Nina Lochmann

Sofias Geschenk

 

 

Draußen fiel der Schnee in dicken Flocken vom Himmel und bedeckte schon das kahle Blumenbeet und die Äste des Kirschbaumes, von dem die Kinder im Sommer immer naschen durften. Sofia saß an ihrem Tisch und schnitt gerade ein Fensterbild aus, welches das Jesuskind, umgeben von seinen Eltern Maria und Josef, in der Krippe liegend, zeigte. Das Bild sollte ihr Geschenk für die Großeltern werden, welche an Heilig Abend zu Besuch kommen und ihr hoffentlich das gewünschte und schon sehnsüchtig erwartete Puppenhaus mitbringen würden. Noch einmal Schlafen, dann war es endlich wieder soweit! Sofia war schon ganz kribbelig und hätte fast den goldenen Stern zerschnitten, der das Fensterbild verzierte. Sie legte die Schere weg, das war ihr jetzt doch zu gefährlich. Das Geschenk konnte sie auch später noch fertigstellen. Sofia öffnete ihre Zimmertür einen Spalt breit und lugte hinaus auf den Flur. Stille. Nirgends war auch nur das kleinste Geräusch auszumachen, das war seltsam. Hatte ihr die Mutter doch vorhin noch ausdrücklich gesagt, sie müsse noch sooo viel erledigen. Was genau... nun ja, das wusste Sofia auch nicht. Sie hatte nämlich nicht mehr zugehört. Hatte sich schon überlegt, was sie inzwischen tun könnte. Jetzt öffnete sie die Tür ganz und schlüpfte hindurch. Sie stieg die Treppen hinunter ins Erdgeschoss und lief ins Wohnzimmer. Auf dem Esstisch stand die Keksdose. Goldene Sterne und Monde verzierten die rote Blechdose. Sofia hob den Deckel und nahm sich eines der selbstgebackenen Plätzchen. Hmmm, das schmeckte herrlich zimtig! Gerade als sie den Deckel wieder auf die Dose legen wollte, klingelte es an der Tür? Besuch? Sofia überlegte, wer das sein könnte. "Ich geh´schon", drang da die gehetzte Stimme ihrer Mutter an ihr Ohr, die Küchentür wurde geräuschvoll geschlossen, kurz darauf die Haustür geöffnet. Der kleine Glasengel, der den Eingangsbereich zierte, zitterte im Wind. "Hallo, meine Liebe", hörte Sofia die gedämpfte Stimme, wohl vertraut. "Oma!", schoss es dem Mädchen sofort durch den Kopf. Natürlich! Ihre Mutter hatte je am Frühstückstisch noch erzählt, dass die Großeltern heute schon ankommen würden. Wegen Schneeglätte. Nun gab es kein Halten mehr. Sofia rannte auf Socken durch das Esszimmer, rutschte am Kamin im Wohnzimmer vorbei und hätte beinahe noch den Christbaum umgeworfen. "Oma! Opa!", rief sie nun, im Flur angekommen und sprang wie ein junges Känguru direkt in Opa´s Arm. Nach der freudigen Begrüßung wurden die Großeltern erst einmal hereingebeten. Mama nahm ihnen die Jacken ab und hängte sie an die Garderobe. Papa, von Sofia´s lautem Rufen angelockt, begrüßte seine Eltern und brachte anschließend ihre Koffer ins Gästezimmer. Mama führte die Großeltern ins Wohnzimmer und Sofia hüpfte fröhlich hintendrein. Eine Weile blieb sie dann auch bei den Erwachsenen sitzen, dann wurden ihr die Erwachsenen- Gespräche jedoch zu langweilig und sie verzog sich lieber, wollte in ihr Zimmer gehen, um die Weihnachtsgeschenke fertig zu bekommen, die angefangen auf dem Schreibtisch auf sie warteten. Weit jedoch kam sie nicht. Einen winzigen Spalt breit stand die Tür des Gästezimmers offen, gerade genug, dass Sofia die beiden riesigen Koffer vor dem Bett stehen sah. Bevor sie wusste, was sie da tat, war Sofia schon im Gästezimmer und schloss die Tür leise hinter sich. Sie setzt sich auf den Boden und musterte die beiden Koffer eine ganze Weile. Sollte sie wirklich einen Blick hineinwerfen? Nur einen winzig kleinen? Groß genug waren die Koffer ja, dass eine Menge Geschenke darin Platz hatten. Vorsichtig hob Sofia eine Hand und merkte dabei nicht, wie die Zimmertür geöffnet und gleich darauf wieder geschlossen wurde. Erst die Stimme ihres Großvaters ließ das Mädchen erschrocken zurückfahren. "Suchst du etwas bestimmtes?", fragte Opa und hörte sich gar nicht wütend an. Sofia sah ihren Großvater an und wollte gerade ansetzen, eine Entschuldigung zu murmeln, als der Großvater sich langsam auf dem Bett niederließ und auf den leeren Platz neben sich wies. Das schlechte Gewissen nagte an Sofia, als sie sich langsam erhob und neben den Großvater setzte. "Weißt du", begann er mit seiner beruhigend tiefen Stimme zu erzählen "du bist nicht das erst Kind, das vor dem Heiligen Abend schon seine Geschenke sucht. Dein Vater hat das auch probiert. Deine Mutter bestimmt auch. Und ich..." "Du?" fragte das Mädchen sichtlich entsetzt und schaute ihren Opa nun ganz genau an. "Ja, Sofia, so ist das nun einmal. Als Kind ist man immer neugierig auf das, was als nächstes kommt, und möchte am liebsten alles jetzt sofort wissen. Aber das ist nicht immer gut." Fragend schaute das Mädchen drein und lauschte den Erzählungen des alten Mannes. "Als ich in deinem Alter war, so ungefähr, genau weiß ich das nicht mehr, hab´ich sogar einmal mein Weihnachtsgeschenk gefunden. Meine Mutter hatte es in ihrem Kleiderschrank versteckt, liebevoll verpackt in eine Schachtel mit einer roten Schleife obendrauf. Ich konnte nicht anders und schaute hinein. Im ersten Augenblick war ich überglücklich als ich die kleine Modell- Eisenbahn sah, die ich jeden Tag im Schaufenster des Spielwarenhändlers bewundert hatte, viele Wochen lang. Dann kam der heilige Abend. Wir standen alle um den Baum herum und sangen Lieder, meine Geschwister konnten es kaum erwarten, bis die Mutter endlich mit dem kleinen Silberglöckchen die Bescherung einläuten würde. Doch ich war enttäuscht. Noch nie war die Vorfreude auf mein Geschenk ausgeblieben, doch nun wusste ich ja schon, was mich in dem kleinen Päckchen mit der roten Schleife erwartete. Verstehst du, mein Kind?" Sofia, die gebannt der Erzählung des Großvaters gelauscht hatte, verstand. Sie war ein bißchen traurig über Großvaters enttäuschenden Heiligabend und wollte so etwas auf gar keine Fall selbst erleben. Das sagte sie dem Großvater auch sogleich. "Gehen wir also wieder rüber?" fragte Großvater und legte dem Mädchen den Arm um die Schultern. "Und den anderen sagen wir nichts" flüsterte er ihr geheimnisvoll zu.

