Klaus Lutz

Der Arztbesuch 40


Heute Morgen habe ich mir gesagt: "Fange einfach mit dem
Leben an!" Fange einfach an. Trinke eine Tee. Setze Dich
an den Computer. Sehe aus dem Fenster. Probiere etwas.
Sei einfach da! Lebe einfach! Was auch kommt. Aber lebe!
Das hilft. Sonst ist alles ohne Sinn. Dieses ganze ver-
rückte Leben. Du wirst noch eine Menge ertragen. Und
aushalten. Es werden noch Berge an Lügen über dich her-
ein brechen. Berge von Dummheit und Falschheit. Aber
lebe! Das hilft. Das ist der Ausweg. Also habe ich aus
dem Fenster gesehen. Einen Tee getrunken. Und mir ge-
dacht. So ist es! Genau so! Die Welt ist in Wahrheit
ein verrückter Ort. Aber lebe! Sehe das Beste. Gehe wei-
ter. Das ist es! Was immer Menschen auch sagen. Was
Sie auch Denken. Wie sehr Sie Dir auch schaden. Lebe
und gehe einfach weiter.

Und so erinnere ich mich wieder. An die Soldiner Strasse.
An meine erste Wohnung in Berlin. Ich hatte alles Reno-
viert. Sie war gemütlich. Sauber und Eingerichtet. Und ich
begann es einfach, dieses neue Leben. Dieses Leben in
Berlin. Ich spazierte die Badstrasse hoch. Ging ins Bilka
einen Kaffee trinken. Ging durch die Seitenstrassen. Sah
mir die Mauer an. Und fand das alles Interessant. Einiges
mochte ich. In der Badstrasse, war ein richtig gutes Cafe.
In das ich hin und wieder ging. Dann saß ich öfter in der
Jerusalem Bücherei. In der Schulstasse. Las oder hörte
Musik. Oder fuhr zum Leopoldplatz. Ging in den Karstadt.
Oder die Müllerstrasse hoch. Dort in einer Seitenstrasse
gab es ein wunderschönes Cafe. Und neben mir wohnte
ein Typ. Den ich von der Teestube kannte. Hans hieß der
Gute! Ein älterer Mann. Immer wie ein Pastor gekleidet. Die
Hände von ihm waren verkrüppelt. Ihn lud ich hin und wie-
der ein. Oder spielte morgens Schach mit ihm. Ich kannte
so die Stadt. Und ich hatte ein paar Ecken die mir gefielen.
Ich fand mich ganz gut zurecht. Und ich hatte auch eine
Menge Glück. Mit der Arbeit. Mit dem Leben so über-
haupt. Ich sparte und sparte für die nächste Reise. Und
das mit Erfolg. Ich hielt durch! Mit kaum etwas. Und das
allein sein, war kein Problem für mich. Irgendwie ging ich
in dem Leben auf. Mit dem Ziel das ich hatte. Und mit dem
Plan, das alles zu verwirklichen. Es war so eine Misch-
ung von Leben. Ich habe also total zurückgezogen gelebt.
Aber auch die Stadt und Menschen kennen gelernt. Oder
besser gesagt. Ich hatte gute Begegnungen mit Mensch-
en. Interessante Gespräche. Gute Erlebnisse. Ich lernte
Neues kennen. Gerade in dieser Teestube. Aber es war
auch dieses Denken. Das immer da war. Das willst Du.
Du willst Reisen. Deswegen bist Du hier. Du sparst. Und
dann gehst Du. Und wie Interessant das auch alles war.
Im Vergleich zum Reisen war es nur Unterhaltend. Aber
nicht mehr. Es war nicht die Freiheit. Was ich kannte wa-
ren andere Menschen. Als die Menschen die Wirklich frei
sind. Was ich hier kannte war Bürgertum. Die Leute woll-
ten ein Häuschen. Alle paarJahre ein Auto. Und einmal im
Jahr in Urlaub fahren. Hinter all den Ideen. Von Glauben .
Oder vom Leben. Und von Revolutionen. Und all dem,
was das Leben verändern könnte. Was die Welt, etwas
friedvoller lassen kann. Also, hinter all diesen Ideen hat-
ten die Leute nur ein Ziel: "Eine bürgerliche Existenz. Mit
allen Sicherheiten, die es gab. Und um so mehr Sicher-
heiten um so Besser. In Wahrheit hatten sie vor Ihren
eigenen Ideen nur Angst: "Vor der Freiheit!" Vor der Wahr-
heit. Also vor dem, was das Leben sein kann. Da war
ihnen zu abenteuerlich. Und stand dem was sie wollten im
Weg. Sie wollten etwas besitzen. Aber sie wollten nicht
die Freiheit. Davor hatten sie Angst. Besitz ist Sicher-
heit. Aber was ist Freiheit? Dann doch lieber Besitz. Als
eine Freiheit. Die ihnen immer Fremd bleiben würde. Die
sie nie verstehen würden. Und die Ihnen auch nichts ge-
ben könnte. Mit der sie auch nicht hätten anfangen kön-
nen. Dann doch lieber ein Häuschen. Hin und wieder die
Fenster putzen und Staub saugen.

