
die all dem verfallen sind, was den Haß anbetet.
5-6 Leute. Deren Leben nur Lüge ist. Und deren Selbst-
bewußtsein das ist, was an die Lügen glaubt. 5-6 Leute,
die mit ihrem Haß nur den Teufel anbeten. 5-6 Leute,
deren Denken immer zu Blut führt. Deren Denken immer
zu dem einen Ergebnis führt: "Mord und Krieg! Blut
und Tod!" 15 Jahre habe ich 5-6 Leute erlebt. Mit all
ihrem Leben, das nur Wahnsinn war. Aufenthalte in
Zwangsquarantäne. Unheilbar krank und verrückt.

Ich sehe wie es langsam dunkel wird. Ich trinke diesen
Tee, in winzigen, kleinen Schlucken. Ich lasse Sie über
die Zunge rollen. Und dann in die Kehle gleiten. Ich
trinke diesen Tee in winzigen Schlucken. So wie die-
ses, mein neues Leben beginnt. In kleinen Schritten.
Jetzt kommt diese Nacht. Ich warte auf den Mond. Lege
mich auf die Pritsche. Und wenn der Mond dieses Zimmer
beleuchtet. Wenn er die kleinsten Ecken erleuchtet.
Und die Wände in seinem Licht spiegeln läßt. Dann
bin ich in einer Kathedrale. Die Stille ist die Predigt.
Und der Chor ist dieses Licht des Mondes. Und jede
Bewegung von mir ist ein Gebet. Ich höre was die
Stille will. Ich höre diesen Chor. Und jedes Atmen
ist dieses Gebet. Das, was ich dieser Predigt, diesem
Chor sage: "Ich beginne zu begreifen. Ich bin da. Ich
höre dich Stille! Ich höre dich Chor. Ich liebe dich
Leben!"

Und all das, was ich wahrnehme ist eine Träne. Sie rollt
über meine Wange. Wie das Ende einer Symphonie. Wie
das, was dieser Augenblick war. Das ganze Universum ist
bei mir. Es schenkt mir neues Leben. Es schenkt mir
neue Gedanken. Es will das ich lebe. Es will mir noch
soviel sagen. Es will mir alles offenbaren. Es will, das
ich klar sehe. Es will sich in meine Seele legen. Es will
nur Frieden sein. Es will mein Frieden sein. Es will,
das ich es allen sage: "Betet! Trefft Gott!" Betet:
"Seht das Leben!" Es sucht Eure Seele. Das ganze Uni-
versum wartet. Es will euer Frieden sein. Es will sich
in eure Seelen legen. Es will Euch größe geben. Gott
ist Da.

Ich sehe auf diese Füsse. Sie sind dick. Aufgeschwol-
len von Wasser. Ich sehe diesen Körper. Ich sehe diese
Lähmung. Ich sehe diesen Körper. Zur hälfte ohne Em-
pfindungen. Nicht mehr fähig zu lieben. Nicht mehr fähig.
für das Glück. Nicht mehr fähig zu leben. Nicht mehr
fähig, sich in all dem zu verlieren, was das Leben ist.
Mit all dem was ihm genommen wurde. Mit Dummheit und
Lügen. Diese Welt! Immer diese 5-6 Menschen. All das
Theater, mit seinem falschen Anstand. Seiner falschen
Moral. Seinem falschen Leben. Seinem Wahnsinn. All
diese Lügen, die diese 5-6 Leute widerspiegeln. Auf
deren Gesichtern die Perfektion, das Selbstbewußtsein
und die Vollkommenheit von Lügen geschrieben sind.
Es ist diese Welt mit all ihrer Verzweiflung. Sie
steht auf ihren Gesichtern geschrieben. Es sind ihre
Lügen und ihre Falschheit. Die Lügen und die Falsch-
heit von 5-6 Menschen!

Der Arztbesuch 43

Ich bin vernichtet. Ich liege auf dieser Pritsche.
Ich atme. Ich zähle die Sekunden. Ich denke über
Dies, Alles und Nichts nach. Aber ich bin vernich-
tet. Es sind nicht diese 250 Kilo, die mich ver-
nichten. Und auch nicht all diese Krankheiten. Es
ist dieses Denken. Ich möchte jeden Satz erschieß-
en. Um so besser er ist, um so mehr möchte ich
ihn erschießen. Ich denke an diese Welt und an
all die Kriege und Lügen. An all die guten Sätze,
die es gibt. Von denen die Menschen auch wissen.
Die sie kennen. Und die in Ihnen so viel bewirken
aber nichts an dieser Welt nehmen, was sinnlos
ist. So verbringe ich die Stunden in dieser Zelle.
Ich denke an all die guten Sätze, die ich kenne.
Und die mir durch den Kopf gehen und erschies-
se sie. Ich bin zum Mörder geworden. Die Erkennt-
nis, das gute Sätze nicht helfen, hat mich zum
Mörder werden lassen. Und die Erkenntnis das nie-
mand all die Liebe die er hat zeigt. Sie der Welt
gibt und etwas damit verändert, hat mich vernich-
tet. Und läßt mich hilflos auf dieser Pritsche lie-
gen. Ich der Mörder. Stunden und Stunden schiesse
ich auf Sätze. Es sind Berge von Sätzen. Ich habe
sie auf dem Gewissen. Und es sind Berge aus Liebe
die ich wieder neu sehe. Ich bin Mörder und Lieben-
der. Und ich bin vernichtet. Die Klarheit und das
Wissen, das sich mir offenbart. Was die Liebe ist.
Diese Erleuchtung vernichtet alles in mir was war.
Es vernichtet meine Reisen. Denn es war immer mehr
da als das. Es vernichtet meine Ideen. Diese Suche
nach Wahrheit, denn es war immer mehr da als das.
Es vernichtet mein Wissen von der Sprache, denn es
war immer mehr da als das. Es war vor meinen Augen.
Es war der Baum vor meinem Fenster. Die Büsche! Die
Vögel. Die immer in Ihnen hin und her flatterten.
Es war das Leben und es war vor meinen Augen. Und
dieses ganze Leben war Liebe. Nur Liebe! Nur Liebe!
Nur Liebe! Und ich bin gereist. Durch zahllose
Länder. Und dies Zelle zeigt es mir. Diese zwölf
Tage der Stille und des allein Seins. Sie zeigt es
mir. Diese zwölf Tage der Stille. Sie ist es. Sie
führt mich auf neue Wege. Ich vergesse all die Krank-
heiten. Die Ekzeme, Eiterbeulen und was auch immer.
Etwas neues beginnt. Ich weiß nun was zählt. Es ist
nur Liebe!!!


