Rosmarin Becker

Bob, der Stripper

 

Bob brauchte dringend Geld. Das bisschen Stütze reichte nicht vorn und nicht hinten. Wie sollte er nur die letzten Tage des Monats überleben.
Wehmütig riss Bob seine letzte Dose Aldibier auf, trank gierig, schmatzte vernehmlich, seufzte dann befreit auf:„Das isses.“
Eben war ihm der rettender Gedanke durch den Kopf geschossen.
In der Hardenbergstraße zwischen dem Beate Uhse Sex -Shop und dem Lux - Intim gab es ein Pornokino. Dort hatte er doch vor Jahren zeitweilig als Filmvorführer zum Zwecke des Überlebens gearbeitet und seine Zeit und sein Talent vergeudet. Mann, oh, Mann. In dem Kino gab es auch eine kleine Peepshow, erinnerte er sich. Und jetzt wurde dort jeden Samstag ab vierundzwanzig Uhr eine spezielle Herrenshow veranstaltet. Guter Tipp von seinem Freund Karl.
„Juppi!“ Bob machte fast einen Luftsprung. „Auf zur Peepshow!"
Beschwingt und hoffnungsvoll marschierte Bob los.
„Ich will mal fragen, ob Sie hier noch Stripper brauchen.“ Bob reckte sich zu seiner vollen Größe. „Brauche nämlich dringend Kohle.“
„Na, dann komm mal mit zum Chef.“ Der wuchtige Kerl an der Kasse musterte ihn ungeniert. „Ich denke, ohne deine Billigklamotten könntest du was hermachen.“ Er schaute auf den Monitor und lachte. „Wir brauchen immer gute Männer. Kannst du tanzen?“
„Klar, Mann.“ Selbstbewusst warf Bob sich in die Brust. Der Schein war hier gefragt. Das Sein kam später.

Der Chef, der Bob irgendwie an einen unterernährten Buchhalter mit Magengeschwüren erinnerte, so blass und mickrig sah er aus, sah ihn nur kurz an und sagte dann zu dem wuchtigen Kerl: „Nimm ihn mit in den Umkleideraum. Er soll einen Probetanz aufführen.“

Oh, Himmel und Hölle. Bobs Knie wurden weich, als er den Umkleideraum betrat. Dieser war sehr eng, stank nach Schweiß, Pisse, Sperma. Und überall lagen Pornohefte herum.
Das konnte ja heiter werden. Bob rümpfte unmerklich die Nase. Worauf hatte er sich da wieder eingelassen. Na, sei’s wie’s ist. Da musste er durch.
Drei Männer und sechs Frauen drängelten sich dicht um Bob.
Die Jungs zogen sich aus, die Mädels hatten Feierabend und schlüpften in ihre Fummelklamotten. Ab und zu streifte ihn erregend ein Stück warmes, verschwitztes Fleisch. Ein draller Busen, ein runder Po.
Bob gab sich alle Mühe, immer wieder mit diesen Wonnebäckchen in Berührung zu kommen, während er langsam seine Hose aufknöpfte.
Leider verschwanden die Girls viel zu schnell.

„Bob“, sagte Bob und reichte den drei Männern die Hand.
„Schwuliboy“, sagte Schwuliboy.
„Nico, der Angeber.“
„Martin, der Bhagwanverehrer.“
„Und nun zeigt, was ihr so drauf habt.“ Der wuchtige Kerl lachte selbstgefällig. „Packt eure Seelen in den Eisschrank. Und dann ab mit euch.“ Er schob den kleinen hageren Schwuliboy in die Manege vor dem Umkleideraum.
Schwuliboy verbog sich gekonnt nach allen Richtungen, versuchte den Zuschauern, die fast nur aus Männern bestanden, so richtig einzuheizen. Aber auch einige Frauen fühlten sich zu diesem Ort des Lasters hingezogen und feuerten Schwuliboy laut kreischend an.
„Schwuliboy! Schwuliboy! Zeig, was du drauf hast.“
Nachdem Schwuliboy seine Show beendet hatte, stolzierte Nico, der Angeber, ins Scheinwerferlicht; er fing sofort an, mit seinem haarigen Affenkörper zu protzen und verrenkte gekonnt seine langen, schmalen Gliedmaßen, während Schwuliboy sich eine Pille nach der anderen einwarf und jedes Mal ein kicherndes „Uuch“ von sich gab.
Martin, der Bhagwanverehrer, hatte einen verhaltenen, aber wirkungsvollen Auftritt. Das Publikum klatschte euphorisch.

