Es ist praktisch, eine große Familie zu haben. Das
fühlte ich bereits in den Wirren der Kriegs-und Nachkriegszeit, als ich noch ein kleines Kind
war. Fünfmal waren wir ausgebombt worden, wie meine Mutter mir erzählte, denn
an die Bomben kann ich mich zum Glück nicht erinnern.
Nach diesen Angriffen rückten die Verwandten zusammen, bei
irgendeinem kam man immer unter.
Als mein Onkel Gottfried
aus dem Krieg zurückkehrte und bei uns wohnte, freuten wir Kinder uns sehr. Ihm
war die Flucht aus einem französischen Gefangenenlager gelungen und nachdem er
über den Rhein geschwommen war, hatte er wohlbehalten die amerikanische
Besatzungszone erreicht. Da er sehr jung war (man hatte ihn mit knapp 18 Jahren
als Sanitäter in Rommels Korps nach Afrika geschickt) hatte er keine
Entnazifizierungsprobleme. Er durfte bei den Amerikanern in der Küche des
Hospitals arbeiten und erhielt ein Jahr später sogar eine Anstellung als
Krankenpfleger.
Für uns Kinder war Onkels Job vorteilhaft; brachte
er uns doch hin und wieder etwas Leckeres zu essen mit. Die kleinen, braunen
Täfelchen wurden für mich zum Inbegriff guter Schokolade, da ich ja zuvor noch nie welche gegessen hatte.
In einer Zeit, in der es auch kaum Spielzeug gab,
freuten wir uns deshalb riesig, als mein Onkel, der sparsam war und viel Sinn
fürs Praktische hatte, uns eines Tages leichte, weiße Luftballons mitbrachte,
diese aufblies und sie uns zum Spielen überließ, ein Ballersatz für uns. Wir
warfen sie begeistert hoch in die Luft und spielten so eine Art Volleyball
damit. Allerdings fiel ein Schatten auf unsere Spielfreude, denn Mutter
erlaubte uns nicht, auch nur für kurze Zeit, damit im Freien zu spielen. So
durften wir nur im Flur damit herumballern.
Das Haus, in dem wir wohnten, hätte einem Hitchcock-Film alle Ehre gemacht. Es
stand wie senkrecht abrasiert da, nur noch zur Hälfte erhalten; allerdings mit
einem vorhandenen Treppenhaus, dessen eine Seite jedoch vom vierten Stock
abwärts im Freien hing und den Blick auf das Trümmergrundstück freigab, wo die
Überreste der anderen Haushälfte lagen. Die Bewohner des Hauses waren recht
bunt gemischt; einzustufen von höchst ehrenwert bis äußerst fragwürdig. So wohnten
auch einige Damen dort, die ein lukratives Geschäft mit der Fraternisierung
betrieben; die GIs flatterten ein und aus. Wir als Kinder hatten keine Ahnung
davon. Dafür sorgte schon unsere Mutter, denn bei schlechtem Wetter spielten
wir in der Wohnung und bei schönem Wetter ging es in den Schrebergarten, der
damals auch für uns eine wichtige Nahrungsquelle war.
Nachdem meine Geschwister und ich ein paar Tage mit den Luftballons Sport im
Flur getrieben hatten, gingen die Ballons kaputt. Und leider konnte unser
Onkel auch keine neuen mehr mitbringen, warum auch immer. Wie froh war
ich da, als ich gleich zwei dieser Luftballonhüllen im Sandkasten des Vorgartens
entdeckte. Als ich gerade einen in der Hand hielt, um ihn aufzupusten, kam
meine Mutter, die sich gerade noch vor der Haustür mit einer Nachbarin
unterhalten hatte, wie von Furien getrieben , und schlug mir mein
vermeintliches Spielzeug aus der Hand.„ Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass
du nicht alles aufheben und in den Mund nehmen sollst!“, schalt sie mich und
führte mich weg. Zur Nachbarin gewandt, die ihr beipflichtete, sagte sie: „Das
ist eine Zumutung, was die so alles aus dem Fenster werfen!“ ,womit das
„Damentrio „ gemeint war.
Damals verstand ich den tiefen Grund der Empörung meiner Mutter nicht, die aus
Ekel und Furcht vor schlimmer Erkrankung ihres Kindes so ausgerastet war. Ich
wusste nur sehr genau seitdem, dass ich nichts Verschmutztes von der Straße
aufheben durfte.
Drei Wochen später schenkte uns Onkel Gottfried einen großen, roten Gummiball, und unsere Kinderwelt war wieder in Ordnung.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Ingrid Drewing).
Der Beitrag wurde von Ingrid Drewing auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.09.2009.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
Ingrid Drewing als Lieblingsautorin markieren
Endstation Zoo Ein Bahnhof sagt Adé (Lyrische Hommage)
von Jakob Wienther
Sein offizieller Name lautet Berlin Zoologischer Garten. Bekannt ist der
Bahnhof Zoo, wie im Volksmund genannt, weit über die heimatlichen Grenzen
hinaus. Er ist Mythos und Legende zugleich und kann auf eine mehr als 100
jährige, bewegende Geschichte zurückblicken.
In der vorliegenden Hommage vereinen sich Gedanken, Hoffnungen und Wehmut
über diesen Bahnhof und den nahe gelegenen Kurfürstendamm.
Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!
Vorheriger Titel Nächster Titel
Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:
Diesen Beitrag empfehlen: