Ivana Herrmann

Prolog

 

-Prolog-

Im fahlen Schein des aufgehenden Mondes war die schlanke, dunkle Hand kaum zu erkennen, die sich vorsichtig um den moosbewachsenen Stamm schlang. Die angespannten Finger zitterten ein wenig, schienen im schwachen Nachtlicht jedoch fast bewegungslos auf dem kalten Moos zu ruhen.

In der Dunkelheit ebenfalls kaum auszumachen, erschien bald darauf ein schlanker, in graue Gewänder gehüllter Körper neben der Hand, der sich halb hinter dem mächtigen Stamm des Baumes versteckte. Der Kopf, der vorsichtig von dahinter zum Vorschein kam, wurde von den Schatten des Waldes verborgen, sodass die ganze Person kaum zu erkennen war. Doch die wenigen, leisen Geräusche des nächtlichen Waldes, die hin und wieder die Stille durchbrachen, jagten ihr einen Schauer über die Haut und ihr schneller und ängstlicher Atem drang unnatürlich laut in die Nacht hinaus .

Aufgeschreckt durch ein nahes Geräusch warf sie auf einmal den Kopf herum und blickte ängstlich hinter sich, während sich ihre Hand fest in die Rinde des Baumes krallte. Mit wachem Blick flogen ihre Augen über die großen, in dunkles Blau getauchten Bäume und das sie umgebende Dickicht aus Büschen und Farnen hinweg. Doch sie konnte nichts Ungewöhnliches in den düsteren Schatten entdecken, die sie umgaben. Einen Moment lang verharrte sie regungslos hinter dem Stamm, ein Bündel aus hellen Leinen fest an die Brust gedrückt. Dann überkam sie erneut das Gefühl der Angst und mit schnellen, leise raschelnden Schritten lief sie fort von dem Platz, an dem ihre Fußabdrücke im weichen Waldboden zurückblieben.

Von Panik ergriffen, wurden ihre Schritte immer schneller, bis sie regelrecht durch das Unterholz rannte und ihre Angst von jedem knackenden Ast, den sie selbst dabei zerbrach, nur noch geschürt wurde. Immer wieder warf sie hektische Blicke hinter sich, befürchtete hinter jedem Busch die drohende Gefahr ihrer Verfolger und spürte, wie ihr Herz dabei raste. Ihre Augen huschten rastlos über den moosbewachsenen, von grauen Blättern bedeckten Boden; den Stämmen der Bäume folgend glitten sie hinauf zu dem durch mächtige Baumkronen halb verdeckten Nachthimmel, an dem kalt glänzend die Sterne funkelten.

Den Blick nach dort oben gewandt, bemerkte sie in ihrer Eile die große, knorrige Wurzel nicht, die sich auf einmal vor ihr aufbäumte und blieb mit dem Fuß daran hängen. Mit einem erstickten Aufschrei stürzte sie zu Boden und fast hätte der Aufprall ihr das Bündel aus den Armen gerissen. Ihr Kopf war heftig auf der kühlen, harten Erde aufgeschlagen und ihren Körper durchzuckte ein beißender Schmerz. Ein gequältes Stöhnen entwand sich ihrem Hals und einen Moment lang blieb sie einfach liegen und haderte mit sich selbst.

Eine kleine Ewigkeit schien so zu vergehen, bis sich plötzlich ihre Vernunft meldete, die ihr zuflüsterte, es sei alles andere als eine gute Idee, hier einfach liegen zu bleiben. Noch immer raste das Herz in ihrer Brust und die Welt um sie herum schien sich in wild tosenden Wirbeln zu drehen. Zitternd öffnete sie die Augen und sofort drangen die schattenhaften Umrisse des Waldes zurück in ihr Blickfeld. Riesige dunkle Silhouetten schienen von oben auf sie herab zu blicken und mit klauenartigen Händen nach ihr zu greifen. Hektisch versuchte sie auf die Beine zu kommen, doch der nasse, glitschige Untergrund erschwerte ihr Aufstehen. Immer wieder rutschten ihre Füße auf dem feuchtem Laub aus und ihre freie Hand griff vergeblich nach Halt suchend ins Leere. Schon kroch die Angst wieder schaudernd ihren Rücken herauf, da erstarrte sie plötzlich in ihren Bewegungen. Während ihr Herz raste und ihr Atem in ruckartigen Stößen die Stille durchbrach, riss sie plötzlich ungläubig die Augen auf.

Das Bild, das sich ihr auf einmal bot, erschien ihr seltsam unwirklich.

Sie fand sich selbst auf dem moosigen Boden kniend; links von ihr ein alter, knorriger Baum, dessen Stamm sich in der Mitte spaltete und weit oben in zwei schattenhaften Kronen gipfelte. Seine mächtigen Wurzeln brachen unweit von ihr wie knochige Finger aus der dunklen Erde, und bahnten sich über den schlammigen Boden einen Weg zum nahen Wasser. Einen halben Meter rechts vor ihr endete der Waldboden abrupt und machte einem kleinen, klaren See Platz, auf dessen kalter Oberfläche das weiche Mondlicht glitzerte. Doch nicht der eisige See und der massige Baum waren es, die die Person in solches Staunen versetzten und scheinbar all ihre Ängste mit einem Mal hinfort trugen. Es war vielmehr das merkwürdige kleine Haus, das, nicht weit von ihr entfernt, halb verdeckt inmitten der Bäume stand.  Ein überwältigendes Gefühl bemächtigte sich der Person im Unterholz, als sie bei genauerem Hinsehen die unscheinbare Holztür entdeckte, die hinter den hohen Baumstämmen verborgen lag. „Danke“, seufzte sie, doch schon durchfuhr ein plötzlicher Schreck ihre Glieder und sie biss sich hart auf die Unterlippe. Sie hätte den Mund nicht öffnen sollen, schließlich konnte jedes Wort konnte ihren Untergang bedeuten.

