Jürgen Berndt-Lüders

Es muss raus! Ich oute mich!

Es gibt einen dunklen Punkt in meinem Leben, den ich nicht länger verschweigen kann.

 

Nein, ich trinke nicht, ich rauche nicht, ich belüge und betrüge keine Menschen, allenfalls mich selber. Und der Große Unbekannte, der vor fremden Frauen seinen weiten Mantel öffnet und seinen nackten Körper präsentiert, bin ich auch nicht.

 

Ich leide unter einer schrecklichen Sucht, die mich schier umbringt, vor allem Sonntags, wenn ich meinen überstarken Trieb nicht zufrieden stellen kann.

 

Es begann bereits 1968. Ich gehörte zu einer Gruppe Studenten, die ihre ganze Wut gegen das Establishment hinaus schrieen, den braven Bürger regelrecht terrorisierten und ihm das Recht auf freie Entfaltung absprachen, aber das war nichts als Fassade.  Denn bereits damals frönte ich meinem Laster, achtete sorgsam darauf, dass mir niemand hinter die Schliche kam und heuchelte mit anderen um die Wette. Denn es gab auch damals schon die ganz große Sucht danach.

 

Wir spielten mit der Realität, nur um den Schein zu wahren. In der Kochstraße in Berlin zündeten wir Transporter an, welche den angeblich so verhassten und doch so geliebten Stoff an die Dealer liefern sollten. Und ich nutzte feige die Gelegenheit und besorgte mir davon, ehe er ein Opfer der Flammen wurde. Kostenlos natürlich.

 

Meine Sucht steigerte sich im Laufe der Jahre. Anfangs begnügte ich mich noch damit, einen scheuen Blick darauf zu werfen, wenn ich meinem Dealer Tribut für Anderes, Harmloseres zahlte, aber bald verleugnete ich meine Gier nicht mehr, beschaffte mir den ersehnten Stoff und behauptete frech, er sei für meine Schwiegermutter.

 

Frühmorgens, wenn die Verteiler den täglichen Bedarf gebündelt in die Hausflure warfen, wo sie später mit zitternden Fingern stapelweise und teilweise sogar offen auf dem Ladentisch angeboten wurden,  stahl ich meiner Sucht gemäß, was ich brauchte. Denn ich lebte in einer Atmosphäre von nach außen hin ehrenwerten Leuten, die meine Sucht und damit auch mich kategorisch abgelehnt hätten, hätten sie denn Kenntnis von meiner Sucht gehabt.

 

Längst weiß ich, wie schädlich mein Stoff für die Allgemeinheit ist,  das Fernsehen und die Presse berichten oft genug darüber, aber ich weiß mir nun nicht mehr zu helfen.

 

Es muss raus!

 

Nun ist es also an der Zeit, dass ich mich oute. Ich schreibe dieses Geständnis, und damit ich ihn in einem Anfall von Feigheit nicht sofort wieder lösche, schaffe ich vollendete Tatsachen und schicke ihn jetzt in diesem Moment ab...

 

Genau in diesem Moment, um genau 00:02 Uhr!

 

Ich gestehe: ich lese die Bild-Zeitung.

 

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