Andreas Bartels

Trennung

Bevor ich zu meiner Trennungsgeschichte komme, eine Warnung: Es geht um Sex und S/M. Ich habe in den letzten Jahren die Erfahrung machen müssen, daß manche Menschen nur sehr ungern oder überhaupt nicht von diesen Dingen sprechen oder hören wollen.

“Wenn Sie meine Geschichte tatsächlich hören wollen [...] so müssen Sie sich mit dem Gedanken vertraut machen, daß sie keine angenehme Geschichte hören werden.“
Akif Pirinçci: Felidae

Der Anfang vom Ende kam als ich (Mitte August 1995) von ihr einen Brief bekam. Das war nichts besonderes; wir schrieben uns immer gerne Briefe. Nur so zum Spaß. Obwohl wir uns beinahe täglich sahen. Aber dieser war ungewöhnlich: ich sollte ihn nicht vor 12 Uhr öffnen. Das war schon ein bißchen seltsam; ich vermutete irgendeine Überraschung, und wartete brav bis 12 Uhr. Eine Überraschung war es dann auch: Sie teilte mir mit, daß sie jetzt (also um 12 Uhr) in einem S/M Studio als Sex Sklavin angefangen habe. (Hätte ich diesen Brief nur eher geöffnet; vielleicht hätte ich noch das Schlimmste verhindern können). Hierzu ist wohl eine Erklärung notwendig: Vor längerer Zeit erzählte sie mir voller Begeisterung sie habe von einer Frau gelesen, die sich von ihrem Ehemann wie eine Gefangene halten läßt. Sie lebt in einem Raum, in dem sich nur ein kahles Bettgestell, ein Waschbecken und eine Toilette befinden. Sie ist faßt immer schwer gefesselt, und darf den Raum nur verlassen, wenn ihr Herr sie braucht. Diese Vorstellung gefiel meiner Freundin. Sie würde am liebsten auch so leben; sagte sie. Wir schauten gemeinsam “Die Geschichte der O“. Auch dieser Film faszinierte sie. Sie hatte diese Gefühle in sich; hatte aber nicht gewußt, daß es auch andere Menschen gibt, die genauso empfinden. Damals wurde mir klar, daß meine Freundin eine echte Masochistin ist.
Danach haben wir ein bißchen in dieser Richtung experimentiert aber da ich kein echter Sadist bin konnte ich ihr nicht so recht das geben, was sie wollte. Und sie wußte auch nicht so recht, was sie wollte. Möglicherweise hat sie sich auch ein bißchen zurückgehalten, nachdem sie mein leichtes Befremden bemerkte. (Das ist in einer Beziehung ja (leider) oft so: Man sagt nicht, daß einem dieses oder jenes nicht paßt, und/oder hält seine eigenen Wünsche zurück, weil man Angst hat, den Partner zu ärgern, verletzen oder gar zu verlieren).
Ich müßte lügen, wenn ich behaupten würde, das mich S/M überhaupt nicht interessiert; Bondage (=Fesseln) fasziniert mich schon. Besonders die japanische Spielart. (Hat vermutlich mit einem Kindheitstrauma zu tun. Als ich etwa vier Jahre alt war, mußte ich ins Krankenhaus. Ich muß irgendwie an eine recht burschikose Krankenschwester geraten sein, jedenfalls hat sie mich meiner Mutter quasi entrissen. Ich war einfach noch zu klein um zu verstehen, was es mit Krankenhäusern auf sich hat. Heutzutage dürfen Eltern bei ihren Kindern bleiben; das war 1969 noch nicht üblich. Ich schrie und tobte. Man mußte mich am Bett festbinden. Möglich, daß es da einen Zusammenhang gibt. Dieses Trauma hat auch dazu geführt, daß ich in Liebesdingen ein ziemlicher Klammeraffe geworden bin, und Verluste nur schwer ertragen kann. (Vielleicht kommt mein Interesse an Bondage auch daher: Ich möchte die Frau am liebsten nicht mehr weglassen.) Es ist schon ungeheuer faszinierend, einen anderen Menschen völlig in der Hand zu haben; wenn auch nur scheinbar.
