Sascha Kahl

Das rote Herz

Wie von einer fremden Kraft gesteuert, schwang sich ein schwach rötlich schimmerndes Licht in den sternenklaren Himmel empor. Es wurde von kleinen Gestalten beobachtet, welche sich in einer kargen, schneebedeckten Landschaft zu einem großen Kreis formiert hatten. Erst als dieser rote Lichtgeist kaum noch zu sehen war, orientierte er sich in westlicher Richtung und entschwand am Sternenhimmel. Die Wesen blickten sich in die Augen und begleiteten in Gedanken ihren roten Helfer, von dem ihre Rückkehr zum Heimatplaneten Xyron abhängig war. Kurz darauf sprangen sie wie an einer Perlenschnur gereiht zu einem sich am Boden befindlichen Höhleneingang und kletterten an einem Seil in eine für die Menschheit unbekannte Welt hinab ...
Jeff Roberts hatte einen arbeitsreichen Tag in seinem Büro hinter sich gebracht, als er in der Abenddämmerung mit seinem Wagen die Auffahrt seines am Rande von Atlanta gelegenen Hauses erreichte. Leicht gestresst stieg er aus und sah, dass die Häuser der Nachbarn bereits hell erleuchtet waren. Als Jeff die Haustür geöffnet hatte, musste er das Licht anschalten. Erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass seine Frau Sarah bei ihrem Vater zu Besuch war, der schon seit einiger Zeit über gesundheitliche Probleme klagte und hin und wieder Hilfe von seiner Tochter benötigte. Da Jeffs Sohn aufgrund einer Klassenfahrt ebenso unterwegs war, hatte Jeff die Möglichkeit diesen Abend ganz nach seinen Vorstellungen zu gestalten.
Gewöhnlich hätten schon die Schlemmereien seiner Frau auf dem Tisch gestanden. Heute musste Jeff sich jedoch selbst darum bemühen seinen Hunger zu stillen. Nachdem er den Kühlschrank mehr oder minder unmotiviert durchwühlt hatte, kam er zu dem Entschluss, dass er den nur zehn Gehminuten entfernten Imbiss seinen eigenen Kochkünsten eindeutig vorzog.
Um seinen Appetit noch ein wenig mehr anzuregen, entschloss er sich zu einem Umweg quer durch Stadtpark und zog sich seine Joggingsachen an. Als er sich auf den Weg machte, war es bereits dunkel auf den Straßen. Nur vereinzelt kam ihm Richtung Stadtpark ein Auto entgegen.
Nachdem er die Grünflächen des Parks erreicht hatte, konnte er die Ruhe fern des Arbeitslebens auskosten. Einzig ein auf einer Bank sitzender Stadtstreicher, der seinen Rausch auszuschlafen schien, fiel ihm während seines Dauerlaufs auf.
Einige Momente, nachdem er diesen hinter sich gelassen hatte, bekam Jeff jedoch plötzlich das Gefühl nicht mehr alleine zu sein. Obwohl er sich umschaute, konnte er im Dämmerlicht der Stadtparkbeleuchtung niemanden sehen. Das kleinste Geräusch hätte ihm aufgrund der Windstille auffallen müssen. Doch er hörte nur seinen eigenen Herzschlag. Als er sich jedoch verunsichert zum dritten Mal umdrehte, sah er von oben herab ein kleines, schwach schimmerndes rotes Licht auf ihn zukommen. Es schwebte direkt auf ihn zu, als wenn es von einer anderen Person gelenkt wurde. Wie unter Schock blieb Jeff stehen und wartete darauf, was nun geschehen würde.
Jeff hatte weder eine Vorstellung, um was es sich handeln konnte, noch hatte er irgendeine Idee, was er nun unternehmen könnte. Wie angewurzelt stand er da und bemerkte wie diese kreisrunde Lichterscheinung ihm entgegen kam. Die folgenden Momente verliefen wie in Zeitlupe. In gleichmäßigem Tempo ereichte das schwache Licht Jeff. Doch es stoppte nicht, sondern durchdrang ihn ohne Widerstand. Eine Sekunde später hatte es seinen Körper, ohne an ihm eine Wunde zu verursachen, wieder verlassen. Jeff betrachtete erst seinen Oberkörper, an dem sich nichts verändert hatte – dann wartete er auf ein Schmerzgefühl. Als auch das nicht auftrat, drehte er sich um, sah dem Licht nach und bemerkte, wie es sich wieder Richtung Himmel orientierte und nach wenigen Momenten verschwunden war. Das Licht machte sich wieder auf den Weg zu seinem Ausgangsort.
Jeff hatte für die Lichterscheinung weiterhin keinerlei Erklärung. Er wusste nur, dass etwas Unglaubliches mit ihm geschehen sein musste. Wie unter Schock setzte er seinen Weg fort und erreichte mehr stolpernd als laufend sein Ziel.
Die Musik und die vielen Leute im Imbiss konnten ihn nicht ablenken – ein Gespräch suchte er nicht. Das, was er soeben erlebt hatte, hätte ihm sowieso niemand geglaubt. Allerdings schien Jeff doch auf einige Gäste einen etwas verwirrten Eindruck zu machen, da ihn ein Tischnachbar und seine Begleitung ziemlich seltsam ansahen.
Nachdem er sein Essen ganz gegen seine Gewohnheit in sich hineingeschlungen hatte, machte er sich auf den Heimweg – nun aber auf dem kürzesten Weg die Hauptstraße entlang.
Sarah war mittlerweile vom Besuch ihres Vater wieder heimgekehrt. Sie kam Jeff entgegen, als er sich die Sportsachen auszog. Sie bemerkte sogleich an seinem Gesichtsausdruck, dass irgendetwas vorgefallen sein musste und sprach ihn an: „Wie siehst du denn aus? Ist dir der Teufel über den Weg gelaufen?“ Ganz kurz huschte aufgrund dieser ironischen Bemerkung ein Grinsen über ihr Gesicht. Doch direkt darauf folgend wurde es wieder ernst.
Jeff versuchte bei seiner Antwort überzeugend zu klingen. So richtig gelang es ihm jedoch nicht. Er entschuldigte sein merkwürdiges Verhalten mit seinem stressreichen Arbeitstag, den er auch tatsächlich gehabt hatte.
„Mein Chef war heute wieder schlecht gelaunt und hat mich von einer Ecke in die andere gehetzt. Ich habe keine Ahnung, was wieder mit ihm los war. Aber was erzähl ich dir ... du kennst ihn ja “.
Er war sich bewusst, dass er seiner Frau nicht die ganze Wahrheit erzählte. Beunruhigen wollte er sie jedoch ebenso wenig. Daher entschied er sich sein unglaubliches Erlebnis für sich zu behalten. Mittlerweile war er sich noch nicht mal mehr sicher, ob er das rote Licht im Park tatsächlich gesehen hatte, oder ob es vielleicht doch nur eine Einbildung gewesen war. Seine Frau wusste, dass er ihr etwas verschwieg. Doch sie beließ es vorerst dabei und fragte nicht weiter nach.
Nach einem unterhaltsamen, gemeinsamen Fernsehabend hatte er das Geschehene zwar noch nicht vergessen, aber er kam zu dem Entschluss, dass ihn die viele Arbeit tatsächlich überfordert haben könnte und seine Nerven ihm im Park einen Streich gespielt hatten. Leicht aufgekratzt, aber insgesamt doch mit seiner Interpretation seines Erlebnis zufrieden, schlief er fast zeitgleich mit seiner Frau, die sich an ihm ankuschelte, ein.
In der Nacht hatte Jeff jedoch einen Traum. Es war kein Alptraum, sondern vielmehr eine Botschaft. Diese war allerdings so sehr verschlüsselt, dass Jeff sich am kommenden Morgen nur noch an wenige Dinge erinnern konnte. Er sah sich im Traum als schmale Silhouette, wie er mit einigen ihm fremden Personen zusammen war. Am Ende dieses Traumes wurde ihm mitgeteilt, dass er sich eines Tages für jemanden opfern würde. Diese schicksalsträchtige Nachricht wurde ihm im Traum jedoch nicht gesagt, sondern auf eine sehr ungewöhnliche Weise übermittelt. So hatte er das Gefühl, dass er diese Botschaft in den Blicken eines Wesens lesen konnte. Die fremd blickenden Augen sah er klar und deutlich – die dazugehörige Person jedoch nur sehr schemenhaft.
Beim Frühstück dachte er sich noch, dass er das soeben Geträumte schnell vergessen könnte. Dies geschah jedoch nicht. Stattdessen wiederholten sich diese Träume in regelmäßigen Abständen und die Botschaften wurden immer deutlicher und machten ihn immer mehr zu schaffen. Oft hatte er von nun an Angst einzuschlafen, oder er wälzte sich des nachts in seinem Bett herum und wachte schweißgebadet auf. Allmählich begann Jeff sich Sorgen zu machen.
Seine Familie bemerkte seine innere Unruhe. Er entschuldigte sein Verhalten jedoch immer wieder mit dem Stress bei seiner Arbeit. Sarah war sich mittlerweile aber sicher, dass hinter dem Verhalten ihres Mannes noch mehr stecken musste. Sie hoffte darauf, dass ihr Mann sich mit seinen Sorgen ihr anvertrauen würde. Doch das geschah auch nach mehrmaligen Nachfragen nicht, obwohl sie sich ansonsten eigentlich alles erzählen konnten.
Es musste etwas geschehen: Jeff wollte weder zu einem Seelendoktor gehen, noch wollte er mit seiner Familie oder seiner Verwandtschaft über sein Erlebnis und seine Träume reden. Irgendetwas in ihm schien ihn dazu zu zwingen in die Einsamkeit zu flüchten, um sich mit diesem Traum intensiver auseinandersetzen zu können. Jeff war sich bewusst, dass er seinen Familienangehörigen nicht davon erzählen konnte, dass er oft davon träumte, dass er bald sterben könnte. Dass der Inhalt dieser Botschaft eine Vorraussagung war, die irgendwann auch tatsächlich eintreffen würde, stand für ihn nunmehr außer Zweifel. Es ging für ihn einzig noch darum, wie er in Zukunft sein Leben zu gestalten hätte.
Sein Entschluss die Familie für eine Weile zu verlassen, kam ihm sehr spontan. So hinterließ er ihr eines morgens eine kurze Nachricht auf einem Zettel, auf dem er ihnen mitteilte, dass er für zwei Wochen fortginge und, dass sie sich keine Sorgen zu machen bräuchten. Er hielt diese Variante für vernünftiger, als ein tränenreicher Abschied. Zudem blieb es ihm somit auch erspart seiner Familie einen genauen Grund für sein Fortgehen zu nennen.
Er war verständlicherweise der Überzeugung, dass er nur für eine kurze Zeit nicht bei ihnen wäre. Es sollte für ihn schließlich nur darum gehen das zuletzt Erlebte zu verarbeiten und nicht um es zu verdrängen. Jeff hoffte darauf, dass er nach seiner Rückkehr wieder seinen gewöhnlichen Alltag erleben könnte – zumindest bis zu dem Tag an dem das Schicksal sich an ihn wenden würde.
Am Tag bevor er seiner Familie diese Nachricht hinterließ, war er in ein Reisebüro gegangen, hatte sich dort einen kleinen Stapel Prospekte geschnappt und sich schließlich für einen zweiwöchigen Urlaub in Skandinavien entschieden. Einen ruhigen Ort hätte er natürlich auch in Amerika finden können. Es sollte aber etwas Besonderes sein. Jeff hatte das Gefühl, als wenn ihn seine innere Stimme zu dieser Entscheidung zwang.
An seinem Abreisetag verließ Jeff zur gewohnten Uhrzeit sein Haus, um bei Sarah keinen Verdacht aufkommen zu lassen. Er trug wie üblich einen seiner Anzüge und nahm auch seinen Aktenkoffer mit, der ein Geburtstagsgeschenk seiner Frau gewesen war. Doch statt zur Arbeit zu fahren, machte er sich auf den Weg zum Flughafen. Seine beiden Koffer und den Rucksack hatte er schon am Abend zuvor gepackt und sie mit den Skiern samt Zubehör im Kofferraum seines Zweitwagens verstaut, als Sarah wieder für eine Stunde bei ihrem Vater war. Sein Sohn, der abends gewohntermaßen vor dem Fernseher hockte, bekam von den Abreisevorbereitungen seines Vaters nichts mit.
Ein wenig nagte sein schlechtes Gewissen in ihm, doch er war sich sicher, dass er niemanden, auch seiner Frau nicht, von den zurückliegenden Erlebnissen erzählen konnte. Jeff musste daher die Gunst der Stunde nutzen. Er hatte sowieso Glück gehabt, dass ihm sein Chef diesen Urlaub so kurzfristig genehmigt hatte.
Als er das Flugzeug betrat, freute er sich auf den langen Flug. Er genoss die Aussicht und das Essen und genehmigte sich anschließend ein kleines Nickerchen. Nach einmaligen Umsteigen erreichte er an einem sonnigen Mittag schließlich den kalten Norden Europas.
Schneeflocken wirbelten durch die kalte skandinavische Luft, als sich Jeff in seinem gut beheizten Mietwagen seinem Reiseziel näherte. Das Ziel hieß Lulea, einem nur Insidern bekannten Urlaubsort in Nordschweden. Auf der schmalen, schneebedeckten Straße, kaum breit genug für zwei Fahrzeuge, ging es nur langsam voran. Gegenverkehr gab es in dieser schönen, aber verlassenen Gegend kaum, so dass er auf den letzten Kilometern die Straße fast für sich alleine hatte. Am späten Abend erreichte er dann schließlich seine etwa zehn Kilometer von Lulea entfernte für zwei Wochen gemietete Skihütte.
