Rolf Kirsch

Vertrauenssache

Bruno, so wurde berichtet, Bruno habe in trauter Runde bei einem Glas Rotwein versucht, das Thema des Gesprächs allmählich auf den Begriff "Vertrauen" zu lenken. Erst einige Tage später räumte er, Bruno, ein, dass dieses Unterfangen ihn viel Mühe gekostet habe, da alle anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Runde diesem Thema keine Aufmerksamkeit widmen wollten.

Schließlich, so Bruno, habe er lustlos an seinem Rotweinglas genippt und seinen Blick nach innen gewendet. Erst nach diesem Manöver fand sich einer der Gäste bereit, Bruno danach zu fragen, ob etwas mit ihm sei.

Bruno, so erzählte er, habe die Gelegenheit ergriffen und schmerzvoll geäußert, dass es um das Vertrauen ginge, um das Vertrauen an sich und im Besonderen, speziell aber um ein ganz besonderes Vertrauen. Erst auf verständnislose Nachfrage habe er sich bereit erklärt, nicht ohne zuvor darum gebeten zu haben, dass er an einem Stück sprechen dürfe und nicht gerne unterbrochen werden wolle, seine Notlage näher zu erläutern.

Er, Bruno, so habe er dargelegt, erinnere sich noch gut, dass die Bevölkerung vor wenigen Wochen auf der Grundlage demoskopischer Umfragen mit übergroßer Mehrheit für die Beibehaltung des Ausstiegs aus der Atomenergie und für den Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan gewesen sei. Erst auf die Nachfrage, was dieses Umfrageergebnis mit dem Thema "Vertrauen" zu tun habe, gestand Bruno, dass er genau dieses Vertrauen verloren habe.

Nach einer längeren Pause und weiteren fragenden Blicken sei Bruno fortgefahren und habe erklärt, dass er nicht verstehe, dass diese Bevölkerung, die, wie demoskopisch festgestellt worden sei, so argumentiert habe, wie er zuvor dargestellt habe, dass diese Bevölkerung also bei der letzten Bundestagswahl mit Mehrheit genau jenen Parteien zur Regierungsbildung verholfen habe, die den Ausstieg aus der Atomenergie nicht fortsetzen und deutsche Soldaten vorerst weiterhin in Afghanistan beschäftigen wollen.

Und nach einem kräftigen Schluck aus seinem Rotweinglas habe er den Kopf gehoben, frech in die Runde geblickt und gefragt: "Wem, bitte schön, wem muss man nun das Vertrauen schuldig bleiben, der Demoskopie oder der Bevölkerung?"

Dann sei er, Bruno, aufgestanden, um den Raum zu verlassen. Noch im Türrahmen habe er mitbekommen, wie jemand geflüstert habe: "Gib ihm nichts mehr!"

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.10.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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