Er glaubte, es sei erst vorgestern gewesen, aber seitdem war so viel passiert...
Konrad kam nach Hause. Er hatte Überstunden machen müssen, und es war spät geworden. Ingelore saß nicht vor dem Fernseher, so wie sonst. Sie hockte stattdessen vor ihrem Computer und tippte eifrig.
Er sah ihr über die Schulter. Es war nichts Besonderes, nichts, was nicht hätte warten können, was sie da tippte. Deshalb küsste er von hinten seitlich auf die Wange und fasste in ihren Ausschnitt. Er fühlte ihre festen Brüste, und da war es wieder, das Verlangen, das er jetzt endlich würde stillen können.
Ingelore drehte sich zu ihm und lächelte ihn an. Von unten nach oben, wie es ihre Art war. Sie blies eine Strähne aus ihrem Gesicht und lächelte. Das Lächeln galt nicht wirklich ihm. Es war, als registrierte sie ihn kaum.
„Schatz, jetzt nicht“, sagte sie mild. „Wenn ich mit der Mail fertig bin, ja?“
Sein Blutdruck stieg. Das Adrenalin pulsierte in seinen Schläfen. Ohne Ansatz schlug er zu. Sein Handrücken streifte ihre Wange, von unten nach oben, und ihr Kopf flog ein Stück zur Seite, bevor ihr fremd wirkendes Lächeln erlosch.
Wutschnaubend wandte sich Konrad ab und gelangte wie in Trance zur Gästetoilette. Er stellte sich vor das kalte Porzellan, ließ die Hose herunter und begann zu masturbieren. Langsam und genussvoll, eine Akt, an dem er eigentlich Ingelore hatte beteiligen wollen.
Ingelore, die Frau, die er liebte und begehrte, brachte es immer wieder fertig, ihn bis aufs Äußerste zu reizen. Im Positiven und im Negativen, gleichgültig. Manchmal war sie so erfrischend in ihrer witzig-spöttischen Art, aber manchmal eher zerstörerisch, so wie eben. Und genau das durfte er sich nicht gefallen lassen, sonst würde ihr positiver Anteil immer weniger zur Geltung kommen, und sie würde ihn bald im Griff haben und mit ihm machen, was sie wollte.
Dabei hatte er sich heute für sie aufgespart. Dieses Fräulein Desperado, wie er sie in seinen Gedanken nannte, hatte es wieder darauf angelegt, ihn verrückt zu machen. Sie war eine Spaniern oder Mexikanerin, jedenfalls war sie Praktikantin im Betrieb, und ihr Praktikum schien darin zu bestehen, ihre Wirkung auf ihn zu testen.
Nicht, dass sie aufreizend angezogen gewesen wäre, nein, so was hatte diese Frau nicht nötig. Ihre ganze Art, ihr Lächeln, ihr rollendes R hatte ihn erregt, und als er ihr neben der Besenkammer begegnete und einen bezeichnenden Blick auf die Tür warf, hatte sie ihm einen Vogel gezeigt und war weiter gegangen. Nur, um seine Erregung noch weiter zu steigern.
So waren im Grunde alle Frauen, die Konrad kannte.
Er hatte, sich mit dem Gedanken an heute Abend tröstend, an Ingelore gedacht, daran, dass er sich bei der Hochzeit dazu verpflichtet hatte, ihr treu zu sein, bis das der Tod sie scheide. Und er hatte sich den Gedanken an Fräulein Desperado aus dem Kopf getrieben. Er hatte seinen Schädel unter kaltes Wasser gehalten und sich auf den Abend und auf Ingelore gefreut. Und dann hatte ihn seine geliebte Frau derartig enttäuscht...
Weil er vergessen hatte, die Klotür hinter sich abzuschließen, stand Ingelore plötzlich hinter ihm. Sie sah, was er da tat, und ihre Vorurteile gegen ihn, die sie ihm immer um die Ohren schlug, schienen sich für sie wieder einmal zu bestätigen.
„Ich gehe jetzt“, sagte sie und schloss die Klotür.
Er konnte froh sein, dass sie eine Hand brauchte, um sich den Eisbeutel gegen die Wange zu drücken, denn sonst hätte sie den Schlüssel sicherlich von innen abgezogen und ihn von draußen eingeschlossen, fiel ihm ein. So aber hörte er Sekunden später die Außentür klappen, und als er fertig war, rief er sie auf dem Handy an und fragte sie, was das solle.
„Du bist pervers“, schrie sie durch den Lärm ihres Autos.
Wie immer gab sie viel zuviel Gas.
„Du bist ein Sadist, der eine Frau schlagen muss, um in Stimmung zu kommrn. Ich fahre jetzt in die Klinik, lasse deine Untat protokollieren, und morgen gehe ich zum Anwalt.“
Wortlos klickte er sich raus. Wieder mal hatte er ein Zeichen für ihre mangelnde Sensibilität erlebt. Er hatte sie also geschlagen, damit er es überhaupt machen konnte?“ Ahnte dieses herzlose Weib nicht, wie es einem Mann ging, der sich für den Abend, für seine Frau aufspart, um dann anschließend völlig unmotiviert weggestoßen zu werden?
Hatte sie dafür nicht einen Klaps verdient?
Er setzte sich vor den Fernseher, leerte eine gute halbe Flasche Wodka und wankte dann nach oben.
Nicht lange, da erschienen seine Eltern. Sie waren plötzlich anwesend, sein Vater Adolph Gernrich und seine Mama. Sie stritten sich, so wie immer. Mama weinte, und sein Vater stand hilflos daneben und konnte nicht damit umgehen.
„Ich kann keine Luxus-Essen auf den Tisch stellen, wenn du mir so wenig Haushaltsgeld gibst“, brachte sie zwischen ihren Tränen zustande. „Was soll ich tun? Arbeiten darf ich ja nicht...“
„...warum kaufst du dir diesen Kram? Diese Lippenstifte, diese schwarze Zeug für die Augenwimpern? Ist das etwa nötig?“
Mutter tat Konrad leid. Sie weinte schon wieder. Er wagte nicht, ihr zur Seite zu stehen. Manchmal schlug sein Vater zu, und dann war es ihm meist gleichgültig, wen er gerade traf.
Sie sah ihn an, den harten Mann Adolph Gernrich, den Oberinspektor der Polizei. Die Tränen verschmierten Mamas Wimpertusche und bildeten schmutzige Schlieren auf ihren Wangen. „Es ist doch, damit du mich wenigstens hin und wieder mal beachtest“, rief sie schüchtern mit zitternder Stimme, und sie senkte die Augen.
„Nicht vor dem Jungen“, schrie Adolph Gernrich und drohte mit dem Zeigefinger. Seine Stimme überschlug sich. „Du machst es auf die Tour, weil du weißt, dass du dann von ihm Unterstützung kriegst.“
„Papa, lass Mama zufrieden“, rief Konrad und begab sich mutig in die Reichweite seines Vaters.
„Da siehst du es“, schrie Adolph Gernrich und holte zum Schlag aus.
„Nein“, schrie Konrad und hängte sich an Adolph Gernrichs Arm.
„Du verweichlichst“, rief Adolph Gernrich kalt. Er legte ihn übers Knie und schlug zu. Mit der flachen Hand auf den straff gezogenen Hosenboden. Immer und immer wieder.
Konrad spürte keinen Schmerz. Seine Mutter tat ihm leid, das war alles. Was hätte sie tun sollen? Welche Chancen hatte sie gegen ihn, den kampfsporttrainierten Polizeioffizier?
Konrad spürte nicht nur deshalb nichts, weil er nicht verweichlicht war, sondern, weil Adolph Gernrich ihn nicht wirklich schlug. Aber eines tat weh, das Gefühl für die Ohnmacht seiner Mutter, letztlich seine eigene Ohnmacht, denn er kannte keinen Ausweg aus dem Dilemma der Hilflosigkeit, die man spürt, wenn etwas ganz anders läuft, als man es sich erhofft hatte.
Er hatte nie einen anderen Ausweg gelernt als zuzuschlagen.
So ging es nicht weiter. Er beschloss, auszuprobieren, ob das Röhrchen mit den Schlaftabletten in der Nachttisch-Schublade ein Ausweg sein würde...
Konrad hatte nur einen einzigen Versuch.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.11.2009.
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