Klaus Lutz

Der Arztbesuch 24


Es sind Kopfschmerzen! Es sind Magenschmerzen! Es
sind Rückenschmerzen! Es sind Zahnschmerzen! Es
sind Nackenschmerzen! Es ist das Leben. Und es ist,
wie ich es nehme. Ich trinke ein Piccolo. Höre Beet-
hoven. Sehe mir im Internet nackte Frauen an.

Ich habe den ganzen Tag, auf der Pritsche gelegen. Und
dann war ich weit, weit weg. Mit diesem Wissen, mit dem
ich überall sein kann. Mit dem Wissen von mir. Weit, weit
weg, von all dem hier. Weit, weit weg von dieser Zelle.
Weit weit weg von dieser Stadt. Weit weit weg, von die-
sem Land. Weit weit weg, von dieser Welt. Zuerst habe
ich diesen Planeten gesehen mit seinen Farben. Dann
habe ich diesen Planeten, nur noch als kleinen Punkt
gesehen. Dann war dieser Planet verschwunden. Und ich
habe Ihn vergessen. Nach fünf Minuten, habe ich verges-
sen, was alles wichtig war. Oder so unendlich wichtig
war. Und was so unendlich bedeutend zu sein schien.
Und all die Kunst der Zaubereien: "Die Lügen, Dummhei-
ten und Verleumdungen, die ich ertragen mußte. Von all
den Großen Zauberern dieser Welt. All die Zaubereien
die meistens von Freunden, Nachbarn oder welchen Wahn-
sinnigen auch immer kommen. All die Lügner, deren Leb-
en die Kunst des Lügens ist. Mit der die Wahrheit immer
mehr verschwindet. Und die Welt so langsam zugrunde geht.
Wegen ein paar Menschen deren Leben nicht anderes ist.
Als die Kunst des Lügens. Und das in den höchsten Sphären,
die Sie mit ihrer Dummheit erreichen. Die Sphären der
Dummheit! Und die Erhabenheit ihrer Lügen. Die dem
Leben keine Chance läßt.

Hin und wieder benötige ich diesen Punkt weit weit
draussen. Ich muß es einfach wieder finden. Dieses:
"Was ist bedeutend?" Was zählt wirklich? Denn das ist
es. Es ist das Einzige, was die Lügen besiegt. Und
es ist das Einzige was wirklich das Leben ist. Ich
bin weit weit draussen. Um mich her sehe ich, wie neue
Stern und Galaxien entstehen. Ich sehe Farben, die
ich noch nie gesehen habe. Ich sehe wie Universen
verschwinden. Und wie neue Universen entstehen. Und
ich sehe die Klarheit, mit der alles nur Leben ist. Mit
der alles Leben ist. Ich sehe das Leben ohne Lügen.
Und ich sehe es, wie groß dieses Leben ist. Es ist un-
endlich. Es beginnt ständig Neu. Und es geht stän-
dig weiter. Es zeigt immer neue Tiefen. Es führt zu
immer neuen Höhen. Es ist Schweigen. Es ist Reden.
Es ist Wissen. Es ist Wahrheit.

Ich weiß was ich brauche. Ich brauche es hin und wie-
der dieses weit weit draussen. Ich muß es hin und wie-
der vergesssen. Was alles so zählt auf dieser Welt.
Und wie wenig besondere Menschen es gibt. Und wie
viele es glauben, wie besonders sie sind. Ich muß es
sehen das es eine Wahrheit gibt. Und wieviele Leute
es glauben, das ihre Lügen die Wahrheit ist. Ich muß
es sehen. Was die Zeit ist. Und wie diese Stunde ist.
wo ich nur Tee trinke. Und wie ich dann dieses Leben
sehe. Ich muß es Sehen, warum diese Welt sich dreht.
Was für ein Tanz das ist. Was für ein Fest sie feiert.
Ich bin weit weit draussen. Und dann übelege ich mir:
"Was will dieser Gott von uns?"

Dann finde ich mich auf dieser Pritsche wieder. Trinke
einen Tee. Und sehe aus dem Fenster. Und weiß es. Ich
muß meine Wahrheht wieder neu finden. Ich muß sie weit
weit draussen wieder finden. Ich muß sie hier wieder
finden. Ich muß sie in all meinen Gedanken, wieder fin-
den. Ich muß meine Wahrheit wieder finden. Oder ich
bin verloren. Ohne diese Wahrheit bleiben diese Massen
von Fleisch. Ohne diese Wahrheit bleibt all das unnöti-
ge. Ohne diese Wahrheit bleibt nichts von mir. Ohne
diese Wahrheit bin ich verloren. In all den Massen von
Fleisch. Mit all meinen Kilos und Kilos und Kilos. Sie
sind das Unnötige. All das, was dieses Leben ist. Wenn
die Wahrheit verloren gegangen ist.

