Nina Lochmann

Atlantik-Sommer

 

Er wusste um die Schwierigkeit, die ihre Begegnung nach sich ziehen konnte. Ihm war auch die Differenz zwischen ihnen bewusst, sowohl jene, die das Alter betraf, als auch die 800 km, die ihre Wohnorte voneinander trennten. Darüber hatte er letzte Nacht nachgedacht, als er nicht schlafen konnte. Er war zu keinem Ergebnis gekommen, als er über ihre Frage nachdachte. Ihre süße Stimme klang in seinen Ohren noch immer nach, er hörte förmlich noch immer ihre Worte, als stünde sie neben ihm. "Sehen wir uns morgen Abend?" hatte sie gefragt und ihm dabei ihr strahlendes Lächeln gezeigt, das von Leichtigkeit zeugte. Alles an ihr zeugte von Leichtigkeit.

Er wunderte sich über die Unbeschwertheit, mit der sie ihm gegenüber getreten war, als sie sich zum ersten Mal an dem kleinen Kiosk begegnet waren, der neben Lebensmitteln und Hygieneartikeln auch täglich frische Brötchen verkaufte. Das war gestern gewesen. Sie hatten beide in der Reihe von Urlaubern gestanden, die darauf warteten, dass der Kioskverkäufer seinen Laden öffnen würde. Sie hatte mit der Spitze ihres Turnschuhs im gelben Sand gescharrt und die Münzen in der geschlossenen Faust klimpern lassen. Er hatte sie zuerst gesehen. Ihr brauner Pferdeschwanz, unordentlich zusammengebunden, hatte bei jeder ihrer Bewegungen hin und her geweht. Sie bewegte sich schnell und fahrig, schien ungeduldig zu sein, weil sie warten musste. Sofort hatte er sich Gedanken gemacht, was sie wohl für ein Mensch wäre. So, wie er das immer tat. Sie schien selbstbewusst zu sein und traurig wirkte sie auch nicht gerade. Er hatte nicht gemerkt, dass sie ihn auch beobachtete, so vertieft war er in seine Vermutungen gewesen. Als sie sich in die Augen blickten- ihre waren von einem tiefen blau und erinnerten ihn an den Atlantik- war es ihm zuerst peinlich, dass er sie so angestarrt hatte. Doch sie schien sich nicht an seinen Blicken gestört zu haben und sprach ihn an.

Anna war ihr Name und sie sei gestern Abend angekommen. "Urlaub mit den Eltern", sagte sie, und verzog dabei das Gesicht, als hätte sie von einer Krankheit gesprochen. Sie erzählte ihm, wo sie herkam und wie gut ihr der Campingplatz und die Umgebung gefielen. Er hörte ihr zu und antwortete auf ihre Fragen. Woher er komme, fragte sie und nahm seine Antwort mit einem Nicken zur Kenntnis. Dass er Urlaub mit Freunden machte und mit dem Rucksack schon seit zwei Wochen den südlichen Teil des Landes bereiste, schien ihr zu imponieren. Überhaupt schien sie sehr beeindruckt von ihm zu sein, wenngleich er kaum etwas von sich erzählt hatte, das sie nicht selbst erfragt hatte.

Darüber hatte er auch nachgedacht, nachts in seinem Zelt, als er den Geräuschen der Nacht lauschte. Das Rascheln in den hohen Kiefern, das Schnarchen anderer Campinggäste und immer wieder das Geräusch, wenn sich ein Reißverschluss öffnete und sich der Bewohner aus dem Gewirr von Schlafsack und Zeltplane ins Freie kämpfte. Er hatte sich immer wieder ihr Gesicht vor Augen zu rufen versucht. Aber alles, woran er sich in der Nacht noch mit absoluter Sicherheit erinnerte, war die Farbe ihrer Augen und die Art, wie sie beim Lachen den Kopf in den Nacken warf und der Zopf dabei hüpfte.