(Mittlerweile habe ich eine klare Vorstellung was mir S/M bedeutet: (Japanische) Bondage interessiert mich sehr, alles Andere weniger. Ich sehe das ganze nur als eine Variation; nicht als den Hauptbestandteil meines Sexlebens an. Ich bin ja kein Fetischist.)
Und deswegen traf mich ihre Mitteilung auch nicht ganz so überraschend. Ganz im Gegenteil: ich freute mich für sie. Ich beglückwünschte sie zu ihrem Comming Out. Aber es begannen schon die ersten Zweifel an mir zu nagen: Sie wollte S/M zu ihrem Beruf; zu ihrem Livestyle machen. Was würde meine Rolle dabei sein? (Ich hatte ja gehofft, mit ihr diese bizarre Welt des S/M zu erforschen. Aber das hatte ich ihr wohl nicht deutlich genug gesagt. Ich hatte mich mit diesem Thema noch nicht so richtig auseinander gesetzt. Es ist ja so: Wenn man zum ersten Mal von solchen Dingen erfährt, setzt man sich ja nicht wirklich damit auseinander. Man denkt “Die sollen unter Sich bleiben, und mich damit in Ruhe lassen.“ (Man tut betroffen, ist es aber gar nicht.) Wenn da allerdings ein Mensch beteiligt ist, der einem etwas bedeutet, ist man zu einer Auseinandersetzung gezwungen. Man muß sich fragen: “Was bedeutet mir persönlich diese Sache?“ Aber das braucht seine Zeit, bis man soweit ist). Aber ich rief mich selbst zu Ordnung: “Komm, das ist ihr Ding, du mußt Verständnis haben und sie unterstützen.“
Vielleicht wäre das alles nicht passiert, wenn ich nur etwas mehr auf sie eingegangen wäre. Oder einfach die Initiative ergriffen hätte. Ich hätte die Handfesseln einfach kaufen sollen, die wir einmal im Schaufenster des Bizarre-Shops entdeckten. Aber... Hinterher ist man immer schlauer. Außerdem hatte ich nicht so viel Geld.
Der Brief kam an einem Donnerstag. Ihr Dienst ging von 12 bis 22 Uhr. Das bedeutete, daß ich sie erst am Sonntag wieder sehen konnte. (Normalerweise hätte sie Freitags frei aber die Chefin meinte, sie solle da bleiben weil sonst “Der Abstand zu groß würde.“) Sie hatte mir natürlich einen Brief geschrieben, und wir hatten telefoniert, aber beides nur kurz. Sie war zu erschöpft und konnte mir noch nichts Näheres berichten. Sie freute sich natürlich über meine tolerante Haltung. Und so trafen wir uns am Sonntag, und sie erzählte mir voller Begeisterung von ihrer Arbeit, welche, das erfuhr ich erst jetzt, auch GV umfaßte. Und das war der Hammer. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte (ziemlich naiv von mir; bei einer Sexsklavin) angenommen, daß sie das nie tun würde. (Wir waren nicht verlobt geschweige denn verheiratet aber die magischen drei Worte waren schon mehrmals gefallen.) Ich wurde immer wortkarger. Sie merkte, daß etwas nicht stimmte, aber ich konnte nichts mehr sagen.
Ich schrieb einen elendig langen Brief, in dem ich versuchte, ihr meine Gefühle klar zu machen. (Ich versuchte mir durch das Schreiben auch über meine Gefühle klar zu werden). Sie schlug vor, ich sollte doch vorbei kommen. Die Chefin war sehr nett. Sie erklärte mir, daß das Leben draußen und hier im Studio völlig getrennt voneinander wären, ja man würde sogar verschiedene Namen verwenden, um diesen Unterschied zu unterstreichen. (Sex mit und ohne Liebe). Und das ich mir keine Sorgen machen müßte. Nach einer kleinen Besichtigung sah mich meine Freundin so flehentlich an, daß ich ihr einfach verzeihen mußte. (Ihr Mund lächelte; ihre Augen nicht... ). Hand in Hand gingen wir nach Hause. Hielten vor einen Juwelier Schaufenster und dachten über Verlobung/Heirat nach. In den nächsten Tagen war sie unheimlich lieb zu mir; kaufte mir Schuhe (sie verdiente ca. dreihundert Mark am Tag) und ich versuchte, auch lieb zu sein. Es ist so schön, wenn alles wieder gut ist.