Deswegen denke ich es immer wieder: "Die Welt ist ein
verrückte Ort!" Und der Mensch ist ein verrücktes Wesen.
Er tauscht die Freiheit gegen Staub saugen und Fenster
putzen. Und das alles lag nicht in meinem Denken. Aber
das war der wahre Hintergrund der Menschen, die ich
kannte. Es war ok. Aber es waren nicht die Menschen,
mit denen ich alt werden wollte. Deswegen verlor ich
auch nie mein Ziel aus den Augen. Das Reisen und die
Freiheit. Das einmalige Leben! Das wunderbare Leben.
Mit Menschen und bei Menschen, die sich wieder gefun-
den hatten. Die das Leben wieder entdeckt hatten. All
das, was so in dem normalen Leben verloren geht. An
Gedanken! An Phantasie! An Gefühlen! Also all das, was
den Menschen so ausmacht. Was den Menschen von ein-
em Tausendfüssler unterscheidet. Es ist diese Erkennt-
nis: "Es gibt tausend Möglichkeiten zu leben!" Warum nur
die Eine. Und warum immer der gleiche Trott. All das, mit
dem ich mich nur verliere. Das war es. Dieses Wissen.
Du brauchst es mindestens hin und wieder, eine Pause
von diesem Alltag. Von all dem, um was es da geht. Eine
Pause um wieder klar zu sehen. Was das Leben ist.
Ich habe das gesehen. Also das um was es geht. Und
wenn ich nicht den Unfall gehabt hätte. Also, wenn ich
nicht behindert wäre. Ich würde anders leben. Irgendwo
in einem Zelt. Im Wald. Neben einem Bach. Morgens
würde ich baden und mich reinigen. Dann würde ich
klares Wasser trinken. Und das Überleben wäre Geschenkt.
Dazu reichen einfache Pfadfinderkenntinsse: "Wie be-
reite ich Würmer schmackhaft zu!" Die haben viel Protein.
Und es gibt sie überall. Und von welchen Früchten des
Waldes kann ich mich ernähren? Ich müßte nicht mehr
arbeiten. Morgens baden. Ein paar Würmer kochen. Ein
paar Waldfrüchte ernten. Und danach meditieren. Und
liebe Atmen. Und die Stile geniessen. Und voller Frieden
sein. So wäre heute das Leben von mir. So könnte es für
alle Menschen sein. Für alle mit dem Mut zur Freiheit.
Das würden sie finden: "Die Meditation! Die Liebe! Die
Stille und den Frieden. Die Wahrheit und das Glück. Allen
Reichtum den ein Leben haben kann!" So ist Es!

