Christiane Mielck-Retzdorff

Morgen in Carolina

 

 

 

Morgen in Carolina

inspiriert von dem gleichnamigen Bild von Edward Hopper

 

 

 

Ihr Blick starrte über die endlosen, gelben Stoppelfelder, die am Horizont im milchigen Himmel versanken, auf der Suche nach einer Staubwolke, die das Nahen eines Autos ankündigte. Sie stand im Hauseingang im vollen Licht der Vormittagssonne, vor der selbst der breitkrempige Hut ihr tiefbraunes Gesicht nicht schützen konnte. Sie trug ihn wegen der Eleganz, den roten Hut zum roten Kleid mit den schwarzen, leicht hochhackigen Schuhen. Wenn ihr Mann sie so sehen würde, mit dem tiefen Ausschnitt, unter dem sich die üppigen Brüste wohl gestützt rundeten, würde es nicht lange dauern und er würde wie ein Tier über sie herfallen, dreckig von der Feldarbeit und schwitzend.

Hinter den verschlossenen Holzfensterläden warteten spärlich eingerichtete Zimmer, aufgeräumt und sauber, auf ihren Eigentümer. Es fehlte an nicht. Ein riesiger Kühlschrank in der Küche beherbergte kühle Getränke, die weiße Tischdecke auf dem Eßtisch war mit einem dreiarmigen Kerzenleuchter dekoriert und auf dem Sofa lagen bunt bestickte Kissen. Ein Fernseher in der Ecke sorgte für Abendunterhaltung, wenn ihr Mann nicht mal wieder versessen hatte, das Stromaggregat mit Diesel zu versorgen. Auch jetzt tuckerte es im Hintergrund.

Vielleicht hatte sie einmal von so einem Haus geträumt. Es war stabil und funktionell gebaut. Dem Betrachter vermittelte es den Eindruck einer soliden Heimat, einer Trutzburg in der weiten Fläche der Weizenfelder, eines erholsamen Schattenplatzes in der gleißenden Sommersonne. Und vielleicht hatte sie es bei ihrer Ankunft auch so empfunden. Sie erinnerte sich nicht mehr.

Die Standuhr schlug elfmal. Sie wartete schon eine halbe Stunde, aber sie war es gewohnt zu warten. Eigentlich hatte sie immer gewartet und nie wirklich gewußt, worauf. Das ganze Leben schien ihr eine Illusion zu sein wie die Luftspiegelungen über der erhitzten Ebene. Doch sie stellte sich ihr trotzig entgegen. Sie wollte, daß die Illusion Wirklichkeit wird und die Wirklichkeit verschwindet.

Sie hatte geglaubt, sie könnte die Abgeschiedenheit ertragen, wenn sie nur der bedrückenden Enge der Kleinstadt mit ihren vorgefertigten Lebensmustern entkommen konnte. Sie hatte geglaubt, sie könnte wie eine weiße Farmerfrau leben, täglich die gleichen Aufgaben erfüllen, eine gute Ehefrau und glücklich sein. Sie hatte geglaubt, sie könnte das in sich wegschließen, was ihre schwarze Mutter ihr vererbt und ihr weißer Vater in beiden Frauen beständig zu töten versucht hatte. Es war die Musik eines fernen Kontinents, die durch ihr Blut vibrierte. Ein fremder Gesang klang in ihren Ohren, der sie zwang, einzustimmen in das Lied der Sehnsucht.

Ihr Körper bebte in dieser stillen Leidenschaft und so weckte sie schon früh die Begierde der Männer. Für sie war es ein Spiel, ein Tanz, aber einmal entfacht, wollten die Männer nicht von ihr lassen. Man zeigte mit Fingern auf sie in der kleinen Stadt, und ihr Vater prügelte sie rasend vor Wut und Scham. Schließlich zwang er sie in die Ehe mit diesem farblosen, grundanständigen Farmer, der so weit entfernt von jeder Stadt lebte, daß das sündige Mädchen nicht in Versuchung geführt werden konnte.

Auch ihr Mann war gefesselt von ihrer jugendlichen Erotik und dankbar, daß eine Frau ihm in die Öde seines Lebens folgte. Er behandelte sie gut, und sie erfüllt ihre Pflichten. Tagsüber war er auf den Feldern und sie sang und tanzte zu Rhythmen, die sie nie gehört hatte. Abends nahmen sie schweigsam das Essen ein.

Ihr Mann bediente sich an ihr, wann es ihm beliebte. Sie ertrug es mit Gleichgültigkeit, doch, durch ihre Mutter geschult, sorgsam darauf bedacht, sich nicht mit einem Kind endgültig in Fesseln zulegen. Sie wollte noch warten.

Der Weizen stand hoch als sich an einem schwülen Mittag ein Auto zu dem entlegenen Farmhaus verirrte. Ein leichter Wind hatte schon früh die ungewohnten Geräusche zu ihr getragen, aber sie behielt den kurzen, luftigen Fetzen eines Kleides, den sie oft zur Hausarbeit trug, an.

Es war ein junger Mann von Mitte zwanzig, der ausstieg und sie mit einem heiteren, ungezwungenen Lächeln begrüßte. Er fragte nach dem Weg, und sie bat ihn zu einem kühlen Getränk hinein. Eifrig sprach er von seinem neuen Job als Vertreter für Landmaschinen, und sie hörte ihm stumm zu. Langsam begann ihr Blut zu pulsieren, die Musik erwachte und schien mehr und mehr den Raum zu erfüllen. Die Worte des jungen Mannes wurden ruhiger, bis er schwieg.

Er betrachtete sie ohne Begierde sondern wie eine wundersame Erscheinung. Seine Blicke streichelten ihre Augen, ihr Gesicht und glitten dann bewundernd hinab zu ihren nachlässig bedeckten Brüsten. Sie lächelte ihn an. Beide erhoben sich langsam, traten aufeinander zu und begannen zu tanzen.

Die Standuhr schlug halb zwölf und sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust, als wollte sie die Erinnerung einsperren. Ich komme wieder, hatte der junge Mann gesagt, und sie wartete in ihrem roten Kleid mit dem roten Hut und den schwarzen Schuhen bis die Sonne im Zenit stand und ihre Gestalt mit dem Schatten des Eingangs verschmolz. 

     

 

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Die Töchter der Elemente: Teil 1 - Der Aufbruch von Christiane Mielck-Retzdorff



Der Fantasie-Roman „Die Töchter der Elemente“ handelt von den Erlebnissen der vier jungen Magierinnen auf einer fernen Planetin. Die jungen Frauen müssen sich nach Jahren der Isolation zwischen den menschenähnlichen Mapas und anderen Wesen erst zurecht finden. Doch das Böse greift nach ihnen und ihren neuen Freunden. Sie müssen ihre Kräfte bündeln, um das Böse zu vertreiben. Das wird ein Abenteuer voller Gefahren, Herausforderungen und verwirrten Gefühlen.

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