Werner Wadepuhl

Mit dem Hausboot auf dem Canal du Nivernais.

Ein etwas anderer Reisebericht.




 

 

 

Über Fahrten auf den Kanälen Frankreichs ist Vieles geschrieben worden, sachlich, romantisch, schwärmerisch, poetisch und stets positiv. Dem ist kaum noch etwas

hinzuzufügen. Dennoch, jede Bootstour verläuft anders, abhängig von der gewählten oder vorgegebenen Route, dem Bootstyp, der Mannschaft, dem Wetter.

Bei Weitem habe ich nicht all diese Berichte, die angebotene Literatur gelesen. Doch die, die mir bei der Auswahl und Planung unserer Reise wertvoll erschienen, möchte ich im Rahmen einer Kurzfassung unserer eigenen Fahrt ein wenig um das ergänzen, was mir im Nachhinein besehen an Wissen nützlich gewesen wäre.

 

Es war wirklich nicht meine Idee, auf meine alten Tage noch mal selbst ein Boot führen zu müssen. Zwölf Jahre lang bin ich in der Adria mit Yachten gefahren, mehrmals sogar mit der eigenen Familie. Es waren Erlebnisse, die sich fest in der Erinnerung verankert haben, auch die weniger schönen wie die ewigen Schrunden auf dem Kopf, die ich beim ersten Abstieg unter Deck erneuert habe, die mitunter engen und umständlichen Verhältnisse an Bord, die oft primitiven oder abstoßenden sanitären Einrichtungen, die Mückenplagen in den Häfen und nicht zuletzt das mir oft zu heiße Klima. Das alles glaubte ich hinter mir zu haben und wollte es mir nicht mehr antun. Dem Drängen meiner Jugend konnte ich erfolgreich mit dem Nachlassen meiner körperlichen Beweglichkeit begegnen. Der Bitte, wenigstens eine Kanalfahrt in Frankreich zu begleiten, hatte ich keine passenden Argumente entgegenzusetzen. Also buchte man bei Locaboat für Ende August eine Reise mit einer Penichette auf dem Nivernais-Kanal, wobei Fluss- oder Kanalfahrten auch für mich Neuland bedeuteten. Da Bootsverleiher keinerlei Vorbildung erwarten oder voraussetzen und lediglich der Besitz eines Kfz-Führerscheins verlangt wird, konnte es so anspruchsvoll ja wohl nicht werden.

Ich will hier nicht die Geschichte dieses Burgund durchziehenden Kanals wiederholen. Wen sie interessiert, der findet im Buchhandel wie auch im Internet genug Wissenswertes. Er gilt als einer der langsamsten, aber auch der landschaftlich schönsten Kanäle Frankreichs. Ich hatte mich aus den Angeboten eigentlich mehr aus dem Bauch heraus für eine Fahrt von Corbigny nach Joigny entschieden, einer Fahrt, die bei 136 Kilometern Länge in einer Woche zu schaffen wäre und die, dramaturgisch gesehen, von einem eher farblosen Punkt in der Einöde, die Burgunder mögen mir verzeihen, in immer schönere, aber auch betriebsamere Gegend führt und schließlich auf der Yonne mit der Stadt Auxerre ihren Höhepunkt und in dem Locaboat-Stützpunkt in Joigny ihren Ausklang finden würde.

Bedenken hatte ich lediglich mit der Zahl von 67 Schleusen, die insgesamt einen Höhen-unterschied von etwas über 116 Meter überwinden sowie den acht Klappbrücken, weitere Hindernisse, die rein rechnerisch nach jeweils weniger als zwei Kilometern oder bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 8 Kilometern in der Stunde etwa alle 15 Minuten zu überwinden waren. Ich konnte mir nicht vorstellen, worin da noch die Beschaulichkeit einer Schiffsreise, einer Bootsfahrt liegen sollte. Aber mit der gewählten Route hatten wir wenigstens eine Talfahrt vor uns und würden stets oben ankommen, also die Schleusenufer bequem erreichen und nicht in irgend welche modderigen Kammern einfahren, in denen man erst einmal gut gezielt eine der glitschigen Leitern erreichen muss, um mitunter bis zu drei Meter nach oben zu klettern und die Haltetaue entgegen zu nehmen, die einem mehr oder weniger geglückt hinaufgeworfen werden. Und die Familie, die Jugend zeigte sich mit der Wahl zufrieden.