Aber das war der Bruch; es wäre besser gewesen, wir hätten uns jetzt getrennt. Was brachte dann das endgültige Aus? Nun, es war eine Kette von kleineren Ereignissen, über deren chronologische Reihenfolge ich mir nicht mehr ganz klar bin: (Ich könnte in meinem alten Kalender nachsehen, ich mag aber nicht).
Sie bekam eine Pilzinfektion; ich hegte die stille Hoffnung, daß ihr dadurch der Job verleidet würde. Das war allerdings nicht der Fall. Dann sollte sie Intimschmuck bekommen. Ihr graute vor dieser Prozedur. Ich wollte dabei sein; durfte aber nicht. Die Chefin hat ihre Hand gehalten. Hinterher ging es ihr ziemlich schlecht. Ich war etwas geschockt und GV war für ein paar Wochen nicht möglich. Irgendwann bin ich buchstäblich zusammengebrochen. Ich weinte. Sie auch. “Ich hätte nicht gedacht, daß Dir es so weh tut.“ Sie versuchte es abzuschwächen: Es wären doch nur etwa 6 von 10... (Vielleicht hätte ich etwas “männlicher“ reagierten sollen. Ich habe es versucht, aber ich schaffe es nicht; tut mir leid. Wir sollten uns trennen... Etwas in der Art). Später machten sie ein Video mit ihr, hier konnte ich unter anderem sehen, wie die Hand von der Chefin komplett in meiner Freundin verschwand. Bei meinem nächsten Besuch sprach ich mit der Chefin über das Video: Sie sagte, daß es ihr auch nicht gefallen hatte, und das S/M Videos sowieso nicht in Deutschland veröffentlicht werden. (Meine Freundin erzählte mir, daß die Chefin von dem Video so begeistert war, daß sie sich die Stelle, an der meine Freundin in Tränen ausbricht, immer wieder angesehen hat und in dem Bizarre-Shop gibt es sehr wohl S/M Videos zu kaufen. Wahrscheinlich dachte die Chefin ich hätte Angst ein Bekannter würde sie in dem Video erkennen). Für die Chefin ist S/M eine Kunstform; und deshalb wunderte ich mich das das Video nicht so künstlerisch wertvoll war. Außerdem war es eher pornographisch; und hatte nur am Rand mit S/M zu tun. Die Chefin meinte, daß man sich anpassen müsse, um Erfolg zu haben. Vielleicht sehen ein paar Pornofreunde das Video, und bekommen Geschmack auf S/M...
Für eine Anzeige in einem Szene-Magazin brauchten sie ein oder ein paar Fotos. Ich bot mich an. Denn ich wollte sie ja unterstützen. Leider gefielen meine Fotos dem Chef (der Bruder, der Ehemann von der Chefin oder ein Mittarbeiter; was er denn nun wirklich war, habe ich nie erfahren.) nicht. In dem Magazin stand dann über eine andere Sklavin unter anderen zu lesen: “Ihre Titten sind so groß, daß sie damit im knien den Boden aufwischen kann.“
Nebenbei bemerkt: Eigentlich war meine Freundin emanzipiert, und verwahrte sich äußerst vehement gegen jede Form von Frauenfeindlichkeit. Sie verbat mir das aussprechen des Wortes “dämlich“ (das ja von “Dame“ kommt) und bestand auf dem korrekten Geschlecht bei Berufsbezeichnungen.
Ich konnte die Trennung zwischen echten, liebevollen und gekauften, gespielten Sex eifach nicht nachvollziehen! Das ist eine schwierige Sache. Vom Kopf her kein Problem, aber der Bauch... Ich wahr wohl auch eifersüchtig. Ich wollte sie für mich haben. Und ich habe unsere Beziehung als etwas selbstverständliches hingenommen. Großer Fehler.
