Klaus Lutz

Arztbesuche 12 (zwei Texte)

Der Arztbesuch 44

Heute bin ich 14 Tage in dieser Zelle. 14 Tage ohne
Gespräche. Nur diese vier Wände, das Fenster und
die Tür. Morgens die Behandlungen. Dreimal am Tag
jemand, der die Mahlzeiten und Medikamente bringt.
Sonst habe ich alle Zeit für mich. Alle Freiheit die mir
dieser Raum gibt. Alle Freiheit, die ich mir gebe. Es
ist mein Denken. Es sind meine Gedanken. Wenn all
das stimmt, dann fallen diese Wände. Dann sind sie
nicht mehr da. Dann bin ich Frei. Auch in dieser Zel-
le. Dann kann ich unternehmen, was immer ich will.
Dann kann ich durch diese Tür gehen. Dann kann
ich durch diese Stadt gehen. Dann kann ich in jedem
Land sein. Auf jedem Platz den es gibt. Der mir ge-
fällt. Es ist das Denken, wenn das stimmt bin ich frei.
Und das ist auch mein Leben hier. Ich lasse einfach
diese Wände hinter mir. Ich gehe durch die Tür und
spaziere durch die Welt. Und ich sehe mich Neu. Oder
versuche mich so zu sehen, wie mich andere Sehen.

Nichts von all dem was hier zählt hat mich interessiert.
Mich hat nie ein Auto interessiert. Nie ein Führerschein.
Oder eine sichere Arbeit. Oder unbedingt Freunde zu
haben. All das hat mich nicht interessiert. Mich hat nie
Geld interessiert. Mich hat nie gute Kleidung interessiert.
Mich haben nie feste Beziehugen interessiert. Was mich
interessiert hat war das leben. Das, was ich kennen lernen
wollte war das Leben. Das, was ich kenenlernen wollte
war die Welt. Das was ich kennen lernen wollte, war
das was sich so ergibt. Das was es nie für mich gab,
war das das ich unbedingt was wollte. Ich habe das ent-
deckt was interessant für mich war. Und das wollte ich.
Und wenn es sich ergab, dann habe ich das auch bekom-
men. Ich wollte Menschen kennen lernen, die etwas Wis-
sen. Die mir was vom Leben erzählen können. Und das
waren seltsamerweise immer Reisende. Menschen, die um
die Welt gereist sind. Die in jedem Land auch jemand kannten.
Oder die überall Freunde hatten. Und überall willkom-
men waren. Aber überall zuhause waren. Das waren die
Menschen die etwas wußten. Die etwas sagen konnten.
Wo kann ich zu welcher Zeit auf dieser Welt überleben. Wo
kann ich schnell und genug Geld verdienen, um wieder
Reisen zu können. Um wieder an anderen Plätzen zu sein.

Und das interessante war. Es gab überall Plätze, Orte be-
stimmte Lokale, Hotels wo die Leute zu treffen waren. Und
es ist wie ein siebter Sinn. Jemand der reist, der etwas weiß.
Der kommt in eine Stadt. Mit Millionen von Menschen. Er
kommt zum erstenmal in diese Stadt. Er weiß nichts von
dieser Stadt. Aber, es ist sein siebter Sinn. Er führt ihn ge-
nau an den richtigen Platz. Dahin, wo er die richtigen Men-
schen trifft. Es ist Magie. Es ist wie ein Zauber. Und das
zusammen sein mit Menschen die etwas wissen. Die noch
Lieben, Gedanken und eigene Ideen besitzen. Oder die über-
haupt ein eigenes Leben besitzen. Das ist wie ein Märchen.
Es ist ein Traum der wahr wird. Es ist die Wahrheit, die ein-
em begegnet. Es sind die letzten wahren Menschen. Das
wirklich eigene Denken. Das wirklich eigene Leben. Das ist
es: "Die Freiheit, die es gibt!" Das, was der Mensch sein kann.
Wenn sein Denken stimmt. Auf eine bestimmte Art sind es
Heilige. Oder Künstler. Oder alles zusammen. Wenn ich
so richtig überlege, dann war oder ist es das. Das wahre
Mensch sein. Es ist das vollkommene. Und das ist alles. Si-
cher wir haben Bordelle besucht. Und waren mit Prostituier-
ten zusammen. Aber es war anders. Es ist gleichgültig, was
diese Menschen unternehmen. Es hat einen Wert. Eine
guten Wert. Es gibt der Welt etwas. Es zeigt das Leben neu.
Es zeigt es anders.

