Silvia Pommerening

“Reden wir mal Tacheles“




Ein jedes Herz geht auf, wenn aus Sprösslings Mund zum ersten Mal die Worte „Mama“ und „Papa“ kommen.
Und mit jedem weiteren gelernten Wort steigt der Stolz der Eltern, aber leider auch die Gefahr peinlicher Situationen. Sind sie nämlich erst mal unserer Sprache mächtig, nehmen sie kein Blatt mehr vor den Mund und können uns verdammt schnell in Verlegenheit bringen.

Ich sitze gerade da und erinnere mich an letzte Woche.
Ich war mit Luis im Supermarkt zum Einkaufen. An der Kasse vor uns stand eine Frau mit einer engen, hellen und dadurch leider durchsichtigen Hose. Ich dachte mir sofort, dass die Dame wohl keinen Spiegel zu Hause hat, um sich von hinten zu betrachten. Denn dann hätte sie sicherlich nicht gezögert, diese für sie eher ungünstige Variante sofort zu entsorgen. Beim Anblick ihres Hinterteils, bei dem sogar ich kurz schlucken musste, schoss mir sofort eins durch den Kopf: „Ritter – Sport ... Quadratisch – Praktisch – Gut !!!“
„Na ja, für irgendetwas würde er schon gut sein“, dachte ich so bei mir und konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Luis ging an die Sache etwas anders heran. Natürlich war auch ihm dieser Blickfang, der ja genau auf seiner Augenhöhe war, nicht entgangen.
„Mama, warum hat die Frau so einen großen Popo, und warum sind da so viele Löcher drin?“
Ich bemühe mich eigentlich immer, Luis alles genau zu erklären, aber in dieser Situation hielt ich es für angebrachter, den Vortrag über Cellulitis zu verschieben. Nicht, dass der Kelch dieser genetisch vererbten „Gemeinheit“ wortlos an mir vorüber gezogen wäre, aber ich wähle deshalb klugerweise immer T-Shirts in XL.
Ich schubste ihn schnell von der Kasse weg und meinte noch: „Siehst du, jetzt hätten wir doch beinahe noch etwas vergessen!“
„Was denn?“, wollte er wissen.
„Orangen!“, antwortete ich unüberlegt.
Ein Glück hatte sie das nicht mehr gehört.

Manchmal jedoch kann einem die vorlaute und offene Art unserer Kinder auch sehr entgegen kommen.
Ich denke da an Omis 80ten Geburtstag. Die ganze Familie war da.
Angefangen von meinen Eltern, Onkel Heinz und Tante Trude, bis hin zu meiner großen Schwester Ilse mit ihrem Mann Herbert...rein biologisch gesehen..., und deren süßen kleinen Tochter Mechthild. Meist im rosa Kleidchen, mit rosa Lack-schühchen und den passenden rosafarbenen Schleifchen um ihre zwei kleinen Pferdeschwänzchen. Kurzum, ein entzückendes Kind. So entzückend, dass es mich im Halse würgt. Das kleine Geschöpf, gerade mal vier, redet schon wie eine Erwachsene. Sie hat wohl alle die Tassen im Schrank extra, die manch Anderen fehlen. Wahrscheinlich muss Mechthild mit Zehn auf die Uni gehen. Mir tut sie irgendwie nur leid. Und dann auch noch dieser dämliche Name. Mechthild!
Natürlich ist sie der ganze Stolz unserer Familie. Wörter wie Scheiße könnte man sich aus ihrem Munde gar nicht vorstellen

Meine Schwester ist sichtlich stolz auf ihre kleine Mechthild, und redet ununterbrochen davon, was sie schon alles kann. Vielleicht hätte ich Ilse damals nicht fragen sollen, ob mir Mechthild meine Steuererklärung machen könnte. Sie hätten ihr Gesicht sehen sollen. Aber ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. Herbert, mein Schwager, hat so viel von einem Mann, wie ich von einer holländi-schen Landkarte. Er trägt immer nur das, was Ilse ihm morgens auf den Nachttisch legt. Leider hat sie keinen sonderlich guten Geschmack, wie man ja an Mechthild sehen kann. Nicht einmal der Klang seiner Stimme lässt Rückschlüsse auf sein Geschlecht zu. Aber der Arme kommt ja eh nie zu Wort...

