Doreen Klingenberg

Gedankenwelt

Manchmal sitzt sie einfach nur in der Gegend rum und ihre Gedanken schweifen ab... was wäre wenn? Es ist nicht so, dass sie gar nicht mehr leben will, aber nicht so. Nicht in diesem Sumpf, sie kann nicht mehr, denn sie hat keine Kraft mehr: Ihr Herz ist müde und traurig.
Sie steht am Meer, der Wind schneidet ihr ins Gesicht, gräbt sich in ihre Haut, denn es ist Winter und bitter kalt. Sie fühlt sich so verloren, weiß nicht wohin, hat niemanden, der sie noch auffängt. Auch hier am Strand ist niemand. Es würde also niemand bemerken, wenn sie es endlich tun würde. Sie geht spazieren, schaut den Möwen zu, raucht eine nach der anderen, vielleicht bekommt sie ja doch ihren Kopf frei? In der anderen Hand hält sie eine Flasche Whisky. Es ist ihr Lieblingswhisky, denn wenn, dann will sie auch mit Stil gehen. Ihr laufen Tränen die Wangen hinab, bahnen sich einen Weg über ihre Fältchen. Eigentlich ist sie noch jung, aber der Schmerz der vergangenen Zeit hat schon ihr Gesicht gezeichnet. Aber sie hat keine Hoffnung mehr. Zu oft haben sie ihre Mitmenschen und "ihre Freunde" enttäuscht, zu lang hat sie gekämpft. Gegen diesen Sog, der sie immer wieder in das Loch gezogen hat. Immer wieder hat sie es versucht, hat sich hochgekämpft - vergeblich. Denn es kam immer mehr dazu, die alltäglichen Dinge fielen ihr schwer. Finanzielle Belastungen, Ärger mit Behörden und immer wieder das Wissen darum, dass sie alles alleine schaffen muss. Niemand mehr da, nie jemand da! Sie hat immer gekämpft, wie ein Fisch, der am Strand liegt, stand immer mit ihren Sorgen und Problemen alleine da. Kein Mensch hat ein unerschöpfliches Kraft- und Energiepotential in sich und ihres scheint jetzt erschöpft. Doch dann kommen Zweifel, sie entscheidet sich, jemanden anzurufen, aber niemand nimmt den Hörer ab. Was soll sie tun? Was soll sie noch mehr tun, damit die ihr "nahestehenden" Menschen endlich begreifen, dass sie nicht mehr kann? Sie sehen ihren Schmerz nicht, denn er ist innen, sie blutete nach innen, so lange bis sie leer war. Begreifen sie es nicht, wenn sie ihre zerschnittenen Arme sehen. Begreifen sie es nicht, wenn sie die Hilferufe auf Ihrer Website sehen? Interessieren sie sich überhaupt dafür? Immer und immer wieder wählt sie die Nummer, aber niemand geht ran. Also versucht sie eine andere Nummer, fragt, ob Zeit für sie da ist. Sie nennt keinen Grund, versucht nur klar zu machen, dass es ihr nicht gut geht. Als Antwort bekommt sie nur die Standardantwort, dass die Lust dazu nicht da wäre und die Zeit sowieso nicht. Schließlich sage sie leise ein Dankeschön und lege auf. Also fragt sie sich, wozu versucht sie es noch. Noch mehr Enttäuschungen, sich immer und immer wieder weh tun lassen. Sie hat es dann an sich ausgelassen, weil sie mit ihrer Wut und dem ihr zugefügten Schmerz nicht umgehen konnte. Ihre Arme sehen vernarbt aus, tiefe Schnitte sind zu sehen. Alles Wunden, die ein Leben lang haben würde. Eine einsame Möwe kreist über ihren Kopf, sie zieht ihre Kreise. Lässt sich vom Wind treiben. Ein Vogel möchte sie sein, ungebunden und immer frei. Dann fliegt die Möwe davon, sie sieht ihr nach, bis sie ins Grau des Himmels über dem Wasser verschwunden ist. Dann schaut sie wieder auf das Meer, sieht die hohen Wellen, wie sich die Gischt am Strand verteilt. Diese Kraft, die der Ozean in sich hat, besäße sie gerne. Aber sie ist nur ein kleines Wesen. Wie sehr liebt sie