Ich liege auf dieser Pritsche und schliesse die
Augen. Und dann erlebe ich diese Aufersteh-
ung. All die Berge von guten Sätzen. Sie steh-
en wieder auf. Sie stellen sich vor mich. Und
zeigen mir das Leben neu. Sie sind das wirk-
lich Gute. Und das wirklich Gute ist unbesieg-
bar. Sie stellen sich vor mich und zeigen mir
das Leben neu. Das wirklich gute Leben. Und
in dieser Zelle wird das Gute und die Liebe
eins. Ein neues Leben wird geboren. Ich bin
ein neuer Mensch. Ich nehme einen Tee. Ich
nehme die Tasse zwischen die Hände. Ich fühle
die Wärme. Ich fühle dieses Glück. Und all
das Licht, das mich ausfüllt. Das neue Leben.
Es entdeckt die Welt. Es wird das Licht des Leb-
ens. Das Licht meiner neuen Welt. Und ich
liebe dieses Licht. Und ich liebe diese Welt.

Dann unerwartet öffnet sich die Tür. Ein Arzt
kommt herein. Setzt sich auf die Bettkante.
Sieht mich an. Und redet. Der Wachmann mit
MP steht wie immer im Türrahmen. Und der
Arzt sagt es mir. In wenigen Sätzen: "Mein Herz.
Mein Geheirn. Mein Magendarmtrakt. Meine Le-
ber. Meine Eiterbeulen. Meine Geschwulste.
Und meine Ekzeme!" Es ist nichts mehr zu ret-
ten. Die Medizin ist hilflos. Mir bleiben endgültig
noch sechs Monate. Es ist ein komischer An-
blick, der sich Ihm bieten muß. Diese leblosen
Fettwülste durchläuft ein Zucken. So als suche
dieser Ozean aus Fett ein Ufer. Eine letzte Rett-
ung. Dann erklärt mir der Arzt, wie wichtig dieser
Körper ist. Für die Forschung. Für die Wissen-
schaft. Und wieviele Universitäten an mir inte-
ressiert sind. Auf der ganzen Welt. Er erklärt
mir, das ich noch einmal um die Welt reisen
kann. In einem eigenen Flugzeug. Für mich
Gechartert. Nach Amerika! Nach Japan! Nach
Australien! Die Koryphäen der Pathologie. Sie
alle sind voller Interesse an mir. In jedem Land
bekomme ich ein eigenes Auto. Bekomme alle
Sehenswürdigkeiten gezeigt. Und jede Freude
die ich will, wird mir erfüllt. Und ich denke an
Torte. An Gebäck und an Schokolade. Endlos!
Endlos! Endlos!

Und wieder erlebe ich diesen Widerspruch im
Leben. Wieder einmal an diesem Körper. Zer-
stört und am Ende, gibt er der Pathologie noch
etwas mehr Vollkommenheit. Seinen letzten Tagen
seinen größten Sinn. Und der Sinn dieses Lebens
liegt in seinem Sterben. Es ist sein Ende, das
der Welt noch etwas Leben gibt. Das der Wissen-
schaft einen Schritt weiter hilft. Und die
letzten Monate meines Lebens. Die Monate wo ich
sterbe, werden meine glücklichsten, meine Be-
deutendsten. Und ich unterzeichne all das. Ich
reise um die Welt. Und den Körper überlasse ich
der Wissenschaft. Und alle Honrare die ich er-
halte, spende ich den Anonymen Rauchern. So
sinnlos mein Leben war. So sinnvoll ist sein Ende.
Ich bin Glücklich.

Der Arzt verläßt das Zimmer. Oder die Zelle. Und
zum erstenmal seit Jahren singe ich ein Lied. Es
ist mein altes Lieblingslied: "Are you lonesome to
night!" Der Wärter sieht zur Zelle herein. Und ich
sehe es. Das was ich noch nie bei Ihm gesehen
habe. Etwas menschliches: "Ein Lächeln!" Und
von vollkommener Freude überwältigt liege ich
auf dieser Pritsche. Und erwarte die Nacht.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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