Rico Graf

Die Langsamkeit

Die Langsamkeit

oder

Ein Ausflug auf das Land

 

 

 

Wir. Fahren. Schnell. Das Auto. Brummt.

Fort. Von der Stadt. Ins Land. Schnell.

Straße. Pfeiler. Strommasten.

Grün. Gebäum. Schnell.

Alles: rascht: vorbei.

Oben: Sonne.

Abend.

Ich:

 

„Fahr doch mal langsamer!“

Die Bremsen sprechen. Die Reifen erhören ihren Ruf. Die graugepflasterte Straße scheint nur uns zu tragen; hinein in das uns umarmende Land. Ich fühle die Zeit wiederkehren. Wo warst du nur? Ich habe dich vergessen, klar: wer schneller lebt, vergisst auch schneller. Die wiedergefundene Zeit, da bist du und ich lebe grad ganz plötzlich wieder im hic et nunc – und aus dem Moment wird die Ewigkeit:

 

Meine sich beruhigenden Augen berühren den westlichen Himmel, der einen müden Ball aus Gold in die blaue Wiege legt, und hären umwölken purpurfarbene Schleier die sich neigende Kugel und laden allmählich zum bettenden Schlummer. Die nahend-nächtliche Decke zieht über einsame Weiler und ländliche Haine, winkt mit hölzern-duftenden Brisen die kosmischen Alllichter herbei, grüßt uns – in freundlich-bannender Erwartung – mit einem silber-mondenen Lächeln am Firmament. Ich bitte um Halt und des Autos Brummen erliegt an einem Farn bewachsenen Feldraine, welcher von den fröhlichen Tönen zwitschernder Vögelein besungen wird; wir steigen aus, stimmen pfeifend mit ein und gewahren ein anfängliches Verstummen der Piepmatze, das darauf erst vorsichtiger, dann mutiger und schließlich geradezu pathetisch wieder gedeiht, bis uns ein erdiger Feldweg in Empfang nimmt, dem wir mit einer kindlichen Spur Kehle brennenden Abenteuerdurstes folgen, dabei den faunischen Gesprächen, dem stolzen Zirpen und fidelen Summen, lauschen, eine tiefe Freude sich in uns regen fühlen: einem archaischen Empfinden gleich, das uns an uns selbst erinnert. Unsere Füße bekommen Flügelchen, die uns über das grün-flauschige Moos schweben lassen entlang eines wachenden Waldsaumes, der mit Birken, Eschen und Weiden, deren höchste Wipfel wie die stützenden Säulen des gestirnenen Zeltes wirken, ins tälerne Land breitet; mannigfache Aromen und Düfte von Veilchen, Heu und Erde kitzeln die unsrigen Nasen und da ist auch ein leises Flüstern eines quellenden Baches, dessen plätscherndes Gemurmel durch einen alten Weiher geht, den wir erblicken. Fruchtender Holunder und blütenvolle Hyazinthen umblühen das klare Nass an das wir uns beilegen, anfangs beinahe in respektvoller Ehrfurcht, dann aber in Reminiszenz an die natürliche Zugehörigkeit unserer Sinne, die einem Kinde gleichen, welches einst seine Mutter verloren und sich nun jetzt wieder von ihr ans Herz drücken lässt, sodass auch unser Geist einem möglichen Dualismus entlacht, sich in wohlig-wonniger Verzückung aus seiner raupenartigen Verpuppung löst, als feuriger Perlmutterfalter hinaus flattert und eins wird mit dem Alles – fern von der Stadt, fern vom Wagen, fern von der Schnelligkeit dieser Tage, denn unser Sosein ist nur im Allsein die Wahrheit zugleich und auch der Sinn: die Nächtlichkeit sucht den Traum, welcher den Frieden schafft, der in der Alltäglichkeit im Rausch der Geschwindigkeit zerweht wie die Farne am Raine; unser Leben ist eine Sanduhr und der Sand ist unser Blut, unser Fleisch, unser Hirn, unser Geist – wir können womöglich nie den unverhofften Sturz in Scherben verhindern, jedoch können wir entscheiden, wie schnell der Sandfluss durch das Glas gleitet: Die Langsamkeit ist nur das Verständnis um ihre Dauer im Antlitz der Ewigkeit; die Natur lässt sich Zeit, sie schwingt beharrlich, unser Herz schlägt nur, weil wir hier liegen können und wie lange schlüge es, wenn wir länger liegen könnten? – es gibt keine Zeiger, die für alle schlagen; jeder trägt seine eigene Uhr mit sich und diese läuft im eigenen Herzen, das wir auf der Zunge tragen sollten, um zu verstehen, um zu sagen:

 

Ruhe

Gelassenheit

L a n g s a m k e i t

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.09.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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