Jürgen Berndt-Lüders

Koma-Gaffen

Bei meinem Date mit Susanne lief alles ganz prächtig an: sie in rot, als ich ihr sagte, dass ich sie sagenhaft fände, und mein Flirtmotor, weil sie mir so gut gefiel.

 

„Wenn du so nett sein würdest, die Rechnung am Ende zu begleichen, wäre das sehr freundlich von dir. Ich bin ein bisschen knapp“, erklärte sie gleich am Anfang. „Ich konsumiere auch nicht viel“, versprach sie lächelnd.

 

Ich nickte. Es gefiel mir, dass sie so offen war und auch mit kleinen Peinlichkeiten nicht zurück zu halten schien.

 

Wir lachten und gackerten pausenlos über unsere kleinen Stories, die wir uns über gehabte Dates erzählten. Wenn die jeweiligen Kandidaten anwesend gewesen wären, um die es ging, hätten die sicherlich massiv protestiert, weil wir ganz schön übertrieben.

 

Während sie eben über den Typen lästerte, dem ein hartes Stück Tortenboden beim Versuch, den mit der Kuchengabel zu trennen, vom Teller gehopst war, lief eine hübsche Blondine vorbei. Von unten nach oben: High heels, ein langer, gestreckter Wasserfall, der in einem geblümten Minirock steckte, eine Wespentaille und eine gehörige Oberweite.

 

Susanne erzählte und erzählte und ich gaffte und gaffte. Mein Blick folgte der Blondine vom Eintritt in den Raum bis zu ihrem Austritt in den Abtritt. Susanne unterbrach ihre Beschreibung und checkte, was ich tat. Sie trat mir gegen das Schienbein und stieß dabei einen Stuhl um, den ich schnell auffing und wieder aufrichtete. Die Blondine stockte, sah sich um und lachte.

 

Wie peinlich.

 

„Das hat nichts mit Eifersucht zu tun. Was du tust ist einfach ungehörig“, meine Susanne ruhig, dem Vorwurf der Eifersucht vorbeugend, und sie erzählte weiter, als sei nichts geschehen.

 

Ich hörte nicht mehr zu, sondern überlegte, wie ich am zweckmäßigsten reagieren sollte. Sollte ich böse werden? Nein, dazu war mir Susanne zu anziehend, also versuchte ich sie zu überzeugen.

 

Als Susanne die Stimme senkte und den letzten Schluck Kaffee nahm, war auch ich soweit. Ich hielt ihr folgenden Vortrag:

 

„Schon als Kind war ich ein visueller Mensch. Ich konnte mir stundenlang schöne Einzelheiten ansehen. Im Museum die Bilder, in der Natur die Landschaft und hier im Café die bezaubernde Susanne, nämlich dich. Ich höre nebenher jedes Wort, was du sagst.

 

Ich bin ein Koma-Sattseher, ein Mensch, der alles mit den Augen abtastet und genießt. Mir entgeht nichts. Dabei mache ich zwischen dem Irischen Setter und der Deutschen Blondine vom ästhetischen Standpunkt her keinen Unterschied.“

 

Susanne sah mich zweifelnd an. „So? was habe ich denn gesagt?“

 

„Dass deine Ohrfeige nichts mit Eifersucht zu tun hätte und dass es ungehörig sei, wenn ich als Koma-Gaffer alles anglotzen müsse.“

 

„Das habe ich so...nicht ... gesagt“, meinte Susanne ruhig akzentuiert und rührte in der leeren Tasse.

 

„Möchtest du noch einen Kaffee? Vielleicht mit einem Weinbrand drin?“

 

„Warum mit Weinbrand?“

 

„Weil du immer wieder auf die Bar siehst, während du erzählst.“

 

„Gut beobachtet“, sagte sie. „Aber ich möchte lieber gehen. Gleich kommt die Blonde zurück, und...“

 

Ich verstand. Susanne wollte sich deren triumphierenden Blick nicht antun.

 

Diesmal betrat eine Brünette den Raum. Dunkler Hosenanzug, unpassende Schuhe dazu, und die Frisur sah aus wie gar keine. Ich blickte ihr hinterher.

 

„Du guckst also auch, wenn eine mit mir nicht konkurrieren kann?“

 

Das klang schon versöhnlicher. So langsam glaubte Susanne mir, dass ich Koma-Gaffer und kein Lust-Gucker war.

 

„Ich sehe eben alles. Ich kriege alles mit und fühle mich für alles zuständig.“

 

Die Kellnerin im Kleinen Schwarzen mit Brosche am rechten Busen, Mittelscheitel im schwarzen, halblangem Haar, weißer Spitzenschürze und ein Papier-Diadem auf dem Kopf brachte die Rechnung. Sie hatte versehentlich ein paar Knöpfe ihres Kleides trinkgeldheischend zu weit offen gelassen und präsentierte der Männerwelt zwanzig, dreißig Zentimeter Ausschnitt zuviel.

 

Ich ließ den Blick nicht von der Kellnerin und schob Susanne die Rechnung rüber.

 

„Ich denke, du kriegst alles mit?“ fragte Susanne, sah die Kleine kurz an und gab mir die Rechnung zurück. „Der Herr zahlt großzügig. Der Rest ist für die Show.“ Sie stand auf und verließ grußlos das Lokal.

 

Fassungslos starrte ich ihr nach und überlegte, was ich falsch gemacht haben könnte. Richtig, sie hatte mich am Anfang unseres Dates gebeten, die Rechnung zu übernehmen. Das fiel mir erst nach Stunden ein. Ich hatte es gehört, aber nicht wahr genommen.

 

Recht hatte sie, und ich schämte mich.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.11.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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