Es
geschah an einem Donnerstagnachmittag…
Anne
wollte mit ihrem Pferd ausreiten. Es war wunderschönes Wetter, der Himmel war
blau gefärbt und es schien die warme Junisonne. Sie wollte sich in den Sattel
schwingen und plötzlich riss der Riemen des Steigbügels. Anne stürzte und
krachte mit dem Rücken auf den Boden.
Im
Krankenhaus stellten die Ärzte einen Wirbelbruch fest, der in einer 4-stündigen
OP wieder repariert wurde.
Während
Anne im Krankenhaus lag und sich nicht rühren konnte, kam ihr die Idee, eine
Geschichte über ihr Pferd zu schreiben.
Als
sie wieder zu Hause war, setzte sie die Idee in die Tat um und stellte ihre
Kurzgeschichte in einem Autorenforum im Internet vor.
Ein
einziger Mensch antwortete ihr auf ihre Frage, ob sie diese Kurzgeschichte
weiter fortführen solle. Sie freute sich so sehr über Sids aufmunternde Worte,
dass sie sich herzlich bei ihm bedankte und ihm kurz schilderte, wie sie auf
die Idee gekommen war, diese Geschichte überhaupt zu schreiben und welche ihre Vision
dabei war.
Die Korrespondenz zwischen Anne und Sid wurde
immer interessanter, neugieriger, intensiver und vertrauter.
Es war wie ein ruhender Bergsee im
Mondschein, der Mond eine große gelborange Scheibe über dem See, die Landschaft
in diffuses Mondlicht getaucht, und plötzlich beginnt die Oberfläche des Sees
sich zu kräuseln, als würde sie von einer leichten Brise berührt...
die Worte wurden vertrauter, ein
"gehauchter Kuss", ein "ich träum von dir" oder ich freu
mich auf dich", ließen die Oberfläche des Sees leicht schwingen.
Altvertraute
Gefühle, die lang vergessen waren, brachen in Anne wieder hervor. Sie freute
sich auf die nächste E-Mail wie ein verliebter Teenager, ein permanentes
Lächeln war auf ihr Gesicht gezaubert, alles war leichter, beschwingter, ihr
Leben, welches bislang durchaus zufriedenstellend war, bekam einen neuen,
wunderbaren Sinn. Sie war glücklich. Die Tage wurden heller, sie freute sich
auf den Abend, um sich an den mittlerweile immer zärtlicher werdenden Worten von Sid zu erfreuen. Sie schrieben sich ihr Leben, vertrauten
sich alles an – ja eine Seelenverwandtschaft war zu erkennen. Sie konnten sich
nicht mehr gegen die Gefühle wehren, die sich immer stärker zu entwickeln
drohten.
Die Wellen des Bergsees schlugen immer heftiger
ans Ufer.
Anne
hatte Angst, mit Sid zu telefonieren. Sie hatte Angst davor, sich völlig zu
verlieren und Begehrlichkeiten zu wecken, die nicht erfüllt werden konnten,
denn Sid war nicht frei. Anne lebte alleine, wollte aber auf keinen Fall eine Beziehung
mit einem verheirateten Mann haben. Auch hatte sie Angst, die Stimme von Sid könnte ihre
Illusion von ihm zerstören. Sie hatte Angst, konnte aber dem Wunsch, den Mann,
in den sie mittlerweile verliebt war, zu hören, nicht widerstehen. Er mailte ihr
seine Telefonnummer…und sie rief an. Klopfenden Herzens wartete sie auf seine
Stimme – da war er, der geliebte Mann, seine Stimme enttäuschte sie nicht. Sein
leichter Akzent, die jung gebliebene Stimme und das weiche Timbre ließen ihr
Herz schneller schlagen.
Sein
erster Satz war "oh Gott, bitte nicht!" was auch immer das bedeutete.
Es
wurde zu einem Ritual. Sie telefonierten morgens, mittags und abends. Zwar
immer nur für ein paar Minuten, aber sie erschufen ein paralleles Leben. Sie
tauschten sich über alles aus. Er lebte virtuell in ihrer Familie mit, kannte
die Kinder, Freunde, Kollegen, vor allen Dingen ihr Pferd. Sie schrieb ihm
begeisterte Geschichten von ihren Abenden und den Erlebnissen mit ihrem Pferd,
worüber sie am nächsten Tag am Telefon reden konnten, ebenso über die Kinder,
den Alltag, alles eben, was in einem Leben passiert welches man gern mit seinem
Partner teilt. Es war wunderschön. Anne fühlte sich nicht mehr allein, sie
hatte jemandem ihr Herz geschenkt und nahm es in Kauf, dass es nur ein Leben
auf der virtuellen Ebene sein konnte.
Sid
war ein wunderbarer Mann. Er hörte ihr zu – erzählte aber auch gerne – stand
ihr mit seinem Rat zur Seite, tröstete sie, half ihr bei den Problemen mit den
Kindern, holte sie schon mal auf den Boden der Tatsachen zurück, beruhigte sie,
wenn sie Angst hatte und vor allen Dingen liebte er sie und sagte es ihr immer
wieder. Auch sie liebte diesen Mann so
sehr, dass sie bereit war, auf alles, was eine Liebe noch ausmacht, zu
verzichten. Es war sehr schwer – auch der Gedanke, dass er seiner Frau und
Familie enger verbunden war als ihr – natürlich nagte es an ihr und sie war
nicht immer in der Lage, ihre Gefühle
diesbezüglich zu verbergen. Sie glaubte aber auch, dass es in der Liebe erlaubt
sei, alles was einen bewegt, ehrlich zu äußern, auch wenn es weniger angenehm
ist.
Anne
nahm an seinem Leben teil, so gut es ging. Begleitete ihn virtuell in seiner
Freizeit, „lag“ mit ihm in der Sonne, las mit ihm Gedichte im Internet, hörte
mit ihm zusammen Musik, schaute sich die gleichen Filme an, um darüber mit ihm
reden zu können, lebte mit ihm in seiner Fußballwelt und schrieb ihm Gedichte,
Gedichte, die ihre Gefühle ausdrückten. Auch diese Saite in ihr hatte er zum
Klingen gebracht.
Das
Wunderbare an ihm war auch seine Liebe zu Tieren. Sie hatte immer davon
geträumt, einen Partner zu finden, der so viel ehrliches Interesse und Begeisterung
an ihrem Pferd zeigt.
Sie
hatten es beide als ein ganz besonderes Zeichen gedeutet, dass sie sich über
die Geschichte ihres Pferdes kennen gelernt hatten…
Ja,
es war auch etwas Besonderes. Diese E-Mail-Liebe zwischen Anne und Sid. Eine
Liebe, die nur am PC und am Telefon stattfand weil man keinem anderen Menschen
wehtun wollte, weil man Angst hatte, sich zu sehen und sich zu verlieren, weil
es zu einer Katastrophe hätte führen können – oder in ein neues, unbekanntes
Leben?
Eine
E-Mail mit sieben Zeilen – das war’s.
Der Mond scheint immer noch
orangefarben über dem Bergsee, über den Menschen und über den Tieren. Nur der
See, der liegt jetzt wieder ganz ruhig da im Mondenschein. Keine gekräuselte
Oberfläche, keine leidenschaftlich aufgewühlten Wellen, nein, dunkel, still und
einsam liegt er da...
aber irgendwo über den Bergen schimmert
ein Licht – das Licht der Hoffnung.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Barbara Greskamp).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.09.2009.
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