Tobias Schumacher

Der Cowboy


Mit dem Auto ? Nicht gut, man könnte sich mein Nummernschild merken.
Mit dem Bus ? Nicht gut, zu viele Leute würden sich an mich erinnern.
Zu Fuß ? Perfekt, frische Luft atmen, die Beine vertreten, die Nerven beruhigen.
Jetzt stehe ich vor der Bank und sehe durch die Fensterfront in den Kassenraum, nicht allzuviele Leute da. Gut, sehr gut. Ich schicke ein kleines Stoßgebet gen Himmel, für den göttlichen Beistand ist also auch gesorgt.Ich setze mich in Bewegung, Richtung Eingang, erklimme drei Stufen und stehe in einem kleinen Vorraum, flankiert von einem Kontoauszugdrucker auf der einen, und einer ziemlich hässlichen Palme auf der anderen Seite. Vor mir der Eingang - Doppeltür, gläsern - zum Kassenraum. Meine Hände zittern, mein Mut verlässt mich. Es ist noch nicht zu spät, denke ich, dreh um, raus hier, es ist noch nichts passiert, niemand hat dich gesehen. Nein, ich bleibe, durchatmen, die Angst verdrängen, den Kopf frei kriegen, nicht die Kontrolle über mich verlieren. Ich weiss nur zu gut was passiert, wenn ich die Kontrolle über mich verliere. Nocheinmal durchatmen, nochmal. Ich will gerade nach oben greifen und mir die Skimaske, die ich wie eine Mütze auf dem Kopf trage, übers Gesicht rollen, da höre ich hinter mir ein kurzes, lautes "Pling", dann ein kaum zu hörendes, metallisches Scharren. Ich sehe auf den Boden. Eine Ein-Euro-Münze rollt an mir vorbei, dreht einige kleine Pirrouetten und bleibt direkt vor meinen Füßen liegen. Ich hebe sie auf, betrachte sie kurz und drehe mich um. Hinter mir steht eine junge Frau und lächelt mich leicht beschämt an. Neben ihr steht ein kleiner Junge mit blonden Locken und großen, vor Schreck geweiteten Augen. Mit der einen Hand greift er nach seiner Mutter, die andere streckt er mir entgegen. Ich gehe in die Knie und sehe ihm in die Augen.
"Hallo, Cowboy. Gehört das dir ?"
Mit diesen Worten halte ich ihm die Münze hin. Er greift sofort danach, präsentiert sie seiner Mutter und gluckst vor Freude.
"Danke." sagt sie, "Das war sehr nett von ihnen."
"Hey, hab ich gern gemacht." sage ich, lächle sie einfach an und halte die Tür zum Kassenraum auf. Sie bedankt sich kurz, und ich sehe den beiden hinterher, bis sie sich in eine der Warteschlangen an der Kasse eingereiht haben.
Ich lasse die Tür wieder zufallen, bereit mich umzudrehen, den Raum zu verlassen und wieder nach Hause zu gehen. Nein, nein nein nein, nicht die Nerven verlieren, zieh das durch. Zieh das jetzt durch. Ich rolle mir die Maske übers Gesicht, ziehe meine Waffe aus der Jackentasche und reiße die Tür auf. "Auf den Boden, alle, sofort!" brülle ich, während ich mit vorgehaltener Pistole in den Raum stürze. "Auf den Boden hab ich gesagt. Los!" Einige schreien, einige starren mich an, dann gehorchen sie, zitternd, blass. "Ihr beide", ich ziele auf die beiden Angestellten hinter den Kassen, "zurück an die Wand, und lasst die Hände da, wo ich sie sehen kann!" Eine Tür links von mir öffnet sich, der Filialleiter tritt heraus. "Was is denn das für ein..." Ich packe ihn am Kragen, und schubse ihn zu den anderen. "Schnauze halten. Schnauze halten hab ich gesagt. Zu den anderen auf den Boden. Auf den Boden, wird's bald?" Als er unten liegt, streife ich mir den Rucksack ab. "Hier, fang!" rufe ich und werfe in der Angestellten zu. Sie fängt ihn und starrt mich an. "Pack das Geld rein, alles." Sie zögert. "Sag mal, red ich chinesisch, oder was ? Geld! Da rein!" Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, richte ich meine Waffe auf sie. Hat funktioniert. Sie stolpert vor und ich beobachte, wie sie mit zitternden Händen und schweißnasser Stirn beginnt, ihre Kassenschubladen in meinen Rucksack zu entleeren.