Als er das Gepäck aus seinem Wagen geladen hatte, stapfte er damit zu seiner neuen Behausung. Mit eingeschalteter Taschenlampe betrat Jeff den Raum, stellte Koffer und Rucksack direkt am Eingang ab und orientierte sich zum Kamin. Das Holz lag wie versprochen zum Anzünden bereit, so dass es nur noch eine Frage der Zeit war bis neben dem Licht auch die Wärme in die Hütte einkehrte. Zusätzlich standen dort noch zwei Petroleumlampen. Es war sehr rustikal, da es weder Strom, noch fließendes Wasser gab.
Nachdem er die Türen und Fenster verschlossen und die wichtigsten Sachen aus den Koffern herausgewühlt hatte, setzte er sich hin. Die Fahrt auf der ungewohnt schmalen Straße hatte viel Konzentration erfordert, so dass er sich eine Pause genehmigte. Jeff dachte im Holzstuhl sitzend an seine Familie in Amerika. Der Entschluss sie für eine Weile zu verlassen, war ihm schwer gefallen. An dessen Richtigkeit zweifelte er aber nicht im Geringsten – auch wenn er natürlich ahnte, dass sich seine Familie und die Verwandtschaft um ihn Sorgen machen würden.
Bevor er seine Gedanken vertiefen konnte, schlief er ein. Es war ein ruhiger Schlaf, denn außer ihm schien niemand diese verlassene Landschaft gesucht zu haben. Die anderen sechs Hütten waren unbewohnt. Somit hatte er hier die absolute Ruhe. Doch er war nicht völlig allein ...
Seine Frau hatte von seinem plötzlichen Weggang schon Stunden zuvor erfahren, als sie seinen Zettel fand. Ihr war das seltsame Verhalten ihres Mannes innerhalb der vergangenen Wochen zwar aufgefallen und sie wusste auch, dass es dafür einen guten Grund geben musste. Sie hatte jedoch nicht im Entferntesten daran gedacht, dass sich ihr Mann deswegen zu so einer Kurzschlussreaktion hinreißen lassen konnte und die Familie ohne Abschied verließ. Auch ein Anruf bei seinem Chef brachte sie nicht weiter. Er erzählte ihr, dass ihr Mann sich spontan zu einem Erholungsurlaub entschieden hatte. Da Jeff zuletzt viele Überstunden gemacht hatte, stand nach der Meinung des Chefs einem zweiwöchigem Urlaub nichts im Wege, obwohl er sich doch ein wenig über die Plötzlichkeit von Jeffs Entschluss gewundert hatte.
Sarah wollte es zunächst bei weiteren Nachforschungen belassen. Sie war sich absolut sicher, dass sich ihr Mann so bald wie möglich bei ihr melden würde, und wenn es nur darum ging ihr zu sagen, dass bei ihm alles in Ordnung sei.
Als Jeff am nächsten Morgen aufwachte, war es noch dunkel. Vom abends noch lodernden Kaminfeuer war nur noch wenig Glut zu sehen. Ein Griff zum Holzstapel löste dieses Problem.
Nach einem einfachen Frühstück blinzelte in weiter Ferne die Sonne durch ein Fenster – eine Sonne, die allerdings nicht im Ansatz wärmte, wie er sogleich feststellte, als er die Hütte für seinen ersten Erkundungsgang verließ.
Direkt hinter den Hütten begann ein kleines Waldstück. Als er langsam den Wald durchschritt, hörte er unter seinen Füßen das leise Knirschen des Schnees. Ansonsten herrschte absolute Stille. Selbst der Wind schien Winterschlaf zu halten. Der im Wald nur mit wenigen Zentimetern Schnee bedeckte Boden war vom unerbittlichen Frost in einen steinharten Untergrund verwandelt worden. Die Landschaft verzauberte ihn. Obwohl sie kalt und rau war, vermittelte sie ihm dennoch ein Gefühl von Geborgenheit. Auf einem kleinen Hügel stehend, genoss er den Blick auf die Natur.
Jeff ging noch einige hundert Meter weiter, bevor er sich auf den Rückweg machte. Als er wieder an seiner Hütte angekommen war, sah er in weiter Entfernung über den Baumwipfeln ein leichtes rötliches Schimmern. Er rieb sich die Augen, und schaute nochmals hin. Nun sah er allerdings nur noch den mit ein paar Wolken verzierten blauen Himmel und betrat leicht irritiert seine Hütte um sich ein wenig aufzuwärmen.
Nach einer kleinen Pause mitsamt Essen kramte Jeff die restlichen Sachen aus seinen Taschen heraus, um sie dann im geräumigen Schrank zu verstauen. Anschließend widmete er sich der Holzsuche, um sicherzugehen, dass für die nächste Nacht genügend Holz zum Nachlegen vorhanden war. Währenddessen dachte er wieder an sein zu Hause, an seine Familie, seine Verwandten. Noch war es ihm nicht möglich einen wirklich freien Gedanken zu finden.
Es war bereits später Nachmittag geworden, und die Sonne war am Horizont verschwunden. Somit wurde es allmählich Zeit die letzten Vorbereitungen für die erste große Tagestour am folgenden Morgen zu treffen. Sein Rucksack und seine Skisachen hatte er schon für den nächsten Tag bereitgelegt.
Nachdem er die Route für den nächsten Tag in Gedanken noch einmal durchgegangen war, übermannte ihn in kleinen Schritten die Müdigkeit. Im Gegensatz zum Vortag schlief er diesmal im Bett ein. Doch es war für ihn keine erholsame Nacht, da er innerhalb seiner Traumphase wieder von der immer wiederkehrenden Botschaft eingeholt wurde. Diese war im Gegensatz zu den vergangenen Wochen jedoch viel klarer.
Er sah sich in einer Höhle stehen – umgeben von einer ihm unbekannten Welt. Genaue Details konnte er zwar nicht ausmachen, aber es fiel ihm innerhalb des Traumes auf, dass vieles von einer roten Farbe umgeben war. Als ihm am Ende des Traumes wiederum mitgeteilt wurde, dass er sich opfern müsste, wachte er vom Schweiß durchnässt auf. Seine Kleidung klebte an ihm. Eine Möglichkeit zu duschen gab es in dieser Einöde nicht. So musste er sich am Waschbecken mit Schwamm, Handtuch und einer Schüssel voll Wasser erfrischen. Währenddessen ging ihm immer wieder die Botschaft durch den Kopf, denn er wusste immer noch nicht für wen und wieso er sich opfern sollte. Da sich diese Botschaft mittlerweile so sehr intensiviert hatte, konnte auch sein allgemein üblicher Optimismus nichts daran ändern, dass er sich gewiss war, dass seine Lebenszeit wahrscheinlich sehr begrenzt war.
Nach diesem mehr als schlechten Tagesanfang hoffte er nun, dass ihn seine Skitour ein wenig ablenken würde. Er hatte sich schon im Flugzeug auf die hier so ursprüngliche Natur gefreut, und von seinen immer wiederkehrenden Träumen wollte er sich diese Freude nicht verderben lassen.
Jeff hatte genügend Proviant in seinen Rucksack gepackt, so dass einer langen Skitour nichts im Wege stand. Im Gegensatz zum Vortag zog es ihn diesmal auf einen Feldweg, auf dem seine Skier im Tiefschnee viel Arbeit zu verrichten hatten. Eine Loipe fand er nicht vor – nur Spuren von Tieren, die den Weg gekreuzt hatten.
Obwohl das Vorwärtskommen keineswegs erholsam war, schaffte es Jeff nun zum ersten Mal seinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Er dachte an seine Frau, von der er sich ebenso wie von seinem Sohn nicht richtig hatte verabschieden können, und er dachte an seinen Traum, der für ihn ein fester Bestandteil seines Lebens geworden war. Jeff überlegte sich wie, wann und ob überhaupt er seiner Familie über das Bevorstehende berichten sollte. Erst langsam keimte in ihm die Hoffnung auf, dass er nach diesen zwei Wochen eine Antwort auf seine in ihm brennende Frage bekommen würde.
Als sich seine Gedanken mehr und mehr seinen vergangenen Wochen widmeten, bemerkte er nach zwei Stunden, dass sein Körper nach einer Pause verlangte. Er entledigte sich seiner Skier und legte sie neben einen großen Stein auf den er sich setzte, um dort ein wenig zu verschnaufen. Es war bereits Mittag – die Sonne hatte sich mittlerweile hinter einer großen Wolkenfront verkrochen. Nachdem es anfangs nur nach einem leichten Wetterwechsel ausgesehen hatte, schien sich nun tatsächlich ein Schneesturm anzukündigen. Die Windstille hatte sich schon seit einer Stunde in einen böigen Wind verwandelt. Da sich Jeff einerseits auf den Weg konzentriert hatte und andererseits an seine Familie und seinen Traum gedacht hatte, waren ihm die ersten Vorreiter des Sturms jedoch nicht aufgefallen.
Es fing an zu schneien und kräftige Böen peitschten Jeff ins Gesicht. An einen Rückmarsch war nicht mehr zu denken – zu weit war er schon von seiner Hütte entfernt. Somit musste er sich nach dieser viel zu kurzen Pause nach einem Unterschlupf umsehen. Einzelne Hütten oder gar Orte gab es hier nicht – das wusste er anhand seiner Karten. Da er auch die Waldzone weit hinter sich gelassen hatte, gab es für ihn in dieser hügeligen Landschaft nur die Möglichkeit nach einem Felsvorsprung zu suchen.
Er durfte keine Zeit verlieren, schnallte seine Skier wieder an und orientierte sich zielstrebig in Richtung eines kleinen Berges, der etwa einen Kilometer entfernt war. Der Himmel über diesem Berg war fast schwarz – als wenn es Nacht wäre. Der Schneefall verstärkte sich, und die Sicht wurde in dieser Dunkelheit immer schlechter. Obwohl er sich dem Berg immer mehr näherte, waren von ihm zunächst nur grobe Konturen zu erkennen.
Letztendlich erreichte er aber sein Ziel. Ein Platz zum Unterstellen schien nicht in Sicht, wie er erschüttert feststellen musste. Auf allen Seiten des Berges kreisten Schneewirbel, als wenn sie Jeff zum Tanz auffordern wollten. Sie schwangen sich in zirkulierenden Bewegungen empor und schienen Jeff in ihren Bann ziehen zu wollen. Doch für solche Naturschauspiele hatte Jeff keine Zeit.
Der Berg schien dem Wetter schutzlos ausgeliefert zu sein. Tausende von Schneestürmen hatte er schon über sich ergehen lassen und gerade diese unberechenbaren Kräfte der Natur hatten den Berg zu dem formen lassen, was er jetzt war. Das Felsenungetüm genoss die Urgewalten. Sie gaben ihm Energie in dieser so lebensfeindlichen Welt.
Für Menschen wie Jeff war dieser Berg jedoch ein Ort, der einem Energie entzog. Seine Kräfte schwanden immer mehr, und so ließ ihn allein die Hoffnung doch noch einen Unterschlupf zu finden am Leben. Schritt für Schritt ging er vorwärts. Seine Skier und den Rucksack hatte er bereits beiseite geworfen. Nirgends gab es die Möglichkeit sich unterzustellen, denn die Bergwände waren innerhalb vieler tausend Jahre so sehr von den rauen Winden abgeschliffen worden, so dass der Berg mit ein wenig Phantasie fast wie eine bizarre Pyramide wirkte.
Nachdem Jeff den Berg fast umrundet hatte, sah er, als er nach unten blickte – das Zeitgefühl hatte er bereits verloren – völlig unerwartet einen kleinen Eingang. Die Öffnung des Berges war direkt am Boden. Sie war sehr klein – doch gerade groß genug, dass ein Erwachsener sich mit etwas Mühe durchzwängen konnte.
Obwohl Jeff kaum noch Kraft hatte, war er doch vorsichtig genug um sich zu vergewissern, in was für eine Gefahr er sich begeben würde, wenn er diese scheinbar kleine Höhle betreten würde. Er senkte seinen Kopf nach unten um zu sehen wie groß und wie tief dieser scheinbare Fluchtweg war. Es war jedoch nichts zu sehen. Das wenige Licht, welches ihm die Natur während des Schneesturms spendete, genügte nicht, um sich Gewissheit zu verschaffen.
Das Wetter entwickelte sich jedoch mittlerweile zu einem unbezwingbaren Gegner. Somit gab es für Jeff nur die Möglichkeit einer weiteren Flucht. Erst die Flucht vor seiner Familie und seinen Problemen und nun musste er auch noch vor der Natur fliehen.
Da der Boden der Höhle nicht zu sehen war, kroch er mit den Beinen voran in diesen unbekannten Raum. Ganz vorsichtig glitt er hinab – einen festen Untergrund konnten seine Füße jedoch nicht finden.
Zuletzt musste er sich gar mit beiden Händen am steinigen Eingang festhalten. Sein gesamter Körper befand sich abwärtshängend in diesem Raum der Finsternis.
Seine Kräfte ließen immer mehr nach. Die Höhle verlassen konnte er nicht mehr, da der Ausgang innerhalb weniger Momente zugeschneit war, und seinen gesamten Körper noch einmal nach oben zu stemmen ... nein, das schaffte er nicht mehr.
Als er begann sich mit seinem vermeintlichen Tod zu befassen, brach der Felsbrocken, an dem er sich festhielt, in sich zusammen. In freiem Fall stürzte Jeff nach unten in ein völlig schwarzes Nichts. Für Sekundenbruchteile dachte er an seine Familie. Dann versank er in einer schwarzen Welt aus der eine Rückkehr unmöglich schien.
Die Wesen aus einer fremden Welt spürten es sogleich, als Jeff ihr Reich betrat. Obwohl sie ihn sehnlichst erwarteten, waren sie doch überrascht, dass der Kontakt mit ihm so schnell zu Stande kommen würde. Sogleich schickten sie einen ihrer roten Lichtgeister in seine Richtung, um ihm den Weg zu zeigen. Dieses fremde, hochentwickelte Volk verfügte über sehr viel Wissen, und doch wussten sie nicht, ob die Kontaktaufnahme mit Jeff den erhofften Erfolg haben würde. Ihr erster direkter Kontakt mit einem Menschen stand bevor ...
Währenddessen nahmen Sarahs Sorgen zu, da die erhoffte Meldung ihres Mannes ausblieb. So begann sie die Schubladen und Schränke zu durchsuchen, um Hinweise darauf zu bekommen wohin die Reise ihres Mannes gegangen ist. Doch die Suche blieb erfolglos, so dass sie sich am kommenden Tag bei allen sich in der Nähe befindlichen Reisebüros erkundigte, ob Jeff eine Reise bei ihnen gebucht hatte. Zunächst gab es für sie allerdings keinerlei Erfolgsmeldungen – Jeff schien wie vom Erdboden verschluckt.
Jeff hatte jedoch Glück im Unglück. Mit starken Kopfschmerzen wachte er in völliger Dunkelheit auf. Als er sich an seinen Hinterkopf fasste, spürte er etwas Feuchtes – Blut. Trotz alledem war er froh, dass er den Sturz in die Tiefe überhaupt überlebt hatte.
Nun saß er in völliger Dunkelheit in einer Höhle – ohne Essen und ohne Aussicht den zugeschneiten Ausgang zu erreichen. Der Höhlenboden war tiefgefroren. Einzig seine dicke Winterjacke schien ihn am Leben gehalten zu haben.
Jeff musste in dieser Unterwelt schnell handeln und tastete sich zielstrebig, aber dennoch vorsichtig, mit seinen Händen vorwärts bis er eine Steinwand erreicht hatte. Nun machte er einen Schritt nach dem anderen und hoffte darauf einen Gang zu finden, der ihn wieder an das Tageslicht führen könnte.
Es stellte sich heraus, dass es sich um einen kleinen Höhlenraum handelte, da er schon nach wenigen Minuten den Rundgang beendet hatte. Das bemerkte er, als er wieder den Steinhaufen erreicht hatte, neben dem er aufgewacht war. An den anderen Stellen der Höhle war er auf keinerlei Geröll gestoßen. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass von diesem Höhlenraum ein etwa ein Meter breiter Gang abzugehen schien. Dies war für ihn also die einzige Möglichkeit einen Ausweg zu finden.
Da die Decke dieses Ganges nur einen guten Meter hoch war, musste er sich auf allen Vieren voran bewegen – nicht wissend, ob ein weiterer tiefer Abgrund auf ihn warten könnte. Die Kopfschmerzen ließen allmählich nach.
Die Dunkelheit hielt ihn fest in ihrem Bann. Da es keinerlei Abzweigungen gab, hoffte er, dass ihn dieser eine Weg irgendwann zurück zum Tageslicht führen würde. Hin und wieder stieß er sich mit seiner Schulter, manchmal auch mit seinem Oberkopf, am spitzen Gestein.
Minute um Minute verging. Er war sich mittlerweile sicher, dass er sich längst nicht mehr unter dem Berg befand, in den er gekrochen war. Und dieser Berg und seine Gänge wollten ihn anscheinend nicht mehr freilassen. Beim Vorwärtskommen spürte er nämlich, dass es immer weiter abwärts ging. Da es aber nur diesen einen Weg zu geben schien und der Ausgang in der kleinen Höhle nicht erreichbar war, gab es für ihn keine andere Möglichkeit als weiter in die Dunkelheit hinabzusteigen.
In Gedanken versunken schwirrte in dieser völligen Finsternis urplötzlich ein kleines rotes Licht vor seinen Augen herum. Doch es verschwand genau so schnell, wie es aufgetaucht war. Zuerst dachte Jeff, dass er sich das eingebildet hatte oder seine Nerven nicht mehr mitspielten, was aufgrund dieser Situation auch nicht verwunderlich gewesen wäre. Doch kaum fünf Minuten später bewegte sich vor ihm wieder ein kleines kreisförmiges Licht – diesmal allerdings nicht so schnell, wie das erste. Somit wusste er jetzt, dass es sich soeben nicht um eine Einbildung gehandelt hatte. Er schaute sich das Licht an – es wirkte irgendwie plastisch. Und so unglaublich Jeffs Gedanke war, so hatte er doch das Gefühl, als wenn ihn diese Erscheinung beobachtete.
Erst jetzt stellte er fest, dass er dieses rote Etwas kannte. Doch wieso erblickte er das Licht, welches er im Stadtpark erstmals gesehen hatte, gerade in dieser Höhle, fern seiner Heimat, wieder? Eine logische Erklärung fiel ihm nicht ein, und die gab es seiner Meinung nach auch nicht.
Während dieser wenigen Sekunden hatte er die Möglichkeit sich den Gang etwas genauer zu betrachten. Der Gang war nicht aus dem üblichen Gestein, so wie man es hätte erwarten können, sondern aus einem metallisch schimmernden Mineral, welches er noch nie gesehen hatte. Doch bevor er sich darüber genauere Gedanken machen konnte, war das Licht wieder verschwunden.
Jeff war von dieser Begegnung ebenso fasziniert wie erschrocken. Da ihn die Dunkelheit wieder vollkommen eingehüllt hatte, musste er seinen Weg fortsetzen. Er hatte noch genügend Kraft und die Kopfverletzung war nicht bedrohlich. Trotzdem durfte er keine Zeit verlieren. Schließlich wusste er nicht, wie lange er noch benötigen würde, bis er einen Ausgang finden würde – sofern es überhaupt einen gab. So kroch er Meter für Meter immer weiter hinein in eine für ihn unbekannte Welt.
Es verging eine lange Zeit, bis er in weiter Ferne wieder einen Hauch von Licht erblicken konnte. In diesem Fall handelte es sich jedoch nicht um eine kleine kreisförmige Lichterscheinung, sondern um eine großflächige Aufhellung, die, je mehr er sich ihr näherte, immer stärker wurde. Einerseits spürte Jeff erste Hoffnung in sich aufkommen, andererseits war er sich sicher, dass es kein Tageslicht sein konnte. In dieser Tiefe war dies völlig ausgeschlossen. Doch nicht nur die Helligkeit nahm zu – auch die Kälte wich auf unerklärliche Weise. Seine Hoffnung vermischte sich mit Neugierde, aber auch mit Angst. Handelte es sich eventuell um Höhlenforscher, die auf der Suche nach wertvollen Mineralien waren? Doch woher kam dann diese Wärme? Und eine Erklärung für die Lichterscheinungen wäre das ebenso wenig gewesen.
Mittlerweile hatte Jeff die Lichtquelle nahezu erreicht. Aus einem Felsspalt ragte ein langer durchdringender Lichtstrahl. Ganz vorsichtig näherte er sich dem Spalt und schaute in völliger Unkenntnis, was seine Augen nun erblicken würden, durch ihn hindurch.
Während der ersten Sekunden sah er nichts – zu sehr wurde er geblendet. Doch nur wenig später sah er einen mit weißem Licht durchfluteten Höhlenraum, und er sah Wesen. Ein anderer Begriff fiel ihm nicht ein. Jeff war völlig verwirrt und blickte für eine Weile hinter sich, um das soeben Gesehene zu verarbeiten. Er war für einige Minuten wie weggetreten. Vor einigen Stunden noch dem Tode nahe, hatte er nun eine fremde Welt erblickt.
Obwohl er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte, keimte in ihm urplötzlich das Gefühl auf, dass ihn seine Träume einholten. Wie in seinem Traum befand er sich in einer Höhle, das viele Rot spiegelte sich in der roten Lichterscheinung wieder und die Personen, die er innerhalb der Botschaften nie genau hatte erkennen können, schienen diese Wesen zu sein ... . Er war sich sicher, das es sich um Außerirdische handeln musste.
Die außerirdischen Wesen hatten von der Ankunft von Jeff schon seit geraumer Zeit gewusst. Einer ihrer Lichtgeister hatte ihn auf seiner langen Reise über diesen Planeten durchdrungen und in ihm eine Botschaft verwurzelt, die ihn schließlich, wenn auch früher als erwartet, in ihr Reich geführt hatte. Die Ankunft des Menschen war für die Außerirdischen lebensnotwendig.
Eines dieser Wesen trat mit leisen, langsamen Schritten auf Jeff zu. Zuerst schien Jeff es gar nicht zu bemerken. Doch als ihn das unbekannte Etwas per Gedankenaustausch begrüßte, zuckte er in sich zusammen und schaute fassungslos den Außerirdischen an. „Du brauchst keine Angst vor uns zu haben“, wurde ihm auf lautlose Weise mitgeteilt. Aus etwa drei Metern Entfernung machte das ihm fremde Individuum einen weiteren Schritt in seine Richtung, worauf Jeff zurückwich. Eine Flucht in die Dunkelheit war für ihn jedoch aussichtslos. Er kauerte sich in die Ecke und sah sich in alle Richtungen um, als wenn er kurz davor wäre seinen Verstand zu verlieren. Seine Augenbrauen zuckten und die Blicke von ihm wanderten unkontrolliert umher.
Jeff ahnte nicht, dass der Außerirdische in seinen Gedanken lesen konnte. Tausende von Gefühlen huschten durch Jeffs Kopf – zu viele wie es schien. Er wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort aus sich heraus und ließ seinen Kopf wieder verzweifelt sinken. Dann ging der Außerirdische wieder zurück in die Höhle. Für eine Weile wurde Jeff mit seiner Angst allein gelassen.
Besonders das Aussehen dieses Wesens ließ Jeff in seinem Innersten erschaudern. Mit einem Menschen hatte es wahrlich nicht viel Ähnlichkeit. Es hatte weder Ohren, noch einen Mund. Dessen glänzende, graugrüne Haut spiegelte sich für menschliche Augen ungewöhnlich im Licht dieser für ihn so fremden Welt.
Ganz wurde Jeff jedoch nicht allein gelassen. Zur Beobachtung wohnten ihm zwei Lichtgeister bei, die ihm bereits den Weg zur Haupthöhle gezeigt hatten. Sie schwirrten um ihn herum. Doch er wollte sie nicht sehen und schloss die Augen, um alles um sich herum zu vergessen. Sein Zustand ließ es zunächst nicht zu sich in den Schlaf zu flüchten. Erst als sich sein Körper gegen das Wachsein wehrte, gab Jeff den Widerstand auf und schlief ein.
Als er wieder aufwachte, saß wieder derselbe Außerirdische vor ihm. Jeff wich zunächst wieder zurück. Doch er beruhigte sich relativ schnell und schaute das Wesen intensiv an. Nach diesem ersten wirklichen Blickkontakt stand es plötzlich auf und schritt Richtung Spalte um die Haupthöhle seines Reiches zu betreten. „Folge mir“ teilte der Außerirdische ihm mit, und wieder war Jeff davon irritiert, dass er Informationen vom Wesen aufnahm ohne etwas zu hören. Nach kurzem Überlegen folgte er der grünen Kreatur mit unbeholfenen Schritten und zittrigen Knien in gehörigem Abstand.
Als sie die schmale Spalte durchschritten hatten, wurde Jeff wiederum geblendet. Er hielt für eine kurze Weile seine Hände vor die Augen, bis sie sich an das für Menschen ungewohnt grelle Licht gewöhnt hatten. Einige Sekunden später sah er sie alle, wie sie ihn gespannt betrachteten. Seine Blicke wanderten über ihre Körper und trafen sich schließlich. Seine Angst war scheinbar auch für die Außerirdischen unverkennbar. Daher verzichteten sie auf plötzliche Bewegungen.
Untereinander kommunizierten die Außerirdischen in regem Maße. Doch Jeff ließen sie vorerst außen vor und gaben ihm keinerlei weitere Informationen, damit er sich, sofern das für ihn möglich war, ungestört mit dieser für ihn so unfassbaren Situation auseinander setzen konnte.
Jeff blickte den Wesen in die unmenschlichen Augen. Sie waren kleiner als menschliche Augen und wirkten fast leblos. Er konnte keinerlei Gefühle in ihnen erkennen. Er ließ seine Blicke durch die Höhle wandern und erblickte Maschinen, die für ihn völlig fremd wirkten. Sie hatten dieselbe außergewöhnliche Farbe wie die Höhlenwände und schienen aus Tausenden verschiedener Einzelteile zu bestehen. Der Nutzen dieser Roboter ähnelnden Maschinen war für Jeff nicht im Entferntesten zu erahnen.
Ganz langsam schritt Jeff durch eine Welt, die bisher noch kein menschliches Auge erblickt hatte. Die Wesen folgten ihm. Hin und wieder blickte Jeff zurück, um sich zu vergewissern, dass er nicht unvorbereitet von hinten angegriffen werden könnte.
Als er diese bizarren Maschinen betrachtet hatte, richteten sich seine Blicke wieder auf das für ihn so fremde Volk. Er war von deren Aussehen nach wie vor geschockt. Zu seiner Beruhigung waren diese Wesen aber zumindest viel kleiner als er selbst. Sie waren alle kaum größer als ein Meter.
Doch dieses Volk unterschied sich von den Menschen noch durch viele weitere Dinge. Das Skelett und auch die inneren Organe schimmerten durch ihre leicht durchsichtige Haut hindurch. Für Jeff wirkte es völlig surreal. Besonders fasziniert war er jedoch von ihren Herzen, die zwar wie beim Menschen im gleichmäßigem Rhythmus schlugen, aber unterschiedliche Farben besaßen. Sie waren weiß, gelb, rot, grün, blau oder schwarz.
Den Grund für diese Verschiedenfarbigkeit wurde ihm von einem Außerirdischem mit gelbem Herzen per Gedankenaustausch erklärt, der wie auch die anderen das Interesse von Jeff bemerkt hatte. Fasziniert und doch eingeschüchtert nahm er die Informationen vom Außerirdischen in sich auf.
„Unser Volk besteht aus sechs Gruppen, und jede ist ein fester Bestandteil unserer Gemeinschaft. Die Farben zeigen jeweils, zu welcher Unterart wir gehören. Jede besitzt einige sehr spezielle Fähigkeiten“, wurde Jeff vom Außerirdischen über ganz elementare Dinge dieses Volkes aufgeklärt.
Dass die Außerirdischen ihn nicht nur per Gedankenübertragung Informationen zukommen ließen, sondern auch in seinen Gedanken lesen konnten, verwirrte Jeff zusätzlich. Er bemerkte, dass sie sich ausschließlich auf diese Weise verständigten. Das erklärte auch, wieso sie keinerlei Münder und Ohren besaßen.
Ganz langsam wich die Angst in Jeff. Allmählich bekam er das Gefühl, dass diese Wesen mit ihm nichts Böses beabsichtigten. Ansonsten hätten sie ihm mit Sicherheit nicht so viel über sich erzählt. Den Außerirdischen zu vertrauen – dazu war er aber lange noch nicht bereit. Er hatte allerdings nicht das Gefühl, dass sein Leben unmittelbar bedroht war.
Das fremde Volk schien seine zurückgehende Angst zu spüren und versuchte seine Neugierde, die ebenso fast greifbar war, zu stillen, indem es ihm noch ein wenig mehr von sich erzählte.
„Wir leben schon seit einigen Menschengenerationen auf diesem Planeten. Auf einer unserer unzähligen Expeditionen entdeckten wir diesen für uns so auffälligen, bunten Stern und landeten hier, um zu erkunden, ob er für uns von Nutzen sein könnte. Um unentdeckt zu bleiben, suchten wir auf der Erde nach einem Flecken, der unbewohnt schien. Da sich nach einiger Zeit jedoch herausstellte, dass ein unbeobachtetes Leben an der Erdoberfläche nicht möglich war, mussten wir uns einen unterirdischen Lebensraum suchen. Wir untersuchten die Erdmaterialien und fanden heraus, dass davon viele für uns völlig fremd, faszinierend und somit von höchstem Interesse waren“.
Jeff wurden diese Details im wahrsten Sinne des Wortes in sein Gehirn übertragen. Er lauschte weiterhin den Dingen, die sie ihm zukommen ließen. Erst jetzt bemerkte er, dass die letzten Informationen von einem Außerirdischen kamen, der rund drei Meter von ihm entfernt stand. Sein Blick war im Gegensatz zu den anderen viel intensiver. Zudem fiel ihm auf, dass es sich wiederum um einen Außerirdischen mit gelbem Herzen handelte. Jeff fragte sich, ob das einen besonderen Grund haben könnte.
Unmittelbar nachdem er diese Vermutung zu Ende gedacht hatte, wurde seine Frage auch bereits beantwortet. Jeff hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass diese Wesen in seinen Gedanken lesen konnten. So wurde ihm erzählt, dass nur die Untergruppe mit gelben Herzen die Fähigkeit besaß sich mit fremden Völkern, also auch mit Menschen, zu verständigen.
Anschließend wurden Jeffs Fragen nach und nach beantwortet – er lauschte gespannt.
„Als die Rückkehr zu unserem Heimatplaneten Xyron bevor stand, starb ein großer Teil von uns an einer Krankheit, die von einem tierischen Wesen übertragen worden war. Somit waren wir dazu gezwungen noch eine längere Zeit fern der Heimat zu leben, da die siebenundzwanzig Übriggebliebenen vorerst viel zu geschwächt waren, um einen Rückflug starten zu können. Und weitere Probleme kamen noch hinzu. Daher konnte das Raumschiff, welches wir, um es im Erdinneren aufbewahren zu können, in alle Einzelteile auseinandernehmen mussten, bisher nicht gestartet werden. Ein Kontakt zu unserem Heimatplaneten ist uns aufgrund der zu großen Entfernung nicht möglich. Da weibliche Angehörige unseres Volkes an unseren Expeditionen aus traditionellen Gründen nicht teilnehmen dürfen, besteht für uns auch nicht die Möglichkeit der Fortpflanzung“.
Plötzlich näherte sich ihm ein weiterer Außerirdischer – dieser hatte ein grünes Herz. Die auffällige Kopfverletzung von Jeff schien ihn zu interessieren, denn er schaute ihm nicht ins Gesicht, sondern einzig auf seine Wunde. Er hatte eine Salbe in der Hand und beabsichtigte diese auf Jeffs Wunde zu streichen.
„Das ist einer unserer Mediziner. Er kennt auf jede ihm bekannte Krankheit und Verletzung eine Antwort. Daher ist deine Kopfverletzung für ihn eine Kleinigkeit. In wenigen Sekunden wirst du nichts mehr spüren“, berichtete ihm einer der gelbherzigen Außerirdischen.
Ganz langsam bückte sich Jeff und senkte seinen Kopf nach unten. Nur so konnte der Mediziner seine Wunde erreichen. Und tatsächlich: Wenige Sekunden nachdem ihm die Salbe verabreicht wurde, war sie geheilt. Völlig erstaunt fasste Jeff an die Stelle, die noch bis vor kurzem geschmerzt hatte. Nicht nur, dass er keine Schmerzen mehr hatte – er hatte sogar dass Gefühl, dass dort nie eine Verletzung gewesen wäre. Nicht mal eine Schwellung war mehr zu erahnen.
Nach diesem Informationsüberschuss merkte Jeff wie sein Körper nach einer weiteren Ruhepause verlangte. Zwei Außerirdische, denen seine Gedanken natürlich nicht unverborgen geblieben waren, zeigten ihm einen kleinen abgedunkelten Raum, und er verstand sofort, was man von ihm wollte. Obwohl er bereits nach seinem Schockerlebnis vor der Haupthöhle ein wenig geschlafen hatte, übermannte ihn der Schlaf nun innerhalb kurzer Zeit.
Die Lichtgeister wachten währenddessen über ihn. Sie dienten, wie Jeff mittlerweile erfahren hatte, in erster Linie als Kundschafter und Wachposten. Auf der Erdoberfläche schwirren sie fast unsichtbar umher – erst unter der Erde entfalten sie ihre volle Farbenpracht. Um gegen die fast aussichtslose Lage seiner Meister etwas zu unternehmen, hatte eines dieser Lichtphänomene allerdings eine Sonderaufgabe bekommen. So sollte es Ausschau nach einem Menschen halten, der ihre Notlage beseitigen könnte. Sie vertrauten dabei dem Prinzip Zufall, da man bisher noch keinen wirklichen Kontakt mit Menschen gehabt hatte. Die einzige Bedingung war, dass es sich um einen gesunden Menschen mittleren Alters handeln musste. Auch hiervon erfuhr Jeff. Er wunderte sich nach wie vor, dass die Außerirdischen ihn mit so vielen Informationen überschütteten.
Als Jeff nach seiner Pause seinen Ruheraum verließ, wurde ihm ein Energiekonzentrat angeboten, welches von den Außerirdischen in der Wachstumszeit aus Pflanzen hergestellt worden war. Wie bei der Auswahl des Menschen, hatten die Außerirdischen auch bei der Zusammenstellung des Substrates praktisch keinerlei Erfahrung. So stellten sie diesen Energielieferanten aus über einhundert verschiedenen Kräutern und Früchten zusammen. Die Flüssigkeit steckte voller Vitamine und Mineralstoffe, wie sie bei ihrer vorherigen Analyse festgestellt hatten. Allerdings waren sie sich noch im Unklaren, ob ihr menschlicher Gast die Kombination dieser vielen Stoffe vertragen würde.
Für die Bewohner von Xyron war diese Flüssigkeit nur von geringem Nutzen, da das Konzentrat, welches sie für sich selbst herstellten, eine völlig andere Zusammensetzung hatte. Zudem nahmen sie die Flüssigkeit nicht wie der Mensch über den Mund zu sich, sondern über ihre sich am Hals befindliche Öffnung. Dazu wurde ein kleines Gerät welches das Konzentrat bereits enthielt in die Öffnung gesteckt. Mit einem Knopfdruck wurde die Flüssigkeit vom Körper aufgenommen.
Zunächst roch Jeff misstrauisch am leicht bräunlichen Konzentrat. Dann nahm er davon einen kleinen Schluck und wartete. Schon nach wenigen Momenten spürte er, wie er wieder zu Kräften kam und das ließ ihn wiederum darauf schließen, dass er sich nicht in unmittelbarer Gefahr befand. Ganz allmählich bekam Jeff immer mehr Vertrauen zu diesen Wesen. Was sie genau von ihm wollten, wusste er aber noch nicht, obwohl ihm diese Frage nicht aus dem Kopf ging. Im Gegensatz zu seinen vielen anderen Fragen, die ihn durch den Kopf huschten, wurde ihm der Grund, warum er sich hier befand, nicht beantwortet. Auch auf die Frage, ob er die Höhle demnächst verlassen könnte, erntete er nicht nur akustisches, sondern auch gedankliches Schweigen.
Nachdem es ihm wieder ein wenig besser ging, wurde seine Neugierde ein weiteres Mal gestillt. Nun wurde ihm bis ins kleinste Detail erläutert wie ihre Maschinen funktionierten mit denen sie die verschiedensten Erdmaterialien untersuchten. Die kräftigen Arbeiter, die schwarze Gruppe, war für den Abbau und den Transport der Steine verantwortlich. Sie waren mit mordernstem Werkzeug ausgestattet, welches es ihnen ermöglichte auch massives Gestein ohne Mühen zu zerkleinern. Dieses Material lieferte ihnen die so notwendige Energie für ihre Belüftungs- und Lichtanlagen. Zusätzlich wurden Elemente aus dem Gestein gefiltert, die für die Energiekonzentrate benötigt wurden.
Die nur knapp dreißigköpfige Gemeinschaft wirkte nur von außen so stark und geschlossen, wie Jeff allmählich feststellte. In Wirklichkeit handelte es sich um ein empfindliches System, welches durch äußere Einflüsse leicht in sich zusammenfallen konnte. Genau in einer solchen Notsituation befanden sich die Außerirdischen momentan. Jeff war nach wie vor von der Offenheit der fremden Wesen überrascht – besonders davon, dass sie ihm jetzt sogar von ihren Schwächen berichteten.
Eine ihrer Unterarten bestand nämlich nur noch aus einem Individuum. Es handelte sich um die rote Gruppe, die eine Fertigkeit besaß, die im Vergleich zu den anderen relativ unspektakulär wirkte, aber dennoch lebensnotwendig war. Diese Unterart sorgte für die Harmonie in dieser doch recht übersichtlichen Gemeinschaft. Sie war sozusagen der ausgleichende Pol und brachte Herzlichkeit in diese so abgeschottete Welt. Myloss, so hieß der noch verbliebene Vertreter dieser Gruppe, war allerdings schon sehr alt – auf Menschenjahre umgerechnet etwa 630 Jahre.
Der gelbherzige Außerirdische erzählte noch einiges mehr von seinem Volk: „Wenn jemand auf unserem Heimatplaneten ein sehr hohes Alter erreicht – das ist daran zu erkennen, dass die Farbe des Herzens verblasst – ist dies Anlass sich von unserer Gemeinschaft zu verabschieden. Ihm wird dann innerhalb einer feierlichen Zeremonie ein Mittel verabreicht, welches ihn in einen Schlaf fallen lässt, aus dem er nicht mehr aufwacht. Dieser Ablauf ist bei uns strengste Tradition und muss eigentlich ohne Ausnahme eingehalten werden“.
Da sich das erdfremde Volk aber in einer Notlage befand und Myloss nunmehr hier der einzige seiner Art war, mussten die Außerirdischen notgedrungen gegen diese Tradition verstoßen, da es ansonsten für alle den Tod bedeutet hätte. Diese Situation war bereits mehrmals aufgetreten. So zum Beispiel als eine kleinere Gruppe sich auf einer Erkundungstour durch eines der vielen Sonnensysteme befand. Von diesem tragischen Vorfall erfuhren die Nachfahren aus alten Aufzeichnungen, die sie in einer verborgenen Höhle auf Xyron gefunden hatten.
Als nach einem Unfall innerhalb dieses Expeditionsteams die intelligenteste Gruppe – die mit den weißen Herzen – ausgelöscht wurde, starben innerhalb kurzer Zeit auch die anderen Besatzungsmitglieder. Zwar gaben die Übriggebliebenen während ihres sogleich begonnenen Rückfluges einen Hilferuf ab – das Rettungsteam erreichte sie allerdings zu spät. Kurz bevor die um Hilfe Rufenden starben, hielten sie jedoch in einigen Sätzen fest, was mit ihnen geschah. Sie schilderten, dass sich eine unendliche Leere in ihren Köpfen ausbreitete. Die Intelligenz, für welche die weißherzige Gruppe zuständig war, fehlte nun und ließ in nur kurzer Zeit das logische Denken der gesamten Besatzung verschwinden. Dies zeigte sich auch deutlich in den Aufzeichnungen, da sich die Fehleranzahl beim Fortschreiben des Textes immer mehr erhöhte. Der letzte Satz blieb unvollendet. Deren Gehirne stellten ihre Arbeit ein, sodass auch der restliche Körper kurz darauf seinen Dienst versagte. Innerhalb kurzer Zeit starben sie. Wiederbelebungsversuche waren zwecklos.
Myloss war nun jedoch so alt, dass sein natürlicher Tod kurz bevorstand, wodurch die an sich schon bedrohliche Situation noch verschärft wurde. Ein gleichwertiger Ersatz musste daher gefunden werden und zwar schnell.
Der einzige Übriggebliebene der rotherzigen Gruppe war nicht für die Intelligenz verantwortlich. Es wurde aber befürchtet, dass sein Tod zur Folge hätte, dass die gesamte Gemeinschaft aufgrund seiner fehlenden Harmoniewellen in eine gefühlskalte Welt hinabfallen würde, in der sie sich innerhalb kürzester Zeit durch Streit und der daraus folgenden Gewalt gegenseitig vernichteten.
Dass Jeff die Position von Myloss einnehmen sollte, durfte er aus Sicht der Außerirdischen selbstverständlich noch nicht erfahren. So versuchten sie ihn in kleinen, unauffälligen Schritten auf seine Aufgabe vorzubereiten. Jeff ahnte von diesem Vorhaben noch nichts.
Nachdem Jeff nun einiges über Myloss erfahren hatte, wurde ihm dieser nun vorgestellt. Das Schimmern seiner Haut war fast verschwunden, und auch sein rotes Herz schlug nicht mehr in gleichmäßigem Rhythmus. Selbst Jeff blieben die Folgen des fortschreitenden Alterungsprozesses nicht verborgen.
Doch bevor er weiteres über dieses spezielle Mitglied dieser Gemeinschaft erfahren wollte, versuchte er es ein weiteres Mal mit seiner Frage, wann er wieder an die Erdoberfläche zurück könnte. Doch wiederholt blieb ihm eine Antwort verwehrt. Resigniert und fast schon gleichgültig verließ er die Stelle, wohin man ihn geführt hatte, und er setzte sich geistesabwesend in eine Ecke. Er war zwar fasziniert von dieser ihm so fremden Welt – gleichzeitig machte er sich aber intensiv darüber Gedanken, ob er wieder in sein altes Leben zurückkehren könnte. Allmählich kam er zu dem Resultat, dass es und für ihn eventuell keine Rückkehr zu seiner Familie geben würde. Tränen kullerten ihm die Wange hinunter.
Die Außerirdischen sahen ihm diesen Gedankenwandel an. Gerade in dieser emotionalen Situation verstanden sie es ihm keinerlei Anzeichen dafür zu geben, dass er mit seiner pessimistischen Vermutung richtig lag. Da sich Myloss Zustand jedoch täglich verschlechterte, galt es für die Außerirdischen erste Vorbereitungen zu treffen.
Der menschliche Gast musste die Position von Myloss einnehmen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Da der Mensch und das Xyronvolk zumindest in der Grundstruktur einige Parallelen vorzuweisen hatten, sollte Jeff nun zu einem von ihnen gemacht werden.
Die Außerirdischen gaben ihm viele weitere Informationen per Gedankenübertragung, vermieden es aber strikt Anzeichen für ihren Umwandlungsplan zu geben. Wenngleich: Eine Flucht war für ihn sowieso unmöglich, da er ständig von den Lichtgeistern beobachtet wurde. Zudem gab nur einen einzigen Geheimweg an die Erdoberfläche, und dieser war für das menschliche Auge praktisch unsichtbar.
Um Jeff in einen zu den ihrigen zu verwandeln, verabreichten sie ihm von nun an bei den Nahrungsaufnahmen ein zusätzliches geschmacksneutrales Mittel, welches den Umwandlungsprozess innerhalb weniger Tage ermöglichen sollte.
Mittlerweile wurde Jeff auch die sechste, die blaue Gruppe, vorgestellt. Es handelte sich hierbei um die Techniker, die für alle von den Außerirdischen genutzten Maschinen verantwortlich waren. Sie nahmen zudem auch die Pilotenpositionen ein, da sich niemand besser als sie mit dem Raumschiff auskannte. Allerdings war vom Raumschiff momentan nicht viel zu erkennen, da es zum Teil bis ins kleinste Detail auseinandergebaut worden war.
Zwei Tage nachdem Jeff das Mittel eingenommen hatte, stellten sich erste Veränderungen bei ihm ein. Seine Haut verlor seine rosige Farbe und veränderte sich in ein blasses Grau. Die Lippen und seine Ohren verloren völlig ihre Farbe, so dass sie schon nach kurzer Zeit wie ein lebloses Anhängsel an ihm wirkten.
Da es in dieser Höhle keine Spiegel gab in denen sich Jeff betrachten konnte, bemerkte er von diesen Veränderungen zunächst nichts. Doch als er nach drei Tagen feststellte, dass sich sein Körper auf unerklärliche Weise veränderte, stiegen in ihm bisher nie gekannte Ängste auf. Seine Hände und Füße begannen sich nämlich für ihn auf ungewöhnliche Weise zu verändern. Er wurde schmaler und schrumpfte in sich zusammen, sodass ihm seine Kleidung nicht mehr passte und er wie die Außerirdischen sozusagen nackt herumlaufen musste.
„Du wirst in naher Zukunft einer von den unsrigen sein. Du hast nichts zu befürchten. Dir wird es bei uns an nichts fehlen“, wurde ihm nun, wo es für ihn sowieso kein Zurück mehr gab, auf emotionslose Weise per Gedankenübertragung berichtet. Fassungslosigkeit stieg in Jeff auf – ganz besonders, als er zudem davon erfuhr, dass es einer ihrer Lichtgeister war, der in seinen Gedanken und Träumen die Botschaft verankert hatte, die ihn schließlich in dieses fremde Reich geführt hatte.
Am fünften Tag war der Verwandlungsprozess weit fortgeschritten Der Blicks in Jeffs Augen hatte sich entmenschlicht und sein Mund war bis auf eine kleine übriggebliebene Öffnung verschwunden. Seine Ohren waren auch bereits abgefallen.
Nachdem Jeff innerhalb dieser Tage aufgrund dieser elementaren körperlichen Veränderungen regelrecht von Schockwellen durchschüttelt wurde, normalisierte sich sein Zustand vom sechsten Tag an. Nun verstand er plötzlich die Botschaft innerhalb seiner vielen Träume. Er wusste jetzt, wieso er hier war und immer wieder mit Myloss zusammen gebracht wurde. Es war für ihn jetzt Gewissheit, dass er die Position von Myloss einzunehmen hatte und sich somit tatsächlich opfern würde. Er würde zwar nicht sein Leben verlieren, aber auf jeden Fall seine menschliche Vergangenheit.
Obwohl es aussichtslos war, versuchte er sich gegen die Vorstellung ein unmenschliches Wesen zu werden zu wehren. Wieder dachte er an seine Familie – doch Tränen kullerten ihn diesmal nicht hinab. Er spürte, dass er eine weitere menschliche Fähigkeit verloren hatte: Er konnte nicht mehr weinen.
Sein Leiden war ihm trotzdem anzusehen, da sein Herz sehr schnell und ebenso unrhythmisch schlug. Dies war mittlerweile unverkennbar, da seine Haut die Organe und das Skelett bereits durchscheinen ließ.
Der Zustand von Myloss verschlechterte sich. Jeff bemerkte wie die Außerirdischen – er fragte sich bereits, ob er selbst nicht schon einer war – immer hektischer wurden. Man sah ihnen die Befürchtung regelrecht an, dass Myloss aller Voraussicht nach innerhalb der nächsten Tage sterben würde. Sogar das Herz des alten Außerirdischen, welches unregelmäßig schlug, hatte mittlerweile seine übliche Farbe verloren. Dessen Rot verblasste immer mehr.
Genauso wie sich seine Konstitution verschlechterte, genauso ließ auch seine unverwechselbare Wirkung nach. Die Gemeinschaft bekam erste Risse. Immer öfter gab es nun Streitigkeiten, die sich ansonsten nie ergeben hätten. Zumeist waren die Auseinandersetzungen nur von kurzer Dauer, da Myloss seine Kräfte zumindest noch vereinzelt einsetzen konnte.
Mittlerweile wusste Jeff, dass ihm ein zusätzliches Mittel verabreicht worden war. Er hatte es allerdings auch schon geahnt und musste nun versuchen sich seinem Schicksal zu fügen.
Während dieser für Jeff so schweren Zeit lernte er Myloss immer näher kennen. Zu Beginn musste einer der gelbherzigen Außerirdischen das Gespräch zwischen Jeff und Myloss leiten, da die beiden nicht miteinander kommunizieren konnten. Trotz seines körperlich fortgeschrittenen Stadiums, hatte Jeff noch lange nicht den gesamten Umwandlungsprozess durchlaufen.
In den Gesprächen, die zunächst stets zu dritt geführt werden mussten, spürte auch Myloss, dass seine Kräfte immer mehr schwanden. Trotz dieses Zustands, schaffte er es innerhalb weniger Tage ein wirkliches Vertrauen zu Jeff aufzubauen.
Zunächst erklärte Myloss Jeff noch weitere ganz allgemeine Dinge über sein Volk. Doch schon bald begann er ihm aufzuzeigen, welche Aufgaben er zukünftig in dieser Gemeinschaft zu erfüllen hatte.
Myloss wollte Jeff nach und nach in die Geheimnisse seiner Magie einweihen. Die Magie, über die dieser Außerirdische verfügte, war noch weit größer, als es Jeff je zu ahnen gewagt hätte. So sorgte der alte Außerirdische nicht nur innerhalb der Gemeinschaft für ein friedliches miteinander. Seine Magie wirkte sich auch auf die weitere Umgebung von ihm aus – nicht nur auf die Höhle. Er war ein regelrechter Schutzpatron für alle friedlichen Wesen, die sich in seinem Wirkungskreis von mehreren Kilometern bewegten. Myloss war es auch, der dafür gesorgt hatte, dass der Sturz von Jeff, als er die Höhle betrat, einigermaßen glimpflich verlaufen war. Ansonsten hätte Jeff wohl schon seit Tagen unentdeckt tot auf dem kalten Steinboden gelegen.
Nach dieser Information rotierte Jeffs Gehirn wieder auf Hochtouren. Einerseits waren die Außerirdischen dafür verantwortlich, dass er seine Familie anscheinend nie wiedersehen würde. Andererseits verdankte er Myloss sein Leben.
Trotzdem kam ein Gefühl von Dankbarkeit nur im Ansatz bei Jeff auf. Schließlich hatten sie ihn in diese missliche Situation gebracht. Auch sein Verständnis, dass die Außerirdischen zum Überleben menschliche Hilfe benötigten, hielt sich in Grenzen. Obwohl sein Herz schon fast das eines Außerirdischen war, waren seine Gefühle nach wie vor sehr menschlich. Die Gedanken an seine Familie und die Gefühle, die er für sie empfand, konnte und wollte er nicht unterdrücken. Nichts desto trotz galt es für ihn sich mit ganz anderen Dingen zu beschäftigen, damit er und die Außerirdischen eine Zukunft hatten. Doch hatte Jeff als Außerirdischer überhaupt eine Zukunft? ...
Sarah hatte währenddessen jedes Reisebüro in Atlanta nach dem Reiseziel ihres Mannes befragt und schließlich sein Reiseziel erfahren. Nun wusste sie, dass er sich in Skandinavien aufhielt. Allerdings hatte sie keine Ahnung was er dort wollte, geschweige denn, wie es ihm ging. Für sie gab es nur einen Ausweg: Sie musste Jeff folgen. Sie hatte die schlimmsten Befürchtungen ...
Einige der menschlichen Gewohnheiten hatte Jeff mittlerweile verloren. Dafür nahm er nun Verhaltensweisen der Außerirdischen an. Zwar nahm er seine Nahrung nach wie vor durch seinen Mund zu sich – dies fiel ihm jedoch von Tag zu Tag schwerer, da seine Mundöffnung immer schmaler wurde. Mittlerweile wurde die Beigabe der zusätzlichen Substanz vermindert. Stattdessen wurden diesem Nahrungskonzentrat Anteile des eigens für das Xyronvolk gedachten Präparates hinzugefügt. Parallel zur Rückbildung des Mundes begann sich die kleine Öffnung an seinem Hals zu bilden, die für die Außerirdischen so charakteristisch war. Auch sein Sprachvermögen hatte er fast verloren.
Da sich neben seinen Ohrmuscheln, die schon längst abgefallen waren, auch seine Gehörgänge schlossen, musste er nun die Fähigkeit des Gedankenaustauschs erlernen. Dafür waren die Wesen mit den gelben Herzen verantwortlich.
Anfangs gab es erwartungsgemäß noch einige Missverständnisse. Trotzdem waren schon nach wenigen Stunden erste Fortschritte erkennbar, so dass es Jeff bald möglich war ohne fremde Hilfe mit Myloss zu kommunizieren. Jeff konnte somit die Informationen von Myloss ohne Umwege aufnehmen.
In diese Lernphase hinein näherte sich aber das von allen schon seit längerem befürchtete Unheil. Da Myloss sich darauf konzentrieren musste sein Wissen an Jeff weiterzugeben, war er kaum noch in der Lage seine Kräfte an die Gemeinschaft weiterzugeben. Somit breitete sich langsam ein Schleier der Missgunst aus, da die Harmonie immer mehr versiechte. Der Beginn der seelischen Dunkelheit begann, als die schwarzen Arbeiter ihre Tätigkeiten ruhen ließen, da sie der Meinung waren, dass ihre Arbeit nicht in ausreichendem Maße gewürdigt wurde.
Die Arbeiter wurden immer mehr zu Einzelgängern und begannen den Kontakt zu den anderen immer mehr einzustellen. Problematisch war zudem, dass aufgrund ihrer Arbeitsniederlegung die Energiereserven nicht weiter aufgefüllt werden konnten, so dass sie in absehbarer Zeit versiegen würden. Davon waren die Nahrungssubstrate ebenso betroffen wie die Licht- und Belüftungsreserven. Die Existenz der gesamten Gemeinschaft stand also mehr denn je auf dem Spiel.
Mit Vernunft war den Arbeitern nicht beizukommen und mit Gewalt erst recht nicht, da dies bei diesem außerirdischen Volk strikt verboten war. Das war allein schon daran zu erkennen, dass keinerlei Waffen zu sehen waren. Dieser Umstand war Jeff schon sehr früh aufgefallen und war zu Beginn zumindest ein kleines Anzeichen dafür, dass sein Leben nicht bedroht wurde.
Jeffs Herz war nach wie vor farblos. Dies war ein sicheres Zeichen dafür, dass er noch nicht genügend von Myloss gelernt hatte. Er lernte nun aber viele Zaubersprüche, die er zum Ausüben seiner künftigen Aufgabe benötigen würde.
Selbst während dieser schon so fortgeschrittenen Phase fragte sich Jeff, ob dies alles nicht doch ein Traum sei. Doch immer wenn er seinen Körper betrachtete, wurde ihm die harte und ebenso unglaubliche Realität vor Augen geführt.
Neben den vielen Gesprächen mit Myloss, die dem Zwecke des Lernens dienten, stellte er vereinzelt auch Fragen, die seine unmittelbare Zukunft betrafen: „Myloss, ich weiß, dass ihr meine Anwesenheit benötigt. Wenn ihr mit meiner Hilfe wieder auf eurem Heimatplaneten seid, könntet ihr mich doch wieder zurückschicken. Vielleicht gibt es sogar ein Mittel, dass mich wieder zu einen Menschen zurück entwickeln kann ...“.
Die Reaktion von Myloss war allerdings, zumindest wenn es um solche Fragen ging, sehr schroff und keineswegs hoffnungsvoll: „Du bist der erste Mensch, den wir zu einen von unseren verwandelt haben. Wir waren uns noch nicht einmal sicher, ob der Verwandlungsprozess zu unserer Zufriedenheit verlaufen würde. Für uns ging es nur um die Ver- und nicht um die Rückwandlung“.
Mit dieser Hoffnungslosigkeit allein gelassen, widmete er sich, ob er nun wollte oder nicht, den Lehrinhalten von Myloss und versuchte das gesamte Wissen, mitsamt den vielen komplizierten Formeln, in sich aufzunehmen.
Als er diese dann schließlich beherrschte, begann allerdings erst der Kernpunkt des Lernens. Myloss zeigte ihm jetzt Rituale, die ihm mit vielen Dingen vertraut machen sollten, von denen nur die Vertreter der roten Gruppe wussten. Mit Hilfe dieser Rituale vermochte es Myloss zum Beispiel gewöhnliche Steine in Lichtgeister zu verwandeln. Er nahm sich dafür einfach einen gewöhnlichen Stein, legte ihn vor sich auf den Boden und sagte eine seiner kurzen, aber für Menschen fast unaussprechlichen Formeln auf. Innerhalb kurzer Zeit begann der Stein zu vibrieren und sich dann in das übliche rote Licht zu verwandeln, welches Jeff mittlerweile hinlänglich kannte. Da nur Myloss diese Zauberkraft besaß, war dies auch die Erklärung dafür, dass die Lichtgeister ausschließlich rot waren.
Jeff wurde nun klar, welche unglaubliche Macht in diesem kleinen Wesen schlummerte. Es fiel ihm jedoch schwer daran zu glauben, dass er in naher Zukunft selbst über diese unglaublichen Fähigkeiten verfügen würde.
Während die Kraftreserven von Myloss allmählich zur Neige gingen, wurde die Situation in der Höhle immer bedrohlicher. Einzig Myloss und Jeff blieben noch vom Fehlen der Harmonie verschont.
In diese sich vermehrenden verbalen Streitigkeiten mischten sich nun auch immer mehr Aggressionen.
Die Blicke untereinander wurden immer ernster, die Herzen schlugen immer wilder und die Gedanken widmeten sich immer mehr Dingen zu, die für das Xyronvolk ansonsten völlig unbekannt waren.
Vor den schwarzen Arbeitern musste man sich nun verstärkt hüten. Sie waren eigentlich nur noch unter sich, und wer sich ihnen in den Weg stellte, oder auch nur in ihre Nähe kam, wurde mit wütenden Blicken oder gar ersten Rempeleien konfrontiert.
Selbst die Weisen vermochten nun nicht mehr ihre scheinbar unendlichen Fähigkeiten einsetzen zu können, da deren Gedanken nicht mehr frei waren. In ihren Köpfen begann ein Chaos zu entstehen, da sie ihre Weisheit nicht mehr weitergeben konnten und sich in ihnen aufstaute. Ihre Blicke wurden immer wirrer. Sie schienen einem Kollaps nahe zu sein.
Es zeigte sich schnell, dass die Weisen nun sogar zu einer noch größeren Bedrohung wurden als die Arbeiter. Bevor dagegen etwas unternehmen werden konnte, bestätigte sich diese Befürchtung. Einer der vier Weisen, er hieß Ajran, setzte in einem unbeobachteten Moment seine gesamten Kräfte ein, kauerte sich auf den Boden und begann eine Art Ritual, welches den anderen fünf Untergruppen zuvor völlig unbekannt war.
Seine Augen leuchteten auf, sein Herz schlug doppelt so schnell als sonst, und seine Gedanken verflüchteten sich in der gesamten Höhle. Aus seinem Innersten schienen weiße Fäden den Raum zu durchfluten. Wie alle sogleich feststellen mussten waren sie nicht gedacht, sondern Wirklichkeit. Sie streckten sich den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft entgegen. Seine gesamte Intelligenz floss aus ihm heraus. Es waren lange, milchigweiße Fäden, die, ohne eine Wunde bei ihm zu hinterlassen, aus seinem Kopf entrannen.
Es zeigte sich, dass es sich um kein normales Ritual, sondern um einen Selbstzerstörungsprozess handelte. Ajrans Körper fiel langsam ich sich zusammen. Seine Kräfte verließen ihn genauso wie seine Intelligenz. Kurz bevor er zusammenbrach, durchrüttelte ihn noch ein letzter Energieschub, dessen Ergebnis ein letzter großer Schwall weißer Fäden war, der gegen die Höhlendecke sprang.
Dann hatte das grausame Schauspiel ein Ende. Völlig entkräftet sank Ajran in sich zusammen. Seine Augen wirkten leer und sein Herz war farblos. Die anderen drei Weisen brachen ebenso in sich zusammen, allerdings ohne die Folgen, die Ajran, ob bewusst oder unbewusst, über sich ergehen ließ und die schließlich zu seinem Tode führten.
Auch Jeff und Myloss mussten Ajrans Schicksal tatenlos zusehen. Gegen eine so selbst zerstörerische Energie hätte Myloss nur etwas unternehmen können, wenn er seine gesamte Lebenskraft hätte einsetzen können. Die ihm noch verbliebenen Kräfte sollten aber für Jeff von Nutzen sein. Ansonsten hätte es innerhalb weniger Stunden für die gesamte Gemeinschaft den Tod bedeutet.
Die anderen drei Weisen erholten sich nur langsam, was nichts zuletzt daran lag, dass auch die Mediziner unter dieser sich stets verschlechternden Situation litten und somit nicht in der Lage waren ihr gesamtes Können abzurufen. Im Vergleich zu den meisten anderen schienen sie aber noch voll zurechnungsfähig zu sein.
Während des stets fortlaufenden Lernprozesses färbte sich Jeffs Herz plötzlich leuchtend rot und schlug sehr kräftig. Die vielen Informationen von Myloss hatten dafür gesorgt, dass Jeff sich zu einem Mitglied der rotherzigen Gruppe verwandelt hatte.
Nun schien das Schlimmste überstanden zu sein, da er nun endgültig einer von ihnen war und somit seine Kräfte einsetzen konnte, damit die bedrohliche Situation bald ein Ende hatte.
Im selben Moment, als Jeff sich nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich zu einem Außerirdischen verwandelt hatte, befand sich seine Frau im Flugzeug in Richtung Skandinavien. Ihren Sohn hatte sie bei Verwandten unterbringen können. Zwar versuchte die Verwandtschaft ihr klarzumachen, dass ihre Suche im Norden Europas praktisch aussichtslos wäre – sie ließ sich jedoch nicht von ihrer Entscheidung abbringen. Immerhin wusste sie, dass sich ihr Mann für zwei Wochen eine Hütte in der Nähe von Lulea gemietet hatte.
Als Jeffs Herz regelrecht aufzublühen schien, neigte sich das Leben von Myloss dem Ende entgegen. Nachdem er sich zuletzt sitzend mit Jeff unterhalten hatte, ließ er sich nun in seinen Ruheraum bringen. Er hatte keine Kraft mehr diesen Weg ohne fremde Hilfe zu gehen. So wurde er von Jeff und einem Mediziner begleitet, der scheinbar unbemerkt eine kleine Spritze bei sich trug. Jeff, der im Gegensatz zu den anderen völlig klar bei Gedanken war, fragte den Mediziner was nun geschehen würde. Dieser antwortete in kurzen Sätzen: „Myloss wird jetzt sterben – es geht nicht anders – er hat seine Pflicht erfüllt ...“.
Langsam legten sie Myloss auf seinen Ruheplatz und begannen mit der traditionellen Zeremonie. Auch die anderen Mitglieder der Gemeinschaft versammelten sich um ihren sterbenden Genossen. Die gesamte Missgunst und Gewalt schien nie an diesem Ort existiert zu haben. Von ganz allein setzte Jeff seine Energien ein und brachte die für diese Gemeinschaft so wichtige Harmonie zurück, so dass die sechsundzwanzig noch Lebenden, inklusive Jeff, wieder hoffen konnten.
Nun begann der Sterbeprozess des völlig entkräfteten Myloss, der auf die Spritze des Mediziners wartete. Diese Injizierung hätte es laut Tradition schon vor einigen Jahren geben müssen. Nur die besonderen Umstände hatten sein Leben verlängert. Doch als ihm das Serum nun verabreicht wurde, konnte Myloss sich endlich fallen lassen. Die vergangene Zeit war für ihn mehr eine Qual als ein Segen gewesen, da er ganz allein für die Harmonie in der Gemeinschaft verantwortlich gewesen war.
Seine Augen waren bereits geschlossen, als sein Herz immer langsamer schlug, die Haut wurde sehr blass und verlor an Farbe. Jeff rechnete damit, dass Myloss jeden Moment sterben würde. Doch plötzlich geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Aus allen Richtungen schwärmten nun die Jeff stets begleitenden roten Lichtgeister heran. Es waren Duzende, und sie tanzten über ihrem Meister eine Art Todestanz. Zunächst hielten sie sich an der Decke auf. Dann sanken sie ihrem Gebieter spiralförmig entgegen.
Sie tauchten in Myloss hinab – genau in sein Herz und ließen es ein letztes Mal aufleuchten. Da sich schließlich alle Lichtgeister im Herzen befanden, war die Lichtkraft außergewöhnlich und sorgte dafür, dass die gesamte Gemeinschaft ein wenig Abstand suchte. Einer der Weisen sagte zu Jeff: „Normalerweise hat jeder dieser Art nur ein oder zwei Lichtgeister. Da Myloss aber für lange Zeit der einzige Rotherzige war, war auch die Anzahl der Lichtgeister um ein Vielfaches höher. Dass die Lichtgeister beim Tod ihres Meisters in seinem Herzen ihren Frieden finden wollen, ist uns zwar bekannt. Diese enorme Menge an Lichtgeistern und die daraus resultierende Helligkeit ist für uns alle aber etwas völlig Fremdes“.
Die Helligkeit war tatsächlich atemberaubend. Obwohl die Augen der Außerirdischen ansonsten mehr oder minder ausdruckslos waren, schaffte es dieses Schauspiel einen Hauch von Faszination in ihr Gesicht zu zaubern. Doch dieser Moment war nur kurzer Dauer, da innerhalb eines Sekundenbruchteils das Herz von Myloss samt der vielen Lichtgeister im wahrsten Sinne des Wortes erlosch. Es wurde farblos, und das Leben wich aus seinem Körper.
Während dieser Sterbephase gab es keinerlei Gedankenaustausch zwischen den Außerirdischen, da alle gespannt auf ihren treuen Gefährten geschaut hatten.
Nun, wo Myloss gestorben war, galt es erste Vorbereitungen für die Rückkehr zum Planeten Xyron zu treffen, da der Harmoniepart innerhalb dieser Gemeinschaft wieder gesichert war.
Viele der Fähigkeiten, die Jeff von Myloss gelernt hatte, verselbständigten sich regelrecht. Ganz besonders die Harmoniewellen verbreiteten sich wie von selbst innerhalb seines Wirkungskreises, so dass wieder Frieden und Ruhe in die Gemeinschaft einkehren konnten.
Während die Außerirdischen sich ihrem Ziel, dem Verlassen dieses Planeten in Richtung Heimat, immer mehr näherten, war Jeffs Frau in Lulea angelangt, wo sie sich nach dem Standort der Hütten erkundigte, wo sie ihren Mann erhoffte. Da die Bevölkerung Luleas ihre Heimat in und auswendig kannten, fiel es ihnen nicht schwer Sarah eine genaue Beschreibung des Weges mitzugeben. Per Mietwagen machte sie sich auf den Weg zu den Hütten. Obwohl sie nur noch wenige Kilometer von der Behausung ihres Mannes entfernt war, spürte sie in ihrem Innersten, dass sie Jeff dort nicht einfach antreffen würde. Sie war sich sicher, dass in den vergangenen Tagen etwas vorgefallen sein musste, das Jeffs und wohl auch ihr Leben grundlegend verändert haben musste. Ansonsten, auch in diesem Punkt war sie unbeirrt, hätte ihr Mann sich mit Sicherheit schon vor einigen Tagen bei ihr gemeldet.
