Silvia Pommerening

Das Schweizerkäseei

Das Schweizerkäseei

Ostern. Das erste Ostern im Leben eines dreijährigen Jungen, an dem er aktiv bei der Osterdekoration mitwirken durfte.
Luis, mein Sohn, hatte sein erstes eigenes Ei selbst bemalt. Na ja, selbst bemalt ist zuviel gesagt. Die Vorarbeit, nämlich verschiedene Farbkleckse in einen Karton zu spritzen, wurde von den Erzieherinnen geleistet. Die einzige Aufgabe der Kinder war es, das ausgeblasene Ei behutsam in den Karton zu legen und mit viel Gefühl sanft hin und her zu bewegen, damit sich das Ei rings herum bunt färbt. Die meisten Kids, darunter auch meiner, ließen das Ei einfach hineinplumsen und schüttelten den Karton wilder als die letzte Fahrt der Titanik. Dementsprechend war die Überlebenszahl der „ersten Eier“ sehr gering. Luis hatte es nach einigen Versuchen endlich geschafft, eines vor dem sicheren Eiertod zu verschonen und präsentierte es mir voller Stolz. Nachdem es getrocknet und mit einem Bindfaden zum Aufhängen ausgestattet war, nahmen wir es mit auf den Heimweg.
Und dann passierte es:
Beim Aussteigen aus dem Auto glitt mir das (dämliche) Ei aus den Händen und war unaufhaltsam und mit sicherer Erdanziehungskraft auf dem Weg zum Fußboden, wo es mit einem unüberhörbaren „ knack “ seine Reise beendete. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal den Blick eines Kindes gesehen haben, das gerade beobachtet, wie sein erster „Picasso auf Ei“ auf dem Boden in Einzelteile zerplatzt. Und mit ihm zersprang auch sein kleines Kinderherz.
Nachdem er realisiert hatte, was seine dusselige Mutter (so nennt er mich ab und zu) gerade angerichtet hatte, holte er noch einmal tief Luft um mit geballtem Lungenvolumen einen Urschrei von sich zu lassen, der sich gewaschen hatte. Ich, selbst noch fassungslos, wusste, dass ich jetzt nur eine Chance hatte, meinem Kind wieder einen Anreiz zum Weiterleben zu geben.
„Ich repariere es dir wieder, Versprochen!“, versuchte ich ihn zu beruhigen.
(Versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen! Das hatte ich ihm selbst beigebracht und wünschte mir jetzt, es nicht getan zu haben!!!)
Zwar unter Schluchzen, aber dennoch sehr eindringlich, konnte ich diesen Satz von ihm vernehmen.
„Versprochen ist.... “
Also suchte ich die drei größten, noch erkennbaren Teile des Kunstwerkes zusammen und hoffte, dass man daraus grob die Form eines Eis wiederherstellen konnte. Über die tausend Mikroteilchen, die sich unauffindbar über den Straßenbelag verteilt hatten wollte ich mir vorerst keine Gedanken machen.
Luis schleppte sich schweren Herzens und immer noch jammernd hinter mir die Treppe hinauf.
Oben angekommen ging er mit vorgeschobener Unterlippe in die Wohnung, setzte sich an unseren Küchentisch und schaute mich und den Eibruch erwartungsvoll an.
Ich überlegte, betete, und mir kam eine göttliche Idee. Kurz entschlossen ging ich ins Badezimmer und holte Nagelkleber für Kunstnägel, den ich noch aus der Zeit hatte, als ich keine Babys baden und wickeln musste.
Aus der Zeit, in denen Nächte noch wahlweise zum Ausgehen, zum Schlafen oder zum Beischlaf genutzt wurden. Aus der Zeit, in der ICH noch entschied, ob ich ausgeschlafen hatte oder nicht.
Vergangene Zeit eben! Egal, zurück zum Ei.
Jetzt kam der erste kritische Moment. Denn das Fläschen stand schon rund drei Jahre im Badezimmer, unbenutzt, und das heißt auch ungeöffnet. Ich drehte am Deckel und hoffte auf ein Wunder.

Das Wunder geschah. Der Deckel ließ sich fast problemlos öffnen. Es dauerte zwar fünf Minuten und meine Zähne rächten sich für diese Zweckentfremdung noch weitere drei Tage mit Schmerzen beim Kauen, aber der Deckel war auf und das war in diesem Moment die Hauptsache. Ich nahm die ersten zwei Teile der Eierschale und fing an zu puzzeln. Sie glauben nicht, wie vorsichtig man sein muss, wenn es sich um 0.1 mm dünne Puzzleteile handelt. Als ich endlich die richtige Lage gefunden hatte, natürlich unter ständigem „Dauert´s noch lang?“, hielt ich unter leichtem Druck mit der einen Hand die ersten zwei Teile zusammen. Mit der anderen nahm ich den Kleber und ließ einem Tropfen auf die Bruchstelle laufen. Falsch! Ich wollte nur einen Tropfen auf die Bruchstelle träufeln. Raus kamen aber mehr. Glücklich darüber, dass das Zeug noch nicht eingetrocknet war, bemerkte ich erst Sekunden später, dass der Kleber mittlerweile meine Finger erreicht hatte.

Es gibt Momente im Leben einer Frau, in denen ein paar Sekunden hin oder her nicht nennenswert sind, beim Sex zum Beispiel. Wenn es sich jedoch um Nagelkleber handelt, können zwei Sekunden durchaus das Wochenende verderben. Wenn dir in diesen zwei Sekunden, in der so genannten „Kunstnagel an der richtigen Stelle auf den Finger pressen Phase“, der Nagel verrutscht, kannst du dir dein Rendezvous abschminken. Das kleine Stück Plastik klebt im rechten Winkel zu deinen übrigen Fingernägeln und sieht von oben aus wie der Schädel eines Hammerhaies. Wenn du billigen Kleber benutzt hast, hast du vielleicht noch eine kleine Chance. Vorausgesetzt, du hast mit deiner Dämlichkeit gerechnet, reagierst schnell und reißt dir das Ding unter gerade noch erträglichen Schmerzen wieder ab. Bei gutem Kleber allerdings (und Frauen mit Stil kaufen nur Solchen, denn wer will schon nach einem „One-Night-Stand“ außer einem guten Eindruck im Bett noch ein oder zwei abgefallene Kunstnägel hinterlassen?) solltest du Teewasser aufsetzen. Dann würde ich dir empfehlen, dir eine originelle und glaubhafte Ausrede einfallen zu lassen, warum du heute Abend keinen Bock auf Essen, Kino und einen romantischen Spaziergang mit einem coolem Typ und dessen knackigem Hintern hast. Danach rufst du deine beste Freundin an, die sich hoffentlich nicht mehr an deinen Vortrag von letzter Woche erinnert („Was, du gehst zu einer Nageltante? Das kann man doch selber machen! Billiger und besser!“), und versuchst die Telefonnummer ihrer Nagelmodellistin heraus zu kriegen. Wenn du Glück hast, operiert diese ausnahmsweise auch mal am Wochenende.

Aber wir waren ja beim Ei! Da klebte dieses wunderbare Ei an meinen Fingern. Oder besser gesagt: Meine wunderbaren Finger an diesem dummen Ei. Ich glaube ich hatte damals den besten Nagelkleber gekauft.
„Klebt bis zu vier Wochen!“, lautete der Slogan. Super, bis dahin ist Ostern längst vorbei!
„Dauert´s noch lang?“
Manche Fragen sind in manchen Situationen einfach unangebracht, finden Sie nicht auch?
„Mama, krieg ich mal das Ei?
Glücklicherweise konnte ich ihm klarmachen, dass das jetzt wirklich keine gute Idee sei. Ich eilte zur Schublade und nahm mein schärfstes Messer raus. Vorsichtig versuchte ich, meine 0,01 mm dicke oberste Hautschicht von der 0,1 mm dicken Eierschale abzulösen. Während dessen erklärte ich Luis, dass ich mich schon daran erinnere gesagt zu haben, dass man niemals mit einem Messer rumhantiert, es immer nach unten hält und es nur zum Apfelschälen benutzt. Auf seine Bemerkung: „Wenn du dich schneidest, bist du selber schuld!“, reagierte ich schon gar nicht mehr. Wieso müssen sie einem immer alles nachplappern?

Beim dritten Teil der Schale sollte mir dieser Fehler nicht mehr passieren. Ich holte einen Eierbecher aus dem Regal, wischte ihn mit einem Öltuch aus und legte das Ei so hinein, dass ich problemlos des letzte Stück hätte ankleben können. Hätte!!!
Ich weiß nicht wie, aber irgendwie hatte dieser Dreckskleber dieses dumme Ei trotz „Einfettung“ an diesen dämlichen Eierbecher geklebt (entschuldigen Sie bitte meine Ausdrucksweise, aber ich war wirklich fast am Verzweifeln). Da ich ja mittlerweile in der Handhabung von scharfen Messern geübt war, gelang es mir auch dieses Mal die zwei Elemente voneinander zu trennen. Leider musste ich dem Ei an den Klebestellen auf „den Pelz“, oder sagen wir besser „auf die Schale“ rücken, so dass zu den ohnehin schon vielen kleinen Löchern, zwei oder drei größere dazu kamen.
„Mein Ei sieht jetzt aus wie ein Stück Käse, mit den vielen Löchern“, sagte Luis.
Jetzt musste ich zum ersten mal lachen (und er auch), was die bisherige Stimmung des heutigen Tages deutlich hob.
„Wie ein Schweizerkäse!“, sagte ich und hob es gegen das Licht, gerade so, wie die Frau in der Werbung ihren Käse gegen die Sonne hebt.
„Mein Schweizerkäseei “, strahlte Luis und durfte sein neues, altes Kunstwerk erstmals in die Hand nehmen. Er trug es beinahe so stolz wie beim ersten Mal hinüber ins Wohnzimmer und hängte es an den Osterstrauch, wo schon mehrere selbst gefärbte Eier hingen. Ich setzte mich zufrieden und war dankbar, diesen Morgen irgendwie hinter mich gebracht zu haben.
„Sieht interessant aus, oder? Du Mama, kannst du in die anderen Eier nicht auch noch Löcher machen? So gefallen sie mir viel besser!“

Manche Fragen sind in manchen Situationen wirklich unangebracht, finden Sie nicht auch?

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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