Die
beiden junge Eheleute Andreas und Erna lebten seit ein paar Wochen in der
schönsten Gegend, die andere sich nur erträumen konnten. Die beiden hatten zwei
gesunden Knaben, Knut, gerade neunzehn Jahre geworden und Anton, ein wenig
älter als sechzehn. Andreas, der Vater, war von Beruf Kaufmann. Und während er
seinen täglichen Geschäfte nachging, kümmerte Erna, seine bessere Hälfte, sich
um die anfallende Hausarbeit und die Erziehung, der beiden Jungen.
Die
kleine, vierköpfige Familie wohnte in einem ländlichen Neubaugebiet, in dem
noch nicht allzu viele Leute ihre Domizile eingerichtet hatten. Aber die
wenige, die in der Gegend wohnten, waren alle sehr nett.
Von
Kindheit an waren die beiden Brüder, Knut und Anton, nicht sehr gut aufeinander
zu sprechen. Immer, wenn die beiden glaubten, ihre Eltern wären nicht zuhause,
hingen sie aneinander und prügelten sich. Oft hatte einer der Eltern sie im
Auge, so dass sie die Streithähne bei gegebener Gelegenheit auseinandernehmen
konnten.
Als
die beiden Jungen wieder allein auf dem Feld bei der ihnen vom Vater zugeteilten
Arbeit waren, gerieten sie wieder einmal mehr so sehr aneinander, dass sie sich
die Köpfe einzuschlagen drohten. Meistens bekam der jüngere Bruder vom älteren
seine gehörige Dresche. Nicht so diesmal, denn diesmal setzte der Anton sich
unerwartet zur Wehr. Er verprügelte den älteren Bruder sosehr, dass er tagelang
weder stehen, sitzen oder liegen konnte. Anton glaubte, jetzt endlich Ruhe vor
seine streitsüchtigen Bruder zu haben.
Zunächst
schien Anton ja auch recht zu behalten, denn eine lange Zeit hatte er ja vor
Knut seine Ruhe. Es schien ein Zeitlang ja auch, als hätte Knut Frieden mit Anton
geschlossen.
Jedoch
der Schein trog. Denn in Wirklichkeit sinnierte Knut auf Rache, auf schreckliche
Rache. Der inzwischen 22 Jahre alt gewordene, streitsüchtige Knut hatte sich
vorgenommen, es seinem Bruder so heimzuzahlen, dass er es sein ganzes Leben
lang nicht vergessen sollte.
Tage-,
wochen- oder gar monatelang wartete Knut auf eine für ihn günstige Gelegenheit,
um gegen Anton seinen Rachefeldzug zu starten. Dann, eines Tages, ihre Eltern
waren wieder einmal den ganzen Tag lang nicht zuhause, sah Knut den richtigen
Zeitpunkt für gekommen. Er besorgte sich schon Tage vorher einen dicken
Knüppel, den er sich im nahen Wald zurechtgeschnitten hatte und den er in
seinem Zimmer unter dem Bett versteckte. Jetzt nahm er den Schlagstock unter
dem Bett hervor und legte ihn zum alsbaldigen Gebrauch zurecht. Nun musste Knut
nur noch abwarten, bis die Zeit noch günstiger für ihn war, so dass er seinen
Bruder richtig nach Herzenslust durchklopfen konnte.
Bald
hörte Knut Anton die Speichertreppe herunterkommen. Es stellte sich abwartend
hinter die Küchentür, aber Anton kam nicht zur Küche herein, sondern ging zur
Haustür hinaus in den Garten.
Mensch,
Anton, komm schon zu mir, damit ich dir den Hintern mit diesem Stock grün und
blau schlagen kann, dachte der hinterlistige Anton und blickte vorsichtig zum
Küchenfenster hinaus in den Garten. Er sah seinen verhassten Bruder, wie dieser
im hinteren Teil des Gartens Blumen goss und Unkraut auszupfte.
Mensch
Bruder Anton, komm endlich, dass du von mir deine gerechte Strafe erhältst,
dachte Knut im Geheimen, denn er wusste, dass die Eltern nicht ewig
fortblieben.
Aber
der verhasste Bruder Anton machte Knut die Freude nicht und kam vorerst noch
nicht ins Haus herein. Anton nahm sich den Rechen und den Spaten aus dem Geräteschuppen
und begann ein Stück seines Blumenbeetes herumzugraben und zu jäten. Er hatte
nämlich vor, eine neue Sorte Blumen zu pflanzen, die er sich gestern in der
neuen Blumenhandlung am Marktplatz besorgt hatte.
Das
machte den ungeduldig auf seinen Bruder Anton wartende Knut so wild, dass er am
liebsten hinaus zu ihm in den Garten gelaufen wäre, um ihm dort eine gehörige
Abreibung zu verpassen. Knut jedoch hatte es sich in letzter Minute anders überlegt.
Ihm war mit einemmal eingefallen, dass ihn dabei irgendjemand beobachten und es
seinen Alten erzählen könnte. Aus diesem Grund hatte er vor, noch einige Zeit
abzuwarten. Und wenn er heute nicht dazu kam, Anton gehörig zu versohlen, dann
eben ein andermal. Aufgeschoben, so dachte Knut weiter, ist noch lange nicht
aufgehoben.
Anton
grub noch eine geschlagene Stunde lang, ohne dass er müde geworden war. Aber
der Durst quälte ihn mit einem Mal so sehr, dass er Rechen und Spaten beiseite
legte, seine schmutzige Arbeitsstiefeln gegen seine Hausschuhe vertauschte und
mit langen Schritten ins Haus ging. Als Anton nichts ahnend zur Küchentür hereinkam,
wurde er von seinem bösartigen Bruder auf dessen Art empfangen. Kaum, dass
Anton auch nur seinen Kopf durch den Türspalt hindurchgeschoben hatte, bekam er
von seinem bösartigen Bruder mit dem dicken Prügelstock eins über die Rübe
gezogen, dass es dem ahnungslosen Anton völlig anders zumute wurde. Er torkelte
durch die halbgeöffnete Tür in die Stube und wollte etwas zu Knut sagen. Doch
bevor er auch nur den Mund aufmachen konnte, bekam er den zweiten Hieb übergezogen
und kurz darauf den dritten.
Blutüberströmt
und mit gebrochenem Genick war Anton bewusstlos in sich zusammengesunken und
laut krachend zu Boden gestürzt. Noch bevor er auf den Erdboden aufgeschlagen
war, bekam er von seinem lieblosen Bruder Knut noch eine mit dem Knüppel über
den Wirsing, so dass Anton schon tot war, bevor er auf den Fußboden aufschlug.
Aber
mit der Grausamkeit war es noch nicht genug, Knut schlug noch drei-, viermal
auf den Bruder ein, obwohl dieser seinen Geist längst aufgegeben hatte.
Jetzt
erst, als Knut seine Genugtuung hatte, meldete sich sein schlechtes Gewissen,
das unsichtbare Etwas, das jedem Menschen innewohnt. Knut kniete sich plötzlich
neben seinen toten Bruder und fragte sich, was er da eigentlich gemacht habe. Aber
hierauf konnte er sich keine rechte Antwort geben. Mensch, Knut, fragte er sich
das eine um das andere Mal, was hast du da getan? Und wie kannst du damit nur
vor Gott und vor all den anderen, dem Vater und der Mutter weiterleben?
Knut
brach in Tränen aufgelöst in sich zusammen. Ihm kamen die Tränen, die in Bäche
aus seinen Augen herausflossen und auf den Leichnam seines Bruders tropften. Er
war völlig in Tränen aufgelöst, und er ließ seinen Kopf kraftlos auf den toten
Bruder heruntersinken.
Ich
muss Anton hier verschwinden lassen und den Boden säubern, bevor meine Alten
vom Einkaufen zurückkommen. Ich kann den Bruder Anton ja doch nicht mehr zum
Leben erwecken, sagte er sich und stand vom Boden umständlich auf.
Knut
schleifte den ermordeten Bruder aus dem Haus hinaus in den Garten. Er warf die
Leiche einfach in die Kompostgrube, dann bedeckte er den toten Bruder mit einer
Schicht Erde und mit dem Unkraut, das Anton vor nicht einmal einer Stunde ausgerupft
hatte. Niemand, der es nicht wusste, ahnte, dass hier unter den Abfälle und dem
Unkraut ein Toter begraben liegt, dachte Knut. Mit Schrubber und Scheuertuch versuchte
Knut, die Blutlache, die von Anton stammte, zu beseitigen. Aber der Junge
konnte schrubben und scheuern soviel er wollte, ein matt roter Fleck war
dennoch zu sehen.
Was
soll ich nur den Eltern sagen, wenn sie heimkommen und den riesigen Fleck sehen,
überlegte Knut sich. Aber es war ihm nichts näheres eingefallen.
Da
war Knut nichts anderes mehr übriggeblieben, ein paar Klamotten in einen großen
Tragetasche vom Supermarkt zu stopfen und das Elternhaus flugs zu verlassen.
Drei
Tage waren die beiden erwachsenen jungen Männer, Knut, 22 Jahre und Anton, 20
Jahre alt, nun schon wie vom Erdboden verschluckt. Heute morgen erst hatte
Andreas den verblassten rostfarbenen Fleck in der Küche entdeckt und seine Frau
darauf aufmerksam gemacht. »Erna«, sagte er zu seiner ihr, »schau dir doch mal
den dunklen Fleck da an!«
Erna
kam zu Andreas in die Küche und sah den rostfarbenen Fleck sich verwundert an.
Sie schlug ihre Hände regelrecht über dem Kopf zusammen. »Mein Gott«, schrie
sie fast verzweifelt auf, »das ist ja Blut!« Und nach einer längeren Pause,
fragte sie Andreas fast verzweifelt: »Mann, glaubst du, die beiden Jungs haben
sich gegenseitig verprügelt, bis einer von beiden den anderen totgeschlagen
hat?« Erna heulte Rotz und Wasser.
Ihr
Ehemann, der bei ihr stand, hatte sie in den Arm genommen und seine Hand liebevoll
tröstend um ihre Schulter gelegt, sah sie fassungslos an, während er nur den
Kopf schütteln konnte. »Ich weiß es nicht, Schatz! Um das zu erfahren müsste
man Hellseher sein oder einer unserer Söhne müsste es uns persönlich sagen.«
Erna
löste sich aus Andreas Arm und schmiss sich voller Verzweiflung über den
verblassten Blutfleck, der sehr wahrscheinlich von einem ihrer beiden Jungen zu
stammen schien, und begann jammervoll zu weinen.
Andreas
hob Erna vom Boden auf, gab ihr eine zärtlichen Kuss, der sie ein wenig trösten
sollte. »Komm«, sagte er, er war fast genauso verzweifelt wie seine Frau.
»Komm, liebe Erna, wir müssen zur Polizei gehen und zwei
Vermisstenanzeigen aufgeben. Die Staatsbeamten werden schon bald das Rätsel um
unsere beiden Söhne gelöst haben!«
Die
Polizisten in Zusammenarbeit mit dem Bundesgrenzschutz starteten noch am
gleichen Abend eine groß angelegte Suchaktion. Zwei Hundertschaften und eine
Hundestaffel durchsuchten hermetisch die gesamte Umgebung der kleinen Stadt.
Aber von den beiden Brüdern fanden sie keine Spur.
Später,
als die groß angelegte Suchaktion erfolglos abgebrochen wurde, ließ der
Hauptkommissar Sorkas durch zwei seiner jüngsten Beamten den Garten von vorne
bis hinten durchwühlen. Er ließ die wunderschön angelegten Rabatte regelrecht
von oben nach unten kehren.
Als
die beiden Beamten mit ihrer beschwerlichen Arbeit beinah fertig waren, hatte
der eine von ihnen plötzlich einen Einfall. Er schlug Hauptkommissar Sorkas
vor, dort hinten auf dem Misthaufen zu suchen. Es war nicht gerade eine
angenehme Arbeit, den Misthaufen umzustülpen. Aber auch diese Arbeit musste von
einem guten Polizisten ohne Widerrede erledigt werden. Den ein Ablehnen gab es
nicht, das wäre Befehlsverweigerung gewesen und hätte sicherlich eine
Entfernung aus dem Staatsdienst nach sich ziehen können.
Von
dem Komposthaufen wurde, im wahrsten Sinne des Wortes, das Oberste zu unterst
gedreht. Nachdem einer dieser Beamten die obere Schicht, Unkraut, fast vollkommenen
abgetragen hatte, sah der andere plötzlich, ein mit Blut durchtränktes Kleidungsstück.
»Mach mal langsam«, sagte er zu seinem Kollegen, »ich glaube, wir sind auf der
richtigen Spur! ?« Er sprang zu dem anderen in die Mistkuhle und hob das
Kleidungsstück, ein ehemals weißes Gewand, auf.
Der
Herr Hauptkommissar Sorkas, der herbeigerufen wurde, befahl seinen beiden
Männer, weiter zu graben.
Nur einige Spatenstiche
weiter stießen die Beamten auf etwas unnatürlich hartes. Und nach ein paar
weiteren Spatenstiche legten sie einen menschlichen Arm und bald schon den
ganzen Körper eines erwachsenen Mannes frei.