Die Arbeiter begannen mittlerweile sich die in den benachbarten Höhlenräumen befindlichen Einzelteile des Raumschiffs heranzuholen. Dazu gesellten sich die Techniker, die nach den vielen Jahren des Verharrens endlich ihrer Arbeit nachgehen konnten.
Jeff schaute interessiert zu – konnte den Technikern jedoch nicht helfen. Genaugenommen tat er schon genug, indem er dafür sorgte, dass die Gemeinschaft wieder intakt war. Dafür musste er zu seiner Verwunderung weiterhin nichts tun, denn seine Harmoniewellen verteilten sich ohne Mühen in der Höhle und in den Herzen der anderen Außerirdischen.
Erst jetzt wurde es Jeff richtig bewusst, dass er einer von ihnen geworden war. Er sah zweifellos wie ein Wesen eines fremden Planeten aus und hatte auch praktisch allen Fähigkeiten eines Menschen verloren wie zum Beispiel das Sprechen, das Hören und das Weinen.
Eine Fähigkeit hatte er jedoch keineswegs verloren, denn er dachte nach wie vor wie ein Mensch – hatte nun aber zusätzlich viele Fähigkeiten eines Außerirdischen. Auch sein Erinnerungsvermögen war von seinem Verwandlungsprozess nicht betroffen.
So wichtig es ihm war, dass er sich an alles vergangene erinnerte, so schmerzlich war es aber auch, da er genau wusste, dass es für ihn kein Zurück mehr geben würde.
Mit dem Schneesturm und der Einkehr in dieses Reich hatte er sozusagen mit seinem menschlichen Dasein abgeschlossen und ein neues (besseres?) Leben begonnen.
Das Verbindungsglied zwischen Menschsein und Nichtmenschsein war Myloss, für den er sein menschliches Leben aufgegeben hatte. Es schien alles Vorbestimmung gewesen zu sein. Jeff lebte jetzt das aus, was seine Träume ihm schemenhaft angedeutet hatten.
Der Zusammenbau des Raumschiffes gestaltete sich aufwendiger als erwartet. Die kleineren Bestandteile konnten zwar problemlos in der Höhle zusammengeschraubt werden – doch es zeigte sich schnell, dass der Großteil der Arbeit nicht in dieser Höhle, sondern an der Erdoberfläche geschehen musste. Es war unmöglich das gesamte Fahrzeug in der Höhle zu belassen und dann von dort zu starten.
Nach knapp zwei Wochen bekam Jeff somit die Möglichkeit das Tageslicht wiederzusehen. Er würde es aber nicht als Mensch, sondern als Außerirdischer betrachten.
Vor der Verwandlung hätte er diese Möglichkeit ohne Zweifel zur Flucht genutzt. Nun hatte er aber keinerlei Wahl, als sich den Bemühungen der anderen anzuschließen. Doch bevor er wirklich wieder die Sonne sehen konnte, wurde ihm jetzt der Geheimgang gezeigt, der ihn und seine Gefährten nach draußen führen würde und zugleich der Weg war, den die einzelnen Teile des Raumschiffes zurückzulegen hatten.
Da die Gefahr bestand, dass die Außerirdischen während des Zusammenbaus des Raumschiffs beobachtet werden würden, galt es nun Überlegungen zu treffen, wie der Ablauf im einzelnen auszusehen hatte. Nach reichlicher Überlegung entschlossen sie sich den Bau des Gefährts so weit wie möglich voranschreiten zu lassen. So versuchte man die Kleinteile zusammenzubauen. Erst die Fertigstellung sollte dann in aller Schnelle an der Erdoberfläche – und zwar nachts – geschehen.
Jeff fand keinerlei Ablenkung, die eigentlich notwendig gewesen wäre. Daher widmeten sich seine Gedanken zum wiederholten Male seiner Familie, die er nie wiedersehen würde. Er war sich sicher, dass Sarah schon längst auf der Suche nach ihm war. Genauso dachte er aber auch, dass sie den amerikanischen Kontinent noch gar nicht verlassen hatte.
Sofern der Abflug des Raumschiffs erfolgreich verlaufen würde, hätte er seiner Familie noch nicht einmal einen Abschiedsgruß geben können. Wie ein Geistesblitz schoss ihm aber sogleich eine Idee durch den Kopf, denn das, was Myloss und sein Lichtgeist mit ihm gemacht hatten, konnte Jeff doch jetzt auch bei seiner Frau anwenden. Schließlich hatte er selbst jetzt die Fähigkeit Botschaften per Lichtgeist zu verschicken, und wenn Myloss das konnte, dann müsste er nach Aneignung seiner Fähigkeiten, so dachte Jeff, das doch eigentlich auch schaffen können.
Sogleich zog er sich in einen kleinen unbeobachteten Ruheraum zurück. Noch war er sich nicht sicher, ob er tatsächlich einen einfachen Stein in einen Lichtgeist verwandeln konnte. Doch bereits als er den kleinen Felsbrocken, der einfach so auf dem Boden gelegen hatte, ansah, hatte er keinerlei Zweifel daran, dass er seiner Frau eine Botschaft schicken konnte.
Er setze sich hin und sprach die notwendig Formel. Sogleich lief derselbe Prozess ab, wie er ihn schon gesehen hatte als Myloss einen Lichtgeist erschaffen hatte. Für einen kurzen Moment schrumpfte der Stein in sich zusammen und nahm dann wieder dieselbe Größe an – nun aber rötlich gefärbt. Innerhalb weniger Sekunden verlor er seine Plastizität und wurde zum Lichtgeist.
Nun musste Jeff den Lichtgeist nur noch per Gedankenübertragung mit Informationen füllen und ihm mitteilen an wen genau er die Botschaft zu senden hatte.
Jeff hatte natürlich keinerlei Ahnung, dass sich Sarah nur noch wenige Kilometer entfernt von ihm aufhielt und nach ihm suchte. Sarah hingegen spürte, dass mit ihrem Mann etwas geschehen war. Ebenso war sie sich aber auch sicher, dass er noch lebte. Daher setzte sie alle möglichen Mühen daran ihren Mann nach der tagelangen Suche endlich wieder zu finden.
Was Jeff nicht bedacht hatte, war allerdings, dass es für ihn unmöglich war den Lichtgeist unbemerkt loszuschicken. Er hoffte zwar, dass die anderen so konzentriert bei der Sache waren, dass sie nicht mitbekamen, dass er seiner Frau mit Hilfe des Lichtgeistes eine Botschaft zukommen lassen wollte. Doch wie befürchtet wurde sein Vorhaben beobachtet. Sogleich, als sie dies bemerkten, ging Panik innerhalb der Höhle um. Zwar konnte Jeff mit seinen Harmoniewellen diese bedrohliche Situation im Keim ersticken – alleine die Kenntnisnahme, dass Jeff eine Botschaft in Richtung eines anderen Menschen gesendet hatte, sorgte jedoch für besorgte Gesichter. Jeff sah Emotionen in den Gesichtszügen, die er bisher nicht hatte sehen können. Er hatte sie immer für gefühllos gehalten, oder zumindest geglaubt, dass sie ihre Gefühle nicht zeigen können.
Jeff versuchte sie mit wenigen Sätzen zu beruhigen: „Ich verstehe eure Beunruhigung nicht. Das einzige, was ich gemacht habe, ist, dass ich meiner Frau eine Nachricht habe zukommen lassen. Es wäre für mich beruhigend, wenn sie weiß, dass ich zumindest noch lebe. Sarah ist doch weit entfernt. Sie kann den Abflug nicht gefährden“.
Doch wirkliche Beruhigung spiegelten die Gesichter der andern nicht wider. Das Treiben wurde immer reger. Ein Teil nach dem anderen wurde zusammen gebaut. Es schien nur noch eine Frage von Minuten zu sein, bis die größeren Elemente des Raumschiffs an die Erdoberfläche gebracht werden konnten.
Der Lichtgeist hatte seine Suche nach Sarah mittlerweile aufgenommen. Doch es war eine sehr kurze Suche, da Sarah sich mittlerweile von der Hütte ihres Mannes entfernt hatte. Sie hatte in die Hütte gesehen und sogleich bemerkt, dass auf dem Tisch eine leichte Staubschicht lag – ein sicheres Zeichen dafür, dass ihr Mann schon seit Tagen diese Behausung nicht betreten hatte. Daher hatte sie sich auch auf den weiteren Weg gemacht. Sie versuchte sich dabei in die Situation von Jeff zu versetzten, indem sie sich vorstellte, an welchen Ort er wohl am ehesten zu finden sei. Anhand ihrer Karten stellte sie fest, dass im näheren Umkreis keine weiteren Hütten zu finden waren.
Immer wieder stellte sich Sarah die Frage, wo sich Jeff aufhalten könnte und was mit ihm geschehen war. Kurz kam ihr der Gedanke, dass sie sich an die Polizei wenden sollte, damit man die Suche nach ihm aufnehmen könnte. Doch sie war sich sicher, dass nur sie allein dazu fähig war, ihn zu finden.
Da sie wusste, dass ihr Mann ganz besonders weite, schneebedeckte Flächen mochte, nahm sie den Weg auf, den auch Jeff genommen hatte.
Der Tag neigte sich bereits seinem Ende entgegen und der Mond nahm ganz langsam die Stelle der Sonne ein. Als sie nur noch fünf Kilometer von ihrem Mann, beziehungsweise der Person, die mal ihr Mann war, entfernt war, nahm der rote Lichtgeist, wie ihm von Jeff befohlen, Kontakt mit Sarah auf.
Der Beginn dieser ungewöhnlichen Begegnung verlief ähnlich wie bei Jeff im Stadtpark. Aus großer Höhe senkte sich das rote Licht in Richtung von Sarah, die den Lichtgeist zuerst gar nicht bemerkte, da es noch relativ hell war. Doch als er sich ihr in Augenhöhe näherte, blieb sie wie versteinert stehen – allerdings nur für wenige Momente.
Sie geriet in Panik und versuchte dieser ungewöhnlichen Erscheinung wegzulaufen. Immer wieder drehte sie sich um, um zu sehen, ob ihr der Verfolger näher kam, oder ob sie ihn abschütteln konnte. Aber der Lichtgeist kam ihr problemlos näher. Auch plötzliche Richtungsänderungen konnten den Lichtgeist nicht abschütteln. Sie hatte rasende Angst, da sie keinerlei Ahnung hatte, was dieses rötliche Licht sein könnte. Obwohl sie um ihr Leben fürchtete, fiel ihr nun auch wieder ihr Mann ein. Während ihrer Flucht fragte sie sich, ob auch ihr Mann diese Erscheinung zu Gesicht bekommen hatte.
Nur noch wenige Meter war die Lichterscheinung hinter ihr und sie spürte regelrecht, ohne sich umzusehen, dass ihre Mühen vergebens waren.
Plötzlich stolperte sie über einen Stein und fiel mit dem Bauch auf den tiefgefrorenen Boden. Beim Aufprall empfand sie einen stechenden Schmerz in ihrer Brust. Doch diese Schmerzen vergaß sie sogleich, da sie auf dem Bauch liegend sah, wie sich das rote Licht über ihr ausbreitete. Der Schnee neben ihr färbte sich intensiv rot. Für einen kurzen Moment dachte sie es wäre ihr Blut, aber das war Einbildung – da war sie sich sicher. Der weiße Boden flimmerte regelrecht um sie herum.
Sie hatte zwar Angst, was sie nun genau erblicken würde, aber sie drehte sich auf den Rücken, um dem unbekannten Etwas entgegen blicken zu können. Nur einen Meter über ihr sah sie das rote Licht. Es schwebte zunächst bewegungslos über ihr.
Sie fragte sich, was nun mit ihr geschehen möge und ob ihrem Mann das selbe Schicksal ereilt hatte wie jetzt ihr. Denn dass in Kürze etwas mit ihr geschehen würde, war für sie Gewissheit.
Und dann geschah es auch. Von einem Moment auf den anderen drang der Lichtgeist in ihren Oberkörper, genauer gesagt in ihr Herz, ein. Sie wartete auf einen stechenden Schmerz, doch dieser trat wie schon bei Jeff nicht ein. Stattdessen spürte sie regelrecht, wie etwas mit ihr sprach. Sie hörte und sah zwar niemanden, doch trotzdem spürte sie wie eine ihr bekannte Stimme mit ihr sprach – es war Jeff. Dazu bestand für sie keinerlei Zweifel. Sie lauschte den Worten und vergaß dabei sogar den Lichtgeist, der immer noch in ihr war: „Sarah, ich lebe. Wir werden uns aber nicht mehr wieder sehen können. Mir ist etwas passiert, dass ich dir nicht erklären kann und was du auch nicht verstehen würdest. Suche mich nicht – du wirst mich nicht finden können. Ich liebe dich ...“. Dann war es wieder still ...
Sarah lag regungslos auf dem harten Boden. Sie spürte weder Schmerz noch Kälte. Erst als der Lichtgeist sie wieder verließ, begann sie wieder ganz langsam klar zu denken. Doch was sollte sie denken? Was hatte ihr das rote Etwas erzählt? Dass sie Jeff nie wieder sehen würde? Und diese Botschaft bekam sie von Jeff selbst?
Sie war völlig verwirrt und schaute dem Lichtgeist nach, der sich langsam aber doch stetig wieder von ihr entfernte.
Ohne lange zu überlegen stand sie auf, unterdrückte die jetzt aus dem Sturz resultierenden Schmerzen und nahm die Verfolgung des roten Lichtes auf, vor dem sie vor wenigen Minuten noch davon gelaufen war. Sie wusste, dass des Rätsels Lösung, wenn überhaupt, nur mit Hilfe dieser Erscheinung zu erfahren war.