Schon knackte es tief im Unterholz und aus dem dunklen Dickicht heraus schienen suchende Blicke durch den Wald zu schweifen. Ein unangenehmes Kribbeln erfüllte ihren Körper; ihr Kopf war leer, kein Gedanke konnte sich in ihm festigen - ihre ganze Aufmerksamkeit war auf die nur wenige Meter vor ihr liegende Hütte gerichtet. So nah, so nah und doch so weit entfernt. Wenn sie doch nur die Tür erreichen konnte... doch dafür musste sie das dichte Buschwerk verlassen, hinter dem sie kauerte - und damit ihre Deckung aufgeben. Suchend huschten ihre Augen durch das finstere Geäst, als plötzlich ganz in ihrer Nähe Holz brach. Sie waren hier. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie hörte, wie ihre Verfolger durch das Dickicht brachen. Mit jeder Sekunde kamen sie näher, jeden Moment mussten sie sie entdecken. Ihr ängstlicher, gehetzter Blick huschte zurück zur Tür und ein metallischer Geschmack ergoss sich in ihren Mund, als sie sich erneut hart auf die Lippen biss. Es gab keinen anderen Weg, sie musste es wagen...

Sie wandte ihren Blick nicht von der unscheinbaren Holztür ab, als sie all ihren Mut zusammennahm, das kleine Bündel fest an sich drückte und mit einem Sprung aus dem Unterholz hechtete.

 

„Dort!“ Ihre Verfolger entdeckten sie, kaum dass sie einen Fuß aus dem wirren Gebüsch getan hatte. „Dort ist sie!“ Die aufgebrachte Stimme durchbrach die gespenstische Stille des Waldes und drang bis tief in die Dunkelheit des Dickichts. Und irgendwo dort, tief in dieser schweren Düsternis, schien sie etwas zu wecken, was bis zu diesem Moment dort geschlummert hatte. Im nächsten Augenblick drang ein dumpfes Grollen aus der Dunkelheit und plötzlich fuhr ein derart heftiger Wind durch die alten Bäume und Büsche, dass es schien, als würde der Wald in seinem tiefsten Innern Atem holen. Erschrocken riss die auf die Hütte zulaufende Gestalt die Augen auf und wandte den Kopf um- nur um mit Entsetzen festzustellen, dass hinter ihr ein regelrechter Sturm losbrach. War vor wenigen Sekunden noch alles ruhig gewesen, so entrang sich nun ein tobender Wind den Tiefen des Unterholzes, ließ nur wenige Meter hinter ihr Zweige und Äste aus den Spitzen der Bäume bersten und warf ihre Kronen so heftig hin und her, dass ein wütender Blätterregen durch die stürmische Luft peitschte. Etwas schien sich in der Tiefe des Dickichts zu regen und nun brachen auch ihre Verfolger aus dem Geäst. Ihre Kleider flatterten wild im aufgekommenen Sturm, während sie mit gezückten Waffen versuchten, der Flüchtenden den Weg zur Hütte abzuschneiden.

Von Panik gepackt huschte der Blick der fliehenden Person zurück zur nahen Holztür und sie rannte weiter so schnell sie ihre Beine trugen darauf zu. Der hinter ihr losbrechende Sturm und die bewaffneten Verfolger im Rücken trieben ihr die Angst in die Glieder und die schwache Hoffnung, die kleine Hütte zu erreichen, schwand vollends, als ein heftiger Windstoß aus dem Dickicht fuhr und sie von den Beinen riss. Das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben, als sie mit einem erstickten Schrei durch die Luft geschleudert wurde und plötzlich gegen etwas Hartes prallte. Ein dumpfer Schmerz schoss durch ihren Kopf und Tränen stiegen in ihre Augen, als sie schmerzhaft auf dem steinigen Waldboden aufschlug und ihre Verfolger durch den Sturm rufen hörte. Nur noch ein paar Schritte und ihre Jagd war zu Ende; sie konnte das kalte Metall ihrer Waffen bereits fast an ihrer Haut spüren. Nun war es also soweit. Kurz vor ihrem Ziel war sie doch gescheitert und gleich würde ihr Leben im Sturm der dunklen Tiefen dieses Waldes enden.

Im Angesicht des Todes hob sie den tränenverschleierten Blick - und ihr Körper erstarrte. Es konnte nicht länger als eine Sekunde dauern, doch der folgende Moment erschien ihr wie in stiller Zeitlupe zu vergehen. Als sie aufblickte, erhob sich vor ihr die unscheinbare Holztür, die sie so verzweifelt zu erreichen versucht hatte. Der Sturm hatte sie dagegenprallen lassen und nun saß sie genau darunter. Mit einem Mal kehrte die Hoffnung in ihre Augen zurück und mit einem letzten Schub von Kraft stemmte sie sich noch einmal auf die Beine. Das helle Bündel fest an die Brust gepresst, streckte sie die Hand nach dem kleinen Türgriff aus, der nur ein paar Zentimeter vor ihr in die Tür eingelassen war.

Mit ohrenbetäubendem Lärm brach in diesem Moment die Welt wieder über sie herein. Ein donnerndes Grollen entwand sich den dunklen Tiefen des Waldes, der Sturm tobte mit Macht durch das düstere Unterholz und verschlang in seinen Wirrungen alles, was er vom Boden und aus den hohen Kronen der Bäume reißen konnte. Und just in dem Augenblick, als sie hinter sich das Geräusch herabsausender Schwerter hörte, riss sie mit einem Ruck die Tür auf und trat hindurch.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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