Unser Sexleben klappte auch nicht mehr. Zwischendurch heulte ich mal wieder. Sie reagierte jetzt schon ein bißchen reservierter: Ich kann dir nicht helfen, du mußt allein über die Sache ´wegkommen. Jetzt war mir auch endlich klar, was mich an der ganzen Sache so wurmte: Es war der Vertrauensbruch gewesen. Warum hatte sie mir vorher nichts gesagt? Hätte ich dich um Erlaubnis bitten sollen? war die Antwort. Nein, natürlich nicht. Ich wies darauf hin, daß sie keine Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung mehr hätte, und das sie sich auf illegalem Gelände bewege. Wenn man über die Straße geht, kann man ja auch überfahren werden; sagte sie. Natürlich...
Einmal hatte sie einen riesigen blauen Fleck auf ihrem Hintern. Ein Gast (in diesem Gewebe sagt man “Gast“ und nicht “Kunde“) hätte Doktor spielen wollen, und hätte ihr diverse Spritzen gesetzt. Mit Kochsalzlösung; völlig harmlos. (Sie besorgte sich eine Familienpackung “Bepanthen“). Ja sicher... Dieser medizinische Laie hätte ihr auch eine Embolie verpassen können... Soviel zum Thema “Sorgen“.
Hinzu kam dann noch etwas ganz Anderes: Meine erfolglosen Versuche, einen Job zu finden. Und so antwortete ich auf die an und für sich harmlose Frage: Wie geht es dir? Hervorragend! Meine Freundin geht auf den Strich und ich finde keinen Job! Das war es dann wohl. Damit hatte ich sie beleidigt. Sie geht ja nicht auf den Strich, sondern sie ist eine professionelle Sex Anbieterin. (Und das Waldsterben ist nur eine neuartige Baumkrankheit). Und auf die Frage: Du liebst mich doch; warum tust du mir dann so weh? wußte sie keine Antwort mehr. Wir wollten dann noch unsere Beziehung retten, indem wir sie auf die freundschaftliche Ebene (es gibt doch noch so viele Sachen, die wir zusammen machen können) zurückschraubten, aber das klappte nicht. Wir waren noch in einem Klezmer Konzert; und sie tat so, als hätten wir uns lange nicht mehr gesehen. Sehr unangenehm. Bei dem Titel “Was gewesen ist, ist gewesen“ hatte ich schon wieder mit den Tränen zu kämpfen.
Am Tag der Deutschen Einheit, dachte ich, vielleicht wenn ich mich anpasse, gibt sie mir noch eine Chance. Ich wollte sie nicht verlieren. Ich rief sie an und fragte ob sie mit mir nicht heute S/M machen wolle. Ihr fiel der Hörer aus der Hand. Sie arbeite nicht mit Anfängern, sagte sie als sie den Höherer wieder aufgehoben hatte. Was sie denn nun eigentlich von mir wolle, fragte ich. Eigentlich nichts mehr, sagte sie. Das war´s also? Ja, das war´s.
Ich brachte ihr ihre Sachen zurück, und dann habe ich sie noch einmal umarmt, und das war es dann endgültig. Seltsam: Sie war es nicht mehr. Es war so, als hätte ich eine Fremde in den Armen.
Am Mittwoch konnte ich es nicht fassen. Aber am Donnerstag ging ich einkaufen; da war ein Plakat von irgendeinem Akkordeon Spieler, der ein Kletzmer Konzert ankündigte. Und ich dachte: da könnten wir beide... und da wurde es mir erst richtig bewußt.
Es war ein Fehler, daß ich versucht habe mich anzupassen: schließlich hatte sie die ganze Woche mit S/M zu tun. Bei mir und mit mir am Wochenende wollte sie sich entspannen, und nichts mehr von dem ganzen Zeug hören. Mehr als verständlich.
Was war noch? Kurze Zeit später rief eine Freundin von ihr bei mir an. Was denn los sei; wollte sie wissen. Ich sagte es ihr. Sie flippte völlig aus. Ich gab ihr die Nummer. Natürlich die offizielle.