Die Sonne war mittlerweile am Horizont verschwunden, und die Außerirdischen begannen in aller Schnelle und doch hoch konzentriert mit dem Zusammenbau der Großteile des Raumschiffs. Wie auf einem großen Teller ausgebreitet lagen die gesamten Einzelteile auf der schneebedeckten Einöde.
Jeff dachte währenddessen an seine Familie und ganz besonders an Sarah. Er wusste, dass er sie nie wieder sehen würde. Seine einzige Hoffnung bestand darin, dass er vor dem Verlassen der Erde noch die Rückkehr des Lichtgeistes mitbekäme. Das wäre für ihn das sichere Zeichen, dass seine Frau seine Botschaft erhalten hätte. Allerdings war er sich sicher, dass die Entfernung viel zu groß war, als dass er diese Gewissheit noch bekommen könnte – denn sein Erdendasein würde aller Wahrscheinlichkeit nach nur noch wenige Stunden andauern. Das merkte er um so mehr, als er sich zum wiederholten Male umdrehte und zu seinem Erstaunen sah, dass das Raumschiff in seinen groben Konturen bereits fertiggestellt war.
Sarah versuchte verzweifelt dem roten Licht auf den Fersen zu bleiben. Sie befand sich auf einer völlig freien Fläche – weder ein Baum, noch ein Berg waren in Sicht. Doch während sie lief, spürte sie plötzlich ein sehr angenehmes, wärmendes Gefühl in ihrem Herzen. Während des Laufens schaute sie sich um, aber sie sah nichts, das für ihren Stimmungswandel verantwortlich sein konnte. Somit lief sie weiter. Da sie keinen logischen Grund für diesen angenehmen Gefühlsausbruch sah, suchte sie nach einem unlogischen, und den fand sie bei ihrem Mann. Konnten diese Emotionen, die ihr Herz regelrecht erwärmten, von Jeff stammen? Zweifellos konnte sie nicht ahnen, dass diese Gefühle nicht direkt von ihrem Mann waren, sondern viel mehr von seinen Harmoniewellen, die sich wie bei Myloss in einem größeren Umkreis ausbreiteten und auch bei Sarah ihre Wirkung hinterließen.
Nur wenige Momente nachdem sie von diesem angenehmen Gefühl regelrecht überschüttet wurde, stellte sie fest, dass der Lichtgeist sie fast abgehängt hatte. Sie musste also den eingeschlagenen Weg beibehalten und zugleich hoffen, dass die Lichterscheinung ihr Ziel in Kürze erreichen würde, damit Sarah ihrem Mann wieder nahe sein konnte – das hoffte sie zumindest. Am dunkelblauen Horizont, dem sie entgegenlief, erblickte sie eine schwarze Spitze, die sich wenige Augenblicke später als kleiner Berg herausstellte. Dieser Berg war das einzige, was sich in dieser Einsamkeit vom ansonsten flachen Boden dem Himmel entgegenstreckte. Wahrscheinlich, so dachte Sarah, war sie sogar der zweithöchste Punkt in dieser einsamen, weißen Welt.
In Gedanken versunken beobachtete Jeff die letzten Griffe. Das Raumschiff war fast startbereit. Während einige der blauherzigen Techniker die letzten Teile installierten, saß einer auf der Pilotenposition und ging in Gedanken bereits den Startvorgang durch. Doch dann traute Jeff seinen Augen nicht. Sein Lichtgeist kam ihm entgegen geflogen, schwirrte direkt an ihm vorbei und signalisierte ihm mit einem leichten aufflackern, dass er die Botschaft bei der gewünschten Person hinterlassen hatte. Fassungslos und zugleich fasziniert gingen ihm Tausende von Gedanken durch den Kopf. Konnte es wirklich möglich sein, dass seine Frau sich in der Nähe befand? Diese Frage beantwortete er sich selbst, denn die Lichtgeister waren wie Myloss praktisch unfehlbar und somit stand für Jeff fest, dass seine Frau wahrscheinlich auf dem Weg zu ihm war. Die anderen Außerirdischen bemerkten diesen Vorgang, sprachen Jeff aber gar nicht erst an, sondern verstärkten ihre Bemühungen, um diesen Planeten schnellstmöglichst zu verlassen.
Sarah hatte den Berg fast erreicht, als sie feststellte, dass sie in dieser kargen Landschaft, wie sie schon erwartet hatte, nicht alleine war. Aus einigen hundert Metern Entfernung sah sie Personen, die sich rege bewegten und zudem ein Fahrzeug, welches sie zunächst nicht zuordnen konnte. Aus Vorsicht legte sie sich flach auf den Boden, da sie keinerlei Erklärung dafür hatte, wieso sich eine mindestens zwanzigköpfige Gruppe in dieser Einsamkeit aufhielt. Langsam robbte sie sich voran und stellte mehr uns mehr fest, dass sich dort etwas sehr Ungewöhnliches tat. Die anfangs betitelten Personen hatten ein sehr bizarres Äußeres. Sarah hielt sie zuerst für kleine Männer in seltsamen Uniformen. Doch als sie sich ihnen bis auf einhundert Meter genähert hatte, war sie sich sicher, dass es sich nicht um Menschen handeln konnte. Es waren Außerirdische – da war sie sich sehr sicher, obwohl sie bisher der festen Überzeugung gewesen ist, dass solche Wesen ausschließlich in der Phantasie existierten.
Obwohl sie flach auf dem Boden lag, hatte sie einen guten Überblick über die gesamte Szenerie. Neben den Außerirdischen fiel ihr auch das Raumschiff in die Augen, dass mittlerweile fertiggestellt war. Aufgrund des regen Treibens kam Sarah zu dem Entschluss, dass die Außerirdischen sich daran machten die Erde zu verlassen. So sehr sie sich auch umschaute – ihren Mann konnte sie dennoch nicht sehen, obwohl sie seine Nähe irgendwie spürte.
Sie sah, wie die Außerirdischen immer wieder in der Höhle verschwanden, um verschiedene Dinge in das Raumschiff zu laden. Überzeugt war sie davon nicht, aber sie hoffte, dass Jeff jeden Moment aus der Höhle herausgehen würde. Wieso er sich hier aufhielt war für sie in diesem Moment absolut zweitrangig. Viel wichtiger war ihr, wo ihr Mann genau war und wie es ihm ging. Hatten sie ihn eventuell in der Höhle eingesperrt?
Diese und noch einige andere Fragen brannten ihr auf der Seele. Doch agieren konnte sie in dieser Situation nicht. Der Gedanke, dass sie die Außerirdischen ansprechen könnte, kam ihr nicht ein einziges Mal. Sie sah nur die Möglichkeit des Wartens.
So sehr Jeff erleichtert war, dass Sarah informiert worden war, so beunruhigend war dieser Gedanke zugleich. Denn was würde geschehen, wenn seine Frau hier erscheinen würde? Wie würden die Außerirdischen reagieren? Könnte er selbst sich irgendwie kenntlich machen? Auf keine dieser Fragen gab es eine Antwort. Auch die anderen Außerirdischen konnten ihm diese Antwort nicht geben. Zu sehr waren sie mit den Startvorbereitungen beschäftigt.
Das gesamte Material war nunmehr in das Raumschiff geladen worden – auch die sterblichen Überreste von Myloss und Ajran. Die Turbinen wurden bereits angeworfen. Genügend Treibstoff war ebenso nachgefüllt worden.
Jeff war überrascht wie schnell der Zusammenbau des Raumschiffs vonstatten gegangen war. Doch nun stand der Start tatsächlich kurz bevor. Ein Start, der für Jeff zugleich ein Ende bedeutete – nämlich das Ende als Wesen auf dem Planteten Erde. Doch eine Flucht war für ihn unmöglich. Zum einen war er unter ständiger Aufsicht, zum anderen wäre er in dieser Gegend entweder erfroren oder verhungert. Denn wie sollte er erwarten, dass ihn ein Mensch aus seiner unmenschlichen Situation heraus helfen würde. Selbst Sarah hätte ihm jetzt nicht mehr beistehen können ... sofern sie ihn überhaupt erkannt hätte.
Ein letztes Mal ging Jeff hinab in die Höhle – dem Ort, der sein Leben bis auf das Äußerste verändert hatte. Die Gänge waren bis auf ein paar leere Gefäße leer geräumt. Sofern ein Mensch diese Höhle in Zukunft betreten würde, käme er nicht im Entferntesten auf den Gedanken, dass hier jahrelang Außerirdische gelebt hätten.
Der Start begann. Jedes Mitglied nahm seine Position ein. Ganz besonders die blauherzigen Außerirdischen waren voll konzentriert und bedienten die verschiedensten Flugapparate.
Sarah sah weiterhin aus sicherer Entfernung dem Treiben der Außerirdischen zu. Ihre Blicke wanderten immer wieder vom Raumschiff zum Höhleneingang. Doch ihr Mann war weder ins Fahrzeug gestiegen, noch hatte er sich am Höhleneingang blicken lassen. Das Gefühl der inneren Ruhe hielt sich in ihrem Herzen, so dass sie sich weiterhin sicher war, dass Jeff in der Nähe sein musste und es ihm auch den Umständen entsprechend ganz gut gehen müsste.
Sie wartete regelrecht auf den Start um endlich die Höhle betreten zu können, wo sie ihren Mann erhoffte. Als sich die Raumschiffluken schlossen, kroch sie weiter. Die Kälte des Bodens nahm sie gar nicht mehr wahr. Sie konzentrierte sich einzig auf das Raumschiff, welches innerhalb weniger Sekunden abhob und zunächst langsam, dann schneller in den sternenklaren Himmel davon schwebte.
Kurz blickte Sarah noch dem Raumschiff hinterher, welches nunmehr schon mehrere hundert Meter vom Erdboden entfernt war.
Blitzschnell lief sie zum Höhleneingang, schaltete ihre Taschenlampe ein und schaute sich um. Ihre Nerven waren angespannt. Die Außerirdischen waren für sie keine Gefahr mehr. Da sie aber nach wie vor eine besondere Form von Harmonie in ihrem Herzen spürte, ließ sie sich nicht von dem Gedanken abbringen, dass in irgendeiner Ecke dieses Labyrinths ihr Mann sein musste. Einen Gang nach dem anderen durchschritt sie, bis sie schließlich eine große Höhle erreichte, wo sie kleine Gefäße fand. Sie schaute auch in die Seitenhöhlen. In einer fand sie das Zeichen, nach dem sie schon so lange gesucht hatte, denn sie sah Kleidungsstücke ihres Mannes. Von Jeff selbst fehlte aber nach wie vor jede Spur. Gerade als sie sich fragen wollte, wieso sich Jeff seiner Kleidung entledigt hatte, waren ihre gesamten positiven Gefühle verschwunden. Obwohl sich an dieser Situation nichts verändert zu haben schien, ummantelte sie jetzt ein Gefühl der Niedergeschlagenheit und der Einsamkeit.
Von einem Moment auf den anderen war sie sich sicher, dass sie ihren Mann weder innerhalb, noch außerhalb der Höhle finden würde. Stattdessen hatte sie nun ein sehr befremdliches Gefühl. Konnte es sein, dass ihr Mann doch unbemerkt das Raumschiff betreten hatte? Sie bezweifelte es. Da sie nunmehr alle Hoffnungen verloren hatte, verließ sie die Höhle wieder und setzte sich vor den Höhlenausgang.
Jeff, der in einer Ecke des Raumschiffs saß, ahnte von den Sarahs Ankunft nichts und entschwand langsam aus dem Erdbereich. Das Letzte, was jetzt noch im Bereich seiner Möglichkeiten lag, war, dass er noch einen weiteren Lichtgeist zur Erde schicken konnte, der seiner Frau ein letzter, kleiner Trost sein sollte. Er nahm einen kleinen Stein aus einer Box, ließ diesen zu einem Lichtgeist werden und schickte ihn mit der Information zu seiner Frau, dass er sie nie vergessen werde – mehr konnte er für sich und Sarah nicht mehr tun. Solange sie die Erdlaufbahn noch nicht verlassen hatten, konnte er diese Lichterscheinung noch zu ihr senden. Die anderen Außerirdischen schauten ihm dabei zu und spürten seine Traurigkeit, obwohl ihm wiederum keine Träne aus seinen Augen kullern konnte. Er entfernte sich endgültig von seinem menschlichen Dasein ...
Der Lichtgeist flog mitten durch die Raumschiffwand, als wenn sie nur aus Papier bestehen würde. Dann orientierte er sich in Richtung des schon weit entfernten Erdbodens.
Sarah saß nach wie vor fassungslos auf der kalten Erdoberfläche und schaute in Richtung Himmel. Konnte es wirklich sein, dass sich ihr Mann in diesem außerirdischen Gefährt befunden hatte? Sie hatte Angst sich diese Frage zu beantworten. Doch die Antwort kam unmittelbar auf sie zu und erreichte sie in einem Moment, wo Sarah nicht mehr an ein Lebenszeichen ihres Mannes geglaubt hatte. Der rote Lichtgeist war nur wenige Meter vor ihren Augen entfernt. Wieder wartete sie auf Worte, die sie nicht hören aber spüren konnte, und als der Lichtgeist in ihr Herz eindrang, empfand sie ein Glücksgefühl, welches sie nie wieder vergessen würde und dass ihr auch niemand mehr nehmen konnte.
Der Lichtgeist verließ ihren Körper nicht, so wie sie es bei ihrer ersten Begegnung noch erlebt hatte. Stattdessen nistete er sich regelrecht in ihrem Herzen ein. Das rote Licht wühlte in ihrem Herzen und kräftigte es in seinem Innersten. Sarah spürte, dass es eine Botschaft, die letzte Botschaft, von Jeff sein würde. Diese Nachricht bestand nicht aus Worten, sondern aus einer herzlichen Wärme, die sie von nun an immer in sich tragen würde ... in ihrem roten Herzen. ENDE

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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