Silvia Pommerening

Liebe geht durch den Magen

Der Urknall. So laut in etwa muss er gewesen sein. Ich vernehme ein Ohren betäubendes Geschrei, das schier mein Trommelfell zum Platzen bringt. Wie kann ein Mensch von gerade mal einem Meter, also noch kleiner als die Mindestgröße fürs Achterbahn fahren, zu klein um die Scheibe Wurst von der mondgesichtigen Verkäuferin hinter der Theke selbst in Empfang zu nehmen, zu klein, um die Geldmünze ohne meine Hilfe in den vielfräßigen Parkscheinautomaten zu schmeißen, solch ein Stimmvolumen haben?
Und ich rede hier nicht nur von der Lautstärke. Er schreit, als würde er schon des Henkers Schneide an der Kehle spüren und sich der Boden zwischen seinen kleinen Füßen ..Größe 30, für einen 3-Jährigen beachtlich.. teilen, um ihn in die Tie-fen zu reißen. Er schreit aus tiefster Seele, ohne dabei an Kraft zu verlieren und ohne Luft zu holen. Und das alles wegen eines kleinen Stück Metalls.
Dem kleinen Stück Metall, das man "Deckel" nennt.
"Marmeladenglasdeckel", um genauer zu sein.
„Ihihich wollte ihn aber drauhauf schraubeeeen“, erklärt er mir und zieht dabei seine Rotznase hoch.
„Kein Problem“, sage ich, „dann schraube ich ihn wieder ab, und du schraubst ihn drauf!“
Eben doch ein Problem.
„Aber ihich wollte doch den Deckel draufschrauhaubeen...“
„Mensch Luis!“, versuche ich erneut meinen Sohn zu beruhigen, „ich mach ihn noch mal runter, siehst du, und jetzt kannst du ihn wieder draufschrauben, okay?“ Aber nix ist okay. Genervt lege ich den Deckel auf den Tisch.

In solchen Momenten wünsche Ich mir den Henker herbei. Ich bin mir dann nur nie sicher, wen er mitnehmen soll. Es wird für mich, und ich glaube für viele andere Eltern auch, immer ein Rätsel bleiben, was es mit solchen Wutausbrüchen unserer „lieben Kleinen“ auf sich hat. Was zum Geier geht in deren Köpfen vor?
Warum geht es nicht in Ordnung, wenn ich das Marmeladenglas zuschraube. Oder wenn’s denn sein muss, für ihn nochmals öffne, damit er es machen kann. Und was für Alternativen haben wir denn? Erkläre doch mal einem Kind, dass man manche Dinge nicht rückgängig machen kann. Erstens hören sie dich nicht. Wie auch, wenn sie lauter brüllen als die „Erste- Samstag-im Monat-zwölf Uhr-Sirene“. Sollte man zufällig eine ihrer seltenen Luftholpausen erwischen, hören sie dich zwar, aber verstehen dich nicht. Auch wenn sie dich akustisch verstehen, akzeptieren werden sie es nicht. Also, wozu noch reden???
Jetzt sitz´ ich da, das Kind auf die Spüle verfrachtet, damit es mir nicht ständig an meinem Pulli zerrt und seine triefende Nase an mich schmiert, und hoffe auf einen Einfall.
„Was soll ich denn jetzt machen?“, versuche ich meinem Sohn zu beruhigen.
Aber es hat alles keinen Sinn. Seine kleine Welt ist zerstört, für immer und ewig. Wenn man Pech hat, geht dieses Gebrüll dann zwei Stunden.
Übrigens: Ich scheine in solchen Situationen immer vom Pech verfolgt zu sein...
Plötzlich klingelt es an der Tür.
„Wer ist das?“, will er wissen.
„Weiß ich nicht, Schatz“, antworte ich und freue mich, dass er anscheinend den Deckel vergessen hat.
„Doch, das weißt du!“, schreit er mit der selben Intensität wie in den letzten 7200 Sekunden zurück.
„Luis, ich muss doch selbst erst mal schauen, verstehst du das denn nicht?“
„Komm‘, wir machen die Tür auf und schauen nach wer kommt, o.K.?“
„ Nein, du darfst die Tür nicht aufmachen!“, meint er „das erlaube ich dir nicht!“
Ich glaube, den Satz: „Das erlaube ich dir nicht!“ hat er sich von letzter Woche behalten, als ich ihm verboten hatte schon wieder an meinen PC zu gehen und einfach meinen Internetzugang zu löschen.
„Luis, das hat hier nix mit erlauben zu tun“, sage ich und öffne die Tür. Ganz großer Fehler...
„Nein, mach die Türe wieder zu!“, schreit er, „ich will sie aufmachen!“
Ohne zu überlegen schließe ich schnell die Tür und sage in einem schon etwas forscheren Ton: „Dann mach jetzt, aber schnell, da steht doch jemand.“
„Nein, nicht schnell“, meint der laufende Meter und öffnet unsere Haustüre in einem Tempo, bei dem man Kinder kriegen könnte.
Zum Glück hat meine Nachbarin wohl keine Eile, und findet das Versteckspiel auch noch amüsant.
„Hallo Luis. Ist deine Mama zu Hause?“
„Nein“, höre ich zeitgleich mit dem Zuknallen der Tür.
„Luis!“, weise ich ihn in seine Schranken. „Jetzt reicht´s aber mal!“, sage ich und mache die Tür wieder auf.
Sie steht immer noch da und grinst mich an.

