Beim Wandern kommen und gehen die Gedanken, oft sind sie so intensiv, dass mir ganze Abschnitte meines Weges im Bewusstsein fehlen.
Das Ziel meiner Wanderung liegt noch weit – aber ich habe Zeit...
Gedanken brauchen Pausen, sonst verirren sie sich.
Ein Baumstumpf am Wegrand lädt zum Verweilen ein, ich nehme die Einladung an.
Kaum sitze ich, denke ich nicht mehr, sondern sehe - nicht fern, nah sehe ich!
Auf dem Waldweg vor meinen Füßen verläuft ein Weg im Weg: der, der Waldameisen.
Ich sehe Begrüßung, Abschied, Geschäftigkeit, Anstrengung, aber keine Hektik, man (Ameise) arbeitet ruhig, aber fleißig – jedes Tier hat seine Aufgabe, von niemandem erklärt, geschult oder befohlen. Mir scheint, das Gehirn ist verteilt auf Millionen Köpfe, denkt aber als Einheit.
Ein Vogelliedchen holt mich aus der Beobachtung der Ameisen zurück -
Angestrengt horche ich, kann aber das Liedchen nicht trennen vom Gesang der Anderen.
Ungewollt schließen sich die Augen, ich drehe den Kopf, bis ich das unerkannte Liedchen „zwischen beiden Ohren“ habe – jetzt, ja jetzt erkenne ich die silberhelle Stimme einer Heckenbraunelle.
Doch nicht nur sie singt mir ihr Liedchen, es werden mehr und mehr Vogelstimmen hörbar, erkennbar – wie konnte ich nur all diese Stimmen überhören?
Ich öffne die Augen, suche nach den Sängern, finde sie im Gebüsch, im Baum, am Himmel – aber...
jetzt singen sie wieder durcheinander, ich höre weniger und weniger – sonderbar.
Meine Gedanken befreien sich vom Gehörten, etwas berührt mich...
Die Härchen im Nacken haben es zuerst gespürt – ein feuchtwarmer Hauch.
Ich wende mich ihm entgegen, jetzt streicht er um die Stirn und bewegt die Haare am Arm:
Die lauwarme Luft trägt mir etwas zu, was ist es nur?
Das Gefühl zieht sich wider zurück, Geräusche entfernen sich, die Landschaft wird unscharf.
Es riecht nach Bekanntem aber Unerkanntem – langsam ziehe ich die Luft durch die Nase, suche in Erinnerungen. In kleinen Filmchen laufen Duft-Erlebnisse vor mir ab...,
so riecht es nur auf frisch gemähten Wiesen, ja es riecht nach Gras, nach geschnittenem Gras.
Die Bilder im Gedächtnis werden scharf, ich sehe die Wiesenmahd mit der Sense - als Kind hatte ich Angst vor dem durch das Gras zischende Messer - eine Gänsehaut zieht sich über Arme und Nacken, ich schüttele mich und komme zurück aus den Erinnerungen.
Die Einheit der Sinne ist wieder hergestellt, jeder übernimmt seinen, jetzt wieder kleinen Teil.
Ich setze meine Wanderung fort, die Ruhe währte nur Sekunden und war doch so lang...
Oft sind Sekunden schöner und wichtiger als Stunden, Tage und Jahre:
sie machen das Leben (er-) lebenswert,
vergesst sie nicht!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.09.2009.
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