 

Minutiös hatte ich mögliche Tagesetappen aus den gelesenen Schilderungen abgeleitet und sich anbietende Ausflüge und Besichtigungen der Umgebung zusammengeschrieben, um dann im Kleingedruckten des Vertrages zu lesen, dass die entgültige Richtung der Reise erst achtundvierzig Stunden vor Antritt nach der jeweiligen Verfügbarkeit der Boote bekannt gegeben wird. Prompt erfuhren wir zwei Tage vor der Anfahrt, dass wir genau umgekehrt, also von Joigny nach Corbigny und damit bergwärts fahren sollen. Also vergessen Sie alle Planungen. Sie bekommen bei der Übergabe des Bootes eine Mappe mit zwei gut gefüllten Ordnern, einen über die Technik des Schiffes einschließlich zahlreicher, bebildeter Anweisungen über seine Handhabung, ergänzt mit den Zulassungspapieren, die kein Hafenkapitän sehen will, und einen mit  möglichen Tagesetappen auf den diversen Kanälen unter Angabe der Kilometer, der Netto-Fahrzeiten und der Anzahl der Schleusen und Klappbrücken, mit denen Sie auf dem Weg fertig werden müssen.

 

Zur Anreise aus Süddeutschland wählten wir die Autobahn Stuttgart-Karlsruhe- Mulhouse-Besancon und weiter. Sie ist zwar rund achtzig Kilometer länger als die direttissima ab Ausfahrt Iffezheim über mehrere Landstraßenabschnitte, aber auf den mautpflichtigen Autobahnen läuft es in Frankreich erholsam ohne Stress.

Nicht zuletzt, weil unser Jüngster vorher noch in Lyon zu tun hatte, fuhren wir mit zwei Autos und hatten im Sinn, einen der beiden Wagen noch am Abend an den Zielpunkt zu bringen. Vergessen sie auch das. Warum? Die Parkplätze an den Stützpunkten sind eingezäunt und verschlossen und nur während der allgemeinen Geschäftszeiten zugänglich und die liegen nun mal samstags von acht bis zehn und am Nachmittag von vierzehn bis achtzehn Uhr. Für die rund einhundert Straßenkilometer zwischen Corbigny / La Chaise und Joigny braucht man exakt anderthalb Stunden.

Auch weitere Überlegungen, ein Auto jeweils eine Tagesetappe weiterzubringen und mit dem Rad dem Boot entgegen zu fahren, scheitern an den Möglichkeiten, ein Auto irgendwo gesichert in der Einöde abzustellen. Diesem Problem gehen Sie natürlich aus dem Wege, wenn Sie einen Törn mit Rückkehr zum Ausgangspunkt planen, für Neulinge vielleicht gar nicht so verkehrt. Entschließen Sie sich bei einer Einwegfahrt für einen Transfer mit dem Taxi, denn selbst wenn Sie die Bahn benutzen wollen, kommen Sie nicht ohne zusätzliches Taxi aus und Sie brauchen unendlich Zeit, von den Mühsalen mit dem stets zu reichlichen Gepäck mal abgesehen. Und dieses Taxi können Sie zum Festpreis vorbestellen und es steht pünktlich zur vereinbarten Zeit am Hafen wie überhaupt die Betreuung in den Locaboat Stützpunkten tadelsfrei und zuverlässig erfolgt und problemlos über die Bühne geht bis hin zur Mehrsprachigkeit des Personals.

 

Wir erreichten Joigny  am frühen Nachmittag. Unsere auf den Namen Vermenton getaufte Penichette 1107 lag  zur Übergabe bereit und die Formalitäten verlangten nur wenig Zeit. Der Erwerb des dreisprachigen Kanalführers ist obligatorisch, damit man sich sicher vorwärts bewegt und weiß, was einen um die nächste Ecke erwartet. Wir nahmen noch drei weitere Fahrräder an Bord, beglichen die offene Rechnung für Parkplätze, Diesel-Vorauszahlung, Fahrradmiete, Kaution und Endreinigung unter Ausnutzung der angebotenen Pauschale und nach dem Verladen des Gepäcks erfolgte eine kurze Einweisung durch Yves mit anschließender Probefahrt, die zu seiner Zufriedenheit verlief. Die Penichettes seien leicht zu steuern. Das stimmt insofern, als der Zeigefinger reicht, um das Steuerrad mit etwa sieben Umdrehungen von der einen auf die andere Seite zu bewegen. Nur reagiert sie eben nicht wie ein Auto oder eine Segelyacht, sondern bedächtig und mit entsprechender Verzögerung. Schauen sie am Besten auf die Bugspitze und reagieren sie ohne Hektik, dann bleiben Ihnen diese Schlingerfahrten erspart.

An der Adria wäre man bei diesem klaren Wetter und der hellen Mondnacht wohl noch am gleichen Abend losgefahren, eine entsprechende Mannschaft vorausgesetzt. Auf den Kanälen herrscht aber ab neunzehn Uhr Betriebsruhe und Fahrverbot. So bleibt reichlich Zeit, im nahegelegenen Leclerc-Supermarkt gleich neben Lidl genussvoll das Angebot zu nutzen und die Vorräte zu ergänzen.

Es ist auch am Abend immer noch reichlich warm, aber erfreulicherweise völlig frei von fliegenden Plagegeistern. Die zahlreichen Schwalben scheinen ganze Arbeit zu leisten. Dabei bleibt es auch die nun folgende Woche und so lassen wir den Tag nach gemütlichem Abendessen vorwiegend mit dem Lesen der übergebenen Literatur langsam ausklingen.

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Die Schleusen öffnen ab neun Uhr morgens, auf der Yonne elektrisch betrieben, ohne Mittagspause und bis zu einhundertachtzig Meter lang. Boot um Boot verlässt den Stützpunkt Joigny, schließlich auch wir und es sieht nach gemütlichen Einzelfahrten aus, doch schon bald sammeln sich vor den ersten Schleusen kleine Konvois und die unterschiedlichen Begabungen werden sichtbar. Bewundernswert sind diese Besatzungen aus einem meist älterem Paar bestehend, die zwischen absolut routiniert oder völlig ahnungslos ihr Boot bewegen. Doch man hilft sich gegenseitig nach besten Kräften und staunt mitunter lediglich, was diese Kähne alles aushalten.

Die erste Tagesetappe führt uns auf besagte Empfehlung von Locaboat nach Auxerre. Es bleibt mit dreißig Kilometern die längste Strecke und elf Schleusen sorgen für reichlich Abwechslung, aber auch Aufregung. Bereits in der dritten Schleuse, wir tummeln uns bald mit sechs weiteren Booten unterschiedlichster Bauart in diesen langen Schleusenkammern und irgendwo trifft man sich immer wieder, bereits in der dritten Schleuse trennen wir uns von unserer Kabeltrommel für den Landanschluss. Das geht ganz einfach. Sie brauchen nur etwas sorglos mit den Leinen umzugehen. Einfach eine Leine von der Bugklampe unter dem Tragegriff der Trommel durchlaufen lassen, sie stand bei der Schiffsübergabe im Bug neben der dortigen Steckdose und dort blieb sie auch bis zu ihrer Versenkung, und dann beim Anlegen die Leine ruckartig spannen, das wirkt wie ein Katapult und in den schmutzig braunen Fluten ist sie sofort verschwunden. Man kann das Spielchen übrigens auch mit auf dem Heckaufbau verteilten Klappstühlen wiederholen.

In der neunten Schleuse, der Schleuse von Boisseaux,  kommt es am frühen Nachmittag  zum dramatischen Höhepunkt. Eine Frau versucht entgegen schriftlicher Empfehlungen das Boot statt mit dem Bootshaken mit den Händen von der Schleusenmauer fern zu halten, verliert den Halt, geht über Bord und sorgt für Panik auf dem Kahn hinter uns, dramatisch in mehrfacher Hinsicht. Sie gehört zum fortgeschrittenen Semester, sie ist Nichtschwimmerin und die Brühe im Kanal, die mehr einer hochpotenzierten Kloake auf Flusswasserbasis entspricht, lässt sie kurzfristig zwischen Boot und Wand aus den Augen verschwinden und das alles bei laufendem Motor. Meine beiden Söhne zögern keine Sekunde. Der Jüngste springt in den Kanal, hält erst mal den Kopf der Abgestürzten über Wasser und zieht sie aus der Gefahrenzone hinter das Heck, der Ältere springt an Deck, sichert das Boot mit den Leinen und lässt den Motor stoppen. Ein  älteres Mitglied der Besatzung war ebenfalls in voller Kleidung ins Wasser gesprungen, hatte aber anschließend mit sich selbst genug zu tun und der jugendliche Schleusenwärter stand völlig überfordert vor den bereitstehenden Rettungsringen und wusste sich nicht zu helfen. Es war schier unmöglich, die Gute irgendwie an Bord zu ziehen. Ein beherztes Mitglied auf dem benachbartes Boot schließlich warf einen Rettungsring mit Leine und hievte die alte Dame, unterstützt von weiteren Besatzungsmitgliedern, triefend zu sich auf´s Boot. Der ältere Herr wie auch unser Jüngster kamen dann über die Leiter zurück an Land und eine Mutter auf dem uns benachbarten Boot meinte, so einen Schwiegersohn hätte sie gerne als Partner für eine ihrer beiden Töchter.

 

Der Rest der Reise bis Auxerre verlief dann störungsfrei und in etwas kleinerem Konvoi. Nachdem sich eine Penichette in der Schleuse les Dumonts quergestellt und offensichtlich etwas länger verkeilt hatte, folgten uns nur noch zwei weitere Boote. Auxerre war dann aber am Sonntagabend so zugeparkt, das wir froh waren, im Hafen Aquarelle auf Tuchfühlung mit zwei Booten unter englischer Flagge ein Plätzchen ergattert zu haben. Klar, dass der Abend dann nach gründlicher Körperpflege, die Duschen werden um neunzehn Uhr geschlossen, einem ausgiebigen Bummel durch diese wunderschöne alte Stadt mit ihren drei gewaltigen Kirchen gewidmet wird.

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Die nächste Etappe führt von Auxerre nach Mailly de Ville und bietet auf 29 Kilometer immerhin sechzehn Schleusen. Es lohnt sich, auch bei einer Kanalfahrt ein wenig Logbuch zu führen, das heißt Schleusen und markante Punkte zu notieren und mit den entsprechenden Uhrzeiten zu versehen. Damit behält man nicht nur die Übersicht über den jeweiligen Standort und den noch zurückzulegenden Weg , es erleichtert vor allem später die vielen Fotos, die dank digitaler Kameras mit Datum und Uhrzeit entstehen, den entsprechenden Aufnahmepunkten zuzuordnen und zu beschriften.

Die Schleusen auf dem Weg durch den eigentlichen Kanal sind nicht nur kleiner, oft passen nur maximal drei normale Boote hinein, sie sind vor allem alle handbetrieben und haben von zwölf bis dreizehn Uhr Mittagspause. So sollten Sie den angegebenen Fahrzeiten ruhig zwei bis drei Stunden Warte- und Schleusenzeit hinzurechnen.

Bailly, gepriesen durch seine Caves de Bailly, die über acht Jahrhunderte, als Kalksteinbrüche entstanden, seit 1972 der dortigen Winzergenossenschaft als Lagerstätte für Millionen von Weinflaschen dienen, versteckte sich in der Spalte der Doppelseite unseres Kanalführers. Wir haben es glattweg übersehen, hätten aber auch keine Zeit gefunden, sie zu besuchen.

 

Wenn alles gut läuft, die Schleusentore dank Gegenverkehrs geöffnet sind und nicht auf weitere, per Telefon von der letzten Schleuse avisierte Boote gewartet wird, man muss schließlich mit der Wassermenge haushalten, dann brauchen sie nur etwa zehn Minuten und sie fahren mit bis zu 2,80 Meter Höhenunterschied aus der Schleuse wieder heraus. Längst sind die Schleusenmanöver dank unserer Jungen an Bord zur Routine geworden, man trifft sich mit ein, zwei Booten irgendwie und irgendwo immer wieder, wechselt ein paar Worte miteinander und hilft sich gegenseitig, es passiert nichts besonderes und man widmet sich dem Anblick der wunderschönen, kaum besiedelten Landschaft mit ihren uralten Solitärbäumen, unter deren Schatten die berühmten Charolaisrinder mitunter vor der Sonne Schutz suchen. Es herrschen 37° Celsius im Schatten.

Ab Schleuse St. Maur sind die Uferstreifen frisch gemäht. Das Heu bedeckt die Wasseroberfläche und bringt mitunter das Ruder zum Flattern. Doch der Kühlwasserkreislauf bleibt offen und der Motor spuckt rhythmisch das angewärmte Wasser zurück in den Kanal.

Unterwegs bieten sich immer wieder malerische Plätzchen zum Verweilen an, aber die Zeit drängt und die erzwungene Schleusenmittagspause wie auch immer wieder Wartezeiten lassen uns erst kurz vor neunzehn Uhr in Mailly le Ville ankommen.

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Es sind nur sechs Schleusen bei knapp zwölf Kilometer Länge bis zum nächsten Etappenziel Chatel Censoir. Der Locaboat-Vorschlag geht anscheinend davon aus, dass man auf jeden Fall die Felsen von Saussois erklimmt, um den als grandios beschriebenen Rundblick zu genießen. Das setzt allerdings nicht nur eine gewisse Begeisterung dafür voraus, sondern dort auch einen Liegeplatz. Der bot sich uns Gott sei leider nicht, denn andere waren schon vor uns da, und so erreichten wir Chatel Censoir bereits am frühen Nachmittag, zeitig genug, um das auf dem Berg gelegene Städtchen zu besuchen und am Abend endlich mal in Frankreich Essen zu gehen. Das angeblich einzige, noch betriebene Lokal, ganz in der Nähe, L’Etappe des Gourmets, erwies sich als Volltreffer. Eine umwerfend bezaubernde Wirtin bedient, unterstützt von ihren beiden Söhnen, die offensichtlich auch ihrem Mann in der Küche immer wieder assistieren. Bis in die Nacht hinein sitzen wir im gut besuchten Garten des Restaurants und genießen nicht nur Geschmack und Qualität des liebevoll zubereiteten Menüs vom Aperitif bis zum Dessert, sondern auch den für französische Gastronomie erfreulich günstigen Preis.

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Zu den weiteren Etappen von Chatel Censoir nach Clamecy mit 16 Kilometern, zehn Schleusen, sechs Stunden Fahrzeit und der ersten Klappbrücke bei Pousseaux, die wie alle anderen selbst bewegt werden muss, sowie der Fahrt von Clamecy nach Tannay mit achtzehn Kilometer, acht Schleusen und zwei weiteren Klappbrücken bei erwarteten vier Stunden reiner Fahrzeit gibt es eigentlich nichts besonderes zu erwähnen, was nicht schon irgendwo geschrieben steht. Vielleicht sollte man ein Wort über die des öfteren zu lesenden Hinweise „Man ist den Schleusenwärtern behilflich und gibt ein Trinkgeld“ verlieren.

Offiziell ist die Bedienung der Schleusen den Wärtern vorbehalten und Unbefugten untersagt. Wir sind keinem Schleusenwärter, keine Wärterin begegnet, die es uns nicht mit einem Kopfnicken erlaubt hätten, mit zu helfen und die Schleusenzeit damit zu verkürzen.

Mit Einführung des Euros haben wir wohl alle ein bisschen das Gefühl für ein akzeptables Trinkgeld verloren. Was früher eine Mark und meist durchaus angemessen war, ist eben heute nur noch ein Fünfzigcentstück, nach Auskunft von Yves in Joigny ausreichend, aber eben doch ein bisschen armselig. Andrerseits gehen siebenundsechzig Schleusen bei regelmäßigen Spenden durchaus ans Spielgeld. Ist man zu mehreren in einer Schleuse, wird schon irgend jemand was übrig haben und es gilt der urbayerische Grundsatz „Mir g´hörn zam“. Manchmal würde es fast peinlich wirken, ein Trinkgeld zu überreichen,. Sie begegnen aber auch offensichtlich Studentinnen oder Studenten oder Schleusenwärtern, die zwei solcher Einrichtungen zu bedienen haben und Sie, während sie langsam dahintuckern, mit dem Moped überholen, um Sie bei der nächsten Schleuse mit bereits offenen Toren zu erwarten. Dann spüren Sie einfach selbst, dass jetzt ein angemessenes Trinkgeld fällig ist und es empfiehlt sich, ausreichend Münzen parat liegen zu haben. Die Schönheit und Eleganz der Schleusenwärterin von Maladrerie veranlasste uns, sie spontan zur „Miss ecluse“ zu wählen. Ein Blumensträußchen wäre ihr gerecht geworden, aber sie bedankte sich auch für eine Münze.

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Die letzte Etappe führt uns mit siebzehn Kilometern, dreizehn Schleusen, darunter nochmals eine Doppelschleuse, die uns 4,30 Meter anhebt, und zusätzlich sechs Klappbrücken an das Ziel unserer Reise, den Locaboat Stützpunkt La Chaise südlich von Corbigny. Es ist sehr ruhig um uns geworden. Das aus den Reservoiren Étang de Vaux und Étang de Baye gespeiste Kanalwasser wird langsam  sauberer. Dafür treibt uns bereits reichlich welkes Laub entgegen und weist auf den nahenden Herbst.

Die Rückgabe des Bootes und der Fahrräder verläuft zügig und problemlos. Die katapultierte Kabeltrommel wird finanziell ersetzt. Wir hatten noch am gleichen Tage den Stützpunkt telefonisch von dem Malheur informiert, um sicherzustellen, dass die nächste Mannschaft wieder über einen Außenbordanschluss verfügt. Am Abend ging es mit dem Taxi aus der Einöde nach Corbigny, um mit einem Abendessen im Le Marode die Bootsfahrt zu beschließen. Für die Rückkehr nach Joigny samt einem Berg Gepäck und einem eigenen Fahrrad stand am nächsten Morgen pünktlich und zuverlässig das Taxi bereit.

 

Meinen vier Begleitern hat die Reise offensichtlich  gefallen, auch wenn diese unter einem gewissen Zwang stand, das Boot pünktlich und zuverlässig am vertraglichen Zielpunkt abzuliefern. Für Landausflüge bleibt nicht allzu viel Zeit übrig. Wichtigste Voraussetzung für das Gelingen einer solchen Tour aber ist die Zusammensetzung und der Zusammenhalt der Mannschaft.

Ein Urlaub an Bord eines schwimmenden, kleinen Ferienhauses hat einen hohen Erholungswert, sofern Harmonie und Eintracht herrschen, so steht in einer von DERTOUR Bootstouren herausgegebenen Broschüre zu allgemeinen Informationen und weiter heißt es: Weil alle in einem Boot sitzen, müssen sie sich laufend über Dinge einigen, die an Land nicht besonders auffallen. So wird ein einzelner Langschläfer zum Stein des Anstoßes, da es mit der Ruhe vorbei ist, wenn das mit Geräuschen verbundene Leben an Bord beginnt, vom Motorengeräusch beim Ablegen mal ganz abgesehen.

Auch leidenschaftliche Anhänger der Demokratie werden auf dem Wasser die Grenzen dieser Lebensform kennen lernen. Es ist kein Zufall, das auf Booten von alters her der Kapitän das Sagen hat, aber auch die ganze Verantwortung trägt.

Um endlose Diskussionen zu vermeiden, sollte vor Beginn der Fahrt ein Kapitän bestimmt werden. Es bietet sich natürlich an, das Crewmitglied zu ernennen, das die meiste Erfahrung hat. Alle anderen Mitglieder müssen ihn und auch seine Entscheidungen akzeptieren, da ein Untergraben seiner Autorität nur zu Querelen führt, die ja eigentlich vermieden werden sollen. Es stehen noch viele weitere nützliche und aus dem Leben entstandene Ratschläge in dieser Broschüre, man sollte sie vielleicht nicht nur lesen.

Als Locaboat in Joigny den Mietvertrag ausstellte, musste ich mich als Kapitän eintragen lassen, um sehr bald aber von zwei weiteren beratungsresistenten Kapitänen und einer resoluten Reiseleiterin mit divergierenden Ansichten, ergänzt durch einen nicht gerade neutralen Leichtmatrosen, stets überstimmt oder bei diskreten Hinweisen auf bestimmte Spielregeln ignoriert, schließlich sogar beschimpft zu werden und letztendlich zu resignieren. Damit waren Eintracht und Harmonie zumindest für mich ebenfalls über Bord gegangen.

 

Ich hätte all das nicht mehr gebraucht und mehrmals gingen mir die Worte aus einem Sketch des 1986 verstorbenen und damit den Jungen nicht mehr so geläufigen österreichischen Schriftstellers, Schauspielers und Kabarettisten Helmut Qualtinger durch den Kopf: „Geh, heern´s ma aaf. Wann mi das Reisebüro net vermiddlt hätt.“

Wahrscheinlich sind die Schrunden auf meinem Kopf aber eher verheilt als die Kratzer in unserer aller Seelen.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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