Zu Onkel Heinz fällt mir nur eins ein. Macho !!!
Schaut allem nach, was Beine hat und lässt sich von seiner Frau seit 20 Jahren aushalten. Nach außen hin sind die zwei das Traumpaar schlechthin, aber ich möchte nicht wissen, was Heinz an seinen „Kegelabenden“ wirklich macht.
Trude, seine Frau, benutzt an einem Tag mehr Schminke als ich in einem Jahr. Zu allem Übel scheint sie noch nicht bemerkt zu haben, dass auftuppierte Frisuren, falls sie jemals in waren, es jetzt nicht mehr sind. Ihrer Stimme wiederum ist so durchdringend weiblich, dass ich ihr vor jedem Familientreffen eine fette Angina an den Hals wünsche.

So im Nachhinein betrachtet, war dieses Fest Balsam für meine Seele. Luis hatte es allen so richtig gegeben.
Erst beschimpfte er Tante Trude als aufgeblasenen Papagei, der sein eigenes Nest auf dem Kopf trägt. Noch dazu gab er ihr mit einem lauten: „Ih, wie eklig!“ zu verstehen, dass er auf ihr ständiges Abgeschmatze überhaupt keinen Bock hat. Auch wollte er es nicht für sich behalten, dass er gesehen habe, wie unser lieber Heinz der Bedienung an den Hintern fasste. Und als unsere süße kleine Mechthild mit einem unüberhörbaren „Scheiße!“ nach fünf Minuten mit Luis unterm Tisch hervorkam, hatte sie keine Zöpfe mehr. Oma hatte leider die Schere rumliegen lassen! Luis freute sich sichtlich über die erworbenen Trophäen, die er sich jetzt selbst an den Kopf hielt, und hüpfte singend durchs Wohnzimmer: „Ich bin die doofe Mechthild, ich bin die doofe Mechthild!“
Nachdem meine Schwester zehn Minuten später endlich wieder das Bewusstsein erlangt hatte, hielt ich es für besser, den Heimweg anzutreten.
Ich entschuldigte mich für alles und dankte Gott für meinen kleinen Jungen.
Wie oft schon hatte ich mir gewünscht, jedem an diesem Tisch einmal so richtig die Meinung zu geigen. Leider sind uns Erwachsenen ja meistens die Hände, bzw. der Mund gebunden, aber mein Sohn war an diesem Tag mein Rächer. Mein Robin Hood, der endlich mal Klartext gesprochen hatte.

Während ich so in Erinnerungen schwelge, ich habe mich nämlich gerade mal für fünf Minuten auf ein stilles Örtchen zurückgezogen, klingelt das Telefon.
Kurz darauf steht Luis vor meiner Toilette und spricht mit seiner süßen, kleinen Stimme in den Hörer:
„O.K. ich geb‘ dir die Mama, die macht aber gerade Kakka! Tschühüß...!“
„Mama“, meint er während er mir das Telefon in die Hand drückt, „da ist irgend so ein „Telekom-Mann“ dran, ich geh´ wieder raus hier stinkt´s!“

In solchen Momenten wünschte ich mir, er hätte ein bisschen was von Mechthild.

Als wir letzt im Supermarkt waren, hat er mich gefragt, warum die Frau vor uns "Samenzellen im Glas" kauft (es waren Sojasprossen), und ob der ihr Mannn denn keine mehr im Hodensack habe? Ich muss dazu sagen, ich lerne gerade Hebamme...und Luis Lieblingsbuch ist gerade "Ein Kind entsteht".
Silvia Pommerening, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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