Ich sah sie dann auch noch zweimal: Nämlich in “Liebe Sünde“, der Sex-Sendung auf PRO7! Einmal ganz kurz in einem Bericht über Bondage, und in einem Spezial über S/M Studios.
Erstaunlicherweise fand ich dann kurze Zeit später einen Job. Das hat mir sehr gut getahn; er sorgte für einen geregelten Tagesablauf und hielt mich vom Grübeln ab. Aber nicht so ganz...
Anfang ´98 tat ich etwas sehr böses: Ich schickte zu ihrem Geburtstag ihr den Vibrator, den ich damals für sie gekauft hatte. Ich hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen. Eine kleine Rache, mehr nicht. Ich bekam das Ding zerschlagen zurück. Ich dachte, wenn sie sauer auf mich ist, dann ist es leichter für mich. Hat aber nicht funktioniert. Diese Aktion hätte ich mir sparen können.
Sie wohnt ganz in der Nähe meiner jetzigen Arbeitsstelle. Ich glaube, ich habe sie schon ein paarmal gesehen. Und dann gibt es da noch die Anzeigen, die vom Studio in einem Käseblatt (diese Zeitungen die einen ungebeten in den Briefkasten gestopft werden) veröffentlicht werden: “Große Oberweite, sehr belastbar“ oder “Strenge, rothaarige SS-Herrin“.
Neulich habe ich im “BREMER“ (das größte Veranstaltungsmagazin hier) in der Rubrik “Grüße“ etwas entdeckt, daß nach IHR klang: “Es war einmal... - Es gab eine Zeit... - Zu jener Zeit - da warst du mir unendlich nah...“ Dieser Ton paßte zu IHR. Im nächsten Heft fand sich etwas ähnliches: “Was auch kommt und was auch immer ich denke, beschließe + tue - ob falsch - richtig - dich vergesse ich nie.“ Ich hatte auch eine Grußanzeige gemacht: “Ja, es war einmal... Denkst Du manchmal noch an Venedig oder London? Ich kann Dich nicht vergessen...“ Dann in nächsten Heft “Wer austeilt sollte auch einstecken können. Wer Dunkel kennt - kennt Licht. Wer unten war kennt oben. Vergessen kann ich dich nicht. Vielleicht begegnen wir uns wieder. Irgendwann. Ein niemals endender Traum. Mille Baci.“ Und ich habe geantwortet “Ja, vielleicht... Bist Du zufrieden? Geht es Dir gut? Bist Du glücklich? Vielleicht, ja...“ im nächsten Heft war nichts, was nach IHR klang; nur zwei seltsame Gedichte. Ich habe dann “Wollen wir dieses Spielchen wirklich hier fortsetzen? Wenn Du mit mir reden willst, schreib´ doch einfach ´mal!!!“ gesetzt. Als nächstes fanden sich nur zwei recht schroffe Ablehnungen. Wehr wohl hinter all´ diesen seltsahmen Texten steckte? Ich wünschte mir, das sie es wäre und bin wahrscheinlich einer Täuschung aufgesessen. Vielleicht sollte ich ihr einen richtigen Brief schreiben, aber damit geht es mir wie dem Alkoholkranken: “Heute nicht...“
Was bleibt? Die merkwürdige Angewohnheit immer in den Briefkasten zu schauen, wenn ich daran vorbei gehe und das ich die Maoams mit Zitronengeschmack immer als letzte esse, weil das ihre Lieblings Sorte war.