Aber dann war heute Morgen auch der Psychologe da.
Ich liege auf der Pritsche noch halb im Schlaf. Und er
steht plötzlich vor mir. Und hat mir so einiges erklärt. Im
Wesentlchen ging es darum. Ich bekomme nun so eine
elektronische Fußfessel. Und habe zweimal in der Woche
auch Ausgang. Ich kann überall hingehen. Wohin auch im-
mer! Aber jeder Schritt von mir wird überwacht. Es wäre
dieser Kerker. Und ich hätte mich ganz gut erholt. Mein
IQ liegt nun wieder über Siebzig. Damit gehöre ich zur
Masse der Menschen. Und sei so gefährlich wie die Mas-
se der Menschen. So lang der Fenseher funktioniert sind
Sie friedlich! Also, sagt Er! Und das wäre auch bei mir beo-
bachtet worden. Ich bin friedlich, solange ich Morgens
einen Tee habe. So friedlich wie de Masse der Menschen,
wenn sie einen Fernseher haben. Es sind zweimal die
Woche drei Stunden, die ich Freigang habe. Ich kriege
fünf Euro als Taschengeld. Und an der Kleidung so einen
Sticker, mit der Adresse von der Anstalt. Und einer Notiz:
"Lächeln sie mit ihm!" Aber ich weiß nicht. Es ist mir nicht
wichtig. Der Ausgang und So. Ich meine, ich werde geh-
en. Mal was anderes sehen. Aber diese vier Wände und
der Blick aus dem Fenster sind es eben auch. Das, was
mich endlos beschäftigt. Der Himmel, der so nahe scheint.
Und die Gefangenschaft von mir. Die meine Wahrheit ist.
Es stimmt schon. Ich bin wie die Masse. Oder ich bin wie
sie geworden. Ich kann frei sein. Aber es ist dieser Kerker.
Ich habe mich so sehr an ihn gewöhnt, das ich mit der
Freiheit nichts mehr anzufangen weiß. Es stimmt ich bin
wie die Masse. Und die ist wie ich. Der schwachsinn Pur.

Aber dann denke ich wieder an die erste Zeit in Berlin.
An die Teestube. Hin und wieder hat die ganze Truppe
auch in den Hinterhöfen gesungen. Christliche Lieder.
Natürlich was sonst? Ich habe sogar mal ein Gedicht
über diese Gruppe geschrieben: "Mittwochs kommen
wir immer zusammen. Alle vierzehn Tage gehen wir ein
mal in die Hinterhöfe singen. Wir sind Studenten, Aka-
demiker und Arbeiter... so ging das ungefähr. Leider ha-
be ich es verloren. Was ich sagen will: "Da hat mich
schon sehr beschäftigt!" Die wildesten Jungs kamen
damals in diese Teestube. Es gab so eine Andacht. Und
danach Gespräche über den Glauben. Natürlich gab es
auch Süßigkeiten und Tee. Aber das Interessante war,
das Eine. Diese Leute ohne große Bildung. Ohne eine
besondere berufliche Perspektive. Ohne einen Familiär-
en halt. Die Teestube am Freitag hat sie interesssiert.
Die christliche Botschaft. Das was es heißt: "Liebe
deinen Nächsten!" Und all das was im Evangelium steht
hat sie gefeselt. Das fanden sie Interessant. Oder die
Liebe. Und die Hoffnung die es geben kann. Egal wie
die Umstände auch sein mögen. Das war es wahrsch-
einlich. Die Liebe ist immer faszinierend. Und die Zen-
trale aussage des Evangeliums ist eben "Liebe" Eben
das, was mehr über den Menschen zeigt, als seine Stell-
ung in der Welt. Oder das was er ist. Oder zu sein glaubt.
Es öffnet den Blick für einen Horizont, der den Mensch-
en wirklich zeigt. Das Wunder des Lebens. All das, was
über seinen Verstand hinaus geht. Die Liebe, die aus
groß klein macht. Und aus klein groß. Und alle zu Men-
schen werden läßt. Das war das Interessante an dieser
Teestube. Das, was die Mitarbeiter auch gut rüber
brachten.

Aber heute in dieser Zelle sehe ich es wieder deutlich.
Berlin war so unendlich viel mehr. Es war diese Atmo-
sphäre. Es war möglich in alle Lokale zu gehen. In alle
Cafes. Es gab keine Tabus. Alles paßte. Und jeder paßte
überall rein. Es gab kein Problem. So war der einfach-
ste Laden, genau so interessant wie das beste Lokal.
Alles war Interessant. Also im Vergleich zu anderen
Städten. Es gab einfach kein Schicki Micki. Nichts kün-
stliches. Nichts aufgepäppeltes. Es war nicht da. Das
Leben so wie es ist. Wenn es in Ordnung ist. Im Somner
fuhr ich Morgens manchmal zum Kudamm. Und sah es
mir so an, wie ein Tag beginnt. Wie die Geschäfte be-
liefert wurden. Die Cafes öffneten. Und eben so alles
für den Tag vorbereitet wurde. Saß dann irgendwo. Und
trank einen Kaffee. Und das Leben war einfach nur
schön. Dann bummelte ich so durch die Kaufhäuser.
Durch die Einkaufspassagen. An den Geschäften vor-
bei. Sah mir alles an. Kaufte hin und wieder was. Und
das Leben war einfach perfekt. Nein, es war Vollkom-
men. Oder ganz genau gesehen: "Es war Himmlisch!" Und
das auch mit diesem Wissen: "Ich gehe bald auf Reise!"
Für ziemich lange Zeit werde ich woanders sein. Viel
neues erleben. Viel neues entdecken. Viel neues hören
und sehen. So wird es sein. Das leben ist wunderbar.
Das war es. Das, was ich heute so klar sehe. Heute
weiß ich was Freiheit ist. Heute, wo mich alle Lügen
und Verleumdungen in diese Zelle gebracht haben. Von Men-
schen, für die ich immer ein Fremder war. Nur da die
Freiheit für sie etwas Fremdes ist. Das was ich bin. Das
Leben und die Freiheit. All das vor dem die Masse nur
Angst hat.

Aber ich kann diese Wahrheit heute akzeptieren. So wie
die Masse ihre Wahrheit nie begreift. Die Masse weiß
nicht, was die Freiheit ist. Und sie will nicht die Freiheit.
Die Masse will ein Häuschen. Fenster putzen und staub
saugen. Und jeder der es ihnen sagt: "Es gibt mehr!" Den
belügen, betrügen und verleumden sie. Sie treiben ihn in
den Wahnsinn. Sie zerstören Ihn. Sie töten seinen Geist.
Sie brechen seinen Willen. Sie vernichten seine Phanta-
sie. Sie stossen ihn aus. Sie ignorieren ihn. Sie nehmen
ihm alles, was das Leben ist. Das, was sie nicht kennen.
All das, was sie nie kannten: "Das Leben! Die Liebe! Die
Wahrheit. Da Glück! Die Freude! Die Schönheit! Den
Geist! Den Willen! Das Göttliche!" Die Masse will nur Mas-
se. Alles andere ist verloren. Muß untergehehen. Soll unter-
gehen! Und wird untergehen! Deswegen sitze ich in die-
sem Kerker. Es war die Masse. Ich mußte Untergehen.
Jetzt ist sie zufrieden. Die Freiheit ist gefangen. Die Wahr-
heit ist gefangen. Das Leben ist gefangen. Ich bin gefan-
gen. Nun gibt es nur noch Masse! Ja, und es stimmt. Der
der ich war ist Tod. Die Welt ist Verloren. Denn ich war
der Letzte. Ich war die Freiheit. Das, was übrig geblieben
ist. Der Rest. Jetzt gibt es nur noch Masse. Aber sie weiß
es nicht. Das dies ihr Anfang vom Ende ist. Das ist ihr
Untergang. Denn wenn die Masse, die Menschen wie mich
zerstört, dann zerstört sie ihr leben. Sie zerstört sich selbst.
Und das hat Sie gerade getan: "Amen!"

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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