Klaus Lutz

Der Arztbesuch 23

Der Arztbesuch 60

Ich liege einfach nur da, auf dieser Pritsche, ich finde
keinen Anfang, für nichts. Ich bin also ziemlich am En-
de. Dieser Körper streikt. All diese Masse. Es er-
schöpft Ihn. Täglich 250 Kilogramm. 24 Stunden am Tag
250 Kilogramm. Ohne jede Muskulatur. Nur noch Fleisch,
Fett, Knochen und Blut. Und Schleim. Wobei das Blut
eines Körpers 6-7 Liter sind. Der Schleim in den Einge-
weiden 2-3 Kilo. Und dann die Knochen. Vielleicht 10
Kilo. Der Rest ist bei mir nur noch Fleisch und Fett.
Wobei ich nicht weiß, warum ich noch Fleisch erwähne.
Das müßte ich wahrscheinlich, mit einem Psychologen
klären. Warum sage ich noch Fleisch? Obwohl alles
nur noch Fett ist. Es ist wie bei Menschen, deren Leben
nur noch monoton, eintönig und immer der gleiche Trott
ist. Sie sagen hin und wieder auch, mein Leben ist
schön. Es ist so schön! Aber Sie arbeiten liegen vor
dem Fersehen. Und am Ende liegen sie nicht einmal
mehr auf ihrer Frau! Alle befinden sich in diesem
Trott. Aber Sie sagen das Leben ist schön. So wie
ich zu diesem meinem Körper sage: "Fleisch und
Fett!" Und er in Wahrheit nur noch Fett ist. Oder nur
noch aus Fett besteht. So sagen die Meisten, das
Leben ist schön. Aber in Wahrheit wissen sie es.
Nichts mehr ist schön. Es ist das glatte Gegenteil von
schön. Es ist nur noch all das, was da ist. Und das,
was da ist ist Sinnlos. Oder es ist da und in Wahrheit
nicht mehr da. Es ist nur noch Erinnerung. Aber
dann sehe ich dieses Leben. Also mein Leben. Wie
es war. Es war anders. Ich bin Morgens aufgewacht.
Und wußte, heute finde ich etwas neues in diesem
Leben. Auf dieser Welt. Ich entdecke etwas Neues.
Und das hat auch funktioniert. Und das ziemlich gut.
Aber dann ist etwas geschehen. Ich habe zu lange
mit dem Entdecken gewartet. Ich bin nur noch an
Schaufenstern vorbei. Und durch Supermärkte. Und
das bin ich zu lange. Am Ende habe ich gedacht, ich
hätte es da, etwas neues gefunden. Oder etwas neu-
es entdeckt von mir. Von der Welt. Am Anfang so
mit 20 waren es Bücher. Ich habe viel gelesen. Ich
habe viel nachgedacht. Und ich bin viel gereist. Und
ich bin wirklich Morgens aufgewacht und wußte es.
Dieser Tag und dieses Heute hat Sinn. Es wird ein
guter Tag. Aber dann waren es nur noch Super-
märkte. Und endloses Einkaufen. Und dann war es
kochen. Es war nur noch kochen. Der ganze Tag.
Kochen und Essen. Kochen und Essen. Und am
Ende habe ich diesen Körper gesehen. 150 Kilo.
200 Kilo. 250 Kilo. Und da war es mir klar. Oder
ich wußte es. Was mein Leben war. Oder, was
aus ihm geworden ist: "Einkaufen, Kochen, Fres-
sen, Scheissen. Jeden Tag das Gleiche: "Einkau-
fen, Kochen, Fressen, Scheissen. Zuerst fünfmal
am Tag: "Kochen, Fressen, Scheißen!" Dann 10
mal am Tag: "Kochen Fressen, Scheissen. Am
Ende war dieses Leben nicht mehr anders. Heute
habe ich ein Gewicht von 250 Kilo. Und ich weiß
es, was das Leben von mir ist: "Kochen, Fressen,
Scheißen. 100 mal am Tag. 1000 mal am Tag.
Eine Million mal am Tag. Kochen, Fressen, Scheis-
sen. Es sind die Schaufenster und die Supermärk-
te. Sie haben mich dazu verführt. Sie verführen je-
den dazu. Zu dem Leben, das am Ende nur noch
eins ist: "Kochen, Fressen, Scheissen. Und es
ist durchaus möglich, es geht jedem wie mir. Und
das Leben ist nur noch eins: "Kochen, Fressen,
Scheissen. Und es ist so. Wir scheissen die Welt
langsam zu. Alles wird unter Scheisee begraben.
Kochen! Kochen! Kochen! Fressen! Fressen!
Fressen! Scheissen! Scheissen! Scheissen! Das
ist in Wahrheit die Welt. Oder der Kulturkreis in
dem ich groß geworden bin.