So lasse ich also diese Zelle hinter mir. Ich lasse diese
Leben hinter mir. Ich bin auf der Strasse. Ich laufe in Richt-
ung Süden. Der Sonne entgegen. Ich lasse das alles hier
hinter mir. Das komische Selbstbewußtsein dieser Men-
schen hier. Mit Häuschen, Garten einem Auto. Und einer
riesen Wampe, mit der sie hinter den Lenkrad sitzen. Mit
toten leblosen Körpern. Mit dem alltäglichen Trott. Ohne
einen eigenen Gedanken. Ohne etwas lebendiges. Immer mit
den gleichen Geschtsausdruck. Immer mit den gleichen
Reden. Immer mit den gleiche Problemen. All das ohne
Ende. Ohne eine Lösung. Ich bin auf der Strasse. Ich laufe
richtung Süden. Der Sonne entgegen. Ich laufe in die Frei-
heit. In mein eigenes Denken. In mein eigenes Leben. Und
das alles Lebendig voller Phantasie. Ich brauche kein Auto.
Ich brauche kein Versicherungen. Ich brauche keine Politi-
ker die mir etwas versprechen. Ich brauche Menschen die
etwas vom Leben wissen. Ich brauche Menschen die noch
leben. Ich brauche etwas, wo ich all das hier vergessen
kann. Es interessiert mich eigentlich nicht. Der Wärter der
nur da sitzt. Der, das sitzen zu seinem Beruf gewählt hat.
Er sitzt hier. Dann sitzt er in einer Kneipe. Dann sitzt er vor
dem Fenseher. Dann wenn er nicht mehr irgendwo sitzt.
Dann liegt er im Bett und stirbt. Er kommt nie auf die Idee.
das alles mal zu verlassen. Sich zu sagen: "Sitzen kann
ich immer wieder!" Aber das Leben entdecken. Und was
anderes sehen. Was anderes kennen lernen. Das ent-
decken mit dem ich lebendig werde. Und dann nicht ein-
fach irgendwo rumsitze. Und dann irgendwo lebendig rum-
sitzer. Das entdeckt der Mann nie. Er sitzt einfach rum.
mehr nicht. Das Gesicht ist immer das Gleiche. Das Leben
ist immer das Gleiche. Und das immer gleiche Leben ist
eines Tages ein Bauch. Ein Körper der fett und fetter
wird. Das ist das einzige was sich bei ihm verändert. Und
diese Veränderung ist dann für ihn das Leben. Mit dieser
Wampe sitzt er dann in seinem Auto. Fährt nach hause
Und erzählt seinen Kindern was das Leben ist.

Und das ist das Leben, das ich hinter mir lasse. Ich gehe
durch diese Tür. Wenn ich auch in dieser Zelle sitze. Ich
gehe durch diese Tür. Finde mich auf einer Strasse wieder.
Und gehe richtrung Süden. Und ich weiß, ich treffe Men-
schen. Ich treffe die Menschen, die ich liebe. Vielleicht
nach Kreta. Da habe ich einen Freund. Er ist Jahrzehnte
gereist. Kennt alle Ecken dieser Welt. Jetzt hat er dort ein
Zimmer mit seiner Frau. Ganz einfach eingerichtet. Ein
Tisch. Zwei Stühle. Ein Doppelbett. Ein Herd. Und er ist
Glücklich. Mit ihm kann ich Reden. Mit ihm kann ich
Schweigen. Mit ihm ist das alles Leben. Oder mit Ihm
und seiner Frau. Sie liest meistens. Sie sitzt immer auf
dem Bett und liest. Dann lade ich Sie ein: Und wir gehen
in ein Lokal. Und das Leben ist da. All das was ich liebe!

Der Arztbesuch 45

Dieser Raum und seine vier Wände. Er ist immer
anders. Jede einzelne Wand ist jede Sekunde an-
ders, mit der Spiegelung des Lichtes, das auf sie
fällt, ist jede Wand anders. Und mit den Gedan-
ken mit denen ich sie sehe, ist jede Wand anders.
Dieser Raum verändert sich ständig. Er zeigt mir
immer etwas neu. Von all dem was dieses, mein
Leben ist oder war. Er läßt mich neu über vie-
les nachdenken. Dinge klar und anders sehen. Und
zeigt mir, wie das Leben ist. Ich sehe das was
mich beschäftigt. Die letzten 15 Jahre in diesem
Rollstuhl. Dieses Leben. Komisch und absurd. Und
wie es normal wird. Wie alles im Leben normal
wird. Das komischste und das absurdeste. Wie ich
mir nach einem Jahr, ohne jedes Gespräch, zum er-
sten mal einen Prostituierte kommen ließ. Wie
ich Stundenlang durch die Stadt fahre. Irgend
etwas will. Nicht hier bin. Nicht da bin. Und
nicht weiß was ich will. Und wenn ich es wüßte
dann gäbe es das nicht mehr. Dieses ganze komi-
sche Leben. Die Zeiten die ich allein war und
die endlos waren. Die Zeiten die ich allein war
und gereist bin. Mir die Welt angesehen habe.
Und die wie eine Sekunde waren. Die Zeit und
ihre Zeiten.

Dann sehe ich die erste Zeit im Rollstuhl. Wie
neu das alles war. Der Körper und wie er funk-
tioniert. Und immer dieses Wissen. Was dieses
Leben noch ist. Und dieses Haus. Das irgendwie
die Welt reflektiert. Oder gezeigt hat. Die 20%
der Leute, die alles verrückt machen. Und die
80% der Leute die dabei langsam verrückt werden.
Oder das ist falsch ausgedrückt. Dieses Haus
zeigt genau das normale bürgeliche Leben. Menschen
die das übernehmen, was ihre Eltern gelebt haben.
Und deren Eltern. Und deren Eltern. Und auch
das an ihre Kinder weiter geben. Und die an ihre
Kinder. Menschen die nie was eigenes Leben. Im-
mer ohne den Versuch oder ohne das wissen oder
das bewußtsein bleiben das es auch ein anderes
Leben gibt. Das es immer mehr gibt. Es gibt mehr.
Das ist es was feht! Das Wissen es gibt mehr.
Mehr an Leben. Es gibt ein bewußteres Leben.
Bessere Einblicke in das Wesen des Ganzen. In das
was das Leben ist. Das was mir das Leben gibt.
Aber mit dem das Leben anders ist. Mit dem ich
anders lebe. So irgendwie! Auf jeden Fall war
die erste Zeit neu.

Die alltäglichen Sachen waren neu. Das Einkaufen
im Rollstuhl. Ich mußte durch den Supermarkt fahren.
Und alles auf den Schoß legen. Und das so legen,
das es liegen blieb. Und ich mußte so einkaufen,
das auch immer alles auf den Schoß paßte. Also
nicht alle acht Tage einmal. Alle 2-3 Tage einmal.
Und dann mußte ich genau aufpassen. An der Kasse.
Alles vom Schoß nehmen. Und nicht nur das. Ich
mußte immer nachsehen. Ist was in die Seiten ge-
rutscht. Liegt etwas an den Seitenteilen. Oder
zwischen die Beine, ist auch mal was gerutscht. Das
mußte ich alles sehen. Auch an Tagen, wo ich krank
war. An Tagen, wo es mir nicht gut ging. Ich mußte
immer alles im Auge behalten.

Und das war dann das Besondere. Einmal hat das
nicht funktioniert. Etwas war in die Seitenteile
gerutscht. Und ich hatte es übersehen. Und dann
habe ich es zu spät gesehen. Ich hatte den Super-
markt schon verlassen. Und da fiel es mir auf. So
eine Packung mit Wurst. Und bin dann auch nicht
zurück gefahren. Ich dachte einfach "Quatsch" In
Zukunft paßt Du auf. Und dann habe ich gesehen
das ich heimkomme. Krank und am Ende. Aber dann
kommt das Besondere. Der Filialleiter hatte das
beobachtet. Ich zog die Packung mit Wurst aus dem
Seitenteil raus. Und der Filialleiter hatte das
gesehen. Und das war es dann. Das war die Frage:
"Was geht in diesem Mann vor!" Was hat er beobach-
tet. Was hat er gesehen. Wenn er etwas gesehen
hätte. Dann hätte er mein Gesicht gesehen. Wie
überracht ich war. Ich habe die Wurst nicht Ein-
fach rausgezogen. Und in die Platiktüte gesteckt.
Ich habe sie rausgezogen. Mir angesehen. Und mir
gedacht. Oh Scheiße! Wegen dem fährst Du jetzt nicht
zurück. Der Mann hätte den Gesichtsausdruck von
mir sehen müssen. Den Rolltuhl. Die ganze Situa-
tion. Und er hätte das richtig gesehen. Aber die-
ser Mann hat überhaupt nichts gesehen.

Der Mann war blind. Der hatte noch nie was im Leben
gesehen. Der hat auch noch nie gelebt. Jeder der
etwas lebendig in der Birne gewesen wäre. Hätte diese
Situation richtig eingeschätzt. Und das alles rich-
tig eingeordnet. Aber das dieser Mann nicht dazu
fähig war war das Eine. Verzeihlich, wenn das Leben
nur ein Trott ist. In dem alles so passiert, was so
passiert. Und nichts anderes passieren darf. Das
übersteigt dann gleich alle Erfahrungen. Aber das
war es auch zum Teil. Niemand hat das gesehen wie
es war. Oder das denken hatte nirgendwo eine Licht-
blick: "Der Rollstuhl! Die Sitiuation!" Die Fähig-
keit das korrekt einzuordnen. Ich war ein Dieb.
Und das sahen sie mit ihren Augen Und mit denen
sahen sie nur schwar weiß. Und das Denken hinter
diesem Sehen: "Das monotone farblose!" Ohne Ausnahme!
Von allen! Das hat mich überrascht. Und das läßt
mich immer wieder, in allen Variationen über das
Leben nachdenken. Dieser Vorfall. Und diese leblose
Interpretation. Und das diese Menschen für alles
diesen Blick hatten. Und wie leblos diese Welt für
diese Menschen ist. Oder sein muß!

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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