Nun wurde es ernst. Bob war an der Reihe. Doch wohin war seine Begeisterung. Sein zur Schau gestelltes Ichkannalles. Ihm wurde ganz flau im Magen. Er fühlte sich wie ein Verurteilter, der in eine Zirkusarena gestoßen und von einer heißhungrigen Löwenschar erwartet wurde.
Was hatte der wuchtige Kerl gesagt? Seele in Eisschrank packen. Ja.
Bob vergaß sein Leben, sich selbst; splitternackt, schutzlos, trat er durch das Tor zur Hölle, versuchte an nichts zu denken, verrenkte sich so gut er konnte, kratzte verzweifelt all seinen Charme zusammen, lächelte in die offenen Klappen, hinter denen die Geiltiere standen und ihre Riemen massierten.
Bobs Stöpsel war zu seinem Leidwesen klein und eingelaufen, was bei solch einem Kampfauftritt ja auch kein Wunder war.
Die Show - Einlagen dauerten fünf Minuten. Doch Bob hatte bereits nach kurzer Zeit das Gefühl, als tanze er hier schon seit Stunden seinen Überlebenstanz.
„He, Bob. Massier deinen Schwengel.“ Schwuliboy ließ ein lautes „Uuch“ hören. „Das bringt die Leute in Schwingung. Und fass ab und zu in deine Haare. Ja, ja, so. Das hat was Animalisches.“
Bob massierte und massierte, schüttelte seine rote Mähne, mal nach hinten, mal nach vorn, nach rechts, nach links, griff ab und zu kokett wie eine Diva in seine Locken; sein Schwanz richtete sich auf.
Bob fühlte sich als Star im Rampenlicht; er stellte sich in Pose, massierte, tanzte, strich verführerisch in sein wallendes Haar, verrenkte und verbog sich immer wilder.
Zwei Schwarze stürmten in die Manege, zückten ihre Fotoapparate.
Bob lächelte, massierte, tanzte, machte Handstand, schlug Purzelbäume, stand einen Moment bewegungslos, gab unartikulierte Laute von sich, schüttelte weiter sein Haar.
„Geile Fotos. Die hängen wir an der Kasse aus.“ Die Männer verschwanden.

Endlich war es vorbei. Erschöpft sank Bob auf den Boden des Umkleideraumes.
„Wenn du hier arbeiten willst“, sagte Nico, der Angeber, „musst du mich ganz genau beobachten und meine Figuren einstudieren. So war das nix.“
"Nix? Ihr spinnt doch. Ich war besser als ihr." Bob griff wütend nach einem Pornoheft.
„Und was das Wichtigste ist“, grinste Schwuliboy matt, „du musst oft in die Solobox gerufen werden. Das bringt die Kohle.“
„Auch für den Chef.“ Nico lachte. Er wurde gerade verlangt.
Die Solobox befand sich hinter einem grauen Vorhang, dem Bob bisher keine Aufmerksamkeit gewidmet hatte.
Die Klappen öffneten sich. Bob musste wieder tanzen. Und wieder gab er sein Bestes. Immer in Gedanken an die bevorstehende Belohnung.
Nach den fünf Minuten legte er sich flach auf den verpissten Fußboden. Ihm war alles egal. Er hatte das unwiderstehliche Bedürfnis zu schlafen.
"Hundert Jahre schlafen", murmelte er. "Hundert Jahre."
Nico kam hinter dem Vorhang hervor, schwenkte 50 Eier. „Martin, du wirst verlangt“, sagte er mit einem verächtlichen Blick auf Bob. „Die Edelmiezen wollen jetzt dich. Sind nur am Schwärmen.“
Martin, der Bhagwanverehrer, tänzelte schwänzelnd hinter den Vorhang.
Woher die nur das Stehvermögen haben, dachte Bob verwundert. Er würde bestimmt keinen mehr hochbringen. Jedenfalls nicht heute. In diesem Moment wurde sein Name aufgerufen. Wenn Martin herauskam, musste er beweisen, was er drauf hatte. Mist. Aber, vielleicht erwartete ihn hinter dem geheimnisvollen Vorhang ja auch eine geile Edelmieze, die ihn wieder zum Leben erweckte. Doch vorerst ging es wieder ans Tanzen.

Als Bob den Vorhang zur Seite schob, erblickte er ein kleines nacktes Männlein mit ängstlich gierigen Augen und zusammengepressten Schenkeln. „Blas mir einen“, flüsterte es.
Vor Schreck ging Bob rückwärts, stolperte, verhedderte sich in dem grauen Vorhang, brauchte eine Weile, bevor er wieder in dem stinkenden Umkleideraum stand.
„Verflucht! Verflucht! Was is denn dat für’n Schuppen!“
In Windeseile raffte Bob seine Billigklamotten vom Boden, stieg angeekelt hinein, stürmte zur Kasse.
„Meine Kohle!“, brüllte er.
„Nix is mit Kohle.“ Der wuchtige Kerl lachte frech. „Du warst zur Probe. Und hinter dem Vorhang hast du auch versagt.“
„Schweine! Betrüger! Menschenverarscher. Alle!“
Bob rannte auf die Straße. In die nächste Kneipe.

Wochen später kam Bob zufällig an dem Pornokino vorbei und traute seinen Augen nicht.
„Die Neue Entdeckung – Bob, das wilde Tier“, stand da in grellroter Schrift.

Und dazu die Fotos seines ersten Probetanzes.

***

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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