Ich hege keinen Groll gegen sie oder die Leute im Studio, obwohl sie meine Freundin ganz schön manipuliert haben. (Echte Masochisten sind selten, und es geht in diesem Job um viel Geld. Die Chefin hat es ihr “besorgt“ bis zum gehtnichtmehr, und sie bekam beim Ersten Mal sehr viel Geld. Sie wurde gelobt; sie bekam Geschenke. Und sie sollte Tagebuch führen. Die Chefin nahm die Blätter regelmäßig ansich; selbstverständlich nicht um sie zu lesen, sondern um sie abzuheften. Es sollte ein Buch entstehen. Außerdem mußte Alles immer sehr schnell gehen; nur keine Zeit zum Nachdenken lassen). Da waren Gedanken und Gefühle, die mich doch sehr erschreckten und von denen ich nicht geglaubt hatte, daß ich sie hätte. (Ich hörte von dem Fall eines Polizeibeamten, der seine frisch geschiedene Frau noch im Gerichtsgebäude erschossen hat. Man bedenke, ein Polizeibeamter, der gewiß ganz genau weiß, was es bedeutet auf einen Menschen zu schießen). Aber es hätte ja nichts geändert. Und ich bin auch froh über diese Erfahrung, ebenso wie für die schönen Momente, die es natürlich auch gegeben hatte. Sie hat mir zu meinem dreißigsten die CD “Officium - Jan Garbarek / The Hilliard Ensemble“ geschenkt. Wunderschöne Musik. (Ich höre sie gerade, um mich besser zu erinnern Es ist sehr schade, daß diese wunderschöne Musik für mich immer mit diesem Ereignis besetzt seien wird).
Eine Sache wurmt mich immer noch: Habe ich sie geliebt oder nicht? Hat sie mich geliebt oder nicht? War da zwischen uns irgentetwas außer sexueller Anziehung? Ich weiß es einfach nicht.
Es ist so, als ob ein Teil von einem Selbst verloren geht. In depressiven Momenten dachte ich: Ich würde Alles aufgeben, wenn sie nur wieder da wäre. Solche Gedanken kommen Einem... sie gehen aber auch wieder. Womit soll man also diese furchtbare Leere füllen? Die Antwort habe ich von der Musikerin Lydia Lunch, und sie ist ganz einfach: Mit sich selbst.
Gestern habe ich (mal wieder) von ihr geträumt: Wir waren in einem Klassenzimmer, und sie warf mir große Gummibärchen zu und ich versuchte sie mit dem Mund aufzufangen. Ein sehr fröhliches Gefühl dabei.
Ich glaube der Traum bedeutet, daß ich mich mit der Geschichte ausgesöhnt habe. Genauso wie ein Traum aus jüngster Zeit: Ich traf sie in irgendeinen Geschäft oder sowas. Ich erzählte ihr, was mir bis jetzt so widerfahren ist, und sie hörte freundlich zu und lächelte dabei liebe- und verständnisvoll; so wie sie es früher immer tat. Ich denke, jetzt habe ich mich endlich mit dieser schrecklichen Geschichte ausgesöhnt. (Das habe ich auch schon am Ende des vorigen Jahres gedacht, und das Jahr davor... aber jetzt ist es endlich wirklich so weit, denke ich.) Es tut gut, so eine Geschichte zu erzählen. Ich kann sie meinen Verwandten nicht erzählen. Ich schäme mich immer noch.
Früher war es schlimmer: Da bin ich ´mal aufgewacht, und dachte sie wäre da... Ich habe sie sogar gerochen... Und in der ersten Zeit habe ich sie überall gesehen. Obwohl es nicht allzuviele Frauen gibt, die so aussehen wie sie. Allerdings roch ich ihr Parfum öfters...
Ich habe nicht Psychologie studiert, aber ich glaube zu wissen, was mit ihr los war: Sie hatte große Probleme mit ihrer Mutter. Sie war die Älteste in einer großen “landwirtschaftlichen“ Familie. Ich nehme an, daß sie wohl schon früh mit anpacken mußte, und so nie eine liebevolle Beziehung zu ihrer Mutter aufbauen konnte. Sie war auch immer die jenige die alles falsch machte u.s.w. Außerdem starb ihre Mutter recht früh, und ihr Vater wahr wohl eine eher schwache Figur. Also eigentlich kein Wunder, daß sie masochistisch wurde. Sie sehnte sich nach Zuwendung; auch wenn diese negativ seien sollte; Hauptsache eine Zuwendung.