Viel hatte er am Morgen nicht über sie erfahren. Zu bald war der Verkäufer erschienen, hatte ein freundliches "Bonjour" in die Runde geworfen und die hölzerne Tür des kleinen Backsteinhäuschens aufgeschlossen, in welchem der Kiosk untergebracht war. Dann war alles sehr schnell gegangen. Sie waren in den Laden gegangen, zusammen mit den übrigen Wartenden. Als sie die frischen Baguettes und Croissants erstanden hatten, verabschiedeten sie sich vor dem Laden. Anna hatte gesagt, dass sie heute den ganzen Tag mit ihren Eltern auf Städtetour wäre und fragte, ob sie sich morgen Abend im Cafe´ treffen wollen. Er hatte eingewilligt. Als er später seinen Freunden davon erzählte, waren diese nicht wirklich begeistert. Sie waren ein wenig verärgert wegen der geplanten Fahrradtour und als er ihnen Annas Alter verriet, erntete er dafür einigen Spott und mahnende Blicke. Doch das störte ihn nicht. Er hatte sich noch nie zu viel aus der Meinung anderer gemacht. Ein bißchen, ja. Aber in einem gesunden Level, ohne dabei die eigenen Wünsche und Vorstellungen zurück zu stellen. Also wurde beschlossen, dass seine Freunde allein fahren würden. So hätte er auch endlich die Zeit, sein mitgebrachtes Buch zu lesen.

Mit seinem Buch verbrachte er den Tag am Strand. Aber wirklich konzentrieren konnte er sich nicht auf Hesses Worte, denn ihm ging Anna nicht mehr aus dem Kopf. Er sehnte den Abend herbei, wollte mehr über dieses Mädchen erfahren. Gleichzeitig hatte er Angst vor den Konsequenzen.

Es war noch früh am Abend, als er sich auf den Weg zum Restaurant machte. Er stieg die weiß gekachelte Treppe zur Außenterasse empor, ohne nach einem freien Bistrotisch Ausschau zu halten. Stattdessen begab er sich auf direktem Wege zur ebenfalls in gedecktem Weiß gehaltenen Mauer, die das Cafe´vom angrenzenden Strand trennte. Er setzte sich auf die Mauer und ließ die Füße baumeln. Eine salzige Briese wehte ihm die Haare in die Stirn. Kurz war er versucht, von der halbhohen Mauer auf den grobkörnigen Sand zu springen und in Richtung des Wassers zu laufen, das unermüdlich gegen die Felsen peitschte und sich schäumend seinen Weg in die Bucht suchte. Doch dann dachte er an Anna und dass sie ihn womöglich nicht finden würde, wenn er sich zu weit von der Terasse entfernte. Also blieb er sitzen und lauschte den sanften Klängen der korsischen Musik, die über Lautsprecher auf der Terasse und im Innenbereich des Cafe´s zu hören war. Er versuchte, die Bemerkungen seiner Freunde zu vergessen. Versuchte, sich frei zu machen von seinen Ängsten und Befürchtungen, Anna betreffend. Er wollte den Abend genießen. Beim vorbei eilenden Kellner hatte er gerade eine Flasche Rotwein und zwei Gläser bestellt, als er sie erblickte. Anna sah zauberhaft aus in ihrem dunkelblauen Trägerkleid und den braunen Turnschuhen, die er schon kannte. Etwas unsicher wirkte sie, wie sie die Treppe herauf stieg und die atlantische Briese ihre Haare verwehte. Er hätte sie gern einfach weiter angesehen, doch weil er ihre Unsicherheit nicht ausnutzen wollte, winkte er ihr zu. Unter den zustimmenden Klängen der verträumten Musik kam sie langsam auf ihn zugelaufen. Als sie sich begrüßten, fiel die gesamte Spannung von ihm ab und was blieb, war die Vorfreude auf einen schönen Abend mit Anna. Er lächelte ihr auffordernd entgegen, dann nahm er die Weinflasche in die eine und die langstieligen Weingläser in die andere Hand und sprang von der Mauer in den warmen Sand.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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