Dann gehe ich zurück. Jahre und Jahre. Und ich weiß es.
Um so mehr ich mich von diesem Leben entferne. Um so
mehr ich mich von diesem Heute entferne. Um so näher
komme ich der Wahrheit. Um so klarer wird es mir, was
dieses Leben von mir Heute ist. Und warum dieses Leben
von mir, heute nur noch Masse ist. Nur noch Fett, Fett,
Fett. Nur noch Schwabbeln. Getöse in den Därmen. Einneh-
men und Ausscheiden. Dieses Leben. Das nur noch eins
ist. Perfektes funktioniern. Von einem Körper, der
nichts mehr einen Sinn gibt. Der nur noch da ist. Nichts
mehr weiß. Nichts neues mehr kennen lernt. Ein Leben, wo
alles ohne neue Entdeckungen und Abenteuer ist. Dieser
Körper! Dieses Leben. Das sich dem Siechtum übergeben
hat. Das sich dem Schwabbeln übergeben hat. Dieser Kör-
per, der nur noch Fleisch ist. Dieser Körper, der nur
noch fett ist. Fett! Fett! Fett!

Also wie schon erwähnt. Es war dieses Dorf und seine Ge-
markung. Damals: Bäume! Grün! Hecken! Gebüsch! Weiden!
Bäche! Und Quellen, die aus der Erde traten. Weinanbau!
Felder! Und das Leben dort. Die Bauern begannen Morgens
um Sechs mit dem Arbeiten auf den Feldern. In den Weinber-
gen. Aber alles hatte trotz allem so eine Stille. Es war das
Leben, das noch da war. Eine Natur, die noch intakt war.

Sonntags spielten die Alten  Skat. Und ich war immer in dies-
em Wirtshaus, wo das stattfand. Ich bin da einfach als
fünf, sechsjähriger rein: "Habe gesagt eine Cola!" Aber in
Wahrheit wollte ich mir das Ansehen. Das Skat spielen. Und
die Gespräche der alten Männer hören. Mir ihr Verhalten an-
sehen. Etwas hat mich einfach damals an diesen Menschen
fasziniert. Heute weiß ich, was das wahr. Diese Menschen
haben in sich geruht. Alles stimmte einfach. Jede Bewegung!
Jeder Satz! Jedes Ausrasten. Es war Leben. Und es war le-
bendig. Es war Echt. Das war Es. Das was mich fasziniert hat:
"Das Echte!" Das, war es dann auch Jahrzehnte später auf
den Reisen: "Das Echte zu finden!" Aber sonst lief es Normal!
Im Sommer die Arbeiten auf dem Feld. Hin und wieder wenn
Briketts kamen, die richtig stapeln. Im Winter von den Kartof-
feln, die Austriebe weg machen. Oder Schnee weg schaufeln.
Wir lagen ausserhalb des Dorfes. Und 1960/62/63 gab es noch
sehr viel Schnee. Und auch Schneeverwehungem 1,50 meter
oder 2.00 Meter hoch.

Hin und wieder fuhren wir zu den Geschwistern meiner Pflege-
mutter bei Köln. Jeder, der bei der Bahn tätig war, hatte für seine
Familie 4 Freifahrten. Also jedes Familienmitgleid konnte zwei-
mal im Jahr verreisen. Innerhalb Deutschlands an jeden beliebi-
gen Punkt. Meistens wurde das genutzt. Und die Fahrt nach
Köln war immer schön. An Bingen vorbei. Am Rhein entlang. Mit
all den vielen Schiffen. Und den Burgen. Und den Tunnels. Und
dann ging es in Köln immer in den Dom. Zu der Mutter Maria. Eine
Kerze anstecken. Beten.

Die arme Mutter Maria. Um ihren Hals waren tausende von Kett-
chen jeder Art. Und ich denke, sie war längst daran erstickt. Und
es gab nichts mehr, das Ihr helfen konnte . Auch keine Kerze. All
diese Ketten aus Silber, Gold, Perlen oder was auch immer. Und
so viele davon. Wenn all das nicht gewesen wäre. Dann wäre es
vielleicht da gewesen: "Das Heilige!" Aber so war alles Gestorben.
Und nichts mehr zu sehen. Unter all diesem unnötigen Kram. Es
kann wirklich sein, das diese Figur total schön war. Aber, es war nichts
mehr von Ihr zu sehen. Und das fand ich schade. Die Leute beteten
praktisch etwas an, was nicht mehr zu sehen war. Was verschwun-
den war. Unter all diesem Pomp. In Wahrheit beteten sie nur den
Pomp an. Kann sein die meisten dachten, sie werden genau so reich
wie die Mutter Gottes. Aber sie haben es einfach nicht gesehen. Das
sie unter diesem Reichtum schon längst gestorben war. Aber der Dom
war. Nun ja! Was ist so eine Kathedrale für ein Kind. Es läßt es
einfach Sprachlos werden. Diese riesigen hohen Räume. Die Beicht-
stühle! Die Altäre! Die großen buntern Fenster. Die Priester und die
Gläubigen überall. Für mich war es das Erlebnis. Das, was bleibt.

