Ein Winter ohne Schnee ist nur ein halber Winter. ... Letzte Nacht hat Frau Holle alles aus ihren Decken und Kissen geholt. Nun ist alles weiß. Die graue Außenwelt wird von 20cm bedingungsloser Unberührtheit bedeckt. ... Der Schnee hat nix verschont. ... Auch auf den Bäumen mangelt es nicht an Neuschnee. ... Direkt vor meinem Fenster steht ein großer Ahornbaum, der im Sommer überreichlich grüne Blätter trägt. Momentan liegt auf allen Ästen und dünnen Zweigen Schnee. Die Zweige biegen sich bereits nach unten. Sie machen den Anschein, als wenn sie jeden Augenblick brechen. Obgleich bin ich zuversichtlich und glaube, dass sie durchhalten. ... Während meiner Überlegungen und Beobachtungen riskiere ich einen kurzen Blick auf meine Uhr. Doch schon dieser kleine Blick genügt mir, um festzustellen, dass es noch viel zu früh zum Aufstehen ist. Also lege ich meinen Kopf nochmals zurück auf die Matratze und wieder murmle mich wärmesuchend in meine Decke. ... Ich denke an die 18min, die der Mensch durchschnittlich zum Einschlafen braucht. Nach bereits 5min bin ich eingeschlafen und nach weiteren 5min bin ich im Land der Träume. ... Mit einer prächtigen, weißen Kutsche lass ich mich zum Eispalast der Schneekönigin chauffieren. Sie hat mich zum Eis essen eingeladen. Schnee soweit das Auge reicht. Plötzlich versperrt ein schleimiges, grünes Riesentier den Weg. Es gibt ganz komische Laute von sich und trommelt sich auf die Brust. Es will angreifen. Indes naht von Weitem ein Prinz auf einem weißen Pferd. Wahrscheinlich hat er Schiss, sein Pferd dreckig zu machen und so lässt er es, in sicherer Entfernung stehen. Er eilt zu Fuß zu mir. Heldenhaft erlöst er mich aus der Kutsche und trägt mich ritterlich auf beiden Händen hinüber zu seinem Pferd. Ganz sanft setzt er mich auf den schneebedeckten Boden. Komischerweise ist der Boden ganz warm und trocken. Ich bitte meinen Retter, meinen Rollstuhl aus der Kutsche zu holen. Mit grazilen Vorwärtsbewegungen hüpft er in Richtung Kutsche. Während ich überlege, wie wir den Rollstuhl!
am Gesc
hicktesten am Pferd des Prinzen befestigen, verspüre ich einen leichten Druck im Unterleib und werde wach. ... Ich muss dringend aufs Klo. ... Erneut wage ich den Blick auf meine Uhr. Wenn ich ehrlich bin, bin ich immer noch müde. Ich könnt mich glatt noch mal hinlegen, Augen zu machen und weiterschlafen. Doch das vom Schnee reflektierte Sonnenlicht zwingt mich zum Um- bzw. Anziehen. ... Irgendwie erinnert mich das Lightingdesign an meine Stammdisco. Fehlt nur noch Musik und ein köstlicher „Adios Motherfucker“. ... Logischerweise dreh ich mein Radio ein klein wenig lauter. Aber so ein Blue-Curacao-Gin-Rum-Tequila-Wodka-Zitronenlimo-Cocktail auf nüchternen Magen trau ich mir nicht. ... Allmählich reizt mich der Schnee. ... Hastig ziehe ich mir meine dicke Winterjacke und meine weiße Wollmütze über, meine schwarzen Handschuhe lege ich mir in den Schoß und dann bin ich auch schon auf dem Weg nach draußen. ... Als ich die Tür öffne, begrüßt mich eine Arschkälte – gefühlte -100°C. Sofort weht mir ein eisiger Wind entgegen. Trotz der abstoßenden Minusgrade rolle ich raus. ... Ruckzuck erobert die sibirische Winterluft mein ungeschütztes Gesicht: Mein Teint wird zu einem Eisblau, meine Nase sticht in einem auffallenden Rot hervor und meine Haut brennt vor Kälte. ... Aber ein Blick auf die verschneite Winterlandschaft lässt mich jene Unannehmlichkeiten vergessen. ... Die Luft riecht eiskalt wie – Vanilleeis ohne Vanille. ... Der Geruch der frostklaren Atmosphäre harmoniert perfekt mit dem Anblick der schneebedeckten, grünen Wiese. ... Vor mir liegt eine unberührte Schneefläche in deren Mitte ein Baum steht. Seine Zweige sind von Natur aus nach unten gebogen und die bis zum Boden reichenden Zweige werden von den Schneemassen verschlungen. ... Weiter links werde ich Zeuge einer Schneeballschlacht zwischen jung und alt. Ich glaub, diesen Generationskonflikt gewinnt die Jugend mit 4 zu 2. Galant wie bei Handballern fliegen die weißen Schneebälle der jungen auf einer beinah linearen Flugbahn mitten in die Gruppe der !
älteren.
Erwartungsgemäß treffen sie fast immer einen Arm oder das Gesicht derer. ... Just verspüre ich ein anwachsendes Verlangen mich an dem Spiel aktiv zu beteiligen. Es fühlt sich an, als wenn in mir ein klitzekleines Flämmchen zu einem lodernden Brand wird. Der Verlangen-Anstieg mündet gewissermaßen in einem Lusttrieb. ... Meine Finger, deren Spitzen mittlerweile isotherm mit meinem Gesicht sind, beginnen zu kribbeln. Meine Finger laufen warm an, denn durch das angenehme Prickeln wird erhitztes Blut in meine Finger gepumpt. ... Instinktiv greifen meine Hände an meine Greifräder. Mit Schwung rolle ich los. ... 0,50m ... 1m ... 1,50m ... 2m ... Und dann ist Schluss. ... Ich habe soeben die Schneegrenze erreicht. ... ? ... Wenn ich mich ein Rad vorwärts bewegen würde, würden meine Räder jämmerlich im Schnee versinken und mir würde der Schnee bis an die Radachsen reichen. ... Zu meinen Füßen erspähe ich einen schmalen, längst vom Schnee befreiten, Gang. Mit kritischem Auge schaue ich eine Gasse an, die schon für Leute, die breitbeinig laufen, zu eng ist. Demzufolge brauche ich es mit meinem Rollstuhl gar nicht erst probieren. ... Daher ist für mich klar: Rückwärts und zurück ins Haus. ... Ohne weitere Umwege rolle ich an meinen Vorratsschrank und kontrolliere meine Vorräte. Mittels der Check-Liste errechne ich, wie lang ich mit meinen Vorräten auskomme, ohne das Haus zu verlassen. ... Schnell wird mir klar, ich muss damit überleben, bis eines Tages der Schnee schmilzt.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.10.2009.
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