diesen Strand, so oft war sie hier und so oft hat ihr die Einsamkeit hier geholfen, um ihrem inneren Selbst ein Stück näher zu kommen. Aber jetzt ist es dazu zu spät. Sie hat sich verloren, sucht sich seit Jahren aber sie findet sich selbst nicht mehr. Alle Versuche, die sie gemacht hat; Klinik, ambulante Therapie, Selbsthilfegruppe und der Versuch sich selbst zu beherrschen, sind umsonst gewesen. Vielleicht hatte sie aber auch zu wenig Geduld mit sich und ihren Mitmenschen, vielleicht hat sie auch alles falsch gemacht. Vielleicht liegt es an ihr, dass sie immer und immer nur Pech hat. Hat sie etwas getan, dass sie jetzt dafür bestraft wird?. Aber was kann sie anders machen, wie kann sie sich ändern, wenn ihr niemand eine Hilfestellung gibt. Alles Reden hilft ihr nicht, es nimmt ihr nichts von ihrer Qual, von diesem inneren Schmerz, der sie von innen verbrennt. Sie weiß nicht, was ihr hätte helfen können. Sie hat das Gefühl, sie rast auf etwas zu und irgend wann knallt es. Ist heute der Zeitpunkt – das Ende? Dann dreht sie sich um, geht zurück zur Seebrücke. Sie geht rauf, die Flasche ist zur Hälfte geleert und Zigaretten hat sie kaum noch. Am Ende steht eine weiße Bank, sie setzt mich. Noch ein wenig ausruhen. Sie zieht die Schultern hoch, es ist immer noch kalt, aber das wird sie bald nicht mehr stören, da wo sie hingehen wird, ist es immer schön warm. Sie fasst in ihre Jackentasche, sucht, Panik kommt auf, doch da findet sie erleichtert die Packung Tabletten aus der Jackentasche, die sich heute morgen noch aus der Apotheke geholt hat. Sie weiß nicht, wie viele es sind, aber sie weiß, dass sie reichen werden. Sie schüttet sich die Hand voll und nimmt einen riesengroßen Schluck aus der Whiskyflasche. Rein damit, bevor sie es sich noch anders überlegt. Die restlichen Tabletten schluckt sie auch ziemlich rasch hinunter. Sie raucht noch eine Zigarette, lässt ihr bisheriges Leben vor ihrem inneren Auge noch mal vorbeiziehen. Sie stellt fest, dass sie nichts erreicht hat. Nichts nennenswertes jedenfalls. Sie hat sich nur immer mehr in diesen Strudel mit reinziehen lassen. Bin selbst dran schuld, denkt sie, und nun ist es nicht mehr zu ändern. Plötzlich merkt sie, dass sie müde wird. Es ist Zeit! Sie tritt an den Rand der Brücke, sieht auf das dunkle kalte Wasser, letzte Zweifel kommen noch hoch. Aber sie ist schon zu müde, um diese noch kämpfen zu lassen. Sie setzt ihren rechten Fuß vor, hält ihn über das Wasser, dann folgt der linke und dann fällt sie. Zuerst ist es wahnsinnig kalt, sie erschrickt und denkt NEIN! Aber kein Mensch ist weit und breit zu sehen, der ihr helfen könnte. Ihre Sachen saugen sich voll Wasser, so dass sie sich nicht mehr an der Oberfläche halten kann. Schließlich gibt sie auf. Sie lässt sich los und versinkt langsam in der Dunkelheit. Das eiskalte Wasser läuft in ihre Lungen, sie merkt wie sie weg dämmert. Sie schließt die Augen, alles wird auf einmal so still. Kein Laut mehr, nicht, sie hört nur noch, wie ihr Herzschlag langsam leiser wird. Dann Ruhe – und endlich hat sie Frieden.

Ich habe diese Geschichte aufgrund meiner eigenen Gedanken geschrieben, ich stand noch nicht an diesem Punkt. Noch nicht - und ich hoffe, dass ich nie an diesem Punkt stehen werde.

Ich hoffe, dass es Euch nicht allzu sehr umhaut.

Gruß Doreen
Doreen Klingenberg, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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