„Sorry!“, entschuldige ich mich bei ihr, „Luis spinnt mal gerade wieder. Was wolltest du?“
„Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob dir mein Kuchen geschmeckt hat, den ich dir letzte Woche vor die Tür gestellt habe.“
Glaubt die ernsthaft, ich habe gerade jetzt die Zeit und Lust mich über Kuchen zu unterhalten?
„War super, könntest mir glatt das Rezept geben“, sage ich und bemerke leider erst zu spät den fatalen Fehler.
„Klar, das hab ich sogar im Kopf. Wenn du willst, kann ich dir´s schnell diktieren, oder gib mir einen Zettel, dann schreib ich es dir auf.“
Natürlich will ich nicht!
„Gerne“, sagen meine Lippen und scheinen ohne meine Einwilligung zu lächeln. Obwohl ich mich nicht einmal mehr erinnern kann, von welchem Kuchen sie überhaupt spricht, bemerke ich schnell den positiven Nebeneffekt. Luis scheint abgelenkt und hält die Klappe. Da kommt es mir auf ein Kuchenrezept mehr oder weniger auch nicht mehr an.
Meine „Bäckerin von Nebenan“, die mich im Übrigen ständig mit Selbstgemachtem beliefert, hat bereits an meinem Küchentisch Platz genommen und ist schon eifrig am Schreiben.
Sie belegt alle halbe Jahr einen Kurs an der Volkshochschule. Angefangen von „Chinesisch Kochen für Singles“ bis hin zu „Muffins für alle Jahreszeiten“.
Schrecklich interessant, finde ich.
Sie scheint gerade den „Wie komme ich am besten ungelegen? – Kurs“ erfolgreich beendet zu haben. Aber wie gesagt, ich darf mich eigentlich nicht beschweren, denn Luis ist erfreulich schweigsam. Er sitzt neben ihr und scheint sich für ihr Gekritzel mehr zu interessieren als ich.
„Ich hoffe, ich habe nix vergessen.“ Sie steht auf und drückt mir den Zettel in die Hand.
„Ach ja, noch was. Marmelade sollte man immer gleich wieder verschließen“, sagt sie, während sie das kleine Stück Metall auf das Glas schraubt, „ sonst verliert sie ihr Aroma. Habe ich im ,Alles über Marmelade – Kurs´ gelernt.“

Und das war sein Stichwort, wenn Sie wissen was ich meine.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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