Der
Leichnam wurde aus der Mist herausgenommen und auf ein großes, sauberes Tuch
gelegt. Der Hauptkommissar veranlasste, das die Eltern des Toten kamen, um
ihren Sohn zu identifizieren.
Gefasst
standen beiden Elternteile vor dem Leichnam. Doch sobald ein Helfer des Roten
Kreuzes nur einen Zipfel der Decken hochgehoben hatte, fiel Erna wie ein gefällter
Baum um, Andreas, ihr Ehemann, konnte sie eben noch auffangen, sonst wäre sie
hinab in die Mistkuhle gestürzt.
Sorkas,
der zu den beiden herangetreten war, sah Andreas von Mitleid erfüllt fragend
an. »Und?« wollte er von ihm schließlich wissen, »ist das einer Ihrer Söhne?«
Andreas
schluckte ein-, zweimal, schloss die Augen, öffnete sie gleich darauf wieder,
dann nickte er geistesabwesend. »Ja«, sagte er leise schluchzend, »unser Sohn Anton.«
Sorkas
wandte sich zu den beiden Beamten in der Mistkuhle um und fragte besorgt: »Habt
ihr den andern auch?«
Der
jüngere der beiden schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er erschöpft, während er
aus der Kuhle herauskletterte, »wir haben das Unterste zu Oberst umgekehrt,
aber von einer anderen Leiche haben wir nicht die geringste Spur finden
können.«
Inzwischen
ging die Suchaktion nach dem noch vermissten Knut weiter. Der Hauptkommissar
Sorkas ließ hunderte umherstehende Passanten befragen, aber nicht die kleinste
Spur konnten er dabei entdecken, die ihm weiter geholfen hätte. Sorkas ließ die
Eltern des Vermissten Knut zu sich rufen, damit er sie persönlich befragen konnte.
Aber aus den beiden war nicht eine Silbe, außer laut verzweifeltes schluchzen,
herauszubringen. Der hohe Kripobeamte verdächtigte schließlich das Elternpaar,
gemeinsam erst den einen ihrer beiden Söhne ermordet und im Garten verscharrt
zu haben. Und dann den anderen. Aber wo hatten sie dessen Leiche hingebracht
und verscharrt?
Knut
hatte sich ziemlich weit weg vom Tatort in ein billiges Hotel eingemietet. Eine
Woche nachdem Knut seinen Bruder Anton erschlagen und im Garten vergraben hatte,
las er in der Zeitung, dass Andreas und Erna, seine Eltern, dieses Verbrechen begangen
hatten und deswegen vom Oberstaatsanwalt angeklagt und vor Gericht gestellt
werden sollten.
Eigentlich
hätte Knut ja froh sein müssen, dass man nun Schuldige gefunden hatte, und zwar
gleich zwei auf einmal, die das Verbrechen begangen haben sollten. Aber es ließ
ihm trotzdem keine Ruhe, dass man ausgerechnet seine Eltern dafür verantwortlich
machen wollte. Das wollte und konnte er nicht zulassen, dass seine Eltern für
eine Tat, die sich nicht begangen hatten, ein Leben lang hinter Gittern kommen
sollten. Nein, so überlegte er sich laut, ich habe diese Tat begangen und da
muss ich auch die Konsequenz daraus ziehen und mich der Gerechtigkeit stellen.
Abends
im Bett überlegte er sich das alles noch einmal ganz genau. Er war in Freiheit,
seine Eltern würde man wegen seiner Tat mindestens 25 Jahre hinter Gitter
bringen, konnte er das zulassen? Knut sagte sich: »Nein, das kann ich nicht!«
Noch
in derselben Nacht machte Knut sich auf den Weg nachhause und stellte sich der
Polizei. Er gestand letztlich seine brutale Tat und wurde von einem gnädigen
Richter zu zehn Jahre Freiheitsentzug verurteilt. Weil er sich freiwillig der
Justiz gestellt und die grausame Tat an seinem Bruder zugegeben hatte, hatte er
ein milde Strafe bekommen. Aber ob Knut jemals in seinem Leben glücklich werden
würde, das konnte ihm kein Richter, kein Staatsanwalt, kein Rechtsanwalt, kein
Polizist und auch keine Mutter und kein Vater der Welt beantworten.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Roman Scherer).
Der Beitrag wurde von Roman Scherer auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.08.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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von Gabi Mast
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