So habe ich also Heute auf dieser Pritsche gele-
gen. Habe diesen Körper gesehen. Dieses Fett,
mit seinen endlosen Massen. Und habe so nach-
gedacht. Was lief falsch. Es ist ganz banal. Irgend-
wann, habe ich angefangen das falsche zu ent-
decken. Und dann habe ich resigniert. Dann habe
ich aufgegeben. Und dann bin ich so langsam
gestorben. Das Leben war noch da. Aber es war
nicht mehr lebendig. Es war monoton. Und es
wurde krank und kränker. Und kränker und krän-
ker. Und es war diese Krankheit. Sie ist die Nor-
malität. Es ist diese Krankheit, sie sagt Dir das
ist normal. Das ist es. Das ist das Leben. Ich
gehe genau so wie diese Welt zugrunde. Ich habe
aufgehört etwas, neues finden zu wollen. Ich habe
aufgehört, etwas neues entedecken zu wollen. Und
das war es. Oder das ist es. Und all das, was das
Leben ist ist so langsam verschwunden. Das
klare Denken. Der richtige Blick für das Leben. Alles
ist verloren gegangen. Aber dann so gegen Abend
habe ich mir gedacht: "Setz dich an den Computer!"
Und es hat heute nur eine Stunde gedauert, bis
ich an diesem Ding saß. Es waren die Fettwülste.
Ich habe sie nur einmal eingeklemmt. Das war heute
der Vorteil. Ich lerne langsam, in dieser Zelle zu Le-
ben. Ich lerne das Leben hier wieder Neu. Tage
und Tage allein. Dann kommt der Wahsinn. Oder
ein neues Denken. Ich habe auf dieser Bank ge-
sessen und habe mich in diesem Raum umgeseh-
en. Es ist immer der gleiche Raum. Die Wände!
Die Decke! Der Boden! Er ist immer das Gleiche.
Aber es ist jetzt dieses Spiel von mir. Sieh da et-
was neues. Das sich jeden Tag und immer wieder
und immer wieder als das Gleiche zeigt. Und ich
finde immer etwas neues. Denn es ist nie das Glei-
che. Es ist das Licht und die Sonne. Es verändert
den Raum ständig. Es ist das Licht. Die Klarheit
seiner Nuancen, die ich immer besser erkenne. Es
ist das Leben des Lichts, das mir immer klarer wird.
Die Lebendigkeit des Lichtes. Das ist sie, dieRet-
tung in diesem Kerker. Ich beobachte und beoba-
chte diese Lebendigkeit. Diese Rettung. Meine
Rettung. Und ich fühle es dabei. Wenn auch noch
nur in Ansätzen. Aber es ist eine neue Lebendigkeit
in mir. Und ich hoffe, das es mit mit dieser neuen
Lebendigkeit wieder gelingt, die Sätze zu schreib-
en, die ich schreiben will. Ich hoffe, ich kann dem
Himmel ein paar neue Sterne geben. Denn er
braucht sie. Denn ich sehe es. Und ich sehe es
klar. Wie diese Welt langsam in einer Nacht ver-
schwindet. Und wenn es je wieder für sie einen Tag
geben soll, dann braucht sie den Himmel und seine
Sterne. Denn das wird es sein. Das Licht der
Sterne. Das Einzige, was Ihr für lange Zeit bleibt.
Das Einzige, was es für lange Zeit an Licht geb-
en wird. So wie ich in dieser Zelle. In diesem Kör-
per. In diesem endlosen Fett. Einen neuen Anfang
suche.