Am nächsten Abend war es endlich soweit. Sofia spürte schon den ganzen Tag dieses wohlig- warme Kribbeln im Bauch und hatte das Gefühl, dass es dieses Jahr noch viel schöner war, das Weihnachtsfest. Nachmittags waren sie in der Kirche gewesen, Mama, Papa, die Großeltern und Sofia. Sie hatten das Christkind in der Krippe liegen sehen und Lieder gesungen. Danach gab es Abendessen, Sofia konnte nicht umhin, die ganze Zeit hinüber ins Wohnzimmer zu sehen, wo die Geschenke schon unter dem Baum lagen. Nach dem Essen hatten ihre Mutter und die Großmutter das Geschirr abgespült, während Sofia ihrem Vater dabei zusah, wie er die Lichter des Christbaumes anzündete. Danach hatten sie Weihnachtslieder gesungen. Stille Nacht, vom Himmel hoch, fröhlich soll mein Herze springen. Mama hatte die Lieder auf dem Klavier begleitet. Sofia konnte den Blick nicht vom Baum lassen, der in hellem Kerzenlicht erstrahlte. Dann läutete Oma endlich das Glöckchen und Sofia´s Lieblingsabschnitt des Weihnachtsfestes konnte beginnen. Die Eltern und Großeltern hatten es sich auf der Couch bequem gemacht, während Sofia direkt neben dem Baum saß und die kleinen Namensschilder auf den Geschenken vorlas. Großzügig gab sie jedem sein Geschenk, bis sie zu der großen, in blaues Geschenkpapier eingepackten Schachtel kam, welche mit ihrem Namen versehen war. "Das ist von Großvater und mir, mein Kind", rief die Großmutter ihr zu. Sofia´s Augen strahlten. Sie schaute zu ihren Großeltern hinüber und als der Großvater ihr kaum merklich zuzwinkerte wusste sie es mit Sicherheit: Dies war ihr allerschönstes Weihnachtsfest!

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.11.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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