Jürgen Berndt-Lüders

Ein blondes Verwirrspiel

Die Reservierung wäre fast nicht nötig gewesen, so leer war der Zug. Ich pflanzte mich auf meinen Platz am Fenster in Fahrtrichtung und beschloss zu schlafen. Kaum war der Zug angefahren, hatte ich eine Erscheinung, die mich hellwach machte.

 

Ich weiß nicht, ob es für Frauen interessant ist, sich von einem Mann eine Frau beschreiben zu lassen, aber ich schwelge immer noch, und deshalb wage ich es:

 

Meine Erscheinung war hellblond, etwa 165 cm groß, hatte eine 90-60-90-Figur und wuchtete ihre Reisetasche allein nach oben, bevor ich mit dem Staunen fertig war. Sie setzte sich mir gegenüber und musterte mich.

 

Ich musterte zurück, konnte aber nicht erkennen, wie das Ergebnis ihrer Musterung ausfiel. Genau deshalb rührte ich keinen noch so feinen Muskel in meinem Gesicht. Wie du mir, so ich dir, dachte ich.

 

Sie trug einen knappen Rock in beige und einen kurzärmeligen, quergestreiften  Pulli in zarten, sommerlichen Farben, und im großzügig bemessenen Ausschnitt zeigten sich zwei sehr hübsche Brüstchen, die sicherlich wenige Zentimeter weiter unten zwei hellbraune Knospen zierten. Das Tal dazwischen  ludt zu Kirschkern-Zielspucken ein, aber ich hatte keine Kirschen dabei.

 

Um ihren Attributen nicht vollständig zu verfallen konzentrierte ich meine Aufmerksamkeit auf die gescheitelten Haare. Wenn sie naturblond war, durfte nicht der winzigste Strich dunkleren Nachwuchses zu sehen sein, und das war er auch nicht. Auch die Farbe ihrer Augenbrauen deutete auf blond.

 

Eine Göttin. Der Traum eines jeden wackeren Mannes: bildhübsch, wahrscheinlich geil und strohdumm.

 

„Watt kiekste ‚n so uff meene Haare?“, fragte sie. „Ick hab keene Läuse.“

 

Sie schniefte und zog den Handrücken unter der Nase durch.

 

So ein Dialekt! Ich wäre am liebsten geflohen, aber ich beschloss, Contenance zu bewahren und abzuwarten. Ich lächelte mild.

 

„Nein, mich interessiert, ob ihre Haarfarbe echt ist“, erklärte ich wahrheitsgemäß. „Den Augenbrauen nach...“

 

„Wennde mia vor een Jahr jefracht hättest, hätt ick dir beweisen können, det ick blond bin. Aba man is ja schließlich rasiert.“

 

Diese Antwort haute mich um. Sowas von offen. Sie wechselte auch noch den Bein-Überschlag, und vor meinem Kopfkino lief die Szene in BASIC INSTINCT ab, wo Sharon Stone vor Michael Douglas ihre Instinkte demonstrierte.

 

 

Explosionsartig  war ich scharf auf sie. Sämtliche Endorphine, Serotonine und Noradrenalin schossen mir durch die Blutbahn.

 

Mein Selbstschutz setzte ein, auch ein Basic Instinkt. Am liebsten hätte ich sie angefallen, ihr die Klamotten vom Leibe gezerrt und selbst nachgesehen, ob sie rasiert war, aber jetzt erst recht nicht, dachte ich. Ich war doch keine willenlose Marionette meiner Triebe.

 

Ich beschloss, den Gentleman zu spielen, meinetwegen den Kammerdiener Ihrer Majestät, der Königin Elisabeth persönlich. Coolness und Cleverness war angesagt.

 

„Wohin reisen Sie?“, fragte ich gespielt desinteressiert und räusperte mich mit der locker gerollten Faust vor dem Mund. Richtig ekelhaft vornehm musste das aussehen.

 

„Nach München, und du?“

 

Wieder schniefte sie.

 

„Auch“, sagte ich knapp und sah aus dem Fenster, wo die Landschaft vorbei raste. Wir fuhren in einen Tunnel, ich spiegelte mich im Fenster und fand, dass ich viel zu alt aussah.

 

„Und watt machste da?“

 

„Ich besuche meinen Verleger, und Sie?“, und meine Stimme klang, als hätte ich stundenlang Wortspiele aus „my fair lady“ geübt.

 

„…in hartford, harryford and hampshire...“

 

“Ick fahr zu ‘n Casting”, sagte sie. „Ick soll mit ‚ne Rothaarige und ‚ne Schwatte zusamm singen. Sexy Girls heißt die Gruppe.“

 

Mein Gesicht schien Unglaube zu signalisieren. „Singen Sie mal bitte was“, bat sich sie.

 

Sie holte tief Luft, der Spalt zwischen ihren Brüsten vergrößerte sich und sie spitzte den Mund, wobei ihr Gesicht einen kindhaften Ausdruck annahm:

 

„Schappie, det kleene Krokodil“, sag sie.

 

„Schnappi“, verbesserte ich gönnerhaft. „Chappi ist ein Hundefutter.“

 

„Nee, ich lühje sie an“, sagte sie und schämte sich etwas. „Ick fahr janich zu’n Casting. Ick fahr zu meen Bruda in’n Knast.“

 

Das glaubte ich schon eher. „Ihr Bruder?“ fragte ich lauernd.

 

Mit „na juuut“, zog sie ihre Stimme in die Länge. „Zu meeen Freund. Der sitzt seit  zwee Jahre. Wenn ick bloß wüsste, wanna wieda raus kommt.“

 

Jetzt wechselte sie die Position ihrer Beine, aber mein schneller Blick konnte nicht erfassen, ob sie ein Höschen trug oder nicht.

 

„In welcher JVA sitzt er denn ein?“, fragte ich prüfend, obwohl ich selber keine Ahnung habe, welche Knäste es in München gibt.

 

„Also juut“, stöhnte sie. „Ooch det nich. Ick hab ‚ne Freundin, die jeht anschaffen. Die vadient juted Jeld in Schwabing. Se will mal kieken, ob se mia in de Schickimicki-Schickeria untabringen kann.“

 

Diese Erklärung passte am besten in mein Klischee und weckte gleichzeitig meine Hilfsbereitschaft und verstärkte die Gier nach blondem Fleisch.

 

„Aber Sie werden doch was Besseres als Prostitution finden. Wie wär’s denn als Begleitung für ältere Herren? Auf Veranstaltungen zum Beispiel, oder lassen Sie sich gegen Honorar als Gattin vorstellen, wenn jemand zu seinem Verleger oder Produzenten geht. So etwas hebt die Stimmung für den Autoren ungemein. Vor allem, wenn Sie sich dann noch erkenntlich zeigen. Wollen Sie nicht für mich...“

 

Ich wurde unterbrochen. Die Tür zum Abteil öffnete sich. Die Dame um die Fünfzig, die eintrat, warf einen liebevollen Blick auf ihren Schützling. Irgendwoher kannte ich die Frau. Aus dem Fernsehen vielleicht?

 

„Na, Eva? Wenn Ihnen langweilig ist, kommen Sie doch rüber. Wir diskutieren gerade das Thema, ob Schauspieler sich Wort für Wort an das Drehbuch halten sollten oder nicht.“

 

„Ach nein“, fand Eva in hervorragendem Hochdeutsch. „Praktische Übungen finde ich viel nützlicher. Da merkt man wenigstens, ob man echt wirkt oder nicht.“

 

Die Dame schaute lächelnd, aber bedauernd zu mir herüber und ich lächelte hilflos zurück...

 

Ich wechselte das Abteil.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.11.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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