Also gehe ich los. Ich habe beschrieben wie es bei
dieser Familie war. Meiner Pflegefamilie. Oder einen
ersten Eindruck davon gegeben. Das Haus lag oder
liegt ausserhalb des Dorfes. Aber damals war es das
einzige Haus dort. Also es gab noch ein winziges
Häuschen, von einem alten Ehepaar. Und das war so
unauffällig, wie das alte Ehepaar. Es ist schon richtig,
so zu sagen, damals gab es nur dieses Haus dort.
Heute soll es dort 5-6 andere Häuser geben. Aber zu
der Zeit, von der ich rede, waren da nur Felder. Ein
paar Jahre später hat dan der Bruder meines Pflege-
vaters in unserer Nacbarschaft gebaut. Aber das war
es dann, bis in die 90er Jahre. Es gab auch nie be-
sondere Kontakte mit irgendwem. Aber das ist fal-
sch. Mein Pflegevater hatte 2 Brüder. Und es gab ei-
ne Freundin des Hauses. Einer der Brüder kam et-
was öfters. So jeden Monat einmal. Der andere Bru-
der kam 2-3mal im Jahr. Also im Sommer. Er kam nie
in die Wohnung. Er stand dann im Hof und hat
erzählt. Er war Kriegsversehrter. Also Kriegsrentner.
Der andere Bruder war Landwirt. Und das komische
war, mein Pflegevater redete nie etwas. Er arbeitete
weiter. Oder, wenn der andere Bruder in die Wohn-
ung kam, dann stützte er das Gesicht in die Hände
und redete auch nichts. Auch wenn sonst Besuch
kam. Die Leute redeten. Und er stützte den Kopf in
die Hände und redete nichts. Er war im Gemeinde-
rat. Und da soll es das selbe gewesen sein. Er
stützte den Kopf in die Hände und redete nichts. Er
war in einer pol. Partei. Und war im Kreistag. Und
dann im Verbandsgemeinderat. Ohne jemals etwas
zu sagen. Und zuhause war es auch so. Er redete
kaum etwas. Aber, wenn er was sagte, zu mir war
er freundlich. Aber es war schon so, das meiste was
er sonst sagen wollte hat er versucht mit Schreien zu
sagen. Ich meine, ihn haben Dinge aufgeregt, die be-
langlos waren. Samstags saß ich als Kind mit meiner
Pflegemutter immer Abends vor dem Fernseher. Und
je nachdem wie der Ofen eingestellt war, knisterte
und knarrten die Briketts, die in ihm verbrannten.
Eine kleine Stehlampe war eingeschaltet. Der Fern-
seher lief. Und es knisterte und knarrte. Und er ging
immer schon früh ins Bett. Er las dann. Und er konn-
te dieses knistern und knarren hören. Und es regte
ihn auf. Denn es knarrte und knisterte nur, wenn die
untere Klappe des Ofens offen war. Und das Feuer
bekam ständig Sauerstoff. Die Kohle verbrannte
dadurch auch schneller. Aber es knisterte und knarrte.
und das war schön. Das hatte so eine Lagerfeuer-
romantik. Aber es war natürlich auch unnötige Ver-
schwendung von Brikettes. Das Knistern und knar-
ren kostete im Jahr 5 Brikettes mehr als normal. Und
er kam 3-4 mal vom Schlafzimmer und regte sich
einfach auf. Nur weil der Ofen falsch eingestellt war.
Aber er hat nie durchschaut, das es gerade das war.
Das knistern und knarren am Samstag im Winter.
Mit dem das Leben einigermassen erträglich war.
Knistern und knarren. Gedämpftes Licht. Und ein
Spielfilm. Das waren mit die Höhepunkte des Le-
bens. Wenn ich heute so drüber nachdenke:
"Verrückt!" Er hat auch Bücher gelesen. Und er hat
auch nachgedacht. Aber wahrscheinlich über das
Falsche. Und so wie er gedacht hat, so hat er auch
gelebt. Er hat nie gelernt das Leben zu geniessen.
In Wahrheit furchtbar traurig. Es ist so. Es ist trau-
rig. Dabei war er von seinem Wesen her ein freund-
licher Mann. Aber zerstört. Zuviel krieg. Zuviel Nach-
kriegszeit. Zuviel Arbeit. Und bei all dem, hat er ir-
gendwie das Leben verloren. Den Sinn, für das was
Freude ist. Es ist auch so. Er hat nie mit mir gere-
det. Es gab nie ein Gespräch mit ihm. Auch mit mei-
ner Pflegemutter. Es gab nie ein Gespräch. Sie
waren so einfach, sie wußten nicht was das war.
Mit jemand reden. Gespräche führen, die einem
Mensch das Beste zeigen. Das Beste in ihm weck-
en. Es war eben so. Die Familie hat funktioniert.
sonst war nichts. Aber das war normal.

Und wenn ich es heute so sehe mein Leben. In dieser
Zelle. All diese Fettwülste. Wenn auch die Ekzeme, Ge-
schwulste und Schwären mittlerweile verschwunden
sind. Dann ist es doch immer noch ein komischer An-
blick. Der Schweiß der in großen Tropfen ständig auf
den Boden fällt. Der Speichel der mir aus den Mund-
winkeln läuft. Diese Ständige Flatulenz. Der Geruch des
Körpers. Die Haare die fettig auf die Schultern fallen.
Die Fliegen, die unter die Fettwülste kriechen. Auf
dem Rücken sitzen. Auf dem Bauch. Und diese dick-
en schweren Arme, die fast bewegungsunfähig sind.
Und dieser Geist oder das was von ihm übrig geblie-
ben ist. Der das alles nur noch registriert. Und selbst
jetzt noch, immer wieder dieser Heißhunger auf Schnit-
zel, Pommes, Tiramisu, Gebäck und Torte. Selbst jetzt
wo ich am Ende bin. Und das Ende von mir nahe ist. Ist
es dieses Denken eines Vierjährigen. Der sich diese
Welt aus Schokolade, Kuchen und Eis wünscht. Der
am liebsten überall knabbern und lutschen möchte.

Aber ich bin abgeschweift. Diese Familie, die nur funk-
tioniert hat. Was gab es da? Das Haus wurde vergrößert.
Aufgestockt, angebaut. Der Hof wurde mit Platten aus-
gelegt. Der Birnbaum vor dem Haus wurde beseitigt.
Statt ihm gab es eine Trauerweide. Der Garten in dem
es Gemüse und Tomaten und Bohnen und alles wuchs
wurde Rasen. Auch die Obstbaüme wurden beseitigt.
Es wurden Edeltannen gepflanzt. Auf dem Rasen stand
dann eine Hollywoodschaukel. Der Keller in dem immer
Kartoffeln und Lebensmittel gelagert wurden, wurde zum
Partykeller. Und dazwischen gab es dieses Leben. Und
das war eine Komische Entwicklung. Durch die mechani--
sierung der Landwirtschaft verschwanden alle Bäume
in der Gemarkung. Für die großen Maschinen, die auf
den Feldern eingesetzt wurden, waren Bäume ein Hin-
dernis. Sie standen im weg. Es verschwanden alle He-
cken und Sträucher. Also vielleicht blieben 10% davon
übrig. Ich denke es wäre korrekt zu sagen, so wie das
Leben bei den meisten Menschen nur funktionierte. So
sollte auch die Nautur funktionieren. Dasein ohne Le-
bendig zu sein. Damals war das schon komisch. Oder
anders es war der Anfang von etwas, mit dem jede
Idylle irgendwie verloren ging. Am Ende gab es ein-
fach nichts mehr. Vor den Fernseher zu liegen war
schon richtig. Warum in der Natur spazieren gehen.
Sie war einfach nicht mehr da. Verschwunden!
Gegangen! Hin und weg! Und fort und weg. Und weg
und vorbei. 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Klaus Lutz).
Der Beitrag wurde von Klaus Lutz auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.09.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Klaus Lutz als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Dämonen im Labyrinth der Lüste - Dämonenlady Band 3 von Doris E. M. Bulenda



Beelzebub hatte diesen riesigen Titan verloren. Irgendwo im Weltenlabyrinth hatte er ihn ausgesetzt, und der Titan war auf und davon.
Und dann bat Beelzebub ausgerechnet mich, die Menschenfrau, den Verlorenen zu finden.
Natürlich würde ich nicht allein gehen, dafür wäre das berühmte Labyrinth viel zu gefährlich. Mein dämonischer Geliebter Aziz würde mich begleiten. Neben der Gefahr würde allerdings auch manche Verlockung auf mich warten, in den Gängen des faszinierenden, gewaltigen Labyrinths hausten viele seltsame Kreaturen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Besinnliches" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Klaus Lutz

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der Arztbesuch 36 (n. Fassung) von Klaus Lutz (Besinnliches)
Der Arztbesuch 2 von Klaus Lutz (Besinnliches)
Einbrecher von Ingrid Drewing (Humor)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen