Rafaela Knoke

Hoffnung


Ich
schaute auf meinen Stadtplan. Genau hier war die Brücke eingezeichnet. Der
Stadtplan, den ich am Bahnhof gekauft hatte, war offenbar veraltet.  „Verflixt, ich muss doch auf die andere
Seite!“ schimpfte ich, aber es war keine weitere Überquerungsmöglichkeit in
Sicht, keine Hinweise auf eine Fähre. Eilig lief ich immer weiter am Fluss entlang.
Meine neue Freundin Sabrina hatte mich zu einem Fest eingeladen, in einem
Gutshof auf der anderen Seite des Flusses. Sie wollte mich am Bahnhof abholen,
aber ich hatte den Zug verpasst. So nahm ich den Nächsten und wollte Sabrina
per Handy Bescheid geben. Doch ich bekam keinen Anschluss und war ratlos.
„Berthold,
Berthold!“ rief ich erfreut. Er schaute auf und wir begrüßten uns herzlich.
Berthold
lachte: „Das sind ja ganz schön viele Fragen auf einmal. Du hast dich wohl gar
nicht verändert, oder doch, du bist noch schöner geworden. Dann schaute er mir
in die Augen. „Weißt du das wirklich nicht, warum ich fortgegangen bin?“ Und
als er mein ahnungsloses Gesicht sah, lächelte er und fuhr fort: „ Ich hatte
damals angedeutet, dass ich mich in dich verliebt hatte. Aber du hattest mir
klar gemacht, dass du meine Gefühle nicht erwiderst. Ich konnte nicht länger
mit ansehen, wie du mit anderen flirtetest. Deshalb ging ich fort. Ich hoffte
irgendwann zurückzukehren, mit einem dicken Bankkonto, beruflich erfolgreich,
damit du mich bewundern würdest ... Ja, so bin ich hier gelandet. Immer noch
nicht reich und erfolgreich, aber das ist mir heute auch nicht mehr so wichtig.
Ich möchte nicht wegen meines Geldes geliebt werden. Und du, was treibt dich
hier in diese verlassene Gegend?“
„Da
sehe ich im Moment keine Möglichkeit. Sag, wie lange kennst du diese Leute
schon?“
Berthold
runzelte die Stirn. „Du hast keine Ahnung, was das für Leute sind?“  
Er
nahm meine Hand und beschwor mich: „Gehe besser nicht dort hin. Wenn sie dich
anrufen, sag, dass du es dir anders überlegt hast, bitte!“
Berthold
ging auf meine Frage nicht ein. „Komm erst einmal mit zu mir. Hier kommst du
nicht weiter, oder möchtest du lieber noch ein paar Kilometer im Regen am Fluss
entlang laufen?“
„Also
gut, du hast doch einen Festnetzanschluss zu Hause?“
„Was
weißt du über die Leute da drüben? Warum ist es dir so wichtig, dass ich da
nicht hingehe?“
„Ja,
aber was hat das damit zu tun? Ich will nicht heiraten, sondern ich will einen
neuen Job und da ist es gut, wenn man ungebunden ist.“ Mein Tonfall war leicht
aggressiv.
„Nein,
es wurde vor einem Jahr total saniert und als überteuerte Eigentumswohnungen
verkauft. Ich wohne jetzt in einem Apartmenthaus, leider ziemlich anonym. Die
alten Nachbarschaftskontakte sind so nach und nach abgebrochen. Da hat Sabrina
es auf dem Gutshof echt besser. Das ist eine große tolle Gemeinschaft. So etwas
würde mir auch gefallen.“
„Für
den Tennisclub habe ich kein Geld mehr seit dem ich arbeitslos bin. Die alten
Bekannten haben sich zurückgezogen. Man gehört nicht mehr dazu. Ich war viel
allein, bis ich Sabrina kennenlernte. Aber du fragst mich aus wie bei einem
Verhör! Erzähle doch mal etwas von dir!“ forderte ich ihn auf.
„Als
Kommissar bei der Mordkommission. Und hier ist meine Wohnung.“
Erstaunt
und schweigend folgte ich Berthold in seine Wohnung. Sie lag im Dachgeschoss
und war hell und freundlich eingerichtet. Mein Blick suchte das Telefon. Vor
dem Fenster stand ein großer Schreibtisch. Als ich das Telefon greifen wollte,
hielt Berthold mich zurück und deutete auf einen Aktenhefter der Polizei. Vorne
drauf war Sabrinas Bild. Ich erschrak.
Ich
konnte es nicht glauben. Sabrina eine Mörderin, eine Anwerberin für eine Sekte?
Ich nahm die Akte zur Hand. Berthold bat mich niemandem zu erzahlen, dass ich
die Akte gesehen hatte. Er durfte sie gar nicht mit nach Hause nehmen, aber so
war es ein glücklicher Zufall. Es gab keinen Zweifel, Sabrina hatte mich
belogen und Hoffnungen geweckt, die mir fast zum Verhängnis geworden wären. Wie
viele Menschen hatte sie schon ins Unglück gestürzt, wie viele könnten noch
folgen, wenn man sie nicht fasste? Konnte ich da etwas gegen tun? War das
gefährlich? Ich wollte nicht darüber nachdenken, der Schock war zu groß. Ich
lehnte mich zurück und trank den Tee, den Berthold bereitet hatte. Er legte
seinen Arm um meine Schulter und ich genoss die Vertrautheit und Geborgenheit,
die ich jetzt spürte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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