Man kennt solche Leute: Sie schlittern ein wenig orientierungslos durchs Leben, weil sie von ihren Eltern keinen moralischen oder sittlichen Gruntstock mitbekommen haben. Oder von diesen mies behandelt wurden. Diese Leute verlieben sich leicht, (“entlieben“ sich auch mindestens genauso leicht) oder sie hängen sich an Leute, die ihnen als Elternersatz dienen oder sie von Typ her an Vater oder Mutter erinnern. Sie behaupten, bestimmte Sachen nie zu machen, aber wenn sie dann sich wieder an jemanden Anderen hängen, plötzlich es dann doch machen. Und behaupten, sie hätten nie gesagt, das sie das nie machen würden.
Es ist eine Art Unmündigkeit: Sie sagen sowas wie “Ich bin wie ich bin“, “Ich bin das was ihr aus mir gemacht habt“ oder sogar “Schuld sind die, die mich ´rauslassen“.
Es ist ein bißchen wie wenn Dick zu Doof sagt: “Nun sieh´ was du mich hast anrichten lassen!“
Ich mit meinem Ruhe- und Harmoniebedürfniss komme mit solchen Leuten nicht klar. Ich denke das Beste wird sein, wenn ich noch jemanden finden sollte, darauf zu achten, daß diejenige ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern hat bzw. hatte. So wie ich.
Vielleicht ist es auch einfacher: sie konnte keine Liebe empfinden.
Oder noch einfacher: Masochismus ist genauso angeboren wie die sexuelle Ausrichtung.
Keine Ahnung.
Manche Erinnerungen sind vielleicht nicht ganz genau, was ja kein Wunder währe nach der langen Zeit.
Es hätte noch schlimmer kommen können; ich hätte zum Säufer werden kömmen. Ich habe Glück gehabt. Allerdings frage ich mich manchmal, wo die letzten Jahre geblieben sind.
Es vergeht ja kein Tag, ohne das man grauenhafte Beziehungsgeschichten hört. Und manche von diesen Paaren haben auch noch Kinder. Das heißt doch, daß sie sich einmal geliebt haben müssen. Das ist alles so schrecklich.

Zum Schluß noch ein paar Betrachtungen, die ich wohl in einer schlaflosen Nacht geschrieben habe und die ich neulich zwischen alten Zeitschriften fand:

“Ich könnte durchaus in die Rolle des Sadisten schlüpfen. Ich sehe mich in ihr. Würde ich aber nicht nur meine Phantasien ausleben? Ja, aber: das ist doch genau das, was sie will! Jemand macht mit ihr irgendwas, sagt, was sie machen soll! Ihre Phantasie ist kein bestimmtes Programm, sondern gerade das nicht-wissen was genau passiert! Ihr Wille ist das nicht-wollen wollen!
Komisch ist auch, das sie mir genau erzählt wie ich als Gast behandelt würde, um dann, als ich sie frage, ob sie mit mir überhaupt in einem der Räume rummachen wollen würde, “nein“ sagt. (Wahrscheinlich würde sie mich gar nicht erkennen.)“

“Tja, ich kann und muß es akzeptieren, weil es ihr Ding ist. Wenn sie sich wohlfühlt und damit klar kommt, muß es OK sein. Aber trotzdem wäre es mir lieber, wenn sie aufhören würde, und das liegt u.a. daran, daß ich das Gefühl habe, das sie doch nicht damit klar kommt und sich unwohl fühlt.
Warum noch? Ich liebe sie und möchte alles für sie sein wenn es dann unbedingt auch Herr & Meister seien muß. Aber ich denke, das würde mir auch Spaß machen...“

“Ist es egoistisch einen Menschen nur für sich haben zu wollen? Wie Don Giorwanni “Eine zu lieben, hieße ungerecht gegenüber den Anderen zu sein!“ Quatsch! Alles nur wegen der sehr langen Aufzuchtsphase des Menschen! Große Liebe - wenn sowas vergeben wird.“

“Wir versuchen die Scherben wieder zusammen zu kleben, aber dabei zerbrechen die Scherben in noch kleinere Stücke.“

Solche “Ausgrabungen“ sind schon seltsam...

“[...] niemand ist hier der für mich Verständnis im Ganzen hat. Einen haben, der dieses Verständnis hat, etwa eine Frau, daß hieße Halt auf allen Seiten haben, Gott haben.“
Franz Kafka: Tagebücher, Zentes Heft

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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