Es war dieses gewaltige an Bau. Dieses Mächtige, das hinter all den
Gebeten und dem Denken und dem Glauben war. Das was über
den Verstand des Menschen hinaus geht. Unzerstörbar und Unsterb-
lich. Dieser Gott. Und der Glaube an Ihn. Und davon war alles erfüllt.
Aber es war nicht erdrückend. Ganz im Gegenteil. Ich glaube jeder
Gläubige der so einen Dom betritt, dem wachsen Flügel. Er ist nicht
mehr Hier. Das ist vielleicht die Bestimmung dieser Dome, in all ihrer
Dimension. Sie geben dem Menschen eine Klarheit. Neben all dem
Pomp und erstickten Madonnen, ist es diese Ahnung die wieder da
ist. Von all dem, was den Menschen glauben läßt. Seine Endlichkeit.
Seine Begrenztheit. Sein Mensch sein. Und da gingen wir jedes mal
rein. In den Dom.

Das Leben im Dorf hatte nur eine Abwechslung in dieser Zeit. Es
war ein Mann. Der Nachts einfach seine Familie mit einer Axt platt
machen wollte. Irgendwie ist er durchgeknallt. Das Dorf hatte so ein
Haus, wo die Ärmsten wohnten. Und in dem Haus fand das statt.
Einer seiner Söhne, war der Freund meines Stiefbruders. Ich glaube
ihm hat er die Schulter halb weg gedonnert. Als die Familie schon
schlief. Er hat die Axt genommen. Und dann auf die Leute eingedro-
schen. Oder wollte Es. Aber der Junge hat wohl so laut geschrieen,
das alle Anderen wach geworden sind. Und flüchten konnten. Aber
trotzdem sollen da Seen von Blut gewesen sein. Die Schwägerin
meiner Pflegemutter hat dann mal, so laut die Zeitung gelesen. Einen
Bericht über die Gerichtsverhandlung. Eine Stellungnahme des Ver-
teidigers. Von dem Axtgespenst! Die beengten Wohnverhältnisse!
Die privaten Schwierigkeiten. Das ganze Leben. All das Unlösbare,
hat ihn zur Axt greifen lassen. Nachts als alle schliefen. Da ist es
ihm klar geworden. Das Leben hat etwas unlösbares. Und da gab
es nur eine Rettung. Und nur eine Befreiung für die Familie: "Das
war die Axt!" Und das was nur mit ihr möglich war. Das Unlösbare
in Stücke zu hauen. In kleine Teile. Überschaubar! Und ruhig und
still. Dann war es vielleicht gelöst: "Das Unlösbare!" Oder es war
da. Das Leben mit einem neuen Anfang. Einem neuen Denken.
Mit der Lösung. Wie auch immer es war Horror. Und 2-3 Tage, das
Thema der Presse. Schließlich war die Schulter noch dran. Wurde
auch wieder Gesund. Und die Anderen konnten flüchten. Es ist
verrückt. Wenn der Sohn nicht geschrieen hätte. Dann hätte er. Alle
vier Kinder und die Mutter klein gemacht. Beengte Wohnverhältnisse
und unlösbare Probleme. Das ist so eine Sache. Beengte Wohn-
verhältnisse allein, das überlebt ein Mensch noch. Aber die unlös-
baren Probleme. Das ist immer der Killer. Das unlösbare Prob-
lem. Da kann man nur Jedem raten. Die unlösbaren Probleme ver-
giß sie einfach. Oder rede mit deinem Arzt drüber. Denn je nach-
dem, wie die unlösbaren Probleme sind sind sie immer gefährlich.
Sie sind unlösbar wenn ein Mensch wahnsinnig ist. Dann hat er
nur solche Probleme. Oder sie sind unlösbar, da einfach Infor-
mationen fehlen. Dann hat er ein Problem. Und das ist lösbar.
Aber auch das war nach ein paar Monaten vergessen. Die Familie
zog woanders hin. Und so weit ich weiß, ist keiner von ihnen
wahnsinnig geworden. Sie haben alles im Griff: "Das Leben und
So!"

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.09.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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