"Ohgott, Noah, nein!" ruft eine gepresste Stimme hinter mir. "Ich habe doch mehr als deutlich gesagt ihr sollt die Fresse halten!" schreie ich über meine Schulter, und behalte dabei die Angestellte im Auge, damit sie nicht doch noch auf dumme Gedanken kommt.
Plötzlich zieht etwas an meinem Hosenbein.
Meine Nerven liegen blank, ich springe fast in die Luft vor Schreck, du hast deinen Rücken nicht gedeckt, denke ich, jemand versucht den Helden zu spielen, scheisse, so war das nicht geplant, ich drehe mich, bereit, jemandem die Fresse zu polieren oder von jemandem die Fresse poliert zu bekommen. Es steht niemand hinter mir. Alle liegen auf dem Boden, flach ausgestreckt, und versuchen möglichst unauffällig zu sein. Da, wieder das Ziehen an meinem Hosenbein. Ich sehe an mir hinab. Direkt vor meinen Füßen steht der kleine blonde Junge und strahlt mich mit seinen großen, blauen Augen an. Ich gehe in die Knie. "Hallo, Cowboy", sage ich leise. Er streckt seinen Arm aus und hält mir seine Faust entgegen.  Ich starre daruf, dann wieder in seine Augen. "Was...?" Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich tun soll, also strecke ich einfach meine Hand aus. Das war es, worauf der Kleine gewartet hatte. Er öffnet seine Faust, und seine Ein-Euro-Münze plumpst direkt auf meinen Handteller.  Die ganze Welt ist still, hält den Atem an, es ist niemand da, nur der Cowboy, ich, und seine glänzende Münze.
Ich fange an zu zittern, mir wird heiß, ich fühle den Schweiß unter meiner Maske. Der Kleine lacht herzerweichend, seine blauen Augen leuchten mich an, dann stakst er zurück zu den anderen und legt sich wieder auf den Boden. Es durchzuckt mich wie ein Blitz, ohgott, was habe ich getan, was tue ich denn nur hier ? Ich springe auf, bunte Punkte explodieren vor meinen Augen, jetzt bloß nicht umkippen. Ich atme stoßweise, schwenke meine Waffe nach links, dann nach rechts, alle auf dem Boden, alles unverändert. Dann werfe ich einen Blick durch die große Fensterfront auf die Straße, Menschen, viele Menschen, sie sehen zu mir, tuscheln, Handys werden gezückt, Nummern gewählt. Ich drehe mich um. Der Kassierer steht noch an der Wand, die andere hält meinen Rucksack vor sich. Als ich meine Waffe hebe, lässt sie ihn fallen, schreit kurz auf. "Gibt es hier noch einen Ausgang?" frage ich, so ruhig wie möglich. Sie hebt schnell meinen Rucksack auf und streckt ihn mir entgegen. "Scheiß drauf", schreie ich "gibt es hier noch einen Ausgang?" Sie zögert kurz, dann zeigt sie auf eine kleine Treppe rechts von sich und stottert "Treppe runter, dann links. Durch diesen Gang wird Geld abgeholt und geliefert, aber die Tür nach draußen ist verschlossen. Sie brauchen den Schlüssel."
"Und wo ist dieser beschissene Schlüssel?"
"Den trägt der Chef bei sich." Ich haste zum Filialleiter. "Du hast die Kleine gehört. Los, her damit!" Ohne aufzustehen wühlt er kurz in seiner Hosentasche und fördert ein kleines, ledernes Etui zu Tage. Ich greife danach und öffne es. Ein einzelner dicker Schlüssel baumelt daran. Los jetzt, nicht mehr viel Zeit, ich renne Richtung Kasse und hechte über die Theke. Die Treppe runter, dann links, bis zur Tür. Mit dem Schlüssel geöffnet, eine Treppe hoch, stehe ich in einem Gewirr aus Gassen und Hinterhöfen. Hauptsache allein. Ich reisse mir die Maske runter, stecke meine Waffe ein und gehe los, langsam, nicht auffallen, ich biege mal nach links, mal nach rechts, dann wieder links. Vor mir eine Straße, Fußgängerzone, viele Menschen, gut, sehr gut. Bevor ich hinaustrete stopfe ich die Maske in eine Mülltonne, dann mische ich mich unter die Menge, unerkannt, ganz ruhig, verschwinde ich in der Masse.  Der Kanal ist nicht weit von hier, ich werde jetzt hingehen, und meine Pistole darin versenken. Die Faust, die die Ein-Euro-Münze umklammert hält, presse ich fest an meine Brust.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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