Müde legt sich ein dunkler Schleier über die Welt und verdrängt die Hitze des Tages. Ein erfrischender Windhauch scheint aus dem Nichts aufzutauchen. Grillen zirpen in der Nähe ihre eintönige Melodie. Ich sitze auf der feuchten Steintreppe am Fluß, eine Flasche lauwarmen Bieres in der Hand. Das Getränk scheint die Hitze aus meinen Händen zu saugen, wird mit jedem Schluck wärmer. Ich lasse meine Gedanken schweifen und lausche von Weitem den Stimmen der Anderen. Höre ihr Lachen und die Klänge einzeln angespielter Gitarren- Saiten, die sich nie zu einem Lied vereinen wollen, sondern allein von der aufkommenden Dunkelheit fortgetragen werden. Mein Fuß gräbt sich in den Sand. Kühl und nass fühlt er sich an und ich vergrabe meinen anderen Fuß auch im feuchten Fluß- Ufer. Ich sitze gerne hier, am unteren Ende der mit Moos bewachsenen Treppe und hänge meinen Gedanken nach.
Ich höre die Schritte nicht. Erst als seine Gestalt sich in der Düsternis abzeichnet, bemerke ich, dass ich nicht mehr alleine bin. " Stört es dich?" höre ich seine ruhige Stimme sprechen, während er auf den freien Platz neben mir auf der Steintreppe zeigt. Ich schüttle den Kopf, unmerklich, und nippe am lauwarmen Bier. Er setzt sich neben mich und beginnt, in seiner Hosentasche zu kramen. Ich warte auf das Rascheln von Papier und das Klicken eines Feuerzeuges und widme mich wieder meinen Gedanken. Ob es im Nahen Osten bald Frieden gibt, frage ich mich, als er mir seine Zigarette reicht. Wortlos. Ich nehme sie entgegen und ziehe daran. Dann gebe ich sie ihm zurück und sehe ihn zum ersten Mal richtig an. Seine Augen sind von einem leuchtenden Grün und sonst wirkt er eher unscheinbar. Er war mir vorher am Feuer garnicht aufgefallen. Etwas unsicher wirkt er jetzt und blickt mir mit leicht zusammengekniffenen Augen entgegen. Er nimmt die Zigarette entgegen und sagt:" Schön hier. Und so ruhig." Wir sehen beide auf das leicht bewegte, schwarze Wasser. Ich trinke noch einen Schluck Bier und reiche ihm dann die Flasche. Wortlos. Unsere Hände berühren sich, als er sie entgegennimmt. Mein Herz pocht. Ich nehme erneut den Gesang der Grillen wahr, die unermütlich ihre Lieder in die Nacht hinein singen. " Manchmal," so höre ich die Stimme neben mir in fast flüsterndem Ton sagen, " glaube ich, alles ist perfekt. Würdest du der Welt nicht auch gerne ein Schlafmittel verpassen um sie daran zu hindern, sich weiter zu drehen?" Er wartet die Antwort nicht ab, die ich ihm nicht geben will, scheint mit meinem Schweigen zufrieden zu sein. Ich denke über seine Worte nach, warte, bis er weiterspricht. Als er nichts sagt, ergreife ich das Wort. " Ja. Manche Momente sind perfekt, so wie sie sind. Man muß sie festhalten, solange es geht." Meine Gedanken schweifen in die Ferne, meine Blicke folgen ihnen bis zum Horizont. Ich spüre eine Hand an meinem Arm. Warm fühlt sie sich an. Eigentlich müsste ich jetzt meinen Arm wegziehen, sag!
t mir ei
ne innere Stimme. Doch ich überhöre sie. Ich genieße die wohligen Schauer, welche die Berührungen auf meiner Haut hinterlassen. Sanft streicht er über meinen Arm und ich schließe die Augen. Höre die einzelnen Töne der Gitarre und das weit entfernte Lachen meiner Freunde am Lagerfeuer. Ich frage mich, ob sie mich nicht vermissen, was ich sogleich verneinen kann. Habe ich doch vorhin selbst noch gesagt, dass ich ein wenig allein sein möchte, die Stille genießen. Nun bin ich nicht mehr allein. Und doch genieße ich. Ganz ohne mich verpflichtet zu fühlen, meinem Gegenüber die ultimative Unterhaltungs- Show präsentieren zu müssen. Seine Hand wandert nun langsam an meinem Arm entlang in Richtung Schulter. Sucht spielerisch den Weg, entlang an meinem Nacken, auf die andere Seite, wo sie mit leichtem Druck meinen Oberarm umschließt. Ich lasse mich fallen. Fühle mich wie auf Wolken gebettet. Ich lege den Kopf auf die Schulter, die sich mir entgegegstreckt und fühle mich geborgen. So sitzen wir eine Ewigkeit auf der kühlen Steintreppe, ohne zu reden. Ich spüre den sanften Druck und die Wärme des anderen Körpers, höre die Grillen, und das leiser werdende Lachen vom Lagerfeuer her. "Manche Momente muß man einfach festhalten," denke ich und blicke auf den unendlich weiten Horizont.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Nina Lochmann).
Der Beitrag wurde von Nina Lochmann auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.09.2009.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Nina Lochmann als Lieblingsautorin markieren
Nietzsches Vermächtnis
von Dr. Manfred Korth
Der Novellenband „Nietzsches Vermächtnis“ vom mehrfachen Literaturpreisträger Dr. Manfred Korth enthält elf Geschichten, die an verschiedenen Orten wie Wien, Paris, Nürnberg oder am Bolsenasee spielen. Trotz sehr unterschiedlicher Protagonisten gilt für alle Novellen, dass psychologische Momente eine große Rolle spielen. Der Mensch im Spannungsfeld zwischen Individualität und Gesellschaft wird auf verschiedenen Ebenen durchleuchtet. Auch der Begriff „unzeitgemäß“ ist bewusst